Bundesgerichtshof Urteil, 09. Mai 2017 - X ZR 97/15
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 9. Mai 2017 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Dr. Grabinski, Hoffmann, die Richterin Schuster und den Richter Dr. Deichfuß
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
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- Die Beklagte war Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 731 288 (Streitpatents), das unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 7. März 1995 am 16. März 1995 angemeldet wurde und nunmehr durch Zeitablauf erloschen ist. Es umfasst neun Patentansprüche, von denen Anspruch 1 lautet: "Verfahren zur Herstellung eines Bremsbelages (1) durch Ausbildung von Vorsprüngen (2) auf einer Trägerplatte (6) und durch Aufpressen eines Reibbelages (8) auf die Trägerplatte (6), bei dem die Trägerplatte (6) mit noppenartigen, durch Durchdrücken von Teilen der Trägerplatte (6) zur Reibbelagseite vorstehenden Vorsprüngen (2) mit Hinterschneidungen (4) ausgebildet wird, dadurch gekennzeichnet, dass die Vorsprünge (2) in einem ersten Schritt in einem Umformvorgang ausgebildet werden, und dass die noppenartigen Vorsprünge (2) in einem zweiten Schritt in Gegenrichtung zum Umformvorgang des ersten Schrittes aufgespalten und umgeformt werden, wodurch die Hinterschneidungen (4) gebildet werden."
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- Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig. Das Patentgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die
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- Berufung der Klägerin, mit der sie weiterhin die Nichtigerklärung des Streitpatents begehrt. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Entscheidungsgründe:
I. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Herstellung eines Brems4 belages nebst Trägerplatte. 1. Gemäß der Beschreibung des Streitpatents war es im Stand der
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- Technik bekannt, für die Herstellung eines Bremsbelages einen Reibbelag auf eine Trägerplatte zu kleben. Dies reicht jedoch bei hochbelasteten Bremsbelägen insbesondere wegen der hohen Betriebstemperaturen nicht aus. Weiterhin war bekannt, auf der dem Reibbelag zugewandten Seite Vorsprünge mit Hilfe einer Prägepresse im Wege einer Umformung aus der Trägerplatte herzustellen.
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- Dem Streitpatent liegt die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren für die Herstellung von Bremsbelägen anzugeben, mit dem die Verankerung des Reibbelages auf der Trägerplatte weiter verbessert werden kann.
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- 2. Zur Lösung dieses Problems schlägt die Lehre des Streitpatents ein Verfahren vor, das sich wie folgt gliedern lässt [in eckigen Klammern die Gliederung des patentgerichtlichen Urteils]:
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- Verfahren zur Herstellung eines Bremsbelages 1. Auf einer Trägerplatte (6) werden noppenartige Vorsprünge (2) ausgebildet. [1.1 und 1.3] 1.1 Die Vorsprünge (2) werden in einem ersten Schritt in einem Umformvorgang durch Durchdrücken von Teilen der Trägerplatte (6) ausgebildet und stehen zur Reibbelagseite vor. [1.4 und 1.6] 1.2 Die noppenartigen Vorsprünge (2) werden in einem zweiten Schritt in Gegenrichtung zum Umformvorgang des ersten Schrittes aufgespalten und umgeformt, wodurch an den Vorsprüngen (2) Hinterschneidungen (4) gebildet werden. [1.5 und 1.7] 2. Auf die Trägerplatte (6) wird ein Reibbelag (8) aufgepresst. [1.2]
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- Ein Ausführungsbeispiel für einen gemäß der Lehre des Streitpatents hergestellten noppenartigen Vorsprung wird mit der nachfolgenden Figur 3 des Streitpatents gezeigt.
