Landesarbeitsgericht Nürnberg Urteil, 06. Sept. 2018 - 1 Sa 459/17

published on 06/09/2018 00:00
Landesarbeitsgericht Nürnberg Urteil, 06. Sept. 2018 - 1 Sa 459/17
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Arbeitsgericht Nürnberg, 1 Ca 3087/17, 25/10/2017

Gericht

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Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers hin wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 25.10.2017, Az. 1 Ca 3087/17, abgeändert.

II. Die Beklagte hat die Abmahnung vom 30.03.2017 aus der Personalakte der Klägers zu entfernen.

III. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Verpflichtung des Arbeitgebers, eine Abmahnung aus den Personalakten des Arbeitnehmers zu entfernen.

Der Kläger ist seit 01.09.2010 als Betriebshausmeister bei der Beklagten zu einem Monatsgehalt von durchschnittlich 3.077,- € brutto beschäftigt.

Am 29.03.2017 erlitt der Kläger einen Arbeitsunfall; er besuchte noch am 29.03.2017 einen Arzt. Am 30.03.2017 blieb der Kläger der Arbeit aufgrund bestehender Arbeitsunfähigkeit fern. Diese dauerte mindestens bis September 2017 an. Zwischen den Parteien ist streitig, ob und wie der Kläger die Beklagte am 29.03.2017 von der Arbeitsunfähigkeit bzw. seinem Fehlen in Kenntnis gesetzt hat.

Die Beklagte erteilte dem Kläger unter dem Datum 30.03.2017 eine Abmahnung mit folgendem Text (Anlage zur Klageschrift, Bl. 9 d.A.):

am Mittwoch, 29.03.2017, hatten Sie einen Arbeitsunfall. Sie gingen anschließend sofort zum Arzt.

Heute am Donnerstag, 30.03.2017, sind Sie nicht zur Arbeit erschienen und haben sich weder telefonisch noch anderweitig bei uns gemeldet. Auch lag keine Krankmeldung im Briefkasten.

Ihnen ist bestens bekannt, dass Sie verpflichtet sind, uns unverzüglich, schriftlich, telefonisch oder durch einen Beauftragten die Erkrankung/Dienstverhinderung sowie deren voraussichtliche Dauer mitzuteilen.

Indem Sie unentschuldigt fehlten und uns nicht über Ihre Erkrankung informierten, verursachten Sie erhebliche Störungen im betrieblichen Ablauf.

Derartiges Fehlverhalten, wie oben geschildert, werden wir auf keinen Fall akzeptieren und mahnen Sie hiermit ab.

Im Falle einer Wiederholung derartigen Fehlverhaltens müssen Sie mit weitergehenden arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses rechnen.

Mit seiner am 08.06.2107 beim Arbeitsgericht Nürnberg eingereichten Klage hat der Kläger beantragt, das Abmahnungsschreiben aus der Personalakte zu entfernen. Er hat vorgetragen, der mit der Abmahnung erhobene Vorwurf sei unberechtigt. Es sei nicht zutreffend, dass er am 30.03.2017 der Arbeit unentschuldigt ferngeblieben sei. Er habe vielmehr am 29.03.2017 einen Arbeitsunfall erlitten, bei dem er sich an der Schulter verletzt habe. Er habe diesen Arbeitsunfall umgehend im Lagerbüro bei der hierfür zuständigen Mitarbeiterin E. gemeldet. Anschließend habe er sich zur Untersuchung ins Krankenhaus begeben. Dort sei ihm mitgeteilt worden, dass eine weitere Untersuchung erforderlich sei, die am 30.03. durchgeführt werde. Er sei daher am 29.03. zurück in den Betrieb gefahren und habe der Mitarbeiterin E. mitgeteilt, dass er am 30.03. erneut ins Krankenhaus müsse und daher nicht zur Arbeit erscheinen könne. Dabei habe er der Mitarbeiterin den Terminzettel des Krankenhauspersonals gezeigt. Er habe am Morgen des 30.03. vergeblich versucht, die Mitarbeiterin E. telefonisch zu erreichen; dies sei nicht gelungen. Am 30.03. habe er gegen 11.30 Uhr die an diesem Tag ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung persönlich im Betrieb abgegeben.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

