Landesarbeitsgericht Düsseldorf Beschluss, 01. März 2016 - 2 Ta 79/16
Gericht
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Prozesskostenhilfebeschluss des Arbeitsgerichts Wesel vom 02.12.2015 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
1
G r ü n d e :
2I.
3Mit dem angegriffenen Beschluss, der am 07.12.2015 zugestellt wurde und gegen den am 09.12.2015 sofortige Beschwerde eingelegt wurde, hob das Arbeitsgericht die ursprünglich ratenfrei bewilligte Prozesskostenhilfe auf, nachdem der Kläger die Änderung seiner Wohnanschrift dem Gericht nicht mitgeteilt hat. In der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom Juni 2014 gab der Kläger eine Adresse in E. "Am T." an. Nachdem dem Kläger die Mitteilung über die entstandenen Prozesskosten im Januar 2015 nicht zugestellt werden konnten ergab eine Einwohnermeldeamtsauskunft durch das Gericht, dass die Wohnanschrift des Klägers sich geändert hat auf eine Adresse in der "F. straße" in E.. Der Kläger ist in der sofortigen Beschwerde der Ansicht, die Änderung der Wohnadresse sei für die Prozesskostenhilfe irrelevant, der er jederzeit über seinen Rechtsanwalt erreichbar war. Die Aufhebung der Prozesskostenhilfe sei daher überzogen.
4II.
5Die gemäß §§ 78 Satz 1 ArbGG, 127 Abs. 2, 567 Abs. 1 und 2, 569 Abs. 1 und 2 ZPO zulässige, form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist in der Sache unbegründet.
6Nach § 120a Abs. 2 ZPO ist die Partei, der Prozesskostenhilfe gewährt wurde, verpflichtet, eine Verbesserung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse innerhalb von vier Jahren nach der rechtskräftigen Entscheidung oder Beendigung des Verfahrens dem Gericht ebenso unverzüglich mitzuteilen, wie eine Einkommensverbesserung von mehr als 100,-- € brutto monatlich oder den Wegfall einer entsprechenden Belastung. Gleichfalls besteht die Verpflichtung, eine Änderung der Anschrift dem Gericht unverzüglich mitzuteilen.
7Auf diese Verpflichtung wird die antragstellende Partei mit der Antragstellung bereits im Formular über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, dort unter Ziff. K, fettgedruckt, hingewiesen. Ein entsprechender Hinweis erfolgt zudem im Hinweisblatt zum Formular für die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe.
8Das Formular über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse mit dem entsprechenden Hinweis wird durch die antragstellende Partei unterschrieben.
9Nach § 124 Abs. 1 Ziff. 4 ZPO soll das Gericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die Partei entgegen der oben genannte Verpflichtung absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit Angaben unrichtig oder nicht unverzüglich mitgeteilt hat.
10Voraussetzung der Aufhebung XE "Aufhebung" der Prozesskostenhilfe, die nach dieser Vorschrift den Regelfall bei einem entsprechenden Verstoß darstellt, ist, wie sich aus der Formulierung des Absatzes 1 als Sollbestimmung ergibt, ein Verstoß gegen die Verpflichtung aus § 120a Abs. 2 S. 1 bis 3 ZPO (LAG Düsseldorf 2 Ta 555/14 vom 05.12.2014).
11Die Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.
12Der Antragsteller hat von sich aus dem Gericht seinen Wohnungswechsel nicht angezeigt.
13Zwar verkennt das Gericht nicht, dass unverzüglich bei der Mitteilung der Adressänderung an das Gericht nicht bedeutet, dass ein Wohnungswechsel dem Gericht innerhalb weniger Tage nach dem Umzug bekanntzumachen ist. Es ist nachvollziehbar und auch nicht zu beanstanden, wenn ein gewisser - kurzer - Zeitraum zwischen dem Wohnungswechsel und der Nachricht an das Gericht vergeht. Ein Zeitraum von mehr als einem Monat ist jedoch nicht mehr im Rahmen der zuzubilligenden Toleranzgrenzen (so: LAG Düsseldorf, 2 Ta 309/15 v. 03.07.2015; dagegen geht Groß, BerH, PKH, 12. Aufl. 2014, § 124 Rz. 22 sogar nur von einer zweiwöchigen Karenzzeit aus.).
14Eine grobe Nachlässigkeit XE "grobe Nachlässigkeit" oder Absicht ist dagegen nicht erforderlich.
15Die Beschwerdekammer folgt der Begründung des LAG München (10 Ta 51/15 vom 25.02.2015) ebenso LAG Sachsen vom 16.12.2015 (4 Ta 157/15 (3)), wonach das subjektive Tatbestandsmerkmal der Vorsätzlichkeit oder der groben Nachlässigkeit sich allein auf die Unrichtigkeit der Mitteilung bezieht (ebenso LAG Sachsen vom 16.12.2015 Az.: 4 Ta 157/15 (3), Musielak ZPO, 12.Auflage 2015 § 124 ZPO Rn. 8a, LAG Düsseldorf 5 Ta 644/15 vom 20.01.2016; aA. LAG Baden Württemberg vom 5.3.2015, 17 Ta 2/14, Beck RS 2015/68548).