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- 3. Das erfindungsgemäße Verfahren bedarf näherer Erörterung.
a) Das Patentgericht hat die Abfolge der Merkmale in Patentanspruch 1
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- dahin verstanden, dass nach der Lehre des Streitpatents die in der Merkmalsgliederung dargestellte Reihenfolge einzuhalten ist; insbesondere umfasse diese Lehre nicht ein Verfahren, bei dem der Reibbelag auf die Trägerplatte aufgepresst werde, bevor die Vorsprünge gemäß Merkmal 1.1 ausgebildet oder gemäß Merkmal 1.2 aufgespalten und umgeformt würden. Es hat dies darauf gestützt, dass ein Verfahren betreffende Patentansprüche grundsätzlich dahin auszulegen seien, die Verfahrensschritte in einer dem Patentanspruch zu entnehmenden Reihenfolge vorzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Oktober 2014 - X ZR 35/11, GRUR 2015, 159 Rn. 33 - Zugriffsrechte). Sowohl der Wortlaut des Patentanspruchs als auch die weiteren Erläuterungen in der Beschreibung des Streitpatents gäben zu erkennen, dass diese Reihenfolge einzuhalten sei. Es seien keine Gründe dafür ersichtlich, ausnahmsweise auch andere Reihenfolgen für den Ablauf des patentgemäßen Verfahrens als von der Lehre des Streitpatents erfasst zu sehen. Der Senat tritt dieser Auslegung des Streitpatents hinsichtlich der Rei12 henfolge der einzelnen Verfahrensschritte bei. Auch wenn nicht grundsätzlich die semantische Reihenfolge der Verfahrensschritte im Text eines Verfahrens- anspruchs damit zugleich auch die funktionelle Reihenfolge für die Durchführung der einzelnen Verfahrensschritte vorgibt, kann in der Abfolge der Verfahrensschritte im Wortlaut des Patentanspruchs gleichwohl ein Indiz für die Einhaltung dieser Reihenfolge zu erkennen sein. Vor allem aber vermag sowohl der Patentanspruch als Ganzes als auch der technische Zusammenhang, in dem die einzelnen Verfahrensschritte in der Beschreibung des Streitpatents geschildert werden, zu einer Vorgabe für die Abfolge der Verfahrensschritte zu führen. Insoweit kommt es unter anderem darauf an, ob der Patentanspruch zusammen mit der Beschreibung zum Ausdruck bringt, dass für einzelne Verfahrensschritte eine bestimmte, durch andere vorangegangene Verfahrensschritte hervorgebrachte technische Situation vorausgesetzt wird, oder ob aufgrund des Fehlens eines solchen technischen Zusammenhangs einzelne Verfahrensschritte technisch getrennt sowie in zeitlicher Hinsicht unabhängig voneinander und demnach ohne die Einhaltung einer bestimmten Reihenfolge vorgenommen werden können. Wie das Patentgericht zu Recht erkannt hat, weist im Streitfall bereits der
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- Wortlaut des Patentanspruchs 1 mit der Reihenfolge der definierten Verfahrensschritte , nämlich erst die Ausbildung von Vorsprüngen und danach das Aufpressen des Reibbelages zu erwähnen, auf eine entsprechende Abfolge für den Verfahrensablauf hin. Die Beschreibung der Ausführungsbeispiele zeigt, dass mit dieser Abfolge auch ein bestimmter technischer Zusammenhang verbunden ist. Die Vorsprünge werden zuerst aufgespalten, damit der Reibbelag sich hinter den erst dadurch gebildeten Hinterschneidungen verankern kann (Streitpatent, Sp. 4 Abs. 23), indem er in diese eindringt (Sp. 4 Abs. 27). Weiterhin zeigt der Verfahrensanspruch 9, dessen Lehre allein Verfahren zur Herstellung einer Trägerplatte betrifft und den Reibbelag nicht erwähnt, dass hierfür der Reibbelag noch keine Bedeutung hat, mithin erst nach der Herstellung der Trägerplatte auf diese aufgepresst werden soll. Ein Verfahrensablauf, bei dem der Reibbelag schon auf die Trägerplatte aufgepresst würde, bevor die Vorsprünge gebildet oder bevor diese zur Ausbildung von Hinterschneidungen auf- gespaltet würden, wäre demnach technisch anders vorzunehmen, weil es an Hinterschneidungen fehlt, in die der Reibbelag eindringen könnte. Ein solcher Ablauf entspricht daher nicht dem Verständnis des Patentanspruchs 1.
