Bundesgerichtshof Urteil, 08. Sept. 2015 - X ZR 113/13

published on 08/09/2015 00:00
Bundesgerichtshof Urteil, 08. Sept. 2015 - X ZR 113/13
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Bundespatentgericht, 5 Ni 19/12, 03/07/2013

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X Z R 1 1 3 / 1 3 Verkündet am:
8. September 2015
Hartmann
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
PALplus
EPÜ Art. 54 Abs. 3
Eine ältere nachveröffentlichte Patentanmeldung ist bei der Neuheitsprüfung
auch dann zu berücksichtigen, wenn sie nach ihrer Veröffentlichung zurückgenommen
wird oder als zurückgenommen gilt.
BGH, Urteil vom 8. September 2015 - X ZR 113/13 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 8. September 2015 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. MeierBeck
, die Richter Gröning, Dr. Grabinski und Hoffmann sowie die Richterin
Dr. Kober-Dehm

für Recht erkannt:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 3. Juli 2013 verkündete Urteil des 5. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird zurückgewiesen. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin ein Viertel und die Beklagte drei Viertel zu tragen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des auch für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 595 790 (Streitpatent), das unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Patentanmeldung 41 12 712.9 (NK4) vom 18. April 1991 am 9. April 1992 angemeldet wurde und nach Klageerhebung durch Zeitablauf erloschen ist. Von insgesamt acht Patentansprüchen hat Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung folgenden Wortlaut: "Verfahren zum kompatiblen Übertragen einer SignalartZusatzinformation (106) in nicht zum vertikalen Rücklauf gehörenden Zeilen eines Fernsehsignals, wobei die SignalartZusatzinformation in verbesserten 16:9-Empfängern auswertbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass als Signalart-Zusatzinformation in der von Bildsignalen freien Hälfte der ersten oder letzten aktiven Bildzeile von Fernsehbildern ein Datenpaket übertragen wird, welches Einlauf-, Start- und Nutzinformationsdaten enthält, wobei empfangsseitig die Einlaufinformationsdaten für die phasenrichtige Rückgewinnung des Datentaktes der Nutzinformationsdaten dienen und die Startinformationsdaten zur Adressierung der Nutzinformationsdaten sowie zur selektiven Erfassung des Beginns der Nutzinformationsdaten dienen, und dass die Signalart-Zusatzinformation mindestens zwei der folgenden Fernseh-Signalarten umfasst: - Standard-Signal, das kein Letterbox-Signal ist und keine BildZusatzinformationen enthält; - Letterbox-Signal ohne Bild-Zusatzinformationen; - Letterbox-Signal von Film-Quelle mit Bild-Zusatzinformationen; - Letterbox-Signal von Kamera-Quelle mit Bild-Zusatzinformationen , insbesondere mit einer Unterscheidung zwischen als statisch und als bewegt geltendem Bildinhalt der Halb- oder Vollbilder."
2
Die Klägerin, die wegen Verletzung des Streitpatents in Anspruch genommen wird, hat mit der Nichtigkeitsklage geltend gemacht, dem Gegenstand des Streitpatents, das die angegebene Priorität nicht wirksam beanspruchen könne, fehle die Patentfähigkeit. Patentanspruch 2 und die Beschreibung enthielten jeweils unzulässige Erweiterungen. Weiterhin sei der Gegenstand nicht in einer für den Fachmann ausführbaren Weise offenbart.
3
Das Patentgericht hat das Streitpatent teilweise für nichtig erklärt, indem Patentanspruch 1 am Ende folgendes Merkmal angefügt worden ist: "und dass den Einlaufinformationsdaten ein Impuls der Dauer T2 vorangestellt ist, dessen Pegel der maximalen Amplitude Umax der Daten entspricht und dessen Breite ein Mehrfaches der Taktperiode der Daten umfasst."
4
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie das Streitpatent nur noch beschränkt verteidigt, indem im erteilten Patentanspruch 1 das Wort "mindestens" sowie die letzten beiden Spiegelstriche und Patentanspruch 2 vollständig gestrichen werden sollen. Die Klägerin, die ihre eigene Berufung zurückgenommen hat, tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe:


