Bundesverfassungsgericht Beschluss, 31. Jan. 2012 - 2 BvC 11/11

ECLI: ECLI:DE:BVerfG:2012:cs20120131.2bvc001111
published on 31/01/2012 00:00
Bundesverfassungsgericht Beschluss, 31. Jan. 2012 - 2 BvC 11/11
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Gericht

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Gründe

A.

1

Der Beschwerdeführer hat die Gültigkeit der Wahl zum 17. Deutschen Bundestag mit der Begründung angefochten, das gesamte Wahlrecht sei verfassungswidrig, weil seine wesentlichen Teile nicht in der Verfassung selbst geregelt seien. Zudem verletzten die Altersgrenze für das aktive Wahlrecht (Art. 38 Abs. 2 Halbsatz 1 GG), die Aufstellung "starrer" Landeslisten (§ 27 Abs. 1 BWahlG) und die Fünf-Prozent-Sperrklausel (§ 6 Abs. 6 Satz 1 BWahlG) die Wahlrechtsgrundsätze. Die "Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative (DIE PARTEI)" sei vom Bundeswahlausschuss rechtsfehlerhaft nicht als Partei zur Bundestagswahl zugelassen, die Landesliste der Freien Union rechtswidrig vom Landeswahlausschuss des Landes Bayern zurückgewiesen worden. Der Bundesgesetzgeber habe es weiterhin verfassungswidrig unterlassen, eine Neuregelung zu den so genannten Überhangmandaten bereits vor der Bundestagswahl 2009 vorzunehmen. Die Wahlprüfungsgremien seien verfassungs- und europarechtswidrig zusammengesetzt gewesen. Ferner sei es im Vorfeld der Wahlen zum 17. Deutschen Bundestag durch ein Täuschungsverhalten von Regierungsmitgliedern zu erheblichen Einflussnahmen auf die Wähler gekommen und habe die Kandidatenaufstellung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen das Grundgesetz und die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen. Schließlich seien die Wahl des Bundestagsabgeordneten Lammert wegen Wählertäuschung und die Wahl des Bundespräsidenten mangels demokratischer Legitimation unwirksam.

B.

2

Die Wahlprüfungsbeschwerde ist überwiegend unzulässig (I.). Im Übrigen ist sie jedenfalls offensichtlich unbegründet (II.).

I.

3

Zum überwiegenden Teil sind die vom Beschwerdeführer erhobenen Rügen unzulässig, weil sie den Begründungsanforderungen (vgl. BVerfGE 122, 304 <308 f.>) nicht genügen.

4

1. Soweit der Beschwerdeführer die Altersgrenze für das aktive Wahlrecht als verfassungswidrig rügt, hat das Bundesverfassungsgericht bereits auf seine Wahlprüfungsbeschwerde gegen den Beschluss des Deutschen Bundestages vom 6. November 2003 (BVerfGE 122, 304) ausgeführt, dass die Altersgrenze an den Wahlrechtsgrundsätzen des Art. 38 Abs. 1 GG nicht zu messen ist, weil sie in Art. 38 Abs. 2 Halbsatz 1 GG auf gleicher Rangebene wie diese geregelt ist (BVerfGE 122, 304<309>). Soweit der Beschwerdeführer dem entgegentritt, handelt es sich - ungeachtet der Bezugnahme auf Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 2 Satz 1 und Art. 79 Abs. 3 GG - ausschließlich um verfassungspolitische Erwägungen.

5

2. Die gegen die Entscheidungen des Bundeswahlausschusses, die "Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative (DIE PARTEI)" nicht als Partei zur Wahl des 17. Deutschen Bundestages zuzulassen, und des Landeswahlausschusses des Freistaates Bayern, die Landesliste der Freien Union zurückzuweisen, gerichteten Rügen sind bereits deshalb unzulässig, weil sie im Einspruchsverfahren vor dem Deutschen Bundestag in unzureichender Weise vorgebracht worden sind. Aus dem Charakter der Wahlprüfungsbeschwerde als Rechtsmittel gegen einen Beschluss des Deutschen Bundestages folgt, dass nur solche Rügen berücksichtigt werden können, die schon Gegen-stand des Wahlprüfungsverfahrens vor dem Deutschen Bundestag gewesen (vgl. BVerfGE 89, 243 <265>) und dort in unmissverständlicher und substantiierter Weise zur Begründung des Wahleinspruchs vorgetragen worden sind (vgl. BVerfGE 79, 50). Eine diesen Anforderungen genügende Begründung hat der Beschwerdeführer seinem Wahleinspruch nicht zugrunde gelegt (vgl. BTDrucks 17/6300, S. 125 - Anlage 38 zu II.2). Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer binnen der Beschwerdebegründungsfrist des § 48 Abs. 1 Halbsatz 2 BVerfGG auch gegenüber dem Bundesverfassungsgericht nicht ausreichend vorgetragen; insbesondere hat er keine Unterlagen vorgelegt, die eine verfassungsgerichtliche Überprüfung des behaupteten Wahlfehlers zuließen.

6

3. Soweit der Beschwerdeführer meint, der Bundesgesetzgeber hätte den Regelungskomplex um die Bestimmungen der § 6 Abs. 4 und 5 und § 7 Abs. 3 Satz 2 BWahlG vor der Bundestagswahl 2009 neu gestalten müssen, fehlt es an der Darlegung von Gesichtspunkten, die Anlass geben könnten, von der im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Juli 2008 (BVerfGE 121, 266) ausgesprochenen Neuregelungsfrist abzurücken.