Die Beklagte wird verurteilt, die Abmahnung vom 30.03.2017 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat eingewandt, die Abmahnung sei berechtigt, weil der Kläger die ihm vorgeworfene Pflichtverletzung begangen habe. Nach Ziff. 5 seines Arbeitsvertrages sei der Kläger verpflichtet, dem Arbeitgeber jede Arbeitsverhinderung sowie die Gründe hierfür vor Arbeitsbeginn schriftlich oder mündlich anzuzeigen. Nach Kenntnis sei die voraussichtliche Dauer der Arbeitsverhinderung mitzuteilen. Diese Pflicht habe der Kläger verletzt. Er habe zwar am 29.03. eine Unfallanzeige ausgefüllt und der zuständigen Mitarbeiterin E. mitgeteilt, dass er zum Arzt gehen und sich danach nochmals bei ihr, der Beklagten, melden werde. Die Mitarbeiterin E. habe ihn ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er dies tun solle. Der Kläger habe sich jedoch nicht mehr gemeldet. Sie bestreite, dass der Kläger eine Meldung vergeblich telefonisch versucht habe; die Mitarbeiterin F. sei im Lagerbüro gewesen und habe keinen Anruf verzeichnen können, auch die Anruferliste weise keinen Anruf des Klägers auf. Da die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung das Ausstellungsdatum 29.03. trage (Anlage B 2 zur Beklagtenerwiderung, Bl. 32 d.A.) wäre eine Meldung am 30.03. nach Arbeitsbeginn um 07.00 Uhr auch nicht mehr rechtzeitig gewesen.

Der Kläger hat erklärt, entgegen dem Vortrag der Beklagten sei er am 29.03. nochmals in den Betrieb gefahren und habe der Mitarbeiterin E. den Terminzettel des Krankenhauses mit dem Untersuchungstermin am 30.03. gezeigt. Diese habe auf den Zettel geblickt, eine Kopfbewegung in Richtung des Büros des Lagerleiters G. gemacht und geäußert: „Warum zeigen Sie es mir, zeigen Sie es ihm.“ Das Büro des Lagerleiters sei jedoch zu diesem Zeitpunkt unbesetzt gewesen. Es treffe allerdings zu, dass er am 30.03. nicht persönlich versucht habe, die Mitarbeiterin E. nochmals zu erreichen. Er habe vielmehr den Kollegen H. per WhatsApp verständigt, dass er sich zur Untersuchung im Krankenhaus befinde und nicht kommen könne. Es sei üblich, dass in solchen Fällen die Kollegen dem Lagerleiter G. Bescheid gäben. Es sei falsch, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits am 29.03. ausgestellt worden sei.

Die Beklagte bleibt dabei, dass der Kläger am 29.03. nicht mehr im Betrieb erschienen sei. Es sei falsch, dass eine Entschuldigung über WhatsApp an einen Kollegen üblich sei.

Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben zur bestrittenen Behauptung der Beklagten, der Kläger habe sich am 29.03.2017 nicht mehr gemeldet, durch uneidliche Einvernahme der Verwaltungsangestellten E.. Des genauen Wortlauts der Zeugenaussage wegen wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 25.10.2017 Bezug genommen (Bl. 67 ff. d.A.).

Das Arbeitsgericht Nürnberg hat mit Endurteil vom 25.10.2017 wie folgt entschieden:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

