Bundesgerichtshof Urteil, 09. Apr. 2019 - XI ZR 119/18
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 9. April 2019 durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Ellenberger, die Richter Dr. Grüneberg und Maihold sowie die Richterinnen Dr. Menges und Dr. Derstadt
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Die Parteien streiten über die Wirksamkeit des Widerrufs der auf den Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärung des Klägers.
- 2
- Die Parteien schlossen unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln im Mai 2010 einen Darlehensvertrag über 364.000 € mit einem bis zum 30. April 2020 festen Nominalzinssatz von 3,85% p.a. Zur Sicherung der Beklagten diente ein Grundpfandrecht. Unter der Überschrift "Auszahlungsvoraussetzungen / Auflagen" hielt die Beklagte im Verhältnis zum Kläger fest: "Vor erster Auszahlung müssen vorliegen: […] Widerrufsbelehrung(en) zum Darlehensvertrag, von allen Darlehensnehmern gesondert zu unterschreiben; Auszahlung erst nach Ablauf der Widerrufsfrist".
- 3
- Bei Abschluss des Darlehensvertrags belehrte die Beklagte den Kläger über sein Widerrufsrecht wie folgt:
- 4
- Der Kläger erbrachte Zins- und Tilgungsleistungen. Mit Schreiben vom 19. Januar 2015 widerrief er seine auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Willenserklärung. Die Beklagte wies den Widerruf des Klägers unter dem 6. Februar 2015 zurück.
- 5
- Die zunächst bei dem Landgericht Düsseldorf anhängig gemachte Klage auf Feststellung, dass der zwischen den Parteien geschlossene Darlehensvertrag beendet worden sei, und auf Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten hat das Landgericht abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers, mit der er sein erstinstanzliches Klagebegehren vollumfänglich mit der Maßgabe weiterverfolgt hat, es möge festgestellt werden, dass die Beklagte aus dem Darlehensvertrag keinen Anspruch mehr auf den Vertragszins und die vertragsgemäße Tilgung habe, hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Klägers, mit der er seine Klageanträge in der zuletzt gestellten Form weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe:
- 6
- Die Revision des Klägers hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Insoweit ist über das Rechtsmittel antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu entscheiden, nachdem die Beklagte in der mündlichen Verhandlung trotz rechtzeitiger Ladung zum Termin nicht vertreten war. Inhaltlich ist das Urteil insoweit jedoch keine Folge der Säumnis, sondern beruht auf einer Sachprüfung (vgl. BGH, Urteil vom 4. April 1962 - V ZR 110/60, BGHZ 37, 79, 81 f.). Soweit der Kläger die Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten begehrt, hat die Revision dagegen keinen Erfolg und ist durch Endurteil zurückzuweisen.
I.
- 7
- Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - ausgeführt:
- 8
- Der im Jahr 2015 erklärte Widerruf des Klägers sei ins Leere gegangen, weil die Beklagte den Kläger hinreichend deutlich über das ihm zukommende Widerrufsrecht belehrt habe und die Widerrufsfrist damit schon im Jahr 2010 an- und abgelaufen sei. Das gelte nach Maßgabe der konkreten Vertragsgestaltung auch für die Ausführungen in der Widerrufsbelehrung unter der Überschrift "Verpflichtung zur Zahlung von Zinsen und Entgelten bei Vertragsausführung vor Ablauf der Widerrufsfrist".
II.
- 9
- Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht ist rechtsfehlerhaft zu dem Ergebnis gelangt, die Beklagte habe den Kläger bei Vertragsschluss hinreichend deutlich über das ihm zukommende Widerrufsrecht belehrt, so dass er seine auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Willenserklärung im Januar 2015 nicht mehr habe widerrufen können.