b) Die Ausbildung der Vorsprünge gemäß Merkmal 1.1 als auch ihre
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- darauf folgende Umformung gemäß Merkmal 1.2 dürfen nicht dazu führen, dass dabei in der Trägerplatte Löcher entstehen; von der Lehre des Streitpatents ist ausschließlich die Herstellung von geschlossenen noppenartigen Vorsprüngen umfasst. Nach den Ausführungen des Patentgerichts versteht der Fachmann bereits nach allgemeinem Sprachgebrauch einen "Umformvorgang durch Durchdrücken" dahin, dass hiermit kein Durchstoßen gemeint ist. Die Beschreibung des Streitpatents hebt zudem als allgemeinen Vorteil der Erfindung hervor , dass es ausreicht, die Trägerplatte bis zur Hälfte ihrer Dicke zu durchdrücken , um einerseits einen für eine kräftige Verankerung genügend herausragenden Vorsprung zu erzielen und andererseits die Trägerplatte selbst nicht zu schwächen. Mit einem Durchstoßen der Trägerplatte hingegen wäre tendenziell eine Schwächung der Stabilität verbunden (Streitpatent, Sp. 2 Abs. 15 Z. 38 bis 45). Demgegenüber ist die Erwähnung der japanischen Offenlegungsschrift Sho 57-144320 (WW7) im vom Streitpatent referierten Stand der Technik (Sp. 1 Abs. 7), die in ihrer Figur 3 einen geschlossenen, hingegen in Figur 4 einen offenen Vorsprung zeigt, kein Indiz dafür, die Lehre des Streitpatents umfasse auch Verfahren mit der Ausbildung von offenen Vorsprüngen. Dieser Verweis auf den Stand der Technik lässt offen, auf welche Figur der WW7 sich bezieht und was im Sinne des Streitpatents als ein Vorsprung und was als eine Aussparung verstanden wird.
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- II. Das Patentgericht hat die Patentfähigkeit dieser Lehre wie folgt begründet : Aus keiner der vorgelegten Schriften gehe ein Verfahren zur Herstellung
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- von Bremsbelägen hervor, bei dem die Vorsprünge auf der Trägerplatte entsprechend dieser Lehre ausgebildet würden.
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- Die französische Patentschrift 842 684 (WW10) zeige Bremsbeläge, bei denen der Reibbelag (3) sich bereits auf dem als Trägerplatte fungierenden Blech (1) befinde, bevor zackenartige , durch Durchstoßen gebildete Vorsprünge dieses Blechs entsprechend der nebenstehenden Figur 1 der WW10 derart verformt würden, dass sie sich in den Reibbelag verkrallten. Diese Lehre offenbare demnach kein Verfahren, bei dem das Merkmal 2 auf die Merkmale 1.1 und 1.2 folge. Weiterhin entsprächen die Durchbrüche mit den dadurch entstehenden Löchern in der Trägerplatte nicht einem geschlossenen noppenartigen Vorsprung gemäß der Merkmalsgruppe 1. Auch erfolge die gemäß Merkmal 1.2 für den zweiten Schritt vorgesehene Aufspaltung bereits im ersten Arbeitsschritt. Die US-Patentschrift 5 285 873 (WW9) unterscheide sich von der Lehre
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- des Streitpatents ebenfalls in der Reihenfolge der Verfahrensschritte. Hier werde der Reibbelag zwar nach dem Herausdrücken noppenartiger Erhöhungen auf die Trägerplatte aufgepresst. Dies geschehe aber, noch bevor eine aus einem noppenartigen Vorsprung gezogene Hülse umgebördelt werde, und entspreche damit nicht der Reihenfolge der Lehre des Streitpatents. Weiterhin würden die hinterschnittenen Vorsprünge nicht in zwei, sondern in mindestens drei Bearbeitungsschritten hergestellt. Zwischen dem Herausdrücken einer noppenartigen Erhöhung und der Herstellung eines gleichförmig umgestülpten Kragens werde erst aus der Erhöhung eine zylinderförmige Hülse gezogen. Bei der Umstülpung des Kragens werde die Hülse nur umgebördelt, aber nicht aufgespalten.
