Bundesgerichtshof Urteil, 30. Mai 2006 - VI ZR 174/05
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Tatbestand:
- 1
- Die Klägerin macht gegen den beklagten Haftpflichtversicherer Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 23. Juni 2003 geltend, bei dem ihr PKW, ein Mitsubishi Lancer, Erstzulassung Februar 1995, einen Totalschaden erlitten hat. Die Haftung der Beklagten für den Unfallschaden steht zwischen den Parteien dem Grunde nach außer Streit. Die Parteien streiten im Revisionsverfahren nur noch um die Höhe des anzurechnenden Restwertes des unfallbeschädigten Fahrzeuges und um die Frage, ob neben dem vom Sachverständigen geschätzten Wiederbeschaffungswert des Unfallfahrzeuges auch die konkret angefallenen Kosten für Telefon, Internet und Überführung des ersatzweise beschafften Fahrzeuges zu ersetzen sind.
- 2
- Die Klägerin hat zunächst ein Sachverständigengutachten eingeholt, welches zu einem Wiederbeschaffungswert des unfallbeschädigten Fahrzeuges in Höhe von 4.834,93 € (netto) und zu einem Restwert von 240 € gelangte. Bei dem Verkauf des Fahrzeuges an einen Schrotthändler erzielte sie für den Restwert lediglich 200 €. Die Klägerin hat den Schaden auf Gutachtenbasis abgerechnet , wobei die Beklagte einen Restwert von 240 € in Abzug brachte. Unter Einschaltung eines gewerblichen Vermittlers erwarb die Klägerin schließlich ein Gebrauchtfahrzeug derselben Marke und desselben Typs, Erstzulassung November 1994, zum Preis von 3.465,00 €, nachdem der Vermittler dieses über eine Internet-Recherche in einem 120 km vom Wohnort der Klägerin entfernten Ort gefunden hatte. Für die "Kosten der Fahrzeugersatzbeschaffung" (Telefon, Internet, Überführungskosten) hat der Vermittler 371,20 € in Rechnung gestellt.
- 3
- Das Amtsgericht hat der Klage hinsichtlich des restlichen Restwertes in Höhe von 24 € (10 % von 240 €) und hinsichtlich der "Kosten der Fahrzeugersatzbeschaffung" in vollem Umfang stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Auf die Anschlussberufung der Klägerin hat ihr das Berufungsgericht weitere 16 € hinsichtlich des Restwertes zugesprochen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte hinsichtlich dieser beiden Positionen ihr Klageabweisungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
- 4
- Das Landgericht ist der Auffassung, der Kläger müsse sich nicht auf den vom Sachverständigen ermittelten Restwert verweisen lassen, wenn sich dieser bei der konkreten Verwertung des unfallbeschädigten Fahrzeuges nicht realisieren lasse. Der Restwert werde vielmehr nach Erstattung des Gutachtens durch den konkret erzielten Verkaufserlös festgelegt. Der Schädiger werde in einem derartigen Fall nicht in seinen Rechten verletzt. Ihm stehe es regelmäßig frei, das Fahrzeug zu den vom Sachverständigen ermittelten Wert zu erwerben oder andere Kaufinteressenten zu benennen. Wenn er dies nicht tue und auch - wie im vorliegenden Fall - nicht ersichtlich sei, dass ein höherer Preis hätte erzielt werden können, so wäre es eine unbillige Belastung des Geschädigten, einen Restwert anzunehmen, der tatsächlich nicht zu erzielen sei. Die Klägerin könne auch die "Kosten der Fahrzeugersatzbeschaffung" nach § 249 Abs. 2 BGB in Höhe von 371,20 € (Telefon-, Internet- und Überführungskosten) ersetzt verlangen. Die Kosten, die dem Geschädigten durch die Neuanschaffung eines Fahrzeuges entstünden, seien grundsätzlich erstattungsfähig, soweit sie ursächlich auf den Unfall zurückzuführen seien und ein wirtschaftlich denkender, objektiver Dritter anstelle des Geschädigten sie aufgewandt hätte. Dabei sei auch das persönliche Interesse des Geschädigten zu berücksichtigen, ein bestimmtes Ersatzfahrzeug zu erwerben, wie hier ein Fahrzeug des gleichen Typs wie das unfallbeschädigte. Die Klägerin müsse sich auch nicht darauf verweisen lassen, eine Recherche und die Überführung des Fahrzeuges selbst vorzunehmen. Es entspreche vielmehr den allgemeinen Grundsätzen des Schadensrechts, dass der Schädiger sich bei der Beseitigung des Schadens der Hilfe von Fachunternehmen bedienen könne. Dieser Grundsatz sei auch auf die Frage anwendbar, in welcher Höhe Kosten für die Beschaffung eines Ersatzfahrzeuges als Schaden zu ersetzen seien.
II.
- 5
- Das Berufungsurteil hält nur teilweise revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
- 6
- 1. Die Revision hat keinen Erfolg, soweit das Berufungsgericht der Klägerin im Rahmen der Schadensberechnung lediglich den tatsächlich erzielten Restwert für das unfallbeschädigte Fahrzeug schadensmindernd angerechnet hat.