5
I. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Sendung von Fernsehsignalen.
6
1. Nach der Beschreibung im Streitpatent ist bekannt, dass Fernsehsignale im Breitbildformat 16:9 gemäß der zum Prioritätszeitpunkt in Aussicht genommenen PALplus-Norm kompatibel zur damals gültigen PAL-Norm so übertragen werden, dass sie in herkömmlichen Fernsehempfängern mit dem Bildformat 4:3 als "Letterbox-Bild" mit schwarzen Balken am oberen und unteren Bildrand wiedergegeben werden können. Damit Fernseher mit Bildschirmen im 16:9-Format aus dem Letterbox-Signal das ursprüngliche Fernsehsignal mit einer erhöhten Bildauflösung generieren können, wird für die Zeilen der schwarzen Balken der Schwarzwert angehoben, so dass in diesen Zeilen weitere Bildinformationen übertragen werden können.
7
Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, mit dem Fernsehsignal Informationen zur jeweils übertragenen Signalart auf eine den bisherigen Standard möglichst wenig berührende Weise mit zu übertragen.
8
2. Zur Lösung schlägt Patentanspruch 1 in der im Berufungsverfahren verteidigten Fassung ein Verfahren vor, dessen Merkmale sich wie folgt gliedern lassen (Gliederungsziffern gemäß dem patentgerichtlichen Urteil, jedoch mit teilweise entsprechend dem technischen Ablauf geänderter Abfolge): 1. Das Verfahren ist zum kompatiblen Übertragen einer Signalart -Zusatzinformation (106) in Zeilen eines Fernsehsignals geeignet. 1.1 Die Signalart-Zusatzinformation wird in Zeilen des Fernsehsignals übertragen, die nicht zum vertikalen Rücklauf gehören. 3a. Die Signalart-Zusatzinformation wird in der von Bildsignalen freien Hälfte der ersten aktiven Bildzeile von Fernsehbildern übertragen oder 3b. die Signalart-Zusatzinformation wird in der von Bildsignalen freien Hälfte der letzten aktiven Bildzeile von Fernsehbildern übertragen. 2. Die Signalart-Zusatzinformation ist in verbesserten 16:9-Empfängern auswertbar. 4. Als Signalart-Zusatzinformation wird ein Datenpaket übertragen.
4.1 Das Datenpaket enthält Einlauf-, Start- und Nutzinformationsdaten. 4.2 Die Einlaufinformationsdaten dienen empfangsseitig für die phasenrichtige Rückgewinnung des Datentaktes der Nutzinformationsdaten. 4.3 Die Startinformationsdaten dienen zur Adressierung der Nutzinformationsdaten sowie zur selektiven Erfassung des Beginns der Nutzinformationsdaten. 5. Die Signalart-Zusatzinformation umfasst die beiden folgenden Fernseh-Signalarten: 5.1 Standard-Signal, das kein Letterbox-Signal ist und keine Bild-Zusatzinformationen enthält, 5.2 Letterbox-Signal ohne Bild-Zusatzinformationen.
9
3. Im Hinblick auf zwei Merkmale bedarf der Patentanspruch näherer Erläuterung:
10
a) Merkmal 1 ist dahin zu verstehen, dass bei einem kompatibel übertragenen Fernsehsignal das Fernsehbild sowohl von herkömmlichen Fernsehgeräten gemäß dem alten PAL-Standard im Bildformat 4:3 als auch von neueren Fernsehgeräten im Breitbildformat 16:9 nach dem PALplus-Standard wiedergeben werden können.
11