16Das Merkmal "unverzüglich" enthält bereits in sich ein subjektives Element. Nicht ersichtlich ist, dass die Voraussetzung allein auf Fälle des Vorsatzes oder der groben Nachlässigkeit weiter eingeschränkt werden soll. Auch die Gesetzesbegründung zu § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO (Bundestagsdrucksache 17/11472, Seite 35), wo von unverzüglicher Mitteilung nicht die Rede ist, spricht für diese Auslegung. Schließlich spricht dafür, dass das entscheidende Gericht häufig nicht beurteilen könnte, ob eine unterlassene oder verspätete Mitteilung aus Absicht oder aus grober Nachlässigkeit erfolgte. Im Ergebnis würde die Vorschrift leerlaufen.
17Damit ist das Ausmaß eines eventuellen Verschuldens im Einzelfall aber nicht reduziert auf die Frage der Rechtzeitigkeit. Das Ausmaß des Verschuldens kann Auswirkungen darauf haben, ob ein Regelfall oder ein atypischer Fall vorliegt und es kann in eine eventuell erforderlich werdende Ermessensausübung einfließen.
18Die Aufhebung XE "Aufhebung" der Prozesskostenhilfe hat Sanktionscharakter (so BT Drucksache 17/11472 Seite 35). Die Aufhebung der Prozesskostenbewilligung ist nach dem Willen des Gesetzgebers für den Regelfall die angemessene Sanktion für einen Verstoß gegen die Mitteilungspflicht.
19Eine Partei, die ihre Rechte aus der Prozesskostenhilfe in Anspruch nimmt und auf Kosten der Allgemeinheit ihren Prozess geführt hat und die darüber hinaus auf ihre Meldepflichten hingewiesen wurde, handelt darüber hinaus zur Überzeugung der Beschwerdekammer aber auch grob nachlässig, wenn sie ihre daraus erwachsenen Verpflichtungen schlicht vergisst oder ignoriert. (LAG Düsseldorf vom 5.12.2014, 2 Ta 555/14). Nach dem Willen des Gesetzgebers soll mit der Vorschrift sichergestellt werden, dass das Gericht seiner Nachprüfungspflicht Folge leisten kann (BT Drucksache 17/11472 Seite 34).
20Ein atypischer Fall (vgl. BT Drucksache 17/11472 Seite 33; LAG Baden-Württemberg v. 05.03.2015, 17 Ta 2/14- juris), der ein Abweichen von der Sollvorschrift des § 124 Abs. 1 Ziff. 4 ZPO rechtfertigen würde, ist vorliegend nicht ersichtlich.
21Ob ein solcher atypischer Fall gegeben ist, unterliegt der Überprüfung der Beschwerde und ist nicht selbst Teil der Ermessensentscheidung (LAG Baden-Württemberg v. 05.03.2015, 17 Ta 2/14- juris, LAG Sachsen a. a. O.).
22Ein atypischer Fall ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass der Antragsteller gegebenenfalls über seinen Prozessbevollmächtigten erreichbar blieb. Dies stellt in Prozesskostenhilfe gerade den Regelfall dar. Dennoch hat der Gesetzgeber die Sanktion des Entzugs der Prozesskostenhilfe als Regelfall vorgesehen.
23Die Beschwerdekammer folgt nicht der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 20.07.2015 - 21 Ta 975/15 - juris, wonach ein Unterlassen des Anschriftenwechsels unschädlich ist, wenn die Partei anwaltlich vertreten war. Zwar ist zutreffend, dass an die anwaltlich vertretene Partei auch im Prozesskostenhilfeverfahren über ihren Rechtsanwalt zugestellt werden kann, da sich die Vollmacht des Prozessbevollmächtigten auf das PKH-Bewilligungs- und Überwachungsverfahren erstreckt (vgl. BAG vom 19.07.2006 - 3 AZB 18/06 -, BGH vom 08.12.2010 - XII ZB 38/09 -). Die Umwandlung der "Kann"-Vorschrift des § 124 ZPO in eine "Soll"-Vorschrift sollte nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich eine gerichtliche Ermessensentscheidung ausschließen, abgesehen von besonders gelagerten atypischen Einzelfällen (Bundestagsdrucksache 17/11472, Seite 34). Ausdrücklich unterscheidet die Gesetzesbegründung zwischen dem Unterlassen einer Änderungsmitteilung und einer erstatteten aber inhaltlich unrichtigen Änderungsmitteilung und sieht die Sanktion der Aufhebung im Regelfalls als begründet an (Bundestagsdrucksache a. a. O. Seite 35 zu Buchstabe dd).