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- Die WW7 offenbare dem Fachmann, bei dem es sich um einen DiplomIngenieur (FH) der Fachrichtung Maschinenbau oder Fahrzeugtechnik mit mehrjähriger Erfahrung in der Entwicklung und Herstellung von Bremsbelägen handele, in der nebenstehend wiedergegebenen Figur 3 einen Bremsbelag mit nahezu allen baulichen Merkmalen des Gegenstands von Patentanspruch 1 des Streitpatents, aus dem sich aufgrund des Aufbaus des Bremsbelages und der beschriebenen Aufbringung des Reibbelages auch ein gattungsgemäßes Verfahren mit den Merkmalen 1 und 2 ableiten lasse. Gemäß der Figur 3 seien auf der Trägerplatte noppenartige Vorsprünge (4) ausgebildet, die durch Umformung einer Presse erzeugt würden, weshalb dieses Ausführungsbeispiel auch das Merkmal 1.1 offenbare. Weiterhin zeige die Figur flanschförmige Hinterschneidungen (4a). Die WW7 enthalte jedoch keine Hinweise, wie diese Hinterschneidungen erzeugt würden; insbesondere könne der Fachmann nicht darauf schließen, dass diese Hinterschneidungen durch ein Aufspalten der Vorsprünge gebildet würden. Ein Verfahrensschritt entsprechend Merkmal 1.2 werde damit nicht offenbart. Die Lehre des Streitpatents beruhe auch auf erfinderischer Tätigkeit. Da20 bei sei das Vorsehen von Hinterschneidungen an Vorsprüngen auf der Trägerplatte zur besseren Verankerung der Reibbeläge dem Fachmann zum Prioritätszeitpunkt grundsätzlich bekannt gewesen. Ausgehend von der WW7 sei dem Fachmann jedoch nicht aus dieser
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- Entgegenhaltung bekannt gewesen, wie dort die Hinterschneidungen gebildet würden. Hierbei gehöre es allerdings zum Fachwissen des Fachmanns, eine derartige Ausgestaltung durch einen Umformvorgang in Gegenrichtung zu erzeugen , um eine Verbreiterung des Vorsprungs und damit eine Hinterschneidung zu schaffen. So sei dies dem Fachmann vom Vernieten her bekannt. Der Fachmann gelange dadurch jedoch nicht zu einem Verfahren, bei dem entsprechend dem Merkmal 1.2 die noppenartigen Vorsprünge für die Herstellung der Hinterschneidungen nicht nur umgeformt, sondern auch aufgespaltet würden, um kräftigere Hinterschneidungen zu bilden. Die WW7 biete hierfür keine Anregung , weil diese nur abgeflachte Noppen mit gleichförmig hinterschnittenen, flanschförmigen Abschnitten offenbare.
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- Auch eine Kombination der WW7 mit der WW10 führe den Fachmann nicht zur Lehre des Streitpatents.
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- III. Dies hält der Nachprüfung im Berufungsverfahren stand.
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- 1. Die Lehre des Patentanspruchs 1 ist neu.
a) Diese Lehre wird nicht durch WW10 neuheitsschädlich offenbart. Die
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- gemäß dieser Entgegenhaltung zu bildenden Vorsprünge werden nicht im Wege eines Durchdrückens bis zu einem bestimmten Punkt, sondern mittels eines Durchstoßens und der damit einhergehenden Ausbildung von Löchern in der Trägerplatte hergestellt. Das Verfahren der WW10 führt demnach nicht zur Ausbildung von geschlossenen Vorsprüngen und zeigt keinen Verfahrensschritt gemäß Merkmal 1.1 auf, bei dem Material der Trägerplatte nur so weit durchgedrückt wird, dass keine Löcher in dieser Platte entstehen.
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- b) Die weiteren erstinstanzlich vorgetragenen Entgegenhaltungen offenbaren ebenfalls nicht jeweils vollständig die Lehre des Patentanspruchs 1. Insoweit kann auf die Ausführungen des angegriffenen Urteils verwiesen werden , wonach diese Entgegenhaltungen kein Aufspalten geschlossener noppenartiger Vorsprünge entsprechend dem Merkmal 1.2 zeigen. Die Berufung greift diese Wertung nicht an.
