Bundesverwaltungsgericht Beschluss, 05. Okt. 2016 - 2 WDB 1/16
Gericht
Tatbestand
- 1
-
Mit seiner am 22. Juni 2016 beim Truppendienstgericht ... eingelegten Beschwerde wendet sich der frühere Soldat gegen den ihm am 27. Mai 2016 zugestellten Beschluss des Vorsitzenden der 6. Kammer des Truppendienstgerichts ...vom 19. Mai 2016, mit dem dieser seinen Antrag auf Bestellung eines Verteidigers zurückgewiesen hat. Der Vorsitzende hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
- 2
-
Nachdem der Vorsitzende den früheren Soldaten unter dem 1. März 2016 darauf hingewiesen hatte, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers insbesondere wegen der ihm drohenden disziplinaren Höchstmaßnahme geboten sei, zeigte der vom früheren Soldaten am 11. März 2016 beauftragte Verteidiger mit Schriftsatz desselben Tages seine Mandatierung an. Der Verteidiger beantragte, ihn dem früheren Soldaten als Pflichtverteidiger beizuordnen. Zugleich erklärte er "bereits jetzt verbindlich, dass ich mit der Beiordnung als Pflichtverteidiger mein Wahlverteidigermandat automatisch niederlege."
- 3
-
Der Vorsitzende hat den Antrag - nach rechtlichem Hinweis - mit Beschluss vom 19. Mai 2016 zurückgewiesen und damit begründet, es könne dem früheren Soldaten kein (Pflicht-)Verteidiger mehr bestellt werden, weil dieser bereits einen (Wahl-)Verteidiger beauftragt habe. Dessen Erklärung, mit der Pflichtverteidigerbestellung seine Wahlverteidigung automatisch niederzulegen, ändere daran nichts, weil sie unter der Bedingung stehe, dass die Niederlegung des Mandats nur erfolge, wenn er zum Pflichtverteidiger bestellt werde.
- 4
-
Der frühere Soldat trägt dagegen mit seiner Beschwerde vor, der Bestellung des Verteidigers zum Pflichtverteidiger stehe die bisherige Mandatierung als Wahlverteidiger nicht entgegen. Die Mandatsniederlegung und der Antrag eines Wahlverteidigers, ihn zum Pflichtverteidiger zu bestellen, seien dahingehend auszulegen, dass die Wahlverteidigung erst mit der Beiordnung als Pflichtverteidiger enden solle. Die Voraussetzungen der Beiordnung seien auch erfüllt.
- 5
-
Der Bundeswehrdisziplinaranwalt tritt dem im Wesentlichen mit der Begründung entgegen, der Beschwerde fehle schon das Rechtsschutzinteresse, weil der frühere Soldat bereits einen Verteidiger gewählt habe und für die Bestellung eines Pflichtverteidigers somit kein Bedürfnis bestehe. Auch das Kostenrisiko begründe jenes nicht, da der frühere Soldat im Falle seiner Verurteilung die Kosten auch eines Pflichtverteidigers zu tragen habe. Jedenfalls sei das Rechtsmittel unbegründet. Die Erklärung des Wahlverteidigers, das Mandat mit der Beiordnung als Pflichtverteidiger automatisch niederzulegen, sei unbeachtlich. Denn es handle sich um eine bedingte Willenserklärung oder einen Vorbehalt, der § 90 Abs. 1 WDO widerspreche. Solange der frühere Soldat dem Wahlverteidiger das Mandat nicht entziehe oder jener es nicht niederlege, sei dieser weiterhin anwaltlich vertreten.
Entscheidungsgründe
- 6
-
1. Die Beschwerde ist zulässig.
- 7
-
Dem Beschwerdeführer fehlt nicht deshalb das Rechtsschutzinteresse, weil er bereits anwaltlich vertreten ist. Dem Ausnahmecharakter, dem das allgemeine Rechtsschutzinteresse als Zulässigkeitshürde zukommt, steht entgegen, es unter Hinweis auf eine Rechtsfrage zu verneinen, deren Beantwortung gerade den Kern des Rechtsstreits und mithin der Begründetheit bildet.
- 8
-
2. Die Beschwerde ist aber unbegründet.
- 9
-
a) Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 90 Abs. 1 Satz 2 WDO bestellt der Vorsitzende der Truppendienstkammer einem Soldaten - auf Antrag oder von Amts wegen - dann einen Verteidiger, wenn dessen Mitwirkung geboten erscheint und der Soldat "noch keinen Verteidiger gewählt hat" (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. August 2005 - 2 WDB 4. 05 - NZWehrr 2006, 39 <40>). Die fehlende (Wahl-)Verteidigung bildet mithin eine Voraussetzung für die Bestellung eines Pflichtverteidigers (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 18. September 1978 - 2 WDB 22.78 - S. 4
, vom 23. Juli 1981 - 2 WDB 26.80 - S. 5 und vom 29. November 2012 - 2 WD 8.12 - juris Rn. 14). Zwar ist es zulässig, einem Beschuldigten seinen bisherigen Wahlverteidiger als Pflichtverteidiger beizuordnen; erforderlich ist dafür jedoch, dass die Wahlverteidigung vor der Bestellung des bisherigen Wahlverteidigers zum Pflichtverteidiger endet. Die Wehrdisziplinarordnung verneint damit ein Bedürfnis für die Bestellung eines Pflichtverteidigers, solange eine anderweitige (Wahl-)Verteidigung besteht; zugleich bringt sie zum Ausdruck, dass sich Pflicht- und Wahlverteidigung jedenfalls im Grundsatz ausschließen (zum Strafprozessrecht siehe: BGH, Urteil vom 13. August 2014 - 2 StR 573/13 - NJW 2014, 3320 <3321>). Ob etwas anderes dann gilt, wenn die Sach- und Rechtslage die Beiordnung eines weiteren Verteidigers zu einem Wahlverteidiger nahe legt, kann dahingestellt bleiben, weil der frühere Soldat nicht beantragt hat, ihm einen zusätzlichen Verteidiger beizuordnen.
- 10
-
Vor dem Hintergrund dieser gesetzlichen Wertung ist die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden, weil der Wahlverteidiger des früheren Soldaten sein Mandat nach dem insoweit eindeutigen Inhalt seiner Erklärung vom 11. März 2016 am 15. März 2016 noch nicht niedergelegt hatte. Die vom Beschwerdeführer zitierten Entscheidungen der ordentlichen Gerichtsbarkeit beziehen sich auf eine andere Fallkonstellation und darüber hinaus auf Regelungen der Strafprozessordnung.
- 11
-
b) Eine andere rechtliche Bewertung folgt auch nicht daraus, dass der Verteidiger unter dem 11. März 2016 auch erklärt hat, sein Wahlmandat mit seiner Bestellung zum Pflichtverteidiger automatisch niederzulegen.
- 12
-
Die als Prozesserklärung zu wertende Mitteilung des Verteidigers, die Niederlegung des Wahlverteidigermandats an seine Bestellung zum Pflichtverteidiger zu knüpfen, ist unwirksam, weil Prozesshandlungen grundsätzlich bedingungsfeindlich sind. Von diesem das deutsche Prozessrecht prägenden Rechtsgrundsatz abzuweichen ist nur dann zulässig, wenn dies mit der besonderen Zweckbestimmung der Prozesserklärung vereinbar ist und das mit der Sache befasste Gericht die durch die Bedingung hervorgerufene Ungewissheit selbst beseitigen kann (BGH, Urteil vom 25. November 1980 - 5 StR 356/80 - NJW 1981, 354; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, Kommentar, 59. Aufl. 2016, Einleitung Rn. 118; Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Aufl. 2008, Einleitung Rn. 129). Der Ausnahmefall einer solchen innerprozessual zulässigen Bedingung liegt indes nicht vor.
- 13
-
Zwar ist die bedingt erklärte Niederlegung des Wahlverteidigermandats allein von der Entscheidung des Truppendienstgerichts über die Beiordnung des Wahlverteidigers als Pflichtverteidiger abhängig; sie widerspricht aber § 90 Abs. 1 Satz 2 WDO. Denn zum einen besteht für die Pflichtverteidigerbestellung nur dann ein Bedürfnis, wenn der Soldat keinen Verteidiger hat; vorliegend verfügt er über einen Verteidiger, der zudem ausdrücklich erklärt hat, den früheren Soldaten unabhängig von seiner Pflichtverteidigerbestellung weiterhin vertreten zu wollen. Dem früheren Soldaten droht folglich nicht, wegen seiner sozialen oder finanziellen Situation keine den rechtsstaatlichen Erfordernissen entsprechende Vertretung zu erhalten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Juli 1981 - 2 WDB 26.80 - NZWehrr 1982, 30 <31>). Zudem berührt die Erklärung des (Wahl-)Verteidigers die dem Vorsitzenden des Wehrdienstgerichts nach § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 142 Abs. 1 Satz 2 StPO zustehende Ermessensausübung, nicht den vom Soldaten bezeichneten Verteidiger bestellen zu müssen, wenn dem ein wichtiger Grund entgegensteht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. März 2006 - 2 BvQ 10/06 - NStZ 2006, 460 <461>). Dem Vorsitzenden soll nach der Intention der Prozesserklärung lediglich die Möglichkeit offen stehen, den vom früheren Soldaten bezeichneten Pflichtverteidiger zu bestellen oder von einer Pflichtverteidigerbestellung gänzlich abzusehen.
- 14
-
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 139 Abs. 2 WDO.
moreResultsText
Annotations
(1) Der Soldat kann sich in jeder Lage des Verfahrens des Beistands eines Verteidigers bedienen. Der Vorsitzende der Truppendienstkammer bestellt dem Soldaten, der noch keinen Verteidiger gewählt hat, auf Antrag oder von Amts wegen einen Verteidiger, wenn die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint. Ist der Soldat verhandlungsunfähig, durch Abwesenheit an der Wahrnehmung seiner Rechte gehindert oder minderjährig, ist ihm in jedem Fall ein Verteidiger zu bestellen.
(2) Verteidiger vor dem Truppendienstgericht können Rechtsanwälte und andere Personen, welche die Befähigung zum Richteramt nach dem Deutschen Richtergesetz haben, sowie Soldaten sein. Als Verteidiger vor dem Bundesverwaltungsgericht sind nur Personen zugelassen, welche die Befähigung zum Richteramt nach dem Deutschen Richtergesetz haben.
(3) Dem Verteidiger steht das Recht, Einsicht in die Akten zu nehmen, in gleichem Umfang zu wie dem Soldaten.
(1) Zur Ergänzung der Vorschriften dieses Gesetzes über das gerichtliche Disziplinarverfahren sind die Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes, insbesondere über Sitzungspolizei, Gerichtssprache, Beratung und Abstimmung, und die Vorschriften der Strafprozessordnung sowie § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung anzuwenden, soweit nicht die Eigenart des gerichtlichen Disziplinarverfahrens entgegensteht. An die Stelle der in diesen Gesetzen genannten Fristen von einer Woche tritt jeweils eine Frist von zwei Wochen. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Bundesgerichtshofs die Wehrdienstsenate beim Bundesverwaltungsgericht treten und an die Stelle der Zivilprozessordnung die Verwaltungsgerichtsordnung tritt; auf das Verfahren des Wehrdisziplinaranwalts vor Vorlage der Anschuldigungsschrift beim Truppendienstgericht sind sie jedoch nicht anzuwenden.
(2) Die Wehrdienstgerichte entscheiden mit einfacher Stimmenmehrheit.
(1) Der Antrag des Beschuldigten nach § 141 Absatz 1 Satz 1 ist vor Erhebung der Anklage bei den Behörden oder Beamten des Polizeidienstes oder bei der Staatsanwaltschaft anzubringen. Die Staatsanwaltschaft legt ihn mit einer Stellungnahme unverzüglich dem Gericht zur Entscheidung vor, sofern sie nicht nach Absatz 4 verfährt. Nach Erhebung der Anklage ist der Antrag des Beschuldigten bei dem nach Absatz 3 Nummer 3 zuständigen Gericht anzubringen.
