Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 10. Jan. 2017 - 5 Sa 26/16
Gericht
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 10.12.2015 - 5 Ca 744/15 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Eingruppierung des Klägers nach dem Tarifvertrag über die Grundlagen der Arbeitsentgeltregelungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der obst- und gemüseverarbeitenden Industrie in Mecklenburg-Vorpommern vom 05.11.1996 (ERTV).
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Der 1972 geborene Kläger ist seit dem 31.08.1993 bei der Beklagten, die im Mehrschichtbetrieb Tiefkühlpizzen herstellt, in der Betriebstechnik beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit die Tarifverträge der obst- und gemüseverarbeitenden Industrie in Mecklenburg-Vorpommern Anwendung.
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Der Kläger nahm im Jahr 2006 eine berufsbegleitende Ausbildung zum Geprüften Indus-triemeister - Fachrichtung Elektrotechnik auf, die er am 03.07.2009 erfolgreich abschloss.
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Er ist seit längerem Mitglied des Betriebsrats und seit dem 19.04.2010 für diese Aufgaben in vollem Umfang von seiner beruflichen Tätigkeit freigestellt. Vordem war er als Vorarbeiter Elektrik beschäftigt und bezog das Entgelt der Tarifgruppe 8 ERTV.
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Am 02.05.2011 schrieb die Beklagte intern zwei Stellen für Schichtführer in der Betriebstechnik aus, bewertet nach Gruppe 10 ERTV. Die Stellenausschreibung hat den folgenden Inhalt:
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"…
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Die zu erledigenden Aufgaben umfassen:
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Ø Sicherstellung der technischen Verfügbarkeit der Produktionsanlage
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Ø Koordinierung der Störungsbeseitigung an den Produktionslinien (in Zusammenarbeit mit der Produktion)
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Ø Überwachung der Produktionsanlagen im Hinblick auf Wartung und Instandhaltung
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Ø Optimierung bestehender Produktionsanlagen sowie Betreuung von Umbau- und Neubauprojekten des Produktionsbereiches allein oder in Zusammenarbeit mit dem Projektleiter
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Ø Führung der produktionsbegleitenden Handwerker (fachlich)
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Ø Erstellen eines technischen Schichtberichtes
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Ø Zuarbeit und Abstimmung mit den Meistern
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Folgende Anforderungen sind für o. g. Aufgabengebiet notwendig:
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Ø Meisterausbildung (Industrie/Handwerk) Metall/Elektrik oder gleichwertig
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Ø mehrjährige Erfahrung in der Betreuung von Produktionsanlagen sowie deren Instandhaltung
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Ø Führungserfahrung
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Ø Ausbildereignungsprüfung
- 20
Ø Bereitschaft zur Schichtarbeit und Rufbereitschaft
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…"
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Der Kläger bewarb sich auf diese Ausschreibung und erhielt zum 01.07.2011 eine der beiden Schichtführerstellen. Da es bei der Freistellung des Klägers für die Betriebsratstätigkeit blieb, übertrug die Beklagte vertretungsweise Herrn H. die Aufgaben des Schichtführers Elektrik. Der Kläger erhält zusätzlich zum Bruttogehalt die im Schichtdienst anfallende Funktionszulage in Höhe von € 354,85 sowie eine steuerfreie Zulage von € 379,98.
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Der Kläger hat in der ersten Instanz zuletzt die Ansicht vertreten, ein Schichtführer mit Meisterqualifikation habe Anspruch auf die Vergütung der Tarifgruppe 11 ERTV. Der Schichtführer sei für verschiedene Arbeitsbereiche verantwortlich, nämlich Elektrik Belegung, Elektrik Haustechnik/Logistik, Elektrik Verpackung und Mechanik Belegung.
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Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn als weiteres Arbeitsentgelt für die Monate Januar 2015 bis November 2015 € 4.345,10 brutto zu zahlen
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zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
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aus jeweils € 389,67 seit dem 01.02.2015, 01.03.2015, 01.04.2015, 01.05.2015 und
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aus jeweils € 398,06 seit dem 01.06.2015, 01.07.2015, 01.08.2015, 01.09.2015, 01.10.2015, 01.11.2015, 01.12.2015.
