Bundesgerichtshof Urteil, 18. März 2003 - VI ZR 266/02
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin verlangt Ersatz materiellen und immateriellen Schadens sowie die Feststellung der Einstandspflicht des Beklagten für zukünftige Schäden , die als Folgen eines nach einer Operation durch den Beklagten am 5. Mai 1995 erlittenen Schlaganfalles auftreten werden. Im Frühjahr 1995 stellte der Beklagte bei der Klägerin anläßlich einer Krebsvorsorgeuntersuchung durch einen Abstrich eine Präkanzerose an der Gebärmutter fest. Am 21. April 1995 fand deshalb in der Praxis des Beklagten ein Gespräch zwischen den Parteien in Anwesenheit des Ehemannes der Klägerin statt. Dabei wurde von dieser ein „perimed“-Merkblatt zur Aufklärung über die Entfernung der Gebärmutter mittels Bauchschnittes (Hysterektomie) unter-zeichnet. Am 2. Mai 1995 begab sich die Klägerin stationär in das Städtische Krankenhaus in L., in dem der Beklagte Belegbetten hatte, wo am Folgetag durch den Beklagten die Hysterektomie vorgenommen wurde. Die feingewebliche Untersuchung des entnommenen Gewebes ergab leicht- bis mittelgradige Plattenepitheldysplasien der Portio vaginalis uteri, die vom Pathologen als eine cervikale intraepitheliale Neoplasie des Typs II (CIN II) gewertet wurde. Nach postoperativen Komplikationen wurde die Klägerin am Morgen des 5. Mai 1995 gegen 5 Uhr in ihrem Bett in der Pflegeabteilung des Krankenhauses mit einem Schlaganfall aufgefunden. Sie ist seitdem rechtsseitig gelähmt und auf die Betreuung durch ihren Ehemann angewiesen. Die Klägerin hat behauptet, eine Gebärmutterentfernung mittels eines Bauchschnittes sei nicht indiziert gewesen. Es hätte eine Konisation ausgereicht , um eine Gewebeprobe für eine histologische Untersuchung zu entnehmen. Erst wenn der Befund den Krebsverdacht bestätigt hätte, wäre eine Entfernung der Gebärmutter indiziert gewesen. Dies hätte der Beklagte um so mehr beachten müssen, als sie eine Risikopatientin gewesen sei. Bei einer Konisation hätte es nur einer wesentlich leichteren Narkose bedurft. Sie hätte deshalb danach höchstwahrscheinlich keinen Schlaganfall erlitten. Der Beklagte hafte für die eingetretenen Folgen der Operation, weil er sie unzureichend über deren Notwendigkeit und Risiken aufgeklärt habe. Die Klage ist vom Landgericht abgewiesen worden. Die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht zurückgewiesen, weil die Aufklärung ordnungsgemäß und ausreichend gewesen sei und auch nicht von einer fehlenden Indikation für die Hysterektomie ausgegangen werden könne. Der erkennende Senat hat diese Entscheidung auf die Revision der Klägerin mit Urteil vom 22. Mai 2001 (- VI ZR 268/00 - VersR 2002, 120) aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zu-
rückverwiesen, weil die Feststellungen des Berufungsgerichts zur Indikation der Operation nicht frei von Verfahrensfehlern waren. Das Berufungsgericht hat ergänzende Stellungnahmen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. B. eingeholt und diesen und Dr. S. mündlich angehört. Hierauf hat es durch das nunmehr angefochtene Urteil erneut die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageansprüche weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht führt aus, aufgrund der weiteren Beweisaufnahme sei nicht erwiesen, daß der Beklagte die Klägerin fehlerhaft behandelt habe. Es könne dahinstehen, ob die sogleich durchgeführte Entfernung der Gebärmutter im konkreten Fall bei dem vor der Operation erhobenen Abstrichbefund Pap IVa medizinischem Standard entsprochen habe und die Methode der Wahl gewesen sei. Nach dem ergänzenden Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. B. und seinen Ausführungen bei den mündlichen Anhörungen sowie denen des Dr. S. sei jedenfalls im Nachhinein aufgrund des histologischen Befundes des entfernten Gewebes die Operation als primär präventive Maßnahme indiziert und vom Umfang her sachgerecht gewesen. Der Beklagte hafte auch nicht wegen unzureichender ärztlicher Aufklärung der Klägerin. Der Bundesgerichtshof habe die Ausführungen im Berufungsurteil vom 13. Juni 2000 - auf die Bezug genommen werde - zur Aufklärung als rechtsfehlerfrei gebilligt. Es sei in diesem Zusammenhang nicht von entscheidungserheblicher Bedeutung, daß sich die Hysterektomie - wohl - erst im Nachhinein aufgrund des pathologisch-histologischen Befundes als behandlungsfehlerfrei erwiesen habe, weil die vom Beklagten der Klägerin empfohlene Entfernung der Gebärmutter jedenfalls der bei objektiver Sachlage gebotenen bzw. anzuratenden ärztlichen Vorgehensweise entsprochen habe.