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- c) Der Prüfungsumfang des Berufungsgerichts erstreckt sich nicht auf die von der Klägerin erstmals mit der Berufungsbegründung eingereichte japanische Offenlegungsschrift Sho 56-63136 (WW14). Dieses neue Angriffsmittel nebst den dazu vorgetragenen Darlegungen seitens der Klägerin sind gemäß §§ 117 PatG, 531 Abs. 2 ZPO für das Berufungsverfahren nicht zuzulassen.
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- die Voraussetzungen gemäß §§ 117 PatG, 531 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt. Das Patentgericht hat die Klägerin bereits in seinem Hinweis gemäß § 83 Abs. 1 PatG - entsprechend den späteren Ausführungen im Urteil - darauf hingewiesen , dass die Lehre gemäß Patentanspruch 1 die Einhaltung einer Abfolge der Merkmale 1.1, 1.2 und 2 in dieser Reihenfolge voraussetze, nur die Ausbildung geschlossener Vorsprünge dieser Lehre entspreche, keine der bis dahin vorgelegten Entgegenhaltungen eine Aufspaltung zur Ausbildung oder Verstärkung von Hinterschneidungen an solchen Vorsprüngen zeige und deshalb die Lehre des Streitpatents neu sei und auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. Damit liegt weder ein Verfahrensfehler im Sinne von § 531 Abs. 2 Nr. 2
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- ZPO vor, noch betrifft das neue, auf WW14 gestützte Angriffsmittel - wie die Klägerin meint - einen rechtlichen Gesichtspunkt, den das Patentgericht im Sinne von § 531 Abs. 2 Nr. 1 ZPO übersehen hätte. Da das auf WW14 gestützte Angriffsmittel in der ersten Instanz noch nicht vorgetragen wurde, konnte das Patentgericht einen sich daraus ergebenden Gesichtspunkt nicht behandeln und folglich auch nicht übersehen. Es war nicht Aufgabe des Patentgerichts - auch nicht im Hinblick auf den Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 87 Abs. 1 PatG -, weiteren Stand der Technik zu recherchieren und sich daraus ergebende Gesichtspunkte in das Verfahren einzubringen (vgl. BGH, Urteil vom 23. Oktober 2013, aaO Rn. 36 - Tretkurbeleinheit). Vielmehr war dem Hinweis des Patentgerichts deutlich zu entnehmen, dass die vorgetragenen Entgegen- haltungen der Patentfähigkeit der Lehre des Streitpatents nicht entgegenstehen , weil keine dieser Entgegenhaltungen das Aufspalten eines geschlossenen noppenartigen Vorsprungs zur Ausbildung kräftigerer Hinterschneidungen zeigt und der Fachmann - so der Hinweis des Patentgerichts - auch aufgrund seines Fachwissens von diesen Entgegenhaltungen nicht ohne erfinderische Tätigkeit zur Lehre des Streitpatents gelangt. Die Klägerin musste demnach mit diesem Hinweis deutlich erkennen, dass sie gestützt auf ihre bisherigen Entgegenhaltungen ihr Klageziel nicht erreichen würde, und hatte deshalb bereits innerhalb der mit diesem Hinweis gesetzten Frist Anlass, Überlegungen zu möglichen weiteren Angriffsmitteln anzustellen und diese gegebenenfalls vorzutragen. Ein Grund zur Zulassung des auf WW14 gestützten Angriffsmittels ist damit nicht gegeben.
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- 2. Die Lehre des Patentanspruchs 1 beruht auf erfinderischer Tätigkeit.