- 10
- Nach ständiger Rechtsprechung des Senats verunklarte die Beklagte durch den Zusatz "Verpflichtung zur Zahlung von Zinsen und Entgelten bei Vertragsausführung vor Ablauf der Widerrufsfrist" die nach § 495 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 355 Abs. 1 und 2 BGB in der hier nach Art. 229 § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 22 Abs. 2, §§ 32, 38 Abs. 1 Satz 1 EGBGB maßgeblichen, zwischen dem 1. August 2002 und dem 10. Juni 2010 geltenden Fassung, § 312d Abs. 5 Satz 2, Abs. 2, § 312c BGB in der vom 8. Dezember 2004 bis zum 10. Juni 2010 geltenden Fassung erteilte Widerrufsbelehrung (vgl. Senatsurteile vom 24. Januar 2017 - XI ZR 183/15, WM 2017, 766 Rn. 31 und vom 3. Juli 2018 - XI ZR 520/16, WM 2018, 1596 Rn. 11 ff., 17 sowie - XI ZR 572/16, WM 2018, 1599 Rn. 15; Senatsbeschluss vom 28. November 2017 - XI ZR 167/16, juris).
- 11
- Die übrige Informations- und Vertragsgestaltung der Beklagten führt entgegen der Rechtsmeinung des Berufungsgerichts zu keinem anderen Ergebnis (Senatsurteile vom 21. Februar 2017 - XI ZR 381/16, WM 2017, 806 Rn. 13 ff., 17, vom 21. November 2017 - XI ZR 106/16, WM 2018, 51 Rn. 14 und vom 3. Juli 2018 - XI ZR 520/16, WM 2018, 1596 Rn. 21). Der Inhalt einer Widerrufsbelehrung kann nicht anhand des nicht in der Widerrufsbelehrung selbst in Textform dokumentierten gemeinsamen Verständnisses der Parteien nach Maßgabe der besonderen Umstände ihrer Erteilung präzisiert werden.
III.
- 12
- Das Berufungsurteil ist nur insoweit aus anderen Gründen richtig, als das Berufungsgericht der Berufung des Klägers betreffend die Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten den Erfolg versagt hat (§ 561 ZPO). Ein solcher Anspruch besteht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt (vgl. Senatsurteile vom 21. Februar 2017 - XI ZR 467/15, WM 2017, 906 Rn. 23 ff., 34 f., vom 19. September 2017 - XI ZR 523/15, juris Rn. 22, vom 10. Oktober 2017 - XI ZR 443/16, WM 2017, 2248 Rn. 27, vom 7. November 2017 - XI ZR 369/16, WM 2018, 45 Rn. 19, vom 21. November 2017 - XI ZR 106/16, WM 2018, 51 Rn. 16 und vom 27. November 2018 - XI ZR 174/17, juris Rn. 18). In diesem Umfang weist der Senat die Revision durch Endurteil zurück.
- 13
- Im Übrigen unterliegt das Berufungsurteil insoweit, als das Berufungsgericht zum Nachteil des Klägers erkannt hat, der Aufhebung (§ 562 ZPO), weil es sich nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Insbesondere kann der Senat der dem Tatrichter obliegenden und vom Rechtsstandpunkt des Berufungsgerichts aus betrachtet konsequent bisher unterbliebenen Würdigung der konkreten Umstände nach § 242 BGB nicht vorgreifen (st. Rspr., vgl. zuletzt nur Senatsurteile vom 10. Oktober 2017 - XI ZR 393/16, WM 2017, 2247 Rn. 11, vom 3. Juli 2018 - XI ZR 702/16, WM 2018, 1601 Rn. 16, vom 24. Juli 2018 - XI ZR 305/16, BKR 2019, 29 Rn. 19 und vom 27. November 2018 - XI ZR 111/17, juris Rn. 12 mwN). Der Senat verweist die Sache daher in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang durch Versäumnisurteil an das Berufungsgericht zurück (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Ellenberger Grüneberg Maihold
Menges Derstadt
Vorinstanzen:
LG Karlsruhe, Entscheidung vom 07.09.2016 - 5 O 39/16 -
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 06.02.2018 - 17 U 199/16 -
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Annotations
(1) Dem Darlehensnehmer steht bei einem Verbraucherdarlehensvertrag ein Widerrufsrecht nach § 355 zu.
