Bundesgerichtshof Urteil, 31. Okt. 2001 - XII ZR 159/99

published on 31/10/2001 00:00
Bundesgerichtshof Urteil, 31. Okt. 2001 - XII ZR 159/99
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XII ZR 159/99 Verkündet am:
31. Oktober 2001
Küpferle,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 31. Oktober 2001 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Blumenröhr und die
Richter Sprick, Weber-Monecke, Fuchs und Dr. Ahlt

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers werden das Urteil des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 11. März 1999 aufgehoben und der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten Zahlung rückständigen Mietzinses. Mit Vertrag vom 1. Dezember 1987 vermietete der Kläger das Teileigentum Nr. 3 in der Eigentumswohnanlage A...straße 39 in M. an die Beklagte zum Betrieb einer Zahnarztpraxis. Der monatliche Mietzins, der sich jährlich um 100 DM erhöhte, betrug anfangs 2.100 DM, die Nebenkosten waren mit monatlich 300 DM vereinbart. Nachdem die Beklagte den Mietzins für November 1990 bis Januar 1991 nicht bezahlt hatte, kündigte der Kläger mit Schreiben vom 10. Januar 1991 fristlos. Die anwaltlich vertretenen Parteien
schlossen daraufhin am 26. März 1991 einen als Zusatzvereinbarung bezeichneten weiteren Vertrag, wonach das Mietobjekt der Beklagten weiterhin zu den bisherigen Bedingungen überlassen wurde, jedoch zu einem monatlichen Mietzins von 4.200 DM, der sich jährlich um 100 DM monatlich erhöhte, zuzüglich Nebenkosten von monatlich 300 DM. Nach übereinstimmender Erledigterklärung des Rechtsstreits in Höhe von 2.400 DM hat das Landgericht der Klage auf Zahlung von rückständigem Mietzins zuletzt in Höhe von 52.560 DM nebst Zinsen stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Entscheidung des Landgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Die Anschlußberufung des Klägers, mit der dieser einen weiteren Betrag von 15.600 DM geltend gemacht hat, wurde zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Revision, mit der er die Verurteilung der Beklagten in der zuletzt beantragten Höhe von 68.160 DM samt Zinsen erstrebt.

Entscheidungsgründe:

Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht. 1. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts ist der im Mietvertrag vom 26. März 1991 (vgl. hierzu Senatsurteil BGHZ 139, 123) vereinbarte Mietzins sittenwidrig. Da anstelle der verlangten Nettomiete von monatlich 4.200 DM lediglich eine Nettokaltmiete von monatlich 1.318,71 DM als orts- und marktüblich anzusehen sei, übersteige die verlangte Miete die ortsübliche um rund
218 %. Aufgrund des Privatgutachtens des von der Industrie- und Handelskammer München öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen M. stehe fest, daß ein Mietzins von 1.318,71 DM als orts- und marktüblich angemessen sei. Das Oberlandesgericht hat sich in der Lage gesehen , aufgrund des Privatgutachtens gemäß § 286 ZPO zu einer zuverlässigen Beantwortung der Beweisfrage zu gelangen, so daß ein weiteres Gutachten nicht notwendig sei. Weder griffen die Einwände des Klägers gegen das Privatgutachten durch, noch habe er die Notwendigkeit für ein neues Gutachten dargelegt. Die Angriffe gegen die Sachkunde des Privatgutachters gingen fehl. Der Privatgutachter sei dem Gericht aus seiner Verfahrenspraxis als renommierter Sachverständiger bekannt. Der Kläger habe sich zumindest leichtfertig der Erkenntnis verschlossen, daß die Beklagte sich nur aufgrund ihrer schwächeren und bedrängten Lage auf die Verdoppelung des Mietzinses von ursprünglich 2.100 DM auf 4.200 DM eingelassen habe. Ihm sei klar gewesen, daß die vormals als Schmuckladen dienenden Räume für eine Zahnarztpraxis hergerichtet werden mußten und daß dies für die Beklagte mit Kosten verbunden gewesen sei. Wäre die Praxis bereits drei Jahre nach Eröffnung verlegt worden, so hätte dies zumindest den teilweisen Verlust des Patientenstammes bedeutet. Dem Kläger sei die schwächere und bedrängte Lage der Beklagten bekannt gewesen. Dies ergebe sich bereits aus seinem eigenen Vortrag. Wenn er anführe, die Beklagte habe ihn zur Fortsetzung des Mietvertrages gedrängt, er habe sich letztlich zur Fortsetzung des Mietverhältnisses "breitschlagen" lassen, so zeige dies, es sei ihm ersichtlich gewesen, daß der Beklagten das Behalten der Praxis gewissermaßen "auf den Nägeln" gebrannt habe. Daß er keinen Gewinn erziele, da die Kreditkosten die Mieteinnahmen überstiegen, ändere nichts an der Verwerflichkeit seiner Gesinnung. Abgesehen davon, daß Negativeinkünfte aus Ver-
mietung und Verpachtung zur Minderung der Einkommensteuerbelastung häufig erwünscht seien, könne eine hohe Kreditbelastung für das erworbene Objekt keine sittenwidrige Miethöhe rechtfertigen. Die Meinung des Klägers liefe darauf hinaus, daû der Mieter selbst einen unwirtschaftlichen Eigentumserwerb des Vermieters zu finanzieren hätte. 2. Das Urteil kann keinen Bestand haben, weil das Berufungsgericht die Feststellung, der ortsübliche Mietzins belaufe sich auf 1.318,71 DM, unter Verletzung des Verfahrensrechts getroffen hat. Zu Recht rügt die Revision einen Verstoû gegen § 286 ZPO, weil das Berufungsgericht kein Gutachten erholt , sondern das Gutachten des Sachverständigen M. verwertet hat. Das Berufungsgericht hat das Gutachten nicht selbst eingeholt, vielmehr hat die Beklagte es vorgelegt. Es handelt sich somit nicht um ein gerichtliches Sachverständigengutachten , sondern um ein Privatgutachten. Ein Privatgutachten ist urkundlich belegter Parteivortrag. Seine Verwertung als Sachverständigengutachten ist nur mit Zustimmung beider Parteien zulässig (BGHZ 98, 32, 40; BGH, Urteil vom 29. September 1993 - VIII ZR 62/92 - NJW-RR 1994, 255, 256). Der Kläger hat aber der Verwertung widersprochen und die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens verlangt. Es ist nicht auszuschlieûen , daû ein gerichtlicher Sachverständiger zu einem Ergebnis kommt, das eine andere Wertung des Rechtsgeschäfts verlangt. 3. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf folgendes hin:
a) Bei Zugrundelegung eines orts- und marktüblichen Mietzinses von 1.318,71 DM lag die Annahme nahe, daû die Vereinbarung eines Mietzinses von 4.200 DM unter den gegebenen Umständen wegen Verstoûes gegen § 138 Abs. 1 BGB als nichtig anzusehen ist. Wenn zwischen Leistung und Gegenleistung ein auffälliges Miûverhältnis besteht, der Benachteiligte dieses Geschäft
nur aus einer Notlage heraus abschlieût und der Begünstigte diese Notlage bewuût zu seinem Vorteil ausnutzt, wird es sich regelmäûig um ein wucherähnliches Geschäft handeln, das unter § 138 Abs. 1 BGB fällt. Das entspricht gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 128, 255, 257; BGH, Urteil vom 8. November 1991 - V ZR 260/90 - BGHR BGB § 138 Abs. 1 - Miûverhältnis 4 m.w.N.). Für Miet- und Pachtverträge gilt grundsätzlich nichts anderes (Senatsurteil BGHZ 141, 257, 263). Allerdings ist bei gewerblichen Mietverträgen im Rahmen der Prüfung, ob aus einem auffälligen Miûverhältnis auf die Nichtigkeit des Geschäfts geschlossen werden kann, regelmäûig eine tatrichterliche Würdigung erforderlich, ob das krasse Miûverhältnis für den Begünstigten erkennbar war (Senatsurteil vom 13. Juni 2001 - XII ZR 49/99 - ZIP 2001, 1633, 1636). Im übrigen ist bei der Prüfung, ob ein Miûverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht, vom Verkehrswert der Leistung, d.h. vom marktüblichen Miet- oder Pachtzins auszugehen (BGH aaO). Wird dieser um 100 % überschritten und ist dies dem Vermieter erkennbar, so kommt der Schluû auf eine verwerfliche Gesinnung in Betracht. Bei einem ortsund marktüblichen Mietzins von 1.318,71 DM überstiege der vereinbarte Zins den marktüblichen um über 200 %. Die Beklagte handelte aus einer Notlage heraus. Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts war sie verpflichtet, das Mietobjekt zu räumen. Damit hätte sie ihre Praxis, die noch keinen gefestigten Kundenstamm aufwies, verlegen müssen mit der Folge, daû sie einen Teil der Patienten verloren hätte. Schlieûlich wäre ein Teil der Praxiseinrichtung nicht mehr weiter zu benutzen gewesen. In dieser Situation war sie bereit, den Mietzins von vereinbarten 2.100 DM auf 4.200 DM zu verdoppeln. Dem Kläger waren all diese Umstände bekannt. Er nutzte die Notlage aus, um sich anstelle des ursprünglich vereinbarten einen um 100 % höheren Mietzins versprechen zu lassen.