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Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Schichtführer unterfalle nicht der Tarifgruppe 11 ERTV. Der Schichtführer trage nicht Verantwortung für mehrere Arbeitsbereiche. Der Tarifvertrag setze eine organisatorische Verantwortung in Form der Leitung mehrerer Arbeitsbereiche voraus. Das gehöre nicht zu den Aufgaben eines Schichtführers. Er könne Mitarbeitern aus anderen Bereichen keine Anweisungen erteilen oder ihnen gar Urlaub gewähren. Der Meister hingegen sei zuständig für die Schichtplanung, die Mitarbeiterentwicklung und die Auswahl neuer Mitarbeiter. Es handele sich um übergeordnete Aufgaben, weshalb der Meister auch nicht mehr im Schichtdienst tätig sei.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass der Kläger die Voraussetzungen der Tarifgruppe 11 ERTV nicht erfülle. Der Schichtführer sei nicht für mehrere Bereiche des Betriebs verantwortlich. Die Verantwortung beschränke sich auf die jeweilige Schicht, für deren Arbeitsfähigkeit er zu sorgen habe. Des Weiteren habe der Kläger nicht dargelegt, dass die Arbeitsaufgaben im Vergleich zu den Meistertätigkeiten der Tarifgruppen 9 und 10 ERTV schwieriger seien. Entsprechendes gelte für die Tarifmerkmale "begrenzte Dispositionsbefugnis" und "Selbstständigkeit".
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Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Berufung. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts werde der Schichtführer nicht nur in einem, sondern in mehreren Arbeitsbereichen tätig. Die Abteilung Technik untergliedere sich in die folgenden Arbeitsbereiche:
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• Haustechnik
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• Mechanik/Verpackung
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• Mechanik/Belegung
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• Elektrik/Belegung
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• Team Elektrik/Haustechnik/Logistik
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• Elektrik/Verpackung
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• Team Automatisierung.
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Der Schichtführer sei verantwortlich für mehrere dieser Arbeitsbereiche. Da die Beklagte von Montag bis Freitag im 3-Schicht-System rund um die Uhr produziere, müsse der Schichtführer, weil die Meister regelmäßig nur in der Tagschicht anwesend seien, deren Aufgaben und Verantwortung in den übrigen Schichten übernehmen. Bei Abwesenheit des Meisters sei der Schichtführer für die Mitarbeiter aus allen Arbeitsbereichen verantwortlich und berechtigt, fachliche Anweisungen zu erteilen. Eine alleinige Verantwortung sei nach dem Tarifvertrag nicht erforderlich. Die Beklagte vergüte die Meister, namentlich N. S. (Meister Haustechnik), P. T. (Meister Mechanik Backen und Belegung), M. S. (Teamleiter Elektrik/Haustechnik/Logistik) und P. (Meister Elektrik/Verpackung) nach Tarifgruppe 11 ERTV, obwohl bei diesen keine weitergehende Qualifikation als die Meisterausbildung vorliege.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 10.12.2015 - 5 Ca 744/15 - abzuändern und
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die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger als weiteres Arbeitsentgelt für die Monate Januar 2015 bis November 2015 € 4.345,10 brutto zu zahlen
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zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
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aus jeweils € 389,67 seit dem 01.02.2015, 01.03.2015, 01.04.2015, 01.05.2015 und
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aus jeweils € 398,06 seit dem 01.06.2015, 01.07.2015, 01.08.2015, 01.09.2015, 01.10.2015, 01.11.2015, 01.12.2015.
- 46
Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
- 48
Das Arbeitsgericht habe die Klage zu Recht abgewiesen, da der Kläger als Schichtführer weder die abstrakten Voraussetzungen der Tarifgruppe 11 ERTV noch eines der Fallbeispiele erfülle. Zwar werde der Kläger in mehreren Arbeitsbereichen tätig und habe dort für die Lösung von Problemen zu sorgen. Eine echte Verantwortung im Sinne des Tarifvertrages, wie sie von den Meistern beispielsweise in Form der Schichtplanung und Mitarbeiterentwicklung wahrgenommen werde, sei damit aber bei Weitem nicht verbunden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, die Sitzungsprotokolle sowie das angegriffene arbeitsgerichtliche Urteil verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
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Der Kläger hat nach § 3 Abs. 1, § 5 ERTV keinen Anspruch auf die Vergütung der Bewertungsgruppe 11 im Zeitraum Januar 2015 bis November 2015.