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- a) Ausgehend von der WW7 waren dem vom Patentgericht zutreffend definierten Fachmann Bremsbeläge bekannt, bei denen die Reibbeläge auch mittels von der Trägerplatte herausragenden Vorsprüngen gehalten wurden. Dabei gehörte es entsprechend den überzeugenden Ausführungen des Patentgerichts zum allgemeinen Fachwissen des Fachmanns, Hinterschneidungen in den Vorsprüngen entsprechend der nebenstehenden Figur 3 der WW7 durch einen Umformvorgang in Gegenrichtung zu erzeugen, wie es dem Fachmann beispielsweise vom Vernieten her geläufig ist, indem nach der Ausbildung des Vorsprungs in der Gegenrichtung auf diesen eingewirkt wird, um einen Kopf oder eine flanschartige Hinterschneidung gemäß der Figur 3 der WW7 auszubilden. Damit war es für den Fachmann naheliegend, ein Verfahren gemäß den Merkmalen 1 und 1.1 und Teilen des Merkmals 1.2 anzuwenden.
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b) Aus dem allgemeinen Fachwissen des Fachmanns ergab sich indessen keine Anregung, solche geschlossenen Vorsprünge auch aufzuspalten, um dadurch noch stärkere Hinterschneidungen zu formen. Weder haben die Parteien zu einem solchen Fachwissen vorgetragen, noch ist ein solches den Ausführungen des angegriffenen Urteils zu entnehmen.
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- Eine solche Anregung ergibt sich nicht in Kombination mit der Lehre der WW10. Diese Schrift zeigt zwar ein Verfahren, bei dem die Ränder des Durchbruchs durch die Trägerplatte bereits beim ersten Durchstoßen aufgespalten werden (WW10, S. 1 Z. 42 bis 48, S. 1 Z. 60 bis S. 2 Z. 7) und mit dem weiteren Eindringen eines zweiten Werkzeugs mit konischer Spitze von der Gegenseite die Spitzen des Vorsprungs radial nach außen aufgeweitet werden, so dass sich mit diesen Spitzen Hinterschneidungen bilden und weiter verstärkt werden. Sowohl das Aufspalten des Vorsprungs als auch das Verstärken der Hinterschneidungen wird bei diesem Verfahren allein dadurch bewirkt, dass zwei jeweils spitze Werkzeuge von gegenseitigen Richtungen aus durch ein beziehungsweise in ein Loch in der Trägerplatte treten. Dieses Verfahren zeigt damit aber keinen Weg, wie solche Hinterschneidungen verstärkt werden können, ohne ein Loch in der Trägerplatte zu bilden oder zu nutzen.
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- Die erfinderische Tätigkeit für die Lehre des Streitpatents ergibt sich danach nicht nur aus der Lehre, die beiden Werkzeuge zur Durchführung der Schritte gemäß den Merkmalen 1.1 und 1.2 jeweils nur bis zu einem bestimmten Punkt relativ zur Dicke der Trägerplatte zu führen (Streitpatent, Sp. 2 Abs. 15, Sp. 4 Abs. 25). Vor allem ermöglicht beispielsweise die Verwendung eines konkaven Werkzeugs für den ersten Schritt gemäß Merkmal 1.1 (Sp. 3 Abs. 21 Z. 43 bis 50), den Vorsprung in diesem Schritt so auszubilden, dass der Vorsprung entsprechend der nebenstehenden Figur 3 des Streitpatents nach unten konvex geformt ist und ein Aufspalten des Vorsprungs im zweiten Schritt nicht zu einem Durchstoßen der Trägerplatte führt, gleichwohl aber die Hinterschnei- dungen verstärkt werden können. Für diesen Weg, der es erstmals ermöglichte, die Hinterschneidungen der Vorsprünge ohne die Ausbildung von Löchern zu verstärken und damit die Stabilität der Trägerplatte zu bewahren, gab es weder ein Vorbild noch sonstige Hinweise oder Anregungen im Stand der Technik.
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- 3. Die Bestandskraft der Unteransprüche 2 bis 8 ergibt sich aus der Patentfähigkeit der Lehre des Patentanspruchs 1.
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- 4. Nebenanspruch 9 entspricht der Lehre der Merkmalsgruppe 1 mit der zusätzlichen Konkretisierung, dass die mit Merkmal 1.2 zu bildenden Hinterschneidungen 2,0 bis 2,5 mm von der Trägerplattenoberfläche abstehen. Die vorstehenden Ausführungen zur Patentfähigkeit der Lehre des Patentanspruchs 1, die sich bereits aus den Verfahrensschritten der Merkmalsgruppe 1 ergibt, begründen ebenso die Patentfähigkeit des Gegenstands des Nebenanspruchs 9.