II.
Diese Ausführungen des Berufungsgerichts halten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. 1. Soweit die Revision rügt, das Berufungsgericht habe aufgrund unzureichender Sachaufklärung die bei der Klägerin durchgeführte Hysterektomie für medizinisch indiziert gehalten, bezieht sie sich ersichtlich auf die Auffassung des Berufungsgerichts, der histologische Befund nach der Uterusexstirpation habe diesen Eingriff nachträglich gerechtfertigt. Ob ihre Angriffe insoweit Erfolg haben könnten, bedarf keiner abschließenden Entscheidung.a) Das Berufungsgericht läßt dahinstehen, ob nach der Feststellung eines Pap IVa - Abstrichs die sogleich durchgeführte Entfernung der Gebärmutter im konkreten Fall, insbesondere angesichts des Alters und der sonstigen gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin medizinischem Standard entsprochen hat und die Methode der Wahl gewesen ist. Somit ist revisionsrechtlich davon auszugehen, daß dies nicht der Fall war.
b) Ersichtlich hat das Berufungsgericht diese Frage offengelassen, weil es durch das Ergänzungsgutachten des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. B. und die Ausführungen des Gutachters im Schlichtungsverfahren Dr. S. bei seiner mündlichen Anhörung zur Auffassung kam, daß der histologische Befund nachträglich die Entfernung des Uterus gerechtfertigt habe. Diese Auf-
fassung beruht auf einem Mißverständnis der vom Berufungsgericht zitierten Rechtsmeinung (vgl. Frahm/Nixdorf, Arzthaftungsrecht, 2. Aufl., Rdnrn. 65, 66; Staudinger/J. Hager, 1999, BGB, § 823 Rdnr. I 19; MüKo/Mertens, BGB, 3. Aufl., § 823 Rdnr. 367), wonach bei der rechtlichen Beurteilung des ärztlichen Handelns zwar grundsätzlich der medizinische Standard zum Zeitpunkt der Behandlung zugrunde zu legen ist, jedoch neuere Entwicklungen in der Medizin auch nicht völlig unerheblich sind. Nachträgliche Erkenntnisse könnten sich zugunsten des Arztes auswirken, soweit sie seine therapeutischen Maßnahmen rechtfertigen. Aus dem Zusammenhang der betreffenden Ausführungen ergibt sich, daß die nachträgliche Rechtfertigung des ärztlichen Handelns durch ein Fortschreiten der medizinischen Wissenschaft und hierdurch gewonnene Erkenntnisse gemeint ist.
c) Darum geht es im Streitfall nicht. Hier geht es um die Frage, ob ein Behandlungsfehler vorliegt, wenn der Arzt einen schwerwiegenden Eingriff - wie er mit der Entfernung der Gebärmutter durch Bauchschnitt gegeben ist - vornimmt , ohne zuvor einen wesentlich weniger belastenden und medizinisch gebotenen Eingriff in Form der Konisation oder eines weiteren Abstrichs durchzuführen. Die Abklärung des Befundes durch die Entnahme von Gewebeproben für eine weitere histologische Untersuchung haben sowohl der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. B. als auch der Gutachter im vorprozessualen Schlichtungsverfahren Dr. S. in den ergänzenden Gutachten und bei der mündlichen Anhörung für geboten erachtet und nach dem Kenntnisstand vor der Uterusentfernung als „Mittel der Wahl“ bezeichnet. Unter den Umständen des Streitfalls kann dahinstehen, ob das Berufungsgericht bei der gegebenen Sachlage einen Behandlungsfehler schon mit der Begründung verneinen durfte, daß der später erhobene histologische Befund die sofortige Entfernung des Uterus nachträglich als richtig erscheinen ließ.
2. Die Revision macht nämlich mit Erfolg geltend, daß die der Klägerin erteilte Aufklärung nicht ausreichend gewesen sei.
a) Soweit das Berufungsgericht meint, die Ausführungen, mit denen es die Aufklärung im ersten Berufungsurteil für hinreichend erachtet hatte, seien im Urteil des erkennenden Senats vom 22. Mai 2001 - VI ZR 268/00 – aaO als rechtsfehlerfrei gebilligt worden, trifft dies nicht zu. Der erkennende Senat hat sich hierbei lediglich zu der Frage geäußert, ob das Berufungsgericht unter den Umständen des Streitfalls den Beklagten als Partei habe vernehmen dürfen und seine Bekundungen ohne Verfahrensfehler gewürdigt habe. Auf den Inhalt der Aufklärung konnte nach dem damaligen Verfahrensstand gar nicht eingegangen werden, da der Umfang der Aufklärungspflicht maßgeblich von der Frage abhing, welches ärztliche Vorgehen in Betracht kam und das Berufungsgericht noch keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen hatte. Darauf weist die Revision zu Recht hin.
b) Nachdem die Ergänzung der Beweisaufnahme ergeben hat, daß zunächst eine Konisation geboten war und der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. B. bei seiner mündlichen Anhörung beschrieben hat, welchen Inhalt das Aufklärungsgespräch insoweit hätte haben müssen, kann die vom Beklagten der Klägerin erteilte Aufklärung nicht als ausreichend angesehen werden. Der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. B. hat es für erforderlich erachtet , daß der Klägerin die Konisation als Methode der Wahl dargestellt worden wäre und nur daneben ein Hinweis darauf erforderlich gewesen wäre, daß auf Grund der persönlichen Situation und gesundheitlichen Verfassung der Klägerin auch eine Hysterektomie in Betracht komme.
Dem entsprach die vom Beklagten erteilte Aufklärung nicht. Der erkennende Senat kann dies auf der Grundlage der vom Berufungsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise getroffenen tatsächlichen Feststellungen im Berufungsurteil vom 13. Juni 2000 zum Aufklärungsgespräch vom 21. April 1995, auf die im vorliegenden Berufungsurteil Bezug genommen wird, selbst beurteilen. Der Beklagte hat danach die Klägerin auf die Alternativen Konisation oder Hysterektomie hingewiesen und ihr empfohlen, sich die Gebärmutter bis spätestens Herbst 1995 entfernen zu lassen. Selbst wenn aufgrund der persönlichen Situation und der gesundheitlichen Verfassung der Klägerin möglicherweise eine Hysterektomie auch schon zum Zeitpunkt der Operation in Betracht gezogen werden konnte, hätte der Beklagte jedenfalls darauf hinweisen müssen, daß die Hysterektomie nicht die Methode der Wahl sei, sondern zuerst der Befund durch eine Konisation abzuklären sei. War die Hysterektomie nur vertretbar, um der Klägerin eine weitere Operation zu ersparen, hätte sie in Wahrung ihres Selbstbestimmungsrechts darüber aufgeklärt werden müssen, daß und mit welchem Risiko ein Aufschieben oder gänzliches Unterlassen des Eingriffs verbunden ist (vgl. Senatsurteil vom 14. Januar 1997 - VI ZR 30/96 - VersR 1997, 451, 452). Indem der Beklagte der Klägerin zwar die Konisation und die Hysterektomie als Alternativen dargestellt hat, zu letzterem Eingriff aber geraten und dabei Herbst 1995 als zeitlichen Rahmen genannt hat, hat er erkennbar den Kern der gebotenen Aufklärung verfehlt und insbesondere die Klägerin darüber im Unklaren gelassen, daß diese Operation nach dem vorliegenden Befund aus medizinischer Sicht nicht zwingend durchgeführt werden mußte. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts wird dieser Mangel der Aufklärung auch nicht dadurch beseitigt, daß die Empfehlung zur Entfernung der Gebärmutter durch den nachoperativen histologischen Befund bestätigt wurde. Selbst bei einem aus ärztlicher Sicht sinnvollen Eingriff bleibt es stets dem Pati-
enten überlassen, ob er sich für ihn entscheidet und ihm zustimmt (vgl. Senatsurteil vom 26. Juni 1990 - VI ZR 289/89 - VersR 1990, 1238 ff.). Ergeben - wie im Streitfall - nachträgliche Befunde eine Indikation für den Eingriff, rechtfertigt dieser Umstand regelmäßig nicht einen medizinischen Eingriff, der ohne wirksame Einwilligung vorgenommen wurde und deshalb rechtswidrig ist. Dies verbietet die Wahrung der persönlichen Entscheidungsfreiheit des Patienten, die nicht durch das, was aus ärztlicher Sicht oder objektiv erforderlich und sinnvoll wäre, begrenzt werden darf (vgl. Senatsurteil vom 26. Juni 1990 - VI ZR 289/89 – aaO S. 1239).
III.
Das Berufungsgericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - bisher keine Feststellungen zum Ursachenzusammenhang zwischen der Operation, dem Schlaganfall und den darauf beruhenden Schäden getroffen. Die Sache ist deshalb erneut an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Der Senat hat dabei von der Möglichkeit nach § 563 Abs. 1 S. 2 ZPO Gebrauch gemacht.Müller Greiner Diederichsen Pauge Zoll
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(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.
(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen.
(2) Das Berufungsgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(3) Das Revisionsgericht hat jedoch in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist.
(4) Kommt im Fall des Absatzes 3 für die in der Sache selbst zu erlassende Entscheidung die Anwendbarkeit von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach § 545 nicht gestützt werden kann, in Frage, so kann die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.