24Die sofortige Beschwerde war nach alledem mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.
25Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss wird gem. §§ 78 S. 2, 72 Abs. 2 ArbGG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage zugelassen.
26Dr. Ziegler
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Annotations
Hinsichtlich der Beschwerde gegen Entscheidungen der Arbeitsgerichte oder ihrer Vorsitzenden gelten die für die Beschwerde gegen Entscheidungen der Amtsgerichte maßgebenden Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend. Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gilt § 72 Abs. 2 entsprechend. Über die sofortige Beschwerde entscheidet das Landesarbeitsgericht ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter, über die Rechtsbeschwerde das Bundesarbeitsgericht.
(1) Das Gericht soll die Entscheidung über die zu leistenden Zahlungen ändern, wenn sich die für die Prozesskostenhilfe maßgebenden persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich verändert haben. Eine Änderung der nach § 115 Absatz 1 Satz 3 Nummer 1 Buchstabe b und Nummer 2 maßgebenden Beträge ist nur auf Antrag und nur dann zu berücksichtigen, wenn sie dazu führt, dass keine Monatsrate zu zahlen ist. Auf Verlangen des Gerichts muss die Partei jederzeit erklären, ob eine Veränderung der Verhältnisse eingetreten ist. Eine Änderung zum Nachteil der Partei ist ausgeschlossen, wenn seit der rechtskräftigen Entscheidung oder der sonstigen Beendigung des Verfahrens vier Jahre vergangen sind.
(2) Verbessern sich vor dem in Absatz 1 Satz 4 genannten Zeitpunkt die wirtschaftlichen Verhältnisse der Partei wesentlich oder ändert sich ihre Anschrift, hat sie dies dem Gericht unverzüglich mitzuteilen. Bezieht die Partei ein laufendes monatliches Einkommen, ist eine Einkommensverbesserung nur wesentlich, wenn die Differenz zu dem bisher zu Grunde gelegten Bruttoeinkommen nicht nur einmalig 100 Euro übersteigt. Satz 2 gilt entsprechend, soweit abzugsfähige Belastungen entfallen. Hierüber und über die Folgen eines Verstoßes ist die Partei bei der Antragstellung in dem gemäß § 117 Absatz 3 eingeführten Formular zu belehren.
(3) Eine wesentliche Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse kann insbesondere dadurch eintreten, dass die Partei durch die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung etwas erlangt. Das Gericht soll nach der rechtskräftigen Entscheidung oder der sonstigen Beendigung des Verfahrens prüfen, ob eine Änderung der Entscheidung über die zu leistenden Zahlungen mit Rücksicht auf das durch die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung Erlangte geboten ist. Eine Änderung der Entscheidung ist ausgeschlossen, soweit die Partei bei rechtzeitiger Leistung des durch die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung Erlangten ratenfreie Prozesskostenhilfe erhalten hätte.
(4) Für die Erklärung über die Änderung der persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse nach Absatz 1 Satz 3 muss die Partei das gemäß § 117 Absatz 3 eingeführte Formular benutzen. Für die Überprüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gilt § 118 Absatz 2 entsprechend.
(1) Das Gericht soll die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben, wenn
- 1.
die Partei durch unrichtige Darstellung des Streitverhältnisses die für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe maßgebenden Voraussetzungen vorgetäuscht hat; - 2.
die Partei absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtige Angaben über die persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht oder eine Erklärung nach § 120a Absatz 1 Satz 3 nicht oder ungenügend abgegeben hat; - 3.
die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe nicht vorgelegen haben; in diesem Fall ist die Aufhebung ausgeschlossen, wenn seit der rechtskräftigen Entscheidung oder sonstigen Beendigung des Verfahrens vier Jahre vergangen sind; - 4.
die Partei entgegen § 120a Absatz 2 Satz 1 bis 3 dem Gericht wesentliche Verbesserungen ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder Änderungen ihrer Anschrift absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtig oder nicht unverzüglich mitgeteilt hat; - 5.
die Partei länger als drei Monate mit der Zahlung einer Monatsrate oder mit der Zahlung eines sonstigen Betrages im Rückstand ist.
(2) Das Gericht kann die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben, soweit die von der Partei beantragte Beweiserhebung auf Grund von Umständen, die im Zeitpunkt der Bewilligung der Prozesskostenhilfe noch nicht berücksichtigt werden konnten, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder der Beweisantritt mutwillig erscheint.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)
Hinsichtlich der Beschwerde gegen Entscheidungen der Arbeitsgerichte oder ihrer Vorsitzenden gelten die für die Beschwerde gegen Entscheidungen der Amtsgerichte maßgebenden Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend. Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gilt § 72 Abs. 2 entsprechend. Über die sofortige Beschwerde entscheidet das Landesarbeitsgericht ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter, über die Rechtsbeschwerde das Bundesarbeitsgericht.