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- IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG, § 97 Abs. 1 ZPO. Meier-Beck Grabinski Hoffmann Richterin am Bundesgerichtshof Schuster ist erkrankt und kann deshalb nicht unterschreiben. Meier-Beck Deichfuß
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 02.07.2015 - 7 Ni 63/14 (EP) -
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Auf den Prüfungsumfang des Berufungsgerichts, die verspätet vorgebrachten, die zurückgewiesenen und die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sind die §§ 529, 530 und 531 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden. Dabei tritt an die Stelle des § 520 der Zivilprozessordnung der § 112.
(1) In dem Verfahren wegen Erklärung der Nichtigkeit des Patents oder des ergänzenden Schutzzertifikats weist das Patentgericht die Parteien so früh wie möglich auf Gesichtspunkte hin, die für die Entscheidung voraussichtlich von besonderer Bedeutung sein werden oder der Konzentration der Verhandlung auf die für die Entscheidung wesentlichen Fragen dienlich sind. Dieser Hinweis soll innerhalb von sechs Monaten nach Zustellung der Klage erfolgen. Ist eine Patentstreitsache anhängig, soll der Hinweis auch dem anderen Gericht von Amts wegen übermittelt werden. Das Patentgericht kann den Parteien zur Vorbereitung des Hinweises nach Satz 1 eine Frist für eine abschließende schriftliche Stellungnahme setzen. Setzt das Patentgericht keine Frist, darf der Hinweis nicht vor Ablauf der Frist nach § 82 Absatz 3 Satz 2 und 3 erfolgen. Stellungnahmen der Parteien, die nach Fristablauf eingehen, muss das Patentgericht für den Hinweis nicht berücksichtigen. Eines Hinweises nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die zu erörternden Gesichtspunkte nach dem Vorbringen der Parteien offensichtlich erscheinen. § 139 der Zivilprozessordnung ist ergänzend anzuwenden.
(2) Das Patentgericht kann den Parteien eine Frist setzen, binnen welcher sie zu dem Hinweis nach Absatz 1 durch sachdienliche Anträge oder Ergänzungen ihres Vorbringens und auch im Übrigen abschließend Stellung nehmen können. Die Frist kann verlängert werden, wenn die betroffene Partei hierfür erhebliche Gründe darlegt. Diese sind glaubhaft zu machen.
(3) Die Befugnisse nach den Absätzen 1 und 2 können auch von dem Vorsitzenden oder einem von ihm zu bestimmenden Mitglied des Senats wahrgenommen werden.
(4) Das Patentgericht kann Angriffs- und Verteidigungsmittel einer Partei oder eine Klageänderung oder eine Verteidigung des Beklagten mit einer geänderten Fassung des Patents, die erst nach Ablauf einer hierfür nach Absatz 2 gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn
Der Entschuldigungsgrund ist glaubhaft zu machen.(1) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesen worden sind, bleiben ausgeschlossen.
(2) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nur zuzulassen, wenn sie
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einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist, - 2.
infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurden oder - 3.
im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht.
(1) Das Patentgericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen. Es ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.
(2) Der Vorsitzende oder ein von ihm zu bestimmendes Mitglied hat schon vor der mündlichen Verhandlung oder, wenn eine solche nicht stattfindet, vor der Entscheidung des Patentgerichts alle Anordnungen zu treffen, die notwendig sind, um die Sache möglichst in einer mündlichen Verhandlung oder in einer Sitzung zu erledigen. Im übrigen gilt § 273 Abs. 2, 3 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 der Zivilprozeßordnung entsprechend.
(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend.
(2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkosten (§§ 91 bis 101) sind entsprechend anzuwenden, soweit nicht die Billigkeit eine andere Entscheidung erfordert; die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103 bis 107) und die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen (§§ 724 bis 802) sind entsprechend anzuwenden.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)