- 52
Der ERTV findet kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Die maßgeblichen Bestimmungen des ERTV lauten wie folgt:
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"…
- 54
§ 2
Allgemeiner Grundsatz
- 55
1. Die Ein- und Umgruppierung der Arbeitnehmer erfolgt unter Berücksichtigung der nachstehend aufgeführten Grundsätze.
- 56
2. Dieser Tarifvertrag enthält die Merkmale für die Bewertungsgruppen sowie Beispiele für typische Tätigkeiten der jeweiligen Bewertungsgruppe. Die aufgeführten Beispiele sind Richtbeispiele und dienen der Erläuterung. Sie sind kein abschließender Katalog.
- 57
Maßgebend für die Ein- und Umgruppierung sind die Bewertungsgruppenmerkmale. Die Tätigkeitsbeispiele begründen nur in Verbindung mit den Bewertungsgruppenmerkmalen einen Anspruch auf entsprechende Einstufung.
- 58
§ 3
Grundsätze der Ein- und Umgruppierung
- 59
Die Eingruppierung in eine Bewertungsgruppe richtet sich nach der vom Arbeitnehmer während des ganzen Jahres überwiegend ausgeübten Tätigkeit.
- 60
Bei der Eingruppierung in die Bewertungsgruppen ist nicht die Berufsbezeichnung, sondern die Art der verrichteten Tätigkeit und die Anforderungen an den Arbeitnehmer maßgebend. In den Merkmalen der Bewertungsgruppen sind Können, Verantwortung und Belastung berücksichtigt, auch soweit nicht ausdrücklich erwähnt.
- 61
…
- 62
Voraussetzung für die Eingruppierung als Meister ist die Einsetzung (Bestellung). Meistertätigkeiten im Sinne des Tarifvertrages sind durch anordnende, beaufsichtigende, leitende Tätigkeiten in einem Betrieb oder einer Betriebsabteilung gekennzeichnet.
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…
- 64
§ 5
Bewertungsgruppen mit Gruppenmerkmalen
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…
Prozent-
rasterBewertungsgruppe 9
Ausführen von Arbeitsaufgaben, die neben der abgeschlossenen Berufsausbildung zusätzliche Spezialkenntnisse und Fertigkeiten erfordern, wie sie durch umfassende Berufserfahrung und interne oder externe Fortbildung erworben werden. Diese Aufgaben werden im Rahmen von Vorschriften und Richtlinien selbständig ausgeführt.125 %
Bewertungsgruppe 10
Ausführen von Arbeitsaufgaben mit erweiterter Verantwortung und begrenzter Dispositionsbefugnis, die fachliche Spezialkenntnisse und entsprechend umfangreiche Berufserfahrung voraussetzen.135 %
Bewertungsgruppe 11
Ausführen von Arbeitsaufgaben, für die besondere Branchen- und/oder Fachkenntnisse erforderlich sind und die mit begrenzter Anweisungs- und begrenzter Dispositionsbefugnis im übertragenen Aufgabenbereich selbständig zu erledigen sind.150 %
Bewertungsgruppe 12
Ausführen von Arbeitsaufgaben der Bewertungsgruppe 11, die höhere Verantwortung und Kenntnisse in angrenzenden Aufgabengebieten erfordern und mit Anweisungs- und begrenzter Dispositionsbefugnis im übertragenen Aufgabenbereich selbständig zu erledigen sind.165 %
…
- 66
Anlage
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…
- 68
Zur Erleichterung der Arbeit der Betriebsparteien sind für die jeweiligen Bewertungsgruppen nachstehend Tätigkeitsbeispiele genannt.
