Bundessozialgericht Urteil, 13. Juli 2010 - B 8 SO 10/10 R
Gericht
Tatbestand
- 1
-
Im Streit ist (noch), ob der Beklagte der Klägerin Prozesszinsen aus einer Erstattungsforderung der Klägerin für die Zeit der Rechtshängigkeit des Ausgleichsanspruchs vom 28.11.2005 bis zur Begleichung der Forderung am 3.2.2010 zu zahlen hat.
- 2
-
Zwischen der Klägerin und dem Beklagten war die Erstattung einer Kostenforderung für erbrachte Hilfeleistungen zugunsten des Hilfeempfängers G in Höhe von 18 887,95 Euro im Streit. Das Sozialgericht Hamburg (SG) hat den Beklagten zur Zahlung verurteilt, hinsichtlich der Zinsforderung aber die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 6.5.2008). Das Landessozialgericht (LSG) Hamburg hat auf die Berufung des Beklagten die Hauptforderung bei teilweiser Zug-um-Zug-Verurteilung auf 18 683,62 Euro reduziert und den Beklagten unter Änderung des Gerichtsbescheids - bei Berufungszurückweisung im Übrigen - verurteilt, Prozesszinsen ab Rechtshängigkeit in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen (Urteil vom 3.12.2009). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, für Erstattungsansprüche zweier Sozialhilfeträger untereinander nach § 107 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) seien Prozesszinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz unter sinngemäßer Anwendung der §§ 291, 288 Abs 1 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu entrichten.
- 3
-
Mit der Revision rügt der Beklagte die Verletzung materiellen Rechts (§ 291 BGB analog). Er verweist darauf, dass es nach der Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 28.10.2008 - B 8 SO 23/07 R -, BSGE 102, 10 ff = SozR 4-2500 § 264 Nr 2, und vom 2.2.2010 - B 8 SO 22/08 R) an einer Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf Erstattung von Prozesszinsen fehle.
- 4
-
Der Beklagte beantragt (sinngemäß),
-
das Urteil des LSG aufzuheben, soweit es die Verurteilung zur Zahlung von Prozesszinsen betrifft, und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG insoweit zurückzuweisen.
- 5
-
Die Klägerin beantragt,
-
die Revision zurückzuweisen.
- 6
-
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
- 7
-
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz
) .
Entscheidungsgründe
- 8
-
Die Revision ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). Der Klägerin stehen Prozesszinsen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.
- 9
-
Wie der Senat bereits entschieden hat (Urteil vom 2.2.2010 - B 8 SO 22/08 R - Juris RdNr 8) scheidet § 108 Abs 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X), wonach ein Erstattungsanspruch der Träger der Sozialhilfe, der Kriegsopferfürsorge und der Jugendhilfe von anderen Leistungsträgern unter bestimmten weiteren Voraussetzungen auf Antrag mit 4 vH zu verzinsen sind, als Anspruchsgrundlage im Verhältnis der Träger der Sozialhilfe untereinander aus(BVerwGE 114, 61, 63; Roller in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 108 RdNr 7; BT-Drucks 13/3904, S 48 zu Art 2a rechte Spalte). § 44 Abs 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (SGB I) sieht nur eine Verzinsung von Sozialleistungen vor und kann auf das Verhältnis der Sozialleistungsträger untereinander nicht entsprechend angewandt werden(BSGE 49, 227, 229 = SozR 1200 § 44 Nr 2 S 9; vgl auch Mrozynski, SGB I, 3. Aufl 2003, § 44 RdNr 11).
- 10
-
Wie der Senat ferner bereits entschieden hat (Urteil vom 28.10.2008 - B 8 SO 23/07 R -, BSGE 102, 10 ff RdNr 15 bis 17 mwN = SozR 4-2500 § 264 Nr 2), kommt auch die analoge Anwendung des § 291 BGB nicht in Betracht. Es entspricht der (auch vom LSG in Bezug genommenen) ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) im Bereich der Sozialversicherung, dass für Erstattungsansprüche der Sozialleistungsträger untereinander Prozesszinsen nicht zu entrichten sind, weil es dafür an einer ausdrücklichen sozialrechtlichen Anspruchsgrundlage und mangels planwidriger Regelungslücke auch an den Voraussetzungen für eine Analogie fehlt (BSGE 49, 227, 229 mwN = SozR 1200 § 44 Nr 2 S 10; BSGE 99, 102 = SozR 4-2500 § 19 Nr 4). Dass dies in gleicher Weise im Bereich der Sozialhilfe gilt, hat der Senat im bezeichneten Urteil vom 28.10.2008 bereits entschieden und ausgeführt, dass er die entgegenstehende Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) nicht fortsetze, das Trägern der Sozialhilfe nach dem bis zum 31.12.2004 geltenden BSHG in Erstattungsstreitigkeiten untereinander Prozesszinsen in entsprechender Anwendung des § 291 BGB zugebilligt hatte(vgl BVerwGE 111, 213, 219 = Buchholz 436.0 § 103 BSHG Nr 2 S 6). Insoweit macht es - entgegen der Ansicht der Klägerin - keinen Unterschied, ob die Sozialhilfe noch nach den Bestimmungen des BSHG oder - ab 1.1.2005 - unter Geltung des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) gezahlt worden ist. Die entgegenstehende Rechtsprechung des BVerwG, das für revisionsrechtliche Streitverfahren in Sozialhilfesachen ab 1.1.2005 nicht mehr zuständig ist, hat der Senat ausdrücklich aufgegeben.