3. Der Streitwert wird auf € 3.077,- festgesetzt.

4. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Das Arbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, der Anspruch sei nicht begründet, da die Abmahnung zurecht erfolgt sei. Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme stehe zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Kläger am 29.03.2017 nicht erneut bei der Beklagten erschienen sei und dass er daher seine Anzeigepflicht verletzt habe. Die Zeugin E. habe glaubwürdig bestätigt, dass der Kläger nicht mehr erschienen sei. Sie habe sich noch daran erinnert, dass der Kläger einige Zeit nach ihrem Arbeitsbeginn einen Arbeitsunfall gehabt und ihr dies sofort mitgeteilt habe. Sie habe dann weiter ausgesagt, dass sie ihm sofort eine Unfallmeldung ausgedruckt und angeboten habe, ihm beim Ausfüllen zu helfen, was jedoch dann die Schwerbehindertenvertreterin getan habe. Aufgrund des persönlichen Eindrucks dieser Zeugin sei die Kammer von deren Glaubwürdigkeit voll überzeugt. Es erscheine vollkommen unwahrscheinlich, dass sich die Zeugin an die Vorfälle rund um den Arbeitsunfall des Klägers im Detail erinnere, sein zweites Erscheinen nach der Untersuchung im Krankenhaus jedoch ganz vergessen habe. Selbst wenn unterstellt werde, dass der Kläger seinen Kollegen über WhatsApp informiert habe, liege die gerügte Pflichtverletzung vor. Bediene er sich nämlich unzuständiger Personen als Boten, trage er das Übermittlungsrisiko. Im Übrigen sei die Abmahnung weder zu unbestimmt noch verstoße sie gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 25.10.2017 ist den anwaltlichen Prozessvertretern des Klägers ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 23.11.2017 zugestellt worden. Diese haben namens und im Auftrag des Klägers mit Schriftsatz vom 19.12.2017, beim Landesarbeitsgericht eingegangen am selben Tag, Berufung gegen die Entscheidung eingelegt. Sie haben die Berufung - nach Verlängerung der Begründungsfrist aufgrund am 19.01.2018 eingegangenen Antrags bis 20.02.2018 - mit am 20.02.2018 eingegangenem Schriftsatz selben Datums begründet.

Zur Begründung seiner Berufung lässt der Kläger vortragen, das Arbeitsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Zeugin E. glaubwürdig sei. Deren Aussage stehe im Gegensatz zu seinen Aussagen. Das Arbeitsgericht hätte weitere Sachverhaltsfeststellungen und Beweiserhebungen - etwa durch die Einvernahme der Schwerbehindertenvertreterin - vornehmen müssen. Unabhängig davon habe auch die Mitarbeiterin E. zum Zeitpunkt des Ausfüllens der Unfallanzeige erkennen müssen, dass die Verletzung schwerwiegender gewesen und ein Erscheinen am Folgetag nicht zu erwarten gewesen sei.

Nach Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 16.10.2017 mit Wirkung zum 30.06.2018 gekündigt und sich darauf berufen, die Beweisaufnahme im vorliegenden Verfahren habe ergeben, dass der Kläger sich eines versuchten Prozessbetrugs schuldig gemacht habe. Die vom Kläger beim Arbeitsgericht erhobene Kündigungsschutzklage, die beim Arbeitsgericht Nürnberg unter dem Aktenzeichen 5 Ca 5946/17 geführt wird, ist noch nicht entschieden.

Mit Schreiben vom 13.08.2018 (Anlage K 4 zum Schriftsatz der Klägervertreter vom 30.08.2018, Bl.184 d.A.) hat die Beklagte wegen des streitigen Vorfalls eine neue Abmahnung ausgesprochen, die sich von der streitgegenständlichen Abmahnung vom 30.03.2017 nur darin unterscheidet, dass im fünften Absatz im Satz „verursachten Sie erhebliche Störungen im betrieblichen Ablauf“ das Wort „erheblich“ fehlt.

Der Kläger und Berufungskläger stellt im Berufungsverfahren zuletzt folgenden Antrag:

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 25.10.2017, Aktenzeichen 1 Ca 3087/17, dem Kläger zugestellt am 23.11.2017, wird abgeändert.

2. Die Beklagte wird verurteilt, die Abmahnung vom 30.03.2017 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,

kostenpflichtige Berufungszurückweisung.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, das Arbeitsgericht habe zutreffend entschieden, und sich die Entscheidungsgründe zu eigen gemacht. Die gerügte Pflichtverletzung des Klägers stehe nach der Beweisaufnahme fest. Die Berufungsangriffe des Klägers seien nicht nachvollziehbar. Es sei falsch, dass für die Mitarbeiterin E. im Zeitpunkt des Ausfüllens der Unfallanzeige offensichtlich gewesen sei, dass der Kläger länger ausfallen werde.