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…
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Bewertungsgruppe 9
- 71
…
- 72
- Tätigkeiten als Meister mit Meisterprüfung in den ersten 3 Jahren
- 73
…
- 74
Bewertungsgruppe 10
- 75
- Tätigkeiten als Meister mit Meisterprüfung nach mindestens 3-jähriger Tätigkeit in Meisterfunktion nach Bewertungsgruppe 9
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…
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Bewertungsgruppe 11
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- Tätigkeiten als Meister mit Meisterprüfung mit Verantwortung für mehrere Arbeitsbereiche
- Anbauberater
- Leiter von Sachbearbeitergruppen mit unterschiedlichen Arbeitsgebieten
- Ingenieurtätigkeit
- Leiter Verkaufsinnendienst
- Produktmanager
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Bewertungsgruppe 12
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- Ingenieurtätigkeiten mit Gruppenleiterfunktion
- Senior-Produktmanager
- Gebietsverkaufsleiter
- Key-Account-Manager
- Schichtleiter in größeren Produktionsbetrieben
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…"
- 82
Maßgebend für die Eingruppierung sind die Bewertungsgruppenmerkmale; die Tätigkeitsbeispiele dienen lediglich der Erläuterung (§ 2 Nr. 2 ERTV). Sie begründen nur in Verbindung mit den Bewertungsgruppenmerkmalen einen Anspruch auf die entsprechende Einstufung.
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Die Eingruppierung richtet sich nach der vom Arbeitnehmer während des ganzen Jahres überwiegend ausgeübten Tätigkeit (§ 3 Abs. 1 ERTV). Der Arbeitnehmer muss im Jahresdurchschnitt zu mehr als 50 % seiner Arbeitszeit Tätigkeiten ausüben, die unter die jeweiligen Tarifmerkmale fallen.
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Der Kläger einer auf eine Eingruppierung gestützten Zahlungsklage trägt grundsätzlich die volle Darlegungs- und ggf. Beweislast für die seinen Anspruch begründenden Tatsachen. Dazu gehört ein Sachvortrag, der es dem Gericht ermöglicht, die Erfüllung der Anforderungen des angestrebten Tätigkeitsmerkmals oder die Zuordnung der Einzeltätigkeiten zu der in einem Richtbeispiel genannten Tätigkeit zu überprüfen (BAG, Urteil vom 13. April 2016 - 4 AZR 13/13 - Rn. 63, juris; BAG, Urteil vom 18. März 2015 - 4 AZR 702/12 - Rn. 35, juris = NZA-RR 2015, 427).
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Der Bewertungsgruppe 11 ERTV unterfallen Arbeitsaufgaben,
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• für die besondere Branchen- und/oder Fachkenntnisse erforderlich sind und
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• die mit begrenzter Anweisungs- und
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• begrenzter Dispositionsbefugnis im übertragenen Aufgabenbereich
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• selbständig zu erledigen sind.
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Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an die Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung, ergänzend heranziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (z. B. BAG, Urteil vom 29. Juni 2016 - 5 AZR 696/15 - Rn. 19, juris; BAG, Urteil vom 13. Januar 2016 - 10 AZR 42/15 - Rn. 15, juris = NZA-RR 2016, 309).
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Der Begriff "Besondere Branchen- und/oder Fachkenntnisse" ist unter Berücksichtigung des tarifvertraglichen Gesamtzusammenhangs zu bestimmen.
- 92
Tätigkeiten, die eine erfolgreich abgeschlossene Meisterprüfung erfordern, können sowohl der Bewertungsgruppe 9 als auch der Bewertungsgruppe 10 als auch der Bewertungsgruppe 11 ERTV zugeordnet sein. Die Bewertungsgruppe 9 ERTV erfasst Meistertätigkeiten, die zwar eine Meisterausbildung, aber noch keine Berufserfahrung als Meister voraussetzen ("Tätigkeiten als Meister mit Meisterprüfung in den ersten 3 Jahren"). Die in der Meisterausbildung erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten (vgl. Verordnung über die Prüfung zum anerkannten Abschluss Geprüfter Industriemeister/Geprüfte Industriemeisterin - Fachrichtung Elektrotechnik vom 08.12.2004 [ElekMeistPrV 2004], BGBl I 2004, 3133) müssen erforderlich sein, um die Aufgaben ordnungsgemäß ausführen zu können. In der Bewertungsgruppe 10 ERTV handelt es sich um Tätigkeiten, die nicht nur eine Meisterqualifikation, sondern darüber hinaus eine mehrjährige Berufserfahrung voraussetzen ("Tätigkeiten als Meister mit Meisterprüfung nach mindestens 3-jähriger Tätigkeit in Meisterfunktion nach Bewertungsgruppe 9").