- 11
-
Wie der Senat in seinen zitierten Entscheidungen bereits ausgeführt hat, gibt es keine grundsätzlichen Unterschiede zwischen Sozialhilfe- und Sozialversicherungsträgern, die es rechtfertigten, die Sozialhilfeträger anders als die Sozialleistungsträger durch eine Analogie des § 291 BGB in den Genuss von Prozesszinsen zu bringen. Ein entsprechender Zinsanspruch lässt sich auch nicht aus übergeordneten Gesichtspunkten des Verfassungsrechts, insbesondere aus Art 20 Abs 3 Grundgesetz, herleiten. Dass die vollziehende Gewalt an Gesetz und Recht gebunden ist, führt nicht zu einem Rechtsanspruch auf eine bestimmte Leistung. Dies gilt umso mehr im Verhältnis zweier Träger der vollziehenden Gewalt untereinander.
- 12
-
Soweit das BSG insbesondere bei Prozesszinsen anders entschieden hat (s dazu Müller, SGb 2010, 336 ff) betrifft dies jedenfalls nicht Erstattungsstreitigkeiten der Sozialhilfeträger untereinander; die Urteile des 1., 3. und 6. Senats hatten vertragliche Beziehungen der Träger untereinander als Grundlage. Außerhalb vertraglicher Beziehungen verbleibt es demgegenüber bei der ständigen Rechtsprechung des BSG, wonach die Regelungen des BGB über Prozesszinsen auf öffentlich-rechtliche Forderungen aus dem Bereich des Sozialrechts nicht entsprechend anwendbar sind (vgl: BSGE 32, 52 ff = SozR Nr 4 zu § 223 RVO; BSGE 49, 227 ff = SozR 1200 § 44 Nr 2; BSGE 55, 45 ff = SozR 2100 § 27 Nr 2; BSGE 71, 72 ff = SozR 3-7610 § 291 Nr 1; BSG SozR 1300 § 61 Nr 1; SozR 4100 § 56 Nr 21; SozR 3-5595 § 2 Nr 1; BSG, Urteil vom 13.11.1996 - 6 RKa 78/95).
- 13
-
Die einheitliche Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 und 3 SGG iVm § 155 Abs 1 Satz 2, § 161 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Insoweit gilt die Kostenprivilegierung der §§ 183 bis 195 SGG auch nicht bei Erstattungsstreitigkeiten von Sozialhilfeträgern untereinander. Die Aufhebung der Kosten gegeneinander entspricht dem (Gesamt-)Klageerfolg. Die Klägerin war letztlich in zwei Instanzen lediglich - mit Abstrichen in der Berufungsinstanz - in Höhe der Hauptforderung erfolgreich; im Revisionsverfahren ist sie voll unterlegen. Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ergab sich eine etwa 50%ige Kostentragung jedes Beteiligten.
- 14
-
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52, 63 Abs 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz.
moreResultsText
Annotations
Eine Geldschuld hat der Schuldner von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen, auch wenn er nicht im Verzug ist; wird die Schuld erst später fällig, so ist sie von der Fälligkeit an zu verzinsen. Die Vorschriften des § 288 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, Abs. 3 und des § 289 Satz 1 finden entsprechende Anwendung.
(1) Eine Geldschuld ist während des Verzugs zu verzinsen. Der Verzugszinssatz beträgt für das Jahr fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.
(2) Bei Rechtsgeschäften, an denen ein Verbraucher nicht beteiligt ist, beträgt der Zinssatz für Entgeltforderungen neun Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.
(3) Der Gläubiger kann aus einem anderen Rechtsgrund höhere Zinsen verlangen.
(4) Die Geltendmachung eines weiteren Schadens ist nicht ausgeschlossen.
(5) Der Gläubiger einer Entgeltforderung hat bei Verzug des Schuldners, wenn dieser kein Verbraucher ist, außerdem einen Anspruch auf Zahlung einer Pauschale in Höhe von 40 Euro. Dies gilt auch, wenn es sich bei der Entgeltforderung um eine Abschlagszahlung oder sonstige Ratenzahlung handelt. Die Pauschale nach Satz 1 ist auf einen geschuldeten Schadensersatz anzurechnen, soweit der Schaden in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist.