Auf Aufforderung der Berufungskammer, im einzelnen vorzutragen, welche „erheblichen Störungen im betrieblichen Ablauf“ durch die verspätete Information über die Erkrankung verursacht worden seien (Beschluss vom 21.06.2018, Bl. 156 d.A.), hat die Beklagte vorgetragen, im März 2017 habe sie am Standort drei Betriebshandwerker beschäftigt, die sich gegenseitig zu vertreten gehabt hätten. Diese arbeiteten in einem rollierenden System mit einer unterschiedlichen Anzahl von Arbeitstagen die Woche. Eine Vertretung durch andere Mitarbeiter sei nicht möglich, da ihre Aufgabe die Durchführung von Hausreparaturen sowie die Koordination, Betreuung und Kontrolle der eingesetzten Dienstleistungsunternehmen im Bereich Haustechnik sei. Die fehlende Anzeige des Nichterscheinens am 30.03. habe dazu geführt, dass das rollierende System nicht habe aufrecht erhalten werden können. Zudem hätten dringliche Arbeiten wie etwa die Klärung aus Sicherheitsgründen anfallender Baumfällarbeiten auf die Kollegen umverteilt werden müssen.

Der Kläger hat eingewandt, die Beklagte habe die Störungen nicht ausreichend belegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Darstellung des Sachverhalts im arbeitsgerichtlichen Urteil, auf die Niederschriften über die mündlichen Verhandlungen vor dem Arbeitsgericht vom 25.10.2017 (Bl. 67 ff. d.A.) und vor dem Landesarbeitsgericht vom 24.05.2018 (Bl. 146 ff. d.A.) und vom 06.09.2018 (Bl. 186 ff. d.A.) sowie auf die von den Parteien beim Gericht eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht beim Landesarbeitsgericht eingereicht und auch begründet. Die Begründung des Klägers, das Arbeitsgericht hätte die Zeugenaussage nicht in der von diesem vorgenommenen Weise würdigen dürfen, wäre, wenn sie zuträfe, geeignet, das vom Arbeitsgericht gefundene Ergebnis in Frage zu stellen, und genügt daher den Anforderungen. Dies gilt unabhängig davon, dass die vom Kläger vorgetragenen Argumente jedenfalls nicht erschöpfend sind.

Die Berufung ist auch in der Sache begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, das Abmahnungsschreiben vom 30.03.2017 aus den Personalakten zu entfernen. Im einzelnen gilt folgendes:

1. Der Klage fehlt es nicht deswegen am Rechtsschutzbedürfnis, weil die Beklagte das Arbeitsverhältnis in der Zwischenzeit gekündigt hat.

a. Auch die Kammer vertritt entsprechend der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Auffassung, dass das Rechtsschutzinteresse für einen Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte nur dann besteht, wenn es objektive Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Abmahnung dem Arbeitnehmer noch schaden kann (BAG vom 19.04.2012, 2 AZR 33/11, Rn. 51 der Entscheidungsgründe; BAG vom 17.11.2016, 2 AZR 730/15, Rn. 47 der Entscheidungsgründe, jeweils zitiert nach juris).

b. Eine solche Konstellation ist jedoch vorliegend gegeben. Die Beklagte hat dem Kläger mit der Begründung gekündigt, er habe versuchten Prozessbetrug begangen, und sich hierbei auf die Behauptung gestützt, sein Sachvortrag im Abmahnungsprozess sei falsch, die Abmahnung zu Recht ausgesprochen. Über die Frage, ob der Sachvortrag des Klägers falsch sei, hat das Arbeitsgericht Beweis erhoben. Es hat sein Urteil auf die von ihm - dem Arbeitsgericht - gewonnene Überzeugung gestützt, die Ausführungen der Beklagten seien zutreffend, diejenigen des Klägers tatsächlich falsch. Würde nunmehr mit der Kündigung das Rechtsschutzinteresse entfallen, blieben diese Überzeugung und Feststellung des Arbeitsgerichts bestehen. Der Kläger könnte sie nicht mehr zu Fall bringen. In dieser besonderen Konstellation liegt der für den Kläger im Verbleib der Abmahnung bei den Personalakten liegende Nachteil auf der Hand. Die Klage ist also nicht unzulässig geworden.