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Die Bewertungsgruppe 11 ERTV stellt nochmals höhere Anforderungen an die Qualifikation des Arbeitnehmers. Zur Erledigung der - überwiegenden - Arbeitsaufgaben müssen besondere Branchen- und/oder Fachkenntnisse erforderlich sein. Besondere Branchen- und/oder Fachkenntnisse im Sinne dieser Bewertungsgruppe liegen nur dann vor, wenn der Arbeitnehmer Branchen- und/oder Fachkenntnisse benötigt, die über solche der Meisterausbildung einschließlich einer mehrjährigen Berufserfahrung hinausgehen. Branchen- und/oder Fachkenntnisse, wie sie durch die einschlägige Meisterausbildung und eine übliche Berufserfahrung erworben werden, sind noch keine besonderen Kenntnisse. Die besonderen Kenntnisse können sich beispielsweise aus Zusatzausbildungen auf Spezialgebieten oder fachübergreifenden Lehrgängen ergeben. Des Weiteren kann ein besonderes Erfahrungswissen, das über die allgemeine Berufserfahrung hinausgeht, z. B. aufgrund langjähriger Betreuung sehr komplexer, komplizierter, ungewöhnlicher oder unterschiedlicher Produktionsanlagen oder aufgrund langjähriger Leitung größerer Arbeitsgruppen, das Tarifmerkmal erfüllen. Allerdings genügt es noch nicht, über solche besonderen Branchen- und/oder Fachkenntnisse zu verfügen; diese müssen zudem notwendig sein, um die jeweiligen Arbeitsaufgaben ordnungsgemäß erledigen zu können.
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Diese erhöhte Qualifikation kann sich u. a. in der "Verantwortung für mehrere Arbeitsbereiche" widerspiegeln, wie sich aus dem Tätigkeitsbeispiel zur Bewertungsgruppe 11 ERTV ergibt. Das bloße Tätigwerden in mehreren Arbeitsbereichen reicht allerdings nicht aus. Maßgeblich ist, ob der Mitarbeiter auch die Verantwortung für die Arbeitsbereiche trägt. Eine derartige Verantwortung kann ein Arbeitnehmer regelmäßig nur dann übernehmen, wenn er über breit gefächerte Kenntnisse verfügt, die es ihm erlauben, in den verschiedenen Arbeitsbereichen sachgerechte Entscheidungen zu treffen. Verantwortung tragen heißt nach dem allgemeinen Sprachgebrauch, dass jemand für evtl. Folgen einzustehen bzw. für etwas geradezustehen hat (Duden, Bedeutungswörterbuch, 4. Aufl. 2010, Stichwort "verantworten"). Bezogen auf das Arbeitsverhältnis hängt das Ausmaß der Verantwortung eines Arbeitnehmers davon ab, in welchem Umfang er für den ordnungsgemäßen Produktionsablauf einzustehen hat und welche Reichweite bzw. wirtschaftlichen Folgen evtl. Fehler und Versäumnisse haben. Grundsätzlich ist jede Tätigkeit des Arbeitnehmers mit einer gewissen Verantwortung verbunden. Das haben die Tarifvertragsparteien berücksichtigt, indem sie gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 ERTV die Verantwortung neben dem Können und der Belastung als Maßstab in alle Bewertungsgruppen einbezogen haben, auch soweit es dort nicht ausdrücklich erwähnt ist. Das Ausmaß der jeweiligen Verantwortung kann jedoch deutlich voneinander abweichen. Bei dem für mehrere Arbeitsbereiche verantwortlichen Meister zeigt sie sich daran, dass gerade er dafür geradezustehen hat, wenn die ihm unterstellten Mitarbeiter und anvertrauten Produktionseinrichtungen nicht ordnungsgemäß arbeiten bzw. funktionieren. Seine Verantwortlichkeit erstreckt sich dabei auch auf die Schichtführer. Selbst wenn ein Schichtführer bei Abwesenheit des zuständigen Meisters in Eilfällen Entscheidungen zu treffen hat, die ansonsten dem Meister oblägen, so ändert das nichts an der grundsätzlichen Verteilung der Verantwortung. Der Meister ist deshalb nicht teilweise von der ihn treffenden Verantwortung für den reibungslosen Produktionsablauf befreit, da ein evtl. Fehlverhalten des Schichtführers letztlich auf den Meister zurückfällt. Ebenso wenig hat der Schichtführer sein Handeln in gleichem Ausmaß zu rechtfertigen wie der ihm vorgesetzte Meister, der über ein umfangreicheres Wissen und eine größere Weitsicht verfügen muss. Zudem zeigt sich die Verantwortlichkeit nicht nur an eilbedürftigen Maßnahmen, sondern ebenso in übergeordneten Aufgaben des Meisters, wie z. B. der personellen Organisation des Bereichs, der Mitarbeiterentwicklung, der Festlegung von Arbeitsabläufen, der langfristigen Planung größerer Maßnahmen etc.