b) Die Merkmale 3a und 3b beschreiben konkret, an welchen Stellen im übertragenen Fernsehbild die Signalart-Zusatzinformation übertragen werden kann, und bestimmen damit Merkmal 1.1 näher. Gemäß dem zum Prioritätszeitpunkt etablierten PAL-Standard werden die Fernsehbilder im Zeilensprungverfahren mit zwei Halbbildern übertragen, indem in jedem Halbbild von einer Zeile jeweils zur übernächsten Zeile gesprungen und die übersprungenen Zeilen jeweils vom nächsten Halbbild übertragen werden. Dabei beginnt das erste Halbbild in dessen erster Zeile erst in der Mitte der Zeile, so dass deren erste Hälfte frei bleibt, und im zweiten Halbbild endet die letzte Zeile bereits in der Mitte, so dass deren zweite Hälfte frei bleibt.
12
II. Das Patentgericht hat die Neuheit des Gegenstands von Patentanspruch 1 in der von der Beklagten bereits in erster Instanz als ersten Hilfsantrag verteidigten Fassung verneint.
13
Das Streitpatent habe nur einen Zeitrang vom 9. April 1992; es könne die Priorität der NK4 nicht wirksam in Anspruch nehmen. Die NK4 betreffe nicht dieselbe Erfindung. Unter anderem gehe eine Signalart-Zusatzinformation für die Signalart "Letterbox ohne Zusatzinfo" (Merkmal 5.2) aus der NK4 nicht hervor.
14
Die europäische Patentanmeldung 555 918 (NK18) sei für die Neuheitsprüfung gemäß Art. 89 iVm Art. 54 Abs. 3 EPÜ zu berücksichtigen, weil sie wirksam die Priorität der vor dem Streitpatent angemeldeten europäischen Patentanmeldung 92 200 407.2 (NK19) beanspruche. Dem stehe nicht entgegen, dass die in NK19 formulierten Patentansprüche einen anderen Gegenstand definierten als die in der NK18 formulierten Patentansprüche. Entscheidend sei vielmehr, dass der Gegenstand der NK18, soweit er im Streitfall für den Neuheitsvergleich herangezogen werde, von dem gesamten Offenbarungsgehalt der NK19 einschließlich seiner Ausführungsbeispiele mit umfasst gewesen sei.
15
Die NK18 nehme sämtliche Merkmale des Patentanspruchs 1 sowohl in der erteilten als auch in der - nunmehr im Berufungsverfahren allein, in erster Instanz noch hilfsweise - verteidigten Fassung vorweg.
16
Die NK18 befasse sich mit Zusatzsignalen in einer PALplus-Systemumgebung zur Übertragung von Steuerdaten in Form von Steuerbits. Als Beispiele für solche Systemparameter benenne sie explizit unter anderem das Bildverhältnis (4:3 oder 16:9), ob es sich um ein PALplus-Signal oder ein Standard -PAL-Signal handele und ob die "schwarzen Balken" bei Übertragung eines 16:9-Bildes als 4:3-Bild-Videoinformationen zur Erhöhung der vertikalen Auflösung enthielten. Diese Steuerbits stellten gemäß ihrer Funktion SignalZusatzinformationen dar, die nach der weiteren Beschreibung der NK18 in der freien Hälfte der ersten aktiven Zeile eines PAL-Fernsehbildes zu übertragen seien (Merkmale 1.1, 3a) und von einem verbesserten 16:9-Empfänger ausgewertet werden könnten (Merkmal 2). Mit dem Vorschlag, die Signal-Zusatzinformationen an einem standardgemäß freien Platz der Bildzeile zu übertragen , werde dem Fachmann eine zum normalen PAL-Fernsehsignal kompatible Übertragungsmöglichkeit mitgeteilt (Merkmal 1). Die Signal-Zusatzinformation werde als Bit-Sequenz und somit als Datenpaket übertragen (Merkmal 4). Gemäß der Beschreibung der NK18 könne diese Bit-Sequenz eine Präambel aufweisen mit einem Trainingssignal für die Datensynchronisation zur phasenrichtigen Rückgewinnung im Empfangsgerät (Merkmal 4.2). Weiterhin enthalte die Präambel eine Sequenz zur präzisen Lokalisierung des ersten Datenbits im PALplus-Steuersignal, die damit der Adressierung und der selektiven Erfassung der Nutzinfomationsdaten diene (Merkmal 4.3). Daraus ergebe sich ein Datenpaket mit Einlauf-, Start- und Nutzinformationsdaten (Merkmal 4.1).
17
Mit der übertragenen Signalart-Zusatzinformation erhalte das Empfangsgerät Informationen über Fernsehsignalarten (Merkmal 5), wie über das Bildformat (4:3 oder 16:9), womit das Empfangsgerät ein Standard-PAL-Signal im Bildformat 4:3 erkennen könne (Merkmal 5.1). Weiterhin werde im Falle des Letterbox-Signals die Zusatzinformation übertragen, ob die bei einem 16:9Format mitübertragenen "schwarzen" Letterbox-Balken Videoinformationen enthielten. Der Fachmann erkenne, dass damit auch angezeigt werde, wenn dies nicht der Fall sei, die Zeilen der schwarzen Balken mithin keine Videoinformationen enthielten. Folglich kennzeichne diese Signalart-Zusatzinformation unmittelbar auch ein Letterbox-Signal ohne Bild-Zusatzinformationen (Merkmal 5.2).
18
III. Dies hält der Nachprüfung im Berufungsverfahren stand.
19
1. Im Ergebnis zu Recht weist das Patentgericht dem Streitpatent den Zeitrang seiner Anmeldung vom 9. April 1992 zu. Das Streitpatent kann die Priorität der deutschen Voranmeldung (NK4) vom 18. April 1991 nicht in Anspruch nehmen.
20
a) Gemäß Art. 87 Abs. 1 EPÜ kann die Priorität einer früheren Anmeldung nur dann in Anspruch genommen werden, wenn diese dieselbe Erfindung betrifft. Dies setzt voraus, dass die mit der späteren Anmeldung beanspruchte Merkmalskombination dem Fachmann in der früheren Anmeldung in ihrer Gesamtheit als zu der angemeldeten Erfindung gehörend offenbart ist (BGH, Urteil vom 11. September 2001 - X ZR 168/98, BGHZ 148, 383, 391 - Luftverteiler). Für die Beurteilung der identischen Offenbarung gelten die Prinzipien der Neuheitsprüfung (BGH, Urteil vom 14. Oktober 2003 - X ZR 4/00, GRUR 2004, 133, 135 - Elektronische Funktionseinheit; Urteil vom 14. August 2012 - X ZR 3/10, GRUR 2012, 1133 Rn. 30 - UV-unempfindliche Druckplatte).
21
b) Jedenfalls Merkmal 5.2 ist in dem Prioritätsdokument NK4 nicht unmittelbar und eindeutig offenbart.
22
Die Übertragung einer Signalart-Zusatzinformation für das Senden von Letterbox-Signalen ohne (Video-)Zusatzinformationen in den Zeilen der "schwarzen Balken" wird in der NK4 nicht ausdrücklich erwähnt. Der Fach- mann, den das Patentgericht zutreffend als einen Diplomingenieur der Nachrichtentechnik mit Hochschulausbildung sowie besonderen Erfahrungen und Kenntnissen in der Fernsehübertragungstechnik einschließlich der dabei zu berücksichtigenden Standardisierungsvorschriften definiert hat, vermag dieses Merkmal auch nicht der Gesamtheit der in der NK4 offenbarten Informationen und Hinweise zu entnehmen.
23
Soweit die NK4 zum Stand der Technik ausführt, zumindest in einer Übergangszeit würden auf einem vorhandenen Fernsehkanal sowohl herkömmliche als auch "Letterbox"-Signale übertragen, weshalb jeder Signaltyp durch eine geeignete Kennung identifizierbar sein müsse (Sp. 1 Z. 16 bis 20), entnimmt der Fachmann daraus die Anregung, solche Kennungen zu generieren. Im Sinne einer eindeutigen und unmittelbaren Offenbarung liest der Fachmann dabei jedoch nur Kennungen für Bildformate und Übertragungsmodi mit, deren Übertragung damals bereits als Standard etabliert oder formuliert war. Das Generieren von noch nicht als Standard etablierten Kennungen für andere Übertragungsformen bedarf nicht zuletzt hinsichtlich ihrer Zweckmäßigkeit einer weiteren Überlegung des Fachmanns. Da das Senden einer Kennung für die Übertragung von 16:9-Bildformaten ohne Videozusatzinformationen in den Zeilen der schwarzen Balken zum Zeitpunkt der Anmeldung der NK4 weder zum PALStandard noch zum PALplus-Standard gehörte, zählt diese Kennung nicht zu denjenigen, die von der NK4 offenbart werden.
24
Patentanspruch 1 geht in der von der Beklagten im Berufungsverfahren verteidigten Fassung somit über den Offenbarungsgehalt der NK4 hinaus und kann die Priorität nicht in Anspruch nehmen. Inwieweit auch die weiteren vom Patentgericht angeführten Gründe einer Inanspruchnahme der Priorität entgegenstehen , kann offen bleiben.
25
2. Zu Recht hat das Patentgericht angenommen, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der im Berufungsverfahren verteidigten Fassung nicht neu ist. Die NK18 offenbart diesen Gegenstand mit einem früheren Zeitrang.
26
a) Der NK18 kommt gemäß Art. 89 EPÜ der von ihr in Anspruch genommene Zeitrang der NK19 zu.
27
aa) Beide Druckschriften stimmen weitestgehend überein. Insbesondere was die vom Patentgericht herangezogenen Beschreibungen anbelangt, aus denen das Patentgericht die Übereinstimmung mit dem Gegenstand des Streitpatents abgeleitet hat, sind der Wortlaut der NK18 und der Wortlaut der NK19 praktisch identisch. In beiden Druckschriften wird, wie auch die Beklagte zuletzt nicht mehr in Abrede gestellt hat, dieselbe Erfindung offenbart.
28
bb) Der Inanspruchnahme der Priorität steht nicht entgegen, dass Teile des Offenbarungsgehalts der NK18 nicht in den in der NK19 formulierten Ansprüchen enthalten sind. Für die Priorität reicht es gemäß Art. 88 Abs. 4 EPÜ aus, dass entsprechende Ausführungen in der Beschreibung der NK19 enthalten sind, denn maßgeblich ist der gesamte Inhalt der Voranmeldung.
29
cc) Die ältere Anmeldung ist zu einem Zeitpunkt veröffentlicht worden, zu dem sie noch anhängig war. Damit ist sie für die Neuheitsprüfung gemäß Art. 54 Abs. 3 EPÜ zu berücksichtigen, auch wenn die Anmeldung seit 1996 wegen Nichtzahlung einer Jahresgebühr als zurückgenommen gilt. Eine ältere Anmeldung ist wegen ihrer Rücknahme, Zurückweisung oder Erledigung durch Nichtzahlung der Jahresgebühr nur dann nicht mit ihrem Prioritätstag zu berücksichtigen , wenn sie infolgedessen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht mehr anhängig war (vgl. Benkard/Mellulis, EPÜ, 2. Aufl., Art. 54 Rn. 201a; Benkard /Mellulis, PatG, 10. Aufl., § 3 Rn. 74c; Busse/Keukenschrijver, PatG, 7. Aufl., § 3 Rn. 147; Schulte/Moufang, PatG, 9. Aufl., § 3 PatG/Art. 54 EPÜ Rn. 78; Singer/Stauder/Heusler, EPÜ, Art. 54 Rn. 114; BPatGE 33, 171, 173 f.; siehe auch EPA-JBK vom 9. Dezember 1981 - J 05/81, ABl. 1982, 155, 157). Wird die Anmeldung nach ihrer Veröffentlichung zurückgenommen, fällt damit