Landgericht Dortmund Urteil, 03. März 2016 - 2 O 400/14
Gericht
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.379,07 € (i.W.: fünftausenddreihundertneunundsiebzig 07/100 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 3 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.11.2011 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte nach einem Streitwert von 5.379,07 €.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
T a t b e s t a n d:
2C unterhielt bei der Beklagten eine Krankenversicherung. Mitversichert war seine am 10.10.2011 geborene Tochter C2. Vereinbart wurde der Tarif KK1, Krankheitskosten ambulant / stationär. Grundlage sind der Versicherungsschein vom 27.10.2011, die MB/KK 2009 und die Tarifbedingungen der Beklagten (Anlage B 1). C2 befand sich bei der Klägerin in dem Zeitraum vom 12.10.2011, 06.45 Uhr bis zum 25.10.2011, 14.00 Uhr in intensivstationärer Behandlung. Angewandt wurde eine High-Flow-Nasenbrille. Mit Schreiben vom 28.10.2011 stellte die Klägerin der Beklagten 8.415,05 € in Rechnung (Anlage B 3).
3Position 1 dieser Rechnung enthält folgende Leistungsbeschreibung:
4„P06C Neugeborenes, Aufnahmegewicht > 2.499 g mit signifikanter OR-Prozedur oder Beatmung > 95 Stunden, ohne mehrere schwere Probleme“
5Die Beklagte zahlte 3.035,98 € (Anlage B 4). Weitere Leistungen lehnte sie mit Schreiben vom 04.01.2012 (Anlage B 7) und vom 05.03.2012 (Anlage B 8) ab. Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin aus abgetretenem Recht die Differenz.
6Sie behauptet, bei der unstreitig angewandten High-Flow-Nasenbrille handelt es sich um eine Atemunterstützung, die mit der Anwendung von positivem endexspiratorischem Atemwegsdruck (PEEP), also einer Unterstützung durch kontinuierlich positiven Atemwegsdruck (CPAP) vergleichbar sei und daher nach der OPS-Kode Ziffer 8-711.4 (maschinelle Beatmung über Maske oder Tubus) und nicht nach OPS-Kode 8-72 (Sauerstoffzufuhr) abzurechnen sei (Einzelheiten Anlage K 2).
7Die Klägerin beantragt,
8die Beklagte zu verurteilen, an sie 5.379,07 € nebst Zinsen in Höhe von 3 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.11.2011 zu zahlen.
9Die Beklagte beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Sie behauptet, die CPAP-Atemunterstützung und die High-Flow-Therapie sei nicht als Beatmungsverfahren einzuordnen, weil C2 unstreitig selbst geatmet habe.
12Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen und mündlichen Sachverständigengutachtens. Wegen der Einzelheiten der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten von Professor Dr. S vom 30.07.2015 sowie das Protokoll vom 11.02.2016 Bezug genommen.
13E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
14Die Klage ist begründet.
15Die Klägerin hat aus abgetretenem Recht des Versicherungsnehmers der Beklagten gegen die Beklagte einen versicherungsvertraglichen Anspruch auf Zahlung von 8.415,05 € minus 3.035,98 € = 5.379,07 €.
16Der Versicherungsvertrag zwischen C und der Beklagten sowie der Versicherungsfall (die medizinisch notwendige stationäre Behandlung der Versicherten) sind unstreitig.
17Die Rechnung der Klägerin vom 28.10.2011 (Anlage B 3) über 8.415,05 € ist berechtigt und von der Beklagten vollständig zu erstatten. Die in Rechnung gestellte DRG P06C (Neugeborenes, Aufnahmegewicht > 2.499 g mit signifikanter OR-Prozedur oder Beatmung > 95 Stunden, ohne mehrere schwere Probleme) ist zutreffend und nicht die DRG P67B (Neugeborenes, Aufnahmegewicht > 2.499 g ohne signifikante OR-Prozedur, ohne Beatmung > 95 Stunden, mit schweren Problemen, ohne Hypotermiebehandlung oder mit anderen Problemen, mehr als 1 Belegungstag oder mit nicht signifikanter OR-Prozedur, mit komplizierter Diagnose).