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Der Kläger hat nicht dargelegt, dass der Schichtführer Elektrik für seine Arbeitsaufgaben nicht nur die in der Meisterausbildung vermittelten Kenntnisse und eine mehrjährige Berufserfahrung benötigt, sondern darüber hinaus weitergehende Kenntnisse mitbringen muss, und zwar zu mehr als 50 % der Arbeitszeit. Die Stellenausschreibung der Beklagten vom 02.05.2011 bietet hierfür keine Anhaltspunkte. Danach sind lediglich eine Meisterausbildung (Industrie/Handwerk) und mehrjährige Erfahrungen mit Produktionsanlagen sowie Führungserfahrung erforderlich. Das entspricht den Tätigkeitsmerkmalen der Bewertungsgruppe 10 ERTV, insbesondere dem Tätigkeitsbeispiel "Tätigkeiten als Meister mit Meisterprüfung nach mindestens 3-jähriger Tätigkeit in Meisterfunktion".
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Ebenso wenig lassen die gemäß Stellenausschreibung zu erledigenden Aufgaben Rückschlüsse auf eine Erforderlichkeit weitergehender Kenntnisse zu. Die Überwachung der Produktionsanlagen einschließlich der Wartung und der Störungsbeseitigung ist bereits Gegenstand der Ausbildung zum Geprüften Industriemeister - Fachrichtung Elektrotechnik (vgl. § 1 Abs. 3 Nr. 1 ElekMeistPrV 2004). Gleiches gilt für die Optimierung von Produktionsanlagen sowie die Betreuung von Um- und Neubauprojekten (vgl. § 1 Abs. 3 Nr. 2 ElekMeistPrV 2004). Führungstätigkeiten gehören ebenfalls zum Berufsbild des Indus-triemeisters (§ 3 Abs. 4 Satz 2 ERTV) und sind dementsprechend Ausbildungsinhalt (vgl. § 1 Abs. 3 Nr. 3 ElekMeistPrV 2004).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Der Rechtsstreit wirft keine entscheidungserheblichen Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf.
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Annotations
(1) Zum Nachweis von Kenntnissen, Fertigkeiten und Erfahrungen, die durch berufliche Fortbildung zum Geprüften Industriemeister/zur Geprüften Industriemeisterin - Fachrichtung Elektrotechnik erworben worden sind, kann die zuständige Stelle Prüfungen nach den §§ 2 bis 9 durchführen.
(2) Ziel der Prüfung ist der Nachweis der Qualifikation zum Geprüften Industriemeister/zur Geprüften Industriemeisterin - Fachrichtung Elektrotechnik und damit die Befähigung:
- 1.
in Betrieben unterschiedlicher Größe und Branchenzugehörigkeit sowie in unterschiedlichen Bereichen und Tätigkeitsfeldern eines Betriebes Sach-, Organisations- und Führungsaufgaben wahrzunehmen und - 2.
sich auf verändernde Methoden und Systeme in der Produktion, auf sich verändernde Strukturen der Arbeitsorganisation und auf neue Methoden der Organisationsentwicklung, der Personalführung und -entwicklung flexibel einzustellen sowie den technisch-organisatorischen Wandel im Betrieb mitzugestalten.