(6) Eine im Voraus getroffene Vereinbarung, die den Anspruch des Gläubigers einer Entgeltforderung auf Verzugszinsen ausschließt, ist unwirksam. Gleiches gilt für eine Vereinbarung, die diesen Anspruch beschränkt oder den Anspruch des Gläubigers einer Entgeltforderung auf die Pauschale nach Absatz 5 oder auf Ersatz des Schadens, der in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist, ausschließt oder beschränkt, wenn sie im Hinblick auf die Belange des Gläubigers grob unbillig ist. Eine Vereinbarung über den Ausschluss der Pauschale nach Absatz 5 oder des Ersatzes des Schadens, der in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist, ist im Zweifel als grob unbillig anzusehen. Die Sätze 1 bis 3 sind nicht anzuwenden, wenn sich der Anspruch gegen einen Verbraucher richtet.
Eine Geldschuld hat der Schuldner von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen, auch wenn er nicht im Verzug ist; wird die Schuld erst später fällig, so ist sie von der Fälligkeit an zu verzinsen. Die Vorschriften des § 288 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, Abs. 3 und des § 289 Satz 1 finden entsprechende Anwendung.
(1) Ist die Revision unbegründet, so weist das Bundessozialgericht die Revision zurück. Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Gesetzesverletzung, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision ebenfalls zurückzuweisen.
(2) Ist die Revision begründet, so hat das Bundessozialgericht in der Sache selbst zu entscheiden. Sofern dies untunlich ist, kann es das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Gericht zurückverweisen, welches das angefochtene Urteil erlassen hat.
(3) Die Entscheidung über die Revision braucht nicht begründet zu werden, soweit das Bundessozialgericht Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend erachtet. Dies gilt nicht für Rügen nach § 202 in Verbindung mit § 547 der Zivilprozeßordnung und, wenn mit der Revision ausschließlich Verfahrensmängel geltend gemacht werden, für Rügen, auf denen die Zulassung der Revision beruht.
(4) Verweist das Bundessozialgericht die Sache bei der Sprungrevision nach § 161 zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück, so kann es nach seinem Ermessen auch an das Landessozialgericht zurückverweisen, das für die Berufung zuständig gewesen wäre. Für das Verfahren vor dem Landessozialgericht gelten dann die gleichen Grundsätze, wie wenn der Rechtsstreit auf eine ordnungsgemäß eingelegte Berufung beim Landessozialgericht anhängig geworden wäre.
(5) Das Gericht, an das die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, hat seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts zugrunde zu legen.
(1) Sach- und Dienstleistungen sind in Geld zu erstatten.
(2) Ein Erstattungsanspruch der Träger der Eingliederungshilfe, der Sozialhilfe, der Kriegsopferfürsorge und der Jugendhilfe ist von anderen Leistungsträgern
- 1.
für die Dauer des Erstattungszeitraumes und - 2.
für den Zeitraum nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des vollständigen, den gesamten Erstattungszeitraum umfassenden Erstattungsantrages beim zuständigen Erstattungsverpflichteten bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung
Eine Geldschuld hat der Schuldner von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen, auch wenn er nicht im Verzug ist; wird die Schuld erst später fällig, so ist sie von der Fälligkeit an zu verzinsen. Die Vorschriften des § 288 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, Abs. 3 und des § 289 Satz 1 finden entsprechende Anwendung.
(1) Gehört in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 genannten Personen oder handelt es sich um ein Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2), werden Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes erhoben; die §§ 184 bis 195 finden keine Anwendung; die §§ 154 bis 162 der Verwaltungsgerichtsordnung sind entsprechend anzuwenden. Wird die Klage zurückgenommen, findet § 161 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung keine Anwendung.
(2) Dem Beigeladenen werden die Kosten außer in den Fällen des § 154 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung auch auferlegt, soweit er verurteilt wird (§ 75 Abs. 5). Ist eine der in § 183 genannten Personen beigeladen, können dieser Kosten nur unter den Voraussetzungen von § 192 auferlegt werden. Aufwendungen des Beigeladenen werden unter den Voraussetzungen des § 191 vergütet; sie gehören nicht zu den Gerichtskosten.
(3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für Träger der Sozialhilfe einschließlich der Leistungen nach Teil 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch, soweit sie an Erstattungsstreitigkeiten mit anderen Trägern beteiligt sind.
(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.
(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.
(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.
(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.
(1) Das Gericht hat im Urteil oder, wenn das Verfahren in anderer Weise beendet worden ist, durch Beschluß über die Kosten zu entscheiden.
(2) Ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, so entscheidet das Gericht außer in den Fällen des § 113 Abs. 1 Satz 4 nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens durch Beschluß; der bisherige Sach- und Streitstand ist zu berücksichtigen. Der Rechtsstreit ist auch in der Hauptsache erledigt, wenn der Beklagte der Erledigungserklärung des Klägers nicht innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung des die Erledigungserklärung enthaltenden Schriftsatzes widerspricht und er vom Gericht auf diese Folge hingewiesen worden ist.
(3) In den Fällen des § 75 fallen die Kosten stets dem Beklagten zur Last, wenn der Kläger mit seiner Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte.