Bundesgerichtshof Urteil, 12. Feb. 2019 - X ZR 24/18

published on 12/02/2019 00:00
Bundesgerichtshof Urteil, 12. Feb. 2019 - X ZR 24/18
Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile
Previous court decisions
Amtsgericht Hannover, 530 C 11859/16, 10/04/2017
Landgericht Hannover, 5 S 21/17, 25/01/2018

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 24/18 Verkündet am:
12. Februar 2019
Anderer
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
FluggastrechteVO Art. 5 Abs. 1 Buchst. c, Art. 7 Abs. 1, Art. 14 Abs. 2
Der Fluggast darf grundsätzlich die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe
zur außergerichtlichen Geltendmachung seines Ausgleichsanspruchs für
erforderlich halten, wenn das Luftverkehrsunternehmen ihn nicht vollständig
und klar darüber unterrichtet hat, unter welchen Voraussetzungen
, in welcher Höhe und gegen welches Unternehmen er einen solchen
Anspruch geltend machen kann.
BGH, Urteil vom 12. Februar 2019 - X ZR 24/18 - LG Hannover
AG Hannover
ECLI:DE:BGH:2019:120219UXZR24.18.0

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 12. Februar 2019 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Gröning, Dr. Grabinski und Hoffmann und die Richterin Dr. Kober-Dehm

für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 25. Januar 2018 aufgehoben und das Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 10. April 2017 abgeändert, soweit die Klage in Höhe von 147,56 € vorge- richtlicher Kosten abgewiesen worden ist. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 147,56 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. November 2016 zu zahlen. Die weitergehende Revision wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Klägerin hat die Beklagte aus eigenem und abgetretenem Recht wegen der erheblich verspäteten Ankunft eines Fluges auf eine Ausgleichszahlung in Anspruch genommen. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. In der Revisionsinstanz hat die Be- klagte die Klagehauptforderung nebst Zinsen beglichen und insoweit ihre Kostenlast anerkannt. Die Parteien haben den Rechtsstreit in diesem Umfang für in der Hauptsache erledigt erklärt.
2
Die Klägerin begehrt nunmehr noch die Erstattung von Anwaltskosten, die ihr und dem Zedenten durch die vorgerichtliche Geltendmachung der Klagehauptforderung entstanden sind.

Entscheidungsgründe:


3
Die zulässige Revision hat, soweit über sie noch zu entscheiden ist, nachdem die Parteien den Rechtsstreit hinsichtlich der beanspruchten Ausgleichszahlungen übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt haben und die Beklagte insoweit ihre Kostenlast anerkannt hat, im Wesentlichen Erfolg und führt in Höhe von 147,56 € zur Aufhebung des Berufungsurteils und in Abänderung des amtsgerichtlichen Urteils zur antragsgemäßen Verurteilung der Beklagten.
4
I. Wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat (Urteil vom 25. Februar 2016 - X ZR 35/15, NJW 2016, 2883 = RRa 2016, 183), kann der Fluggast die Erstattung der Anwaltskosten, die ihm durch die außergerichtliche Geltendmachung eines Ausgleichsanspruchs nach der Fluggastrechteverordnung entstanden sind, nicht beanspruchen, wenn das ausführende Luftverkehrsunternehmen weder seine Verpflichtung verletzt hat, den Fluggast im Falle einer Annullierung, großen Verspätung oder Beförderungsverweigerung gemäß Art. 14 Abs. 2 FluggastrechteVO auf seine Rechte hinzuweisen, noch sich bei der Beauftragung des Rechtsanwalts mit der Erfüllung der Ausgleichsleistung in Verzug befand.
5
Hieran ist festzuhalten. Die Auffassung des Landgerichts Frankfurt am Main (NJW 2019, 376, 377), die Kosten seien schon aufgrund der Verletzung einer gesetzlichen Pflicht nach der Fluggastrechteverordnung zur rechtzeitigen Beförderung als adäquat-kausal verursachter Schaden zu erstatten, trifft nicht zu. Abgesehen davon, dass die Fluggastrechteverordnung weder eine Pflicht der Luftverkehrsunternehmen zur rechtzeitigen Beförderung noch überhaupt eine Pflicht zur Beförderung begründet, sondern lediglich Rechte der Fluggäste für den Fall vorsieht, dass bestimmte (vertraglich begründete) Pflichten eines Luftverkehrsunternehmens nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt werden, kann die Beauftragung eines Rechtsanwalts regelmäßig nicht als erforderlich angesehen werden, wenn das Luftverkehrsunternehmen den Fluggast ordnungsgemäß auf seine Rechte hingewiesen hat und sich mit der Erfüllung eines Ausgleichsanspruchs auch nicht in Verzug befindet.
6
II. Anders verhält es sich hingegen, wenn das ausführende Luftverkehrsunternehmen seine Verpflichtung verletzt hat, den von einer Annullierung oder großen Verspätung eines gebuchten Fluges oder von einer Beförderungsverweigerung betroffenen Fluggast vollständig und klar darüber zu unterrichten, unter welchen Voraussetzungen, in welcher Höhe und gegen welches Unternehmen er einen Ausgleichsanspruch nach Art. 7 FluggastrechteVO geltend machen kann.
7
1. Nach Art. 14 Abs. 2 FluggastrechteVO hat das ausführende Luftverkehrsunternehmen jedem betroffenen Fluggast einen schriftlichen Hinweis auszuhändigen , in dem die Regeln für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen gemäß der Verordnung dargelegt werden. Die Information des Fluggastes muss diesen in die Lage versetzen, seine Rechte effektiv (und ohne anwaltliche Hilfe) wahrnehmen zu können. Da insbesondere die Verpflichtung zur Ausgleichsleistung bei großer Verspätung dem Wortlaut der Verordnung nicht zu entnehmen ist, reicht es zur Darlegung der "Regeln für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen" nicht aus, lediglich den Verordnungstext wiederzugeben. Vielmehr muss der Fluggast dem Hinweis jedenfalls klar entnehmen können, unter welchen Voraussetzungen ihm grundsätzlich ein Ausgleichsanspruch in welcher Höhe zusteht und unter welchen Voraussetzungen das ausführende Luftverkehrsunternehmen nach Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO von der Verpflichtung zur Ausgleichsleistung frei wird. Ferner muss, wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat (BGH, Urteil vom 12. September 2017 - X ZR 102/16, NJW 2018, 1251 = RRa 2018, 76) der Anspruchsgegner jedenfalls dann ausdrücklich angegeben werden, wenn er für den Fluggast nicht ohne weiteres zu erkennen ist.
8
2. Ist das Luftverkehrsunternehmen dieser Verpflichtung nicht oder nicht vollständig nachgekommen, ist die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe als erforderlich anzusehen, sofern das Luftverkehrsunternehmen nicht darlegt, dass und aus welchen Gründen der Fluggast im Einzelfall über seine Rechte bereits soweit unterrichtet war, dass er des Hinweises nach Art. 14 Abs. 2 FluggastrechteVO nicht bedurfte.
9
3. Die Verletzung der Hinweispflicht steht als anspruchsbegründendes Tatbestandsmerkmal zur Darlegungs- und Beweislast des Anspruchstellers. Behauptet dieser, nicht (ordnungsgemäß) belehrt worden zu sein, trifft jedoch das Luftverkehrsunternehmen eine sekundäre Darlegungslast. Da der Hinweis nach Art. 14 Abs. 2 FluggastrechteVO schriftlich zu geben ist, ist es dem ausführenden Luftverkehrsunternehmen regelmäßig möglich und auch zumutbar, vorzutragen, ob und mit welchem genauen Inhalt der Hinweis erteilt worden ist.
10
III. Im Streitfall hat die Klägerin die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe zur außergerichtlichen Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs in der Kla- geschrift damit begründet, dass die Beklagte ihr (und dem Zedenten) keine klaren Anweisungen erteilt habe, was sie zur Geltendmachung ihrer Ansprüche zu unternehmen habe. Die Beklagte hat sich hierzu nicht eingelassen, sondern sich lediglich auf fehlenden Verzug berufen. Damit hat die Klägerin ihrer primären Darlegungslast genügt, die Beklagte jedoch nicht ihrer sekundären. Die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe bei der Geltendmachung der Ausgleichsforderung ist hiernach als erforderlich anzusehen.
11
Die Klageforderung ist jedoch unbegründet, soweit die Gebühr 1008 nach Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz in Höhe einer 0,3-fachen Geschäftsgebühr angesetzt worden ist, da sich der Gegenstandswert nach der Summe der beiden Ausgleichsforderungen errechnet.
12
IV. Der Senat hat den Urteilsausspruch, der in seiner verkündeten Fassung insoweit eine offenbare Unrichtigkeit (§ 319 ZPO) enthält, um die Zurückweisung der weitergehenden Revision ergänzt.
13
V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1, § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
Meier-Beck Gröning Grabinski
Hoffmann Kober-Dehm
Vorinstanzen:
AG Hannover, Entscheidung vom 10.04.2017 - 530 C 11859/16 -
LG Hannover, Entscheidung vom 25.01.2018 - 5 S 21/17 -
Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
{{count_recursive}} Urteilsbesprechungen zu {{shorttitle}}

moreResultsText


(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung um

(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last. (2) Das Ger

(1) Schreibfehler, Rechnungsfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die in dem Urteil vorkommen, sind jederzeit von dem Gericht auch von Amts wegen zu berichtigen. (2) Der Beschluss, der eine Berichtigung ausspricht, wird auf dem Urteil un
{{title}} zitiert {{count_recursive}} §§.

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung um

(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last. (2) Das Ger

(1) Schreibfehler, Rechnungsfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die in dem Urteil vorkommen, sind jederzeit von dem Gericht auch von Amts wegen zu berichtigen. (2) Der Beschluss, der eine Berichtigung ausspricht, wird auf dem Urteil un
2 Referenzen - Urteile
{{Doctitle}} zitiert oder wird zitiert von {{count_recursive}} Urteil(en).

published on 12/09/2017 00:00

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VERSÄUMNISURTEIL X ZR 102/16 Verkündet am: 12. September 2017 Anderer Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ:
published on 25/02/2016 00:00

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 35/15 Verkündet am: 25. Februar 2016 Anderer Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR:
{{Doctitle}} zitiert {{count_recursive}} Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Annotations

(1) Schreibfehler, Rechnungsfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die in dem Urteil vorkommen, sind jederzeit von dem Gericht auch von Amts wegen zu berichtigen.

(2) Der Beschluss, der eine Berichtigung ausspricht, wird auf dem Urteil und den Ausfertigungen vermerkt. Erfolgt der Berichtigungsbeschluss in der Form des § 130b, ist er in einem gesonderten elektronischen Dokument festzuhalten. Das Dokument ist mit dem Urteil untrennbar zu verbinden.

(3) Gegen den Beschluss, durch den der Antrag auf Berichtigung zurückgewiesen wird, findet kein Rechtsmittel, gegen den Beschluss, der eine Berichtigung ausspricht, findet sofortige Beschwerde statt.

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.

(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.

(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.

(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.

(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.

(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.

(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn

1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder
2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.