b) Die weitere Rüge der Revision, der Kläger habe nicht verwerflich gehandelt , weil das Angebot von der Beklagten ausgegangen sei, daû er das Objekt wegen Unwirtschaftlichkeit nicht mehr habe weitervermieten wollen, sondern sich lediglich wegen des Angebots der Beklagten zur weiteren Vermietung "breitschlagen" habe lassen, greift nicht durch. Bei einem orts- und marktüblichen Mietzins von 1.318,71 DM würde dem Verhalten des Klägers dadurch nicht der Charakter des Anstöûigen genommen. Ob ein Geschäft als sittenwidrig im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB anzusehen ist, muû aufgrund der Gesamtumstände beurteilt werden. Es bedarf einer Abwägung der objektiven und subjektiven Elemente (BGHZ 125, 218, 228; Palandt /Heinrichs, BGB 60. Aufl. § 138 Rdn. 28, 34). Eine solche hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei vorgenommen. Auf die Frage, von wem das Angebot ausgegangen ist, kommt es nicht an. Ein Geschäft verliert seinen wucherähnlichen Charakter nicht dadurch, daû das Anerbieten vom Benachteiligten ausgeht (BGH, Urteil vom 24. Mai 1985 - V ZR 47/84 - WM 1985, 1269, 1270). Daû die Beklagte drei Monatsmieten nicht bezahlt hat und es deshalb zur auûerordentlichen Kündigung gekommen ist, gab dem Kläger allenfalls ein Recht, einen angemessenen Aufschlag zu verlangen, aber nicht die Berechtigung zu einer Erhöhung um mehr als 100 %. Daû der Kläger wegen der Hochzinsphase Verluste erwirtschaftet hat, hat das Oberlandesgericht in seine Gesamtabwägung rechtsfehlerfrei einbezogen. Es durfte darauf abstellen, daû ein Nega-tiveinkommen aus Vermietung und Verpachtung im Wirtschaftsleben nichts Ungewöhnliches ist. Zutreffend weist das Berufungsgericht darauf hin, daû auch eine hohe Kreditbelastung für sich allein keinen Mietzins rechtfertigt, der den ortsüblichen Mietzins um mehr als 100 % übersteigt, da sonst der Mieter einen unwirtschaftlichen Eigentumserwerb zu finanzieren hätte. Besondere Umstände, die dem Verhalten des Klägers das Anstöûige nähmen, sind
nicht ersichtlich und wurden von der Revision auch nicht aufgezeigt. Bei einem marktüblichen
Mietzins von 1.318,71 DM hätte der Kläger die Notsituation der Beklagten zu seinem Vorteil ausgenutzt, um sich einen über 200 % über dem Angemessenen gelegenen Mietzins versprechen zu lassen.
Blumenröhr Sprick Weber-Monecke Fuchs Ahlt
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Lastenausgleichsgesetz - LAG

(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei.

(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig. (2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen W
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Lastenausgleichsgesetz - LAG

(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei.

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Tenor 1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Mietverhältnis über das Grundstück in 76337 W.- E., Gemarkung E., Flurstück Nr. .../1, eingetragen im Grundbuch von W.- E., Blatt..., auf Grund wirksamen Mietvertrags vom 02.11
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Annotations

(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.

(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.

(2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.