zwar auch die Möglichkeit einer Doppelpatentierung weg. Dies rechtfertigt aber kein einschränkendes Verständnis des Art. 54 Abs. 3 EPÜ, der kein Doppelpatentierungsverbot formuliert, sondern zum Stand der Technik den - gesamten - Inhalt einer älteren nachveröffentlichten europäischen Patentanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung zählt. Schon die Entscheidung des Europäischen Patentübereinkommens für die Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Anmeldung ("whole content approach") und gegen die vom Straßburger Übereinkommen in Art. 4 Abs. 3 und Art. 6 eröffnete Möglichkeit, auf die Ansprüche der früheren Anmeldung abzustellen ("prior claim approach"), macht deutlich, dass die (umfassende) Berücksichtigung älterer Anmeldungen bei dem für die Neuheitsprüfung maßgeblichen Stand der Technik nicht nur dazu bestimmt ist, einer Doppelpatentierung vorzubeugen. Sie soll auch den Erstanmelder vor einer Einschränkung seiner wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit durch die Erteilung eines Patents auf die von ihm offenbarte Erfindung aufgrund einer späteren Anmeldung eines Dritten schützen (vgl. zu § 3 Abs. 2 PatG: BTDrucks. 7/3712 S. 29 li. Sp.). Dieser Schutzzweck verliert nicht an Bedeutung, wenn der ältere Anmelder sich nach der Veröffentlichung seiner Anmeldung entscheidet, die Anmeldung zurückzunehmen und damit die Erfindung für die Allgemeinheit freizugeben, deren technisches Wissen durch die erneute Offenbarung einer ihr bereits zur Verfügung stehenden technischen Lehre nicht bereichert wird.
30
b) Die NK18 betrifft ein erweitertes Fernsehsignal mit Steuerdaten zum Steuern eines erweiterten Fernsehdecoders.
31
aa) Wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, offenbart die NK18 die Merkmale 1 bis 5.1 (ohne das alternative Merkmal 3b). Dies wird von der Berufung auch nicht in Frage gestellt.
32
bb) Für das verbleibende Merkmal 5.2 gilt nichts anderes.
33
Die Beschreibung der NK18 offenbart weiterhin: "In the PALplus system, some control bits have to be transferred from the transmitter to the receiver, which indicate important system parameters such as, for example the aspect ratio (4:3 or 16:9), … , whether the video signal is a PALplus signal or a standard PAL signal, whether the "black bars", which result when a 16:9 aspect ratio picture is transmitted within a 4:3 aspect ratio picture, contain video information to increase the vertical resolution …" (Sp. 3 Z. 21 - 33).
34
Dem ist unmittelbar und eindeutig zu entnehmen, dass in dem offenbarten Übertragungssystem Steuerbits vorgesehen sein können, die nicht nur unterscheiden , ob es sich bei dem übertragenen Signal um ein PALplus-Signal oder ein Standard-PAL-Signal handelt. Für Letzteres bedürfte es - wie dem Fachmann offensichtlich ist - nur einer der drei genannten, in den Steuerbits codierten Informationen.
35