7

4. Das Vorbringen des Beschwerdeführers zur vermeintlich verfassungs- und europarechtswidrigen Zusammensetzung der Wahlprüfungsgremien enthält schon keine hinreichend substantiierte und aus sich heraus verständliche Darlegung eines Wahlfehlers, der Einfluss auf die Mandatsverteilung haben kann (vgl. BVerfGE 58, 175 <175 f.>).

8

5. Soweit der Beschwerdeführer sich gegen die Kandidatenaufstellung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wendet, fehlt es ebenfalls bereits an einem hinreichend konkreten und überprüfbaren Sachvortrag sowie einer Subsumtion unter die Regelungen im Bundeswahlgesetz über die Kandidatenaufstellung (vgl. dazu BVerfGE 89, 243 <252 f.>).

9

6. Die Rügen, die Wahl des Bundestagsabgeordneten Lammert und diejenige des Bundespräsidenten seien unwirksam, waren, weil sie erst nach Ablauf der Einspruchsfrist vorgetragen worden waren, nicht Gegenstand des Wahlprüfungsverfahrens vor dem Deutschen Bundestag und sind schon deshalb unzulässig.

10

7. Schließlich hat der Beschwerdeführer auch einen Wahlfehler durch ein Täuschungsverhalten der Bundesregierung nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Aus seinem Vortrag ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine unzulässige Beeinflussung der Wahl (zu den insoweit anzulegenden Maßstäben vgl. BVerfGE 103, 111 <130 ff.>).

II.

11

Die verbleibenden Rügen des Beschwerdeführers betreffen Wahlrechtsnormen, deren Verfassungsmäßigkeit das Bundesverfassungsgericht bereits festgestellt, und wahlrechtliche Zweifelsfragen, die das Bundesverfassungsgericht schon entschieden hat. Der Beschwerdeführer hat diesbezüglich keine Gesichtspunkte vorgetragen, die Anlass zu einer anderweitigen Beurteilung geben könnten.

12

1. Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt festgestellt, dass die im Bundeswahlgesetz vorgesehene Verhältniswahl nach "starren" Listen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden und insbesondere mit den Grundsätzen der Unmittelbarkeit und der Freiheit der Wahl vereinbar ist (vgl. BVerfGE 3, 45 <50 f.>; 7, 63 <67 ff.>; 21, 355 <355 f.>; 47, 253 <283>; 122, 304 <314>).

13

2. Auch das als verfassungswidrig gerügte, in § 6 Abs. 6 Satz 1 Alternative 1 BWahlG vorgesehene Quorum von 5 vom Hundert der im Wahlgebiet abgegebenen gültigen Zweitstimmen, das eine Partei erreichen muss, um bei der Verteilung der Sitze auf die Landeslisten berücksichtigt zu werden, hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt als verfassungskonform beurteilt (vgl. BVerfGE 1, 208 <247 ff.>; 4, 31 <39 ff.>; 6, 84 <92 ff.>; 51, 222 <235 ff.>; 82, 322 <337 ff.>; 95, 335 <366>; 95, 408 <417 ff.>; 120, 82 <109 ff.>; BVerfG, Urteil vom 9. November 2011 - 2 BvC 4/10 u.a. -, juris Rn. 94).

14

3. Schließlich greift auch der Einwand des Beschwerdeführers, das gesamte Wahlrecht sei verfassungswidrig, weil seine wesentlichen Teile nicht in der Verfassung selbst geregelt seien, nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht durch (vgl. zuletzt BVerfGE 122, 304 <314>).

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(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen G

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Annotations

(1) Landeslisten können nur von Parteien eingereicht werden. Sie müssen von dem Vorstand des Landesverbandes oder, wenn Landesverbände nicht bestehen, von den Vorständen der nächstniedrigen Gebietsverbände, die im Bereich des Landes liegen, bei den in § 18 Abs. 2 genannten Parteien außerdem von 1 vom Tausend der Wahlberechtigten des Landes bei der letzten Bundestagswahl, jedoch höchstens 2 000 Wahlberechtigten, persönlich und handschriftlich unterzeichnet sein. Die Wahlberechtigung der Unterzeichner eines Wahlvorschlages einer der in § 18 Abs. 2 genannten Parteien muß im Zeitpunkt der Unterzeichnung gegeben sein und ist bei Einreichung der Landesliste nachzuweisen. Das Erfordernis zusätzlicher Unterschriften gilt nicht für Landeslisten von Parteien nationaler Minderheiten.

(2) Landeslisten müssen den Namen der einreichenden Partei und, sofern sie eine Kurzbezeichnung verwendet, auch diese enthalten.

(3) Die Namen der Bewerber müssen in erkennbarer Reihenfolge aufgeführt sein.

(4) Ein Bewerber kann nur in einem Land und hier nur in einer Landesliste vorgeschlagen werden. Als Bewerber einer Landesliste kann nur vorgeschlagen werden, wer nicht als Bewerber nach § 20 Absatz 3 vorgeschlagen ist. In einer Landesliste kann nur benannt werden, wer seine Zustimmung dazu schriftlich erklärt hat; die Zustimmung ist unwiderruflich.

(5) § 21 Abs. 1, 3, 5 und 6 sowie die §§ 22 bis 25 gelten entsprechend mit der Maßgabe, daß die Versicherung an Eides Statt nach § 21 Abs. 6 Satz 2 sich auch darauf zu erstrecken hat, daß die Festlegung der Reihenfolge der Bewerber in der Landesliste in geheimer Abstimmung erfolgt ist.

(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.

(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.