c. Die Klage ist auch nicht deswegen unzulässig geworden, weil die Beklagte nunmehr ein zweites Abmahnungsschreiben, dessen Rüge sich auf exakt denselben Vorwurf bezieht, das lediglich in der Formulierung in einem Wort abweicht, zu den Personalakten genommen hat. Wäre dem Kläger hierdurch die Möglichkeit genommen, die Entfernung des ursprünglichen Schreibens durchzusetzen, bliebe dies in der Personalakte, und zwar unabhängig davon, ob der Kläger in einer eventuellen Klage auf Entfernung des späteren Schreibens Erfolg hätte.

2. Die Klage ist auch begründet. Die Beklagte hat das Schreiben vom 30.03.2017 aus der Personalakte zu entfernen.

a. Das Recht zu verlangen, dass Abmahnungen aus den Personalakten entfernt werden, ergibt sich entsprechend §§ 242, 1004 Abs. 1 S. 1 BGB. Der Anspruch ist begründet, wenn die Abmahnung inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt. Auch eine zu Recht erteilte Abmahnung ist aus der Personalakte zu entfernen, wenn kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers mehr an deren Verbleib in der Personalakte besteht (BAG vom 19.07.2012, 2 AZR 782/11, Rn. 13; BAG vom 02.11.2016, 10 AZR 596/15, Rn. 10, jeweils zitiert nach juris).

b. Vorliegend besteht nach diesen Grundsätzen die Pflicht der Beklagten, das Schreiben vom 30.03.2017 aus der Personalakte zu entfernen, schon daraus, dass die Beklagte zur Rüge desselben Vorfalls nunmehr ein weiteres Schreiben zur Personalakte genommen hat.

Personalakten müssen ein zutreffendes Bild von Person und Leistung des Arbeitnehmers wiedergeben. Schreiben sind aus den Akten zu entfernen, wenn sie unrichtige Tatsachen enthalten und den Arbeitnehmer in seiner Rechtsstellung oder in seinem beruflichen Fortkommen beeinträchtigen können (Schmidt in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 19. Aufl. 2019, Art. 2 GG, Rn. 97). Ein falsches Bild könnte dadurch entstehen, dass für denselben Vorfall mehrere Abmahnungen zur Personalakte genommen sind. Ein oberflächlicher Betrachter könnte den Eindruck gewinnen, dass sich der Arbeitnehmer eine Mehr- oder Vielzahl von Pflichtverletzungen hat zuschulden kommen lassen, obwohl es doch nur um einen einzigen, bereits gerügten Vorfall geht. Andererseits ist ein schutzwürdiges Interesse der Beklagten, ein- und denselben Vorfall mit mehreren Schreiben abzumahnen, in keiner Weise erkennbar.

Die Beklagte hat sich nicht geäußert, welches der beiden fast gleichlautenden Schreiben nunmehr für sie bedeutsam sein soll. Die Kammer geht daher davon aus, dass sie mit dem zweiten Schreiben den Vorfall bzw. die hierdurch entstandenen betrieblichen Störungsfolgen präzisieren wollte. Unterstellt man dies, hat sie am Verbleib des Abmahnungsschreibens vom 30.03.2017 in der Personalakte jedoch kein erkennbares Interesse mehr. Das Schreiben ist schon deswegen zu entfernen. Allein dieses Schreiben ist vorliegend streitgegenständlich. Über die Pflicht zur Entfernung des Schreibens vom 13.08.2018 ist vorliegend nicht zu befinden.

c. Die Pflicht, dieses Schreiben vom 30.03.2017 aus der Personalakte zu entfernen, ergibt sich jedoch auch daraus, dass im Text dieses Schreibens der Eindruck erweckt wird, die Pflichtverletzung habe zu erheblichen betrieblichen Störungen geführt. Damit wird zwar nicht die Pflichtverletzung als solche unzutreffend beschrieben. Es wird aber mit dem Hinweis auf solche erheblichen betrieblichen Störungen im betrieblichen Ablauf der Eindruck erweckt, der Verstoß sei auch deswegen erheblich, weil sich entsprechende Auswirkungen ergeben hätten.