18Die Höhe der Erstattung regelt 2.8.2 der Tarifbedingungen. Erstattet werden danach die Kosten für die Inanspruchnahme von allgemeinen Krankenhausleistungen im Sinne der Bundespflegesatzverordnung.
19Nach § 8 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) sind die Entgelte für allgemeine Krankenhausleistungen für alle Benutzer des Krankenhauses einheitlich zu berechnen, mit der Folge, dass auch gegenüber privat Krankheitskostenversicherten das DRG-System (Diagnosis related Groups) gilt (Bach-Moser PKV Anhang zu § 1 MB-KK Rn. 223). Danach werden allgemeine Krankenhausleistungen über diagnoseorientierte Fallpauschalen (DRG) abgerechnet (Bach-Moser a.a.O. Rn. 224). Berechnet wird die Fallpauschale (DRG) durch ein EDV-Programm (Grouper). Berechnungsgrundlage sind verschiedene Parameter u.a. die Hauptdiagnose, die vorliegend unstreitig ist, und die am Patienten durchgeführten Leistungen (Prozeduren). Dies ist der OPS-Kode (Bach-Moser a.a.O. Rn. 228). Um eine einheitliche Verschlüsselung zu gewähren, sind die deutschen Kodierrichtlinien (DKR) zugrunde zu legen (Bach-Moser a.a.O.).
20Die Klägerin hat die von ihr erbrachten Leistungen richtig kodiert. Die Atemunterstützung mit den High-Flow-Kanülen darf bei Neugeborenen zur Berechnung der Atmungsstunden nach 1001a der Kodierrichtlinien herangezogen und kodiert werden. 1001a der Kodierrichtlinien hat folgenden Wortlaut:
21„Maschinelle Beatmung
22Definition
23Maschinelle Beatmung („künstliche Beatmung“) ist ein Vorgang, bei dem Gase mittels einer mechanischen Vorrichtung in die Lunge bewegt werden. Die Atmung wird unterstützt durch das Verstärken oder Ersetzen der eigenen Atemleistung des Patienten. Bei der künstlichen Beatmung ist der Patient in der Regel intubiert oder tracheotomiert und wird fortlaufend beatmet. Bei intensivmedizinisch versorgten Patienten kann eine maschinelle Beatmung auch über Maskensysteme erfolgen, wenn diese anstelle der bisher üblichen Intubation oder Tracheotomie eingesetzt werden.
24Bei Neugeborenen sind darüber hinaus auch andere atmungsunterstützende Maßnahmen zu verschlüsseln (siehe Punkt 3.).
25Wenn eine maschinelle Beatmung die obige Definition erfüllt, ist
261.) zunächst die Dauer der künstlichen Beatmung zu kodieren:
27...
283.) Bei Neugeborenen ist zusätzlich der Kode
298-711.0 mechanische Unterstützung der Atmung, invasive maschinelle Beatmung bei Neugeborenen, mit kontinuierlichen positiven Atemwegsdruck (CPAP) anzugeben, sofern CPAP angewendet wird.
30Anmerkung: Bei Neugeborenen sind darüber hinaus auch andere atmungsunterstützende Maßnahmen wie z.B. Sauerstoffzufuhr (8-720) zu verschlüsseln, soweit nicht eine maschinelle Beatmung erfolgt. Hier ist die Beatmungsdauer nicht zu kodieren...“
31Aus dem maßgebenden Wortlaut (BSG-Urteil vom 18.09.2008, B 3 KR 15/07, Urteil vom 08.11.2011, B 1 KR 8/11) dieser Kodierrichtlinie ergibt sich entgegen der Ansicht der Beklagten nicht, dass eine Maschine für die Bewegung der Gase in der Lunge notwendig ist. Ausreichend ist zumindest bei Neugeborenen und Säuglingen eine Unterstützung der Atemleistung des Patienten durch die Anwendung von CPAP zur Kodierung der Beatmungsstunden (ebenso Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Urteil vom 20.11.2015 L 1 KR 36/13 gegen LSG Saarbrücken, Urteil vom 14.12.2011 L 2 KR 76/10, Kommentierung der DKR 1001 H durch den MDK Baden-Württemberg im KO-Sonderheft „Deutsche Kodierrichtlinien 2012“). Andernfalls ergebe auch Punkt 3 der Kodierrichtlinien keinen Sinn.