Eine offenbarte Lehre ist aus fachmännischer Sicht grundsätzlich als ein sinnvolles Ganzes zu verstehen; ihre Aussagen sollen weder zu einem widersprüchlichen noch zu einem sinnlosen Bedeutungsgehalt führen (vgl. BGH Urteil vom 12. Mai 2015 - X ZR 43/13, GRUR 2015, 875 Rn. 16 - Rotorelemente). Die beiden anderen mit Steuerbits codierten Informationen zum Bildseitenverhältnis und zu den Videozusatzinformation in den Zeilen der schwarzen Balken ergeben nur einen Sinn, wenn hiermit auch Modi ermöglicht werden, die weder vollständig dem Standard-PAL-Signal mit einem Bild im Bildverhältnis 4:3 noch vollständig dem PALplus-Signal mit einem Bild im Bildverhältnis 16:9 und Videozusatzinformationen in den Zeilen der schwarzen Balken entsprechen. Daraus ergibt sich für die dritte in den Steuerbits codierte Information, dass mit den beiden möglichen Werten "0" und "1", die ein Steuerbit annehmen kann, angezeigt wird, ob bei einem 16:9-Bild in einer 4:3-Bildübertragung die Zeilen in den schwarzen Balken Videozusatzinformationen enthalten oder nicht.
36
Soweit die Beklagte meint, die Lehre der NK18 bleibe an der erörterten Stelle entsprechend den zitierten einleitenden Worten "In the PALplus system" diesem System verhaftet und stehe einem Verständnis entgegen, das aus diesem System herausführe, entspricht dies nicht dem Bedeutungsgehalt der Offenbarung. Die dritte Information bezieht sich ausdrücklich auf den Fall, dass ein 16:9-Bild mit schwarzen Balken in einem 4:3-Bildformat übertragen wird. Für diesen Fall soll die Information gegeben werden, ob in den Zeilen der schwarzen Balken Videozusatzinformationen enthalten sind. Die Information wäre für diesen Fall bedeutungs- und sinnlos, wenn damit nicht auch das Gegenteil angezeigt werden können soll, also ein 16:9-Bild mit schwarzen Balken in einem 4:3-Bildformat ohne Videozusatzinformationen. Denn sonst wäre das Steuerbit für diese Information bei einer PALplus-Übertragung immer auf "1" für "ja" zu setzen, während bei einer Standard-PAL-Übertragung das Steuerbit auf "0" zu setzen und dieser letztere Fall im Übrigen vom Empfänger nicht auszuwerten wäre. Das Steuerbit wäre damit synchron zum Steuerbit der zweiten Information (PALplus oder Standard-PAL) und redundant. Ebenso wäre auch die erste in den Steuerbits codierte Information (4:3- oder 16:9-Format) synchron und redundant zur zweiten Information, wenn ein 16:9-Bild immer nur im PALplusFormat übertragen würde. Da für eine solche Redundanz kein Sinn ersichtlich ist, zeigt die Aufzählung der drei oben dargestellten, in Steuerbits codierten Informationen dem Fachmann, dass mit diesen Informationen Fernsehbildübertragungsmodi gekennzeichnet werden können, die weder einem 4:3-StandardPAL -Bild noch einem 16:9-PALplus-Bild vollständig entsprechen. Dazu gehört, dass mit den Steuerbits auch die Verneinung der dritten Information signalisiert werden soll, mithin der Umstand, dass die schwarzen Balken bei einem 16:9Bild in einem 4:3-Übertragungsformat keine Videozusatzinformationen enthalten (Merkmal 5.2).
37
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG, § 92 Abs. 1, § 97 Abs. 1, § 516 Abs. 3 ZPO. Meier-Beck Gröning Grabinski Hoffmann Kober-Dehm
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 03.07.2013 - 5 Ni 19/12 (EP) -
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(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last. (2) Das Ger
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published on 14/08/2012 00:00