(2) Ist dem Beschuldigten im Vorverfahren ein Pflichtverteidiger gemäß § 141 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3 zu bestellen, so stellt die Staatsanwaltschaft unverzüglich den Antrag, dem Beschuldigten einen Pflichtverteidiger zu bestellen, sofern sie nicht nach Absatz 4 verfährt.
(3) Über die Bestellung entscheidet
- 1.
das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Staatsanwaltschaft oder ihre zuständige Zweigstelle ihren Sitz hat, oder das nach § 162 Absatz 1 Satz 3 zuständige Gericht; - 2.
in den Fällen des § 140 Absatz 1 Nummer 4 das Gericht, dem der Beschuldigte vorzuführen ist; - 3.
nach Erhebung der Anklage der Vorsitzende des Gerichts, bei dem das Verfahren anhängig ist.
(4) Bei besonderer Eilbedürftigkeit kann auch die Staatsanwaltschaft über die Bestellung entscheiden. Sie beantragt unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche nach ihrer Entscheidung, die gerichtliche Bestätigung der Bestellung oder der Ablehnung des Antrags des Beschuldigten. Der Beschuldigte kann jederzeit die gerichtliche Entscheidung beantragen.
(5) Vor der Bestellung eines Pflichtverteidigers ist dem Beschuldigten Gelegenheit zu geben, innerhalb einer zu bestimmenden Frist einen Verteidiger zu bezeichnen. § 136 Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend. Ein von dem Beschuldigten innerhalb der Frist bezeichneter Verteidiger ist zu bestellen, wenn dem kein wichtiger Grund entgegensteht; ein wichtiger Grund liegt auch vor, wenn der Verteidiger nicht oder nicht rechtzeitig zur Verfügung steht.
(6) Wird dem Beschuldigten ein Pflichtverteidiger bestellt, den er nicht bezeichnet hat, ist er aus dem Gesamtverzeichnis der Bundesrechtsanwaltskammer (§ 31 der Bundesrechtsanwaltsordnung) auszuwählen. Dabei soll aus den dort eingetragenen Rechtsanwälten entweder ein Fachanwalt für Strafrecht oder ein anderer Rechtsanwalt, der gegenüber der Rechtsanwaltskammer sein Interesse an der Übernahme von Pflichtverteidigungen angezeigt hat und für die Übernahme der Verteidigung geeignet ist, ausgewählt werden.
(7) Gerichtliche Entscheidungen über die Bestellung eines Pflichtverteidigers sind mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar. Sie ist ausgeschlossen, wenn der Beschuldigte einen Antrag nach § 143a Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 stellen kann.
(1) Die Kosten eines erfolgreichen Rechtsmittels des Soldaten oder des Wehrdisziplinaranwalts, soweit dieser es zu Gunsten des Soldaten eingelegt hat, sind dem Bund aufzuerlegen. Die Kosten eines zu Ungunsten des Soldaten eingelegten und erfolgreichen Rechtsmittels des Wehrdisziplinaranwalts trägt der Soldat; sie sind jedoch dem Bund teilweise oder ganz aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, den Soldaten damit zu belasten.
(2) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat.
(3) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, hat das Wehrdienstgericht die Kosten teilweise oder ganz dem Bund aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, den Soldaten damit zu belasten.
(4) Hat das Wehrdienstgericht das gerichtliche Disziplinarverfahren eingestellt, weil gegen den Soldaten, der nach Einlegung der Berufung in den Ruhestand getreten ist, ein verwirktes Beförderungsverbot nicht verhängt werden darf, so hat dieser die Kosten des Verfahrens zu tragen. Soweit es unbillig wäre, den Soldaten mit den Kosten des Verfahrens zu belasten, sind sie dem Bund ganz oder teilweise aufzuerlegen.
(5) Die Absätze 1 bis 4 gelten sinngemäß für die Kosten des Verfahrens, die durch einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung in den Fällen des § 92 Abs. 4, § 95 Abs. 2, § 98 Abs. 3 Satz 2, § 121a, § 127 Abs. 4 und § 128 oder durch einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens entstanden sind.