32Dagegen spricht nicht der Wortlaut der DKR 2013 „Klarstellung, dass die Dauer der Atemunterstützung mit kontinuierlichem positivem Atemwegsdruck (CPAP) bei Neugeborenen und Säuglingen bei der Ermittlung der Beatmungsdauer zu berücksichtigen ist“. Denn dabei handelt es sich nicht um eine Neuregelung ab 2013 sondern eine Klarstellung, verursacht durch das Urteil des Landessozialgerichts Saarbrücken vom 14.12.2011.
33Es spielt keine Rolle, ob die Anwendung von High-Flow-Nasenkanülen und CPAP technisch identisch oder vergleichbar sind. 2011 wurde der OPS-Kode 8.711.4 (Atemunterstützung durch Anwendung von High-Flow-Nasenkanülen) in die OPS-Klasse 8-711 (maschinelle Beatmung bei Neugeborenen und Säuglingen) aufgenommen. Durch die Zuordnung der Atemunterstützung durch Anwendung von High-Flow-Nasenkanülen zur OPS-Klasse 8-711 anstatt zur OPS-Klasse 8-720 (Sauerstoffzufuhr bei Neugeborenen) findet die Regelung der DKR 1001h zur Dokumentation von Beatmungsstunden Anwendung. Dementsprechend können beim Einsatz von High-Flow-Nasenkanülen bei Neugeborenen und Säuglingen Beatmungsstunden dokumentiert und kodiert werden.
34Diese Feststellungen entnimmt das Gericht dem überzeugenden und nachvollziehbaren Gutachten der Sachverständigen Professor Dr. S und Dr. G.
35Festzuhalten bleibt damit, dass die von der Klägerin in Rechnung gestellte DRG zutreffend und die Klage damit begründet ist.
36Der Zinsanspruch der Klägerin folgt aus § 288 BGB, die Kostenentscheidung aus § 91 ZPO und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.
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(1) Eine Geldschuld ist während des Verzugs zu verzinsen. Der Verzugszinssatz beträgt für das Jahr fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.
(2) Bei Rechtsgeschäften, an denen ein Verbraucher nicht beteiligt ist, beträgt der Zinssatz für Entgeltforderungen neun Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.
(3) Der Gläubiger kann aus einem anderen Rechtsgrund höhere Zinsen verlangen.
(4) Die Geltendmachung eines weiteren Schadens ist nicht ausgeschlossen.
(5) Der Gläubiger einer Entgeltforderung hat bei Verzug des Schuldners, wenn dieser kein Verbraucher ist, außerdem einen Anspruch auf Zahlung einer Pauschale in Höhe von 40 Euro. Dies gilt auch, wenn es sich bei der Entgeltforderung um eine Abschlagszahlung oder sonstige Ratenzahlung handelt. Die Pauschale nach Satz 1 ist auf einen geschuldeten Schadensersatz anzurechnen, soweit der Schaden in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist.
(6) Eine im Voraus getroffene Vereinbarung, die den Anspruch des Gläubigers einer Entgeltforderung auf Verzugszinsen ausschließt, ist unwirksam. Gleiches gilt für eine Vereinbarung, die diesen Anspruch beschränkt oder den Anspruch des Gläubigers einer Entgeltforderung auf die Pauschale nach Absatz 5 oder auf Ersatz des Schadens, der in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist, ausschließt oder beschränkt, wenn sie im Hinblick auf die Belange des Gläubigers grob unbillig ist. Eine Vereinbarung über den Ausschluss der Pauschale nach Absatz 5 oder des Ersatzes des Schadens, der in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist, ist im Zweifel als grob unbillig anzusehen. Die Sätze 1 bis 3 sind nicht anzuwenden, wenn sich der Anspruch gegen einen Verbraucher richtet.
(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.
(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.
(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.
(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.
(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.
Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.