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 3/10 Verkündet am: 14. August 2012 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nei
published on 11/09/2001 00:00

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 168/98 Verkündet am: 11. September 2001 Wermes Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja
published on 14/10/2003 00:00

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 4/00 Verkündet am: 14. Oktober 2003 Wermes Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ : nein
published on 12/05/2015 00:00

Tenor Auf die Berufung der Beklagten wird das am 23. Januar 2013 verkündete Urteil des 1. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts aufgehoben.
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Annotations

(1) Eine Erfindung gilt als neu, wenn sie nicht zum Stand der Technik gehört. Der Stand der Technik umfaßt alle Kenntnisse, die vor dem für den Zeitrang der Anmeldung maßgeblichen Tag durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benutzung oder in sonstiger Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind.

(2) Als Stand der Technik gilt auch der Inhalt folgender Patentanmeldungen mit älterem Zeitrang, die erst an oder nach dem für den Zeitrang der jüngeren Anmeldung maßgeblichen Tag der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind:

1.
der nationalen Anmeldungen in der beim Deutschen Patent- und Markenamt ursprünglich eingereichten Fassung;
2.
der europäischen Anmeldungen in der bei der zuständigen Behörde ursprünglich eingereichten Fassung, wenn mit der Anmeldung für die Bundesrepublik Deutschland Schutz begehrt wird und die Benennungsgebühr für die Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 79 Abs. 2 des Europäischen Patentübereinkommens gezahlt ist und, wenn es sich um eine Euro-PCT-Anmeldung (Artikel 153 Abs. 2 des Europäischen Patentübereinkommens) handelt, die in Artikel 153 Abs. 5 des Europäischen Patentübereinkommens genannten Voraussetzungen erfüllt sind;
3.
der internationalen Anmeldungen nach dem Patentzusammenarbeitsvertrag in der beim Anmeldeamt ursprünglich eingereichten Fassung, wenn für die Anmeldung das Deutsche Patent- und Markenamt Bestimmungsamt ist.
Beruht der ältere Zeitrang einer Anmeldung auf der Inanspruchnahme der Priorität einer Voranmeldung, so ist Satz 1 nur insoweit anzuwenden, als die danach maßgebliche Fassung nicht über die Fassung der Voranmeldung hinausgeht. Patentanmeldungen nach Satz 1 Nr. 1, für die eine Anordnung nach § 50 Abs. 1 oder Abs. 4 erlassen worden ist, gelten vom Ablauf des achtzehnten Monats nach ihrer Einreichung an als der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

(3) Gehören Stoffe oder Stoffgemische zum Stand der Technik, so wird ihre Patentfähigkeit durch die Absätze 1 und 2 nicht ausgeschlossen, sofern sie zur Anwendung in einem der in § 2a Abs. 1 Nr. 2 genannten Verfahren bestimmt sind und ihre Anwendung zu einem dieser Verfahren nicht zum Stand der Technik gehört.

(4) Ebenso wenig wird die Patentfähigkeit der in Absatz 3 genannten Stoffe oder Stoffgemische zur spezifischen Anwendung in einem der in § 2a Abs. 1 Nr. 2 genannten Verfahren durch die Absätze 1 und 2 ausgeschlossen, wenn diese Anwendung nicht zum Stand der Technik gehört.

(5) Für die Anwendung der Absätze 1 und 2 bleibt eine Offenbarung der Erfindung außer Betracht, wenn sie nicht früher als sechs Monate vor Einreichung der Anmeldung erfolgt ist und unmittelbar oder mittelbar zurückgeht

1.
auf einen offensichtlichen Mißbrauch zum Nachteil des Anmelders oder seines Rechtsvorgängers oder
2.
auf die Tatsache, daß der Anmelder oder sein Rechtsvorgänger die Erfindung auf amtlichen oder amtlich anerkannten Ausstellungen im Sinne des am 22. November 1928 in Paris unterzeichneten Abkommens über internationale Ausstellungen zur Schau gestellt hat.
Satz 1 Nr. 2 ist nur anzuwenden, wenn der Anmelder bei Einreichung der Anmeldung angibt, daß die Erfindung tatsächlich zur Schau gestellt worden ist und er innerhalb von vier Monaten nach der Einreichung hierüber eine Bescheinigung einreicht. Die in Satz 1 Nr. 2 bezeichneten Ausstellungen werden vom Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz im Bundesanzeiger bekanntgemacht.

(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend.

(2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkosten (§§ 91 bis 101) sind entsprechend anzuwenden, soweit nicht die Billigkeit eine andere Entscheidung erfordert; die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103 bis 107) und die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen (§§ 724 bis 802) sind entsprechend anzuwenden.

(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.

(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn

1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder
2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

(1) Der Berufungskläger kann die Berufung bis zur Verkündung des Berufungsurteils zurücknehmen.

(2) Die Zurücknahme ist dem Gericht gegenüber zu erklären. Sie erfolgt, wenn sie nicht bei der mündlichen Verhandlung erklärt wird, durch Einreichung eines Schriftsatzes.

(3) Die Zurücknahme hat den Verlust des eingelegten Rechtsmittels und die Verpflichtung zur Folge, die durch das Rechtsmittel entstandenen Kosten zu tragen. Diese Wirkungen sind durch Beschluss auszusprechen.