(3) Durch die Prüfung ist festzustellen, ob die Qualifikation vorhanden ist, in den betrieblichen Funktionsfeldern "Betriebserhaltung Produktion", "Betriebserhaltung Infrastruktur" sowie "Fertigung und Montage" insbesondere folgende in Zusammenhang stehende Aufgaben eines Geprüften Industriemeisters/einer Geprüften Industriemeisterin - Fachrichtung Elektrotechnik wahrnehmen zu können:
- 1.
Produktionsabläufe überwachen; über den Einsatz der Betriebs- und Produktionsmittel entscheiden und deren Erhaltung und Betriebsbereitschaft gewährleisten; für die Einhaltung der Qualitäts- und Quantitätsvorgaben sorgen; Maßnahmen zur Vermeidung und Behebung von Betriebsstörungen einleiten und die Energieversorgung im Betrieb sichern; Arbeitsplätze nach ergonomischen Gesichtspunkten gestalten und die Arbeitsstätten unter Beachtung entsprechender Vorschriften, Verordnungen und Normen einrichten; technische Weiterentwicklungen im Unternehmen umsetzen und die Neuanläufe organisieren und überwachen; für den Werterhalt von Materialien und Produkten bei Transport und Lagerung zuständig sein; Material, Bau- und Ersatzteile disponieren; bei der Entwicklung von Vorschlägen für neue technische Konzepte mitarbeiten und den ständigen Arbeits- und Produktionsverbesserungsprozess mitgestalten; - 2.
Arbeitsabläufe einschließlich des Einsatzes von Material und Betriebsmitteln planen und sich an der Planung und Umsetzung neuer Arbeitstechniken und Fertigungsprozesse beteiligen; Kostenpläne aufstellen, die Kostenentwicklung überwachen und auf einen wirtschaftlichen Ablauf achten; bei der Auswahl und Beschaffung von Maschinen, Anlagen und Einrichtungen mitwirken; Qualitäts- und Quantitätsvorgaben planen und für die Einhaltung der Termine sorgen; die Instandhaltung in Abstimmung mit den zuständigen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen sowie den beteiligten betrieblichen Bereichen koordinieren und überwachen; in enger Zusammenarbeit mit dem Sicherheitsbeauftragten die Einhaltung der Arbeitssicherheits-, Umwelt- und Gesundheitsvorschriften gewährleisten; rechtzeitig und angemessen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und beteiligte betriebliche Bereiche informieren; in Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen übergeordnete Planungsgruppen beraten sowie Werkstattdaten und Produktionsergebnisse in die Planungsprozesse einbringen; - 3.
die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Sinne der Unternehmensziele führen und ihnen Aufgaben unter Berücksichtigung der Vorgaben, nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten und unter Abwägung ihrer persönlichen Daten, Qualifikationen und Interessen zuordnen; die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu selbstständigem, verantwortlichem Handeln anleiten, motivieren und an Entscheidungsprozessen beteiligen; bei der Planung des Personalbedarfs und bei Stellenbesetzungen mitwirken; Gruppen betreuen und moderieren; die zielorientierte Kooperation und Kommunikation zwischen und mit den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, mit den Führungskräften sowie mit dem Betriebsrat fördern; Beurteilungen von Einzelnen und Gruppen durchführen und eine den Befähigungen der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen angemessene Personalentwicklung anstreben; ihre Innovationsbereitschaft fördern und auf ihre systematische Weiterbildung innerhalb und außerhalb des Betriebes hinwirken; neue Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in ihre Arbeitsbereiche einführen; die Ausbildung der ihm zugeteilten Auszubildenden verantworten; die Qualitätsmanagementziele im zuständigen Bereich kontinuierlich umsetzen und das Qualitätsbewusstsein der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen fördern; bei der Kunden- und Lieferantenbetreuung mitwirken, Kunden beraten und die Kundenzufriedenheit fördern.
(4) Die erfolgreich abgelegte Prüfung führt zum anerkannten Abschluss Geprüfter Industriemeister/Geprüfte Industriemeisterin - Fachrichtung Elektrotechnik.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)