(2) Ein Widerrufsrecht besteht nicht bei Darlehensverträgen,
- 1.
die einen Darlehensvertrag, zu dessen Kündigung der Darlehensgeber wegen Zahlungsverzugs des Darlehensnehmers berechtigt ist, durch Rückzahlungsvereinbarungen ergänzen oder ersetzen, wenn dadurch ein gerichtliches Verfahren vermieden wird und wenn der Gesamtbetrag (Artikel 247 § 3 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche) geringer ist als die Restschuld des ursprünglichen Vertrags, - 2.
die notariell zu beurkunden sind, wenn der Notar bestätigt, dass die Rechte des Darlehensnehmers aus den §§ 491a und 492 gewahrt sind, oder - 3.
die § 504 Abs. 2 oder § 505 entsprechen.
(3) Bei Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträgen ist dem Darlehensnehmer in den Fällen des Absatzes 2 vor Vertragsschluss eine Bedenkzeit von zumindest sieben Tagen einzuräumen. Während des Laufs der Frist ist der Darlehensgeber an sein Angebot gebunden. Die Bedenkzeit beginnt mit der Aushändigung des Vertragsangebots an den Darlehensnehmer.
(1) Wird einem Verbraucher durch Gesetz ein Widerrufsrecht nach dieser Vorschrift eingeräumt, so sind der Verbraucher und der Unternehmer an ihre auf den Abschluss des Vertrags gerichteten Willenserklärungen nicht mehr gebunden, wenn der Verbraucher seine Willenserklärung fristgerecht widerrufen hat. Der Widerruf erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Unternehmer. Aus der Erklärung muss der Entschluss des Verbrauchers zum Widerruf des Vertrags eindeutig hervorgehen. Der Widerruf muss keine Begründung enthalten. Zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs.
(2) Die Widerrufsfrist beträgt 14 Tage. Sie beginnt mit Vertragsschluss, soweit nichts anderes bestimmt ist.
(3) Im Falle des Widerrufs sind die empfangenen Leistungen unverzüglich zurückzugewähren. Bestimmt das Gesetz eine Höchstfrist für die Rückgewähr, so beginnt diese für den Unternehmer mit dem Zugang und für den Verbraucher mit der Abgabe der Widerrufserklärung. Ein Verbraucher wahrt diese Frist durch die rechtzeitige Absendung der Waren. Der Unternehmer trägt bei Widerruf die Gefahr der Rücksendung der Waren.
(1) Bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen ist der Unternehmer verpflichtet, den Verbraucher nach Maßgabe des Artikels 246a des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche zu informieren. Die in Erfüllung dieser Pflicht gemachten Angaben des Unternehmers werden Inhalt des Vertrags, es sei denn, die Vertragsparteien haben ausdrücklich etwas anderes vereinbart.
(2) Bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen über Finanzdienstleistungen ist der Unternehmer abweichend von Absatz 1 verpflichtet, den Verbraucher nach Maßgabe des Artikels 246b des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche zu informieren.
(1) Fernabsatzverträge sind Verträge, bei denen der Unternehmer oder eine in seinem Namen oder Auftrag handelnde Person und der Verbraucher für die Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwenden, es sei denn, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt.
(2) Fernkommunikationsmittel im Sinne dieses Gesetzes sind alle Kommunikationsmittel, die zur Anbahnung oder zum Abschluss eines Vertrags eingesetzt werden können, ohne dass die Vertragsparteien gleichzeitig körperlich anwesend sind, wie Briefe, Kataloge, Telefonanrufe, Telekopien, E-Mails, über den Mobilfunkdienst versendete Nachrichten (SMS) sowie Rundfunk und Telemedien.
Ergibt die Begründung des Berufungsurteils zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Revision zurückzuweisen.
Ergibt die Begründung des Berufungsurteils zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Revision zurückzuweisen.
Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen.
(2) Das Berufungsgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(3) Das Revisionsgericht hat jedoch in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist.
(4) Kommt im Fall des Absatzes 3 für die in der Sache selbst zu erlassende Entscheidung die Anwendbarkeit von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach § 545 nicht gestützt werden kann, in Frage, so kann die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.