Das Vorhandensein solcher - noch dazu „erheblicher“ - betrieblicher Störungen hat die Beklagte in keiner Weise vorgetragen. Diese Störungen müssten auch nach dem von der Beklagten verfassten Text „indem Sie unentschuldigt fehlten und uns nicht über Ihre Erkrankung informierten, verursachten Sie …“ durch die von der Beklagten gerügte nicht rechtzeitige Anzeige des Nichterscheinens entstanden sein. Solche Störungen sind aber in keiner Weise erkennbar. Die von der Beklagten dargelegten Störungen beziehen sich darauf, dass der Kläger als Betriebshausmeister am 30.03.2017 nicht zur Verfügung stand. Sie beziehen sich aber nicht darauf, dass die Beklagte am Vormittag des 30.03., wie sie es darstellt, nicht wusste, dass der Kläger nicht einsatzbereit war und seine Arbeit nicht aufnehmen würde. Damit ist gerade nicht erkennbar, dass die verspätete Anzeige irgendwelche Störungen im betrieblichen Ablauf verursacht hätte. Der im Abmahnungsschreiben enthaltene Hinweis suggeriert aber genau dies. Die - behauptete - Verfehlung des Klägers erscheint in einem anderen Licht, erscheint im Abmahnungsschreiben als schwerwiegender, als dies - jedenfalls bezüglich der entstandenen Schwierigkeiten im Betriebsablauf - tatsächlich der Fall war. Das Schreiben gibt gerade kein zutreffendes Bild von der Pflichtverletzung wieder und erweist sich daher als unzutreffend und unverhältnismäßig. Auch dies rechtfertigt den Entfernungsanspruch.

d. Unabhängig hiervon ist darauf hinzuweisen, dass die Würdigung der Zeugeneinvernahme durch das Arbeitsgericht in der vorliegenden Form tatsächlich keinen Bestand hätte haben können. Ob der Vorwurf zutrifft, hängt davon ab, ob die Darstellung des Klägers oder diejenige der Angestellten E., die sich die Beklagte zu eigen gemacht hat, zutrifft. Da die Zeugin E. als Beauftragte der Beklagten gehandelt hat und daher in deren „Lager“ steht, wäre es veranlasst gewesen, die Einlassung des Klägers gleichgewichtig neben diejenige der Zeugin E. zu stellen und die Aussagen gegeneinander abzuwägen. Dies gebietet der Grundsatz fairen Verfahrens (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte vom 25.10.1993, 27/1993/382/40, zitiert nach juris; weitere Einzelheiten vgl. etwa bei Zöller-Greger, ZPO, 32. Aufl. 2017, § 448 Rn. 4a). Vorliegend ist weder aus der Niederschrift über die Vernehmung noch aus der Beweiswürdigung erkennbar, dass die Überzeugungsbildung diesen Umstand ausreichend berücksichtigt hat. Es bleibt daher offen, ob der Kläger die gerügten Pflichten tatsächlich verletzt hat und ob der Vorwurf des versuchten Prozessbetrugs gegeben ist.

3. Nach alldem ist die Berufung begründet. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

4. Für die Zulassung der Revision besteht kein gesetzlich begründeter Anlass.

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Lastenausgleichsgesetz - LAG

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
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published on 17/11/2016 00:00

Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 16. Oktober 2015 - 17 Sa 1222/15 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
published on 02/11/2016 00:00

Tenor 1. Die Revisionen des Klägers und der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 17. Juli 2015 - 6 Sa 2276/14 - werden zurückgewiesen.
published on 19/07/2012 00:00

Tenor 1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 23. November 2010 - 7 Sa 427/09 - aufgehoben.
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Annotations

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.

(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.