- 7
- Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Geschädigte im Totalschadensfall, wenn er von der Ersetzungsbefugnis des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB Gebrauch macht und den Schaden nicht im Wege der Reparatur , sondern durch Beschaffung eines Ersatzfahrzeuges beheben will, nur Ersatz des Wiederbeschaffungswertes abzüglich des Restwertes verlangen kann (vgl. Senatsurteile BGHZ 115, 364, 372; 143, 189, 193; vom 21. Januar 1992 - VI ZR 142/91 - VersR 1992, 457; vom 6. April 1993 - VI ZR 181/92 - VersR 1993, 769; vom 7. Dezember 2004 - VI ZR 119/04 - VersR 2005, 381 und vom 12. Juli 2005 - VI ZR 132/04 - VersR 2005, 1448).
- 8
- Wie der Senat in ständiger Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 12. Juli 2005 - VI ZR 132/04 - aaO m.w.N.) ausgesprochen hat, steht eine solche Ersatzbeschaffung als Variante der Naturalrestitution unter dem Gebot der Wirtschaft- lichkeit, das auch für die Frage gilt, in welcher Höhe der Restwert des Unfallfahrzeuges bei der Schadensabrechnung berücksichtigt werden muss. Dies bedeutet, dass der Geschädigte bei der Schadensbehebung gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB nach der "subjektbezogenen Schadensbetrachtung" im Rahmen des ihm Zumutbaren und unter Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie der gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten den wirtschaftlicheren Weg zu wählen hat. Der Geschädigte leistet dem Gebot zur Wirtschaftlichkeit im Allgemeinen genüge und bewegt sich in den für die Schadensbehebung nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB gezogenen Grenzen, wenn er die Veräußerung seines beschädigten Kraftfahrzeuges zu demjenigen Preis vornimmt, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (vgl. Senatsurteile BGHZ 143, aaO; vom 21. Januar 1992 - VI ZR 142/91 - aaO, 458; vom 6. April 1993 - VI ZR 181/92 - aaO, 770; vom 7. Dezember 2004 - VI ZR 119/04 - aaO, 382 und vom 12. Juli 2005 - VI ZR 132/04 - aaO).
- 9
- Entgegen der Auffassung der Revision muss sich der Geschädigte, der bei der tatsächlichen Veräußerung des unfallbeschädigten Fahrzeuges weniger erzielt, nicht generell auf den von seinem Sachverständigen geschätzten höheren Restwert verweisen lassen. Vielmehr kann er seiner Schadensberechnung grundsätzlich den konkret erzielten Restwertbetrag zugrunde legen (vgl. Senatsurteil vom 12. Juli 2005 - VI ZR 132/04 - aaO). Dies gilt auch dann, wenn der Fahrzeugschaden - wie hier - im Übrigen fiktiv auf Gutachtenbasis abgerechnet wird. Die Einstellung des konkret erzielten Restwertbetrages in die Schadensabrechnung stellt dann keine unzulässige Kombination von fiktiver und konkreter Abrechnung (dazu unten 2.), sondern die Behauptung des Klägers zur Höhe des erzielbaren Restwertes dar und kann dann als Grundlage für die gemäß § 287 Abs. 1 ZPO vorzunehmende Schadensschätzung dienen. Auch in diesem Rahmen sind der Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer nicht an dem Vorbringen gehindert, auf dem regionalen Markt hätte ein höherer Restwert erzielt werden müssen (vgl. Senatsurteil vom 12. Juli 2005 - VI ZR 132/04 - aaO). Bei allen durch Schadensschätzung nicht zu behebenden Zweifeln muss der Tatrichter den Vortrag der Parteien ggf. durch Beweiserhebung nachgehen. Unter den Umständen des vorliegenden Falles begegnet es aus revisionsrechtlicher Sicht keinen Bedenken, dass das Berufungsgericht sich in Ausübung des ihm nach § 287 Abs. 1 ZPO zustehenden Ermessens bei der Schätzung des konkreten Schadens an dem konkret erzielten Verkaufspreis orientiert hat, der geringfügig unter dem vom Sachverständigen geschätzten lag. Darüber hinaus zeigt die Revision keinen Sachvortrag der im Rahmen des § 254 Abs. 2 BGB darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten auf, wo der Kläger den vom Sachverständigen geschätzten Verkaufspreis auf dem regionalen Markt tatsächlich hätte erzielen können. Im Übrigen weist die Revisionserwiderung zutreffend darauf hin, dass die Beklagte im vorliegenden Fall durch Anwaltsschreiben vom 27. Juni 2003 sogar davon unterrichtet worden sei, dass sich zum geschätzten Restwert von 240 € kein Interessent finden lasse und ihr anheim gestellt worden sei, einen Interessenten zu benennen. Hierauf habe die Beklagte nicht reagiert, sondern sich lediglich pauschal auf die Erwägung zurückgezogen , der vom Gutachter geschätzte Restwert sei maßgebend.
- 10
- 2. Die Revision hat dagegen Erfolg, soweit sie sich gegen die Zuerkennung der "Kosten der Fahrzeugersatzbeschaffung" in Höhe von 371,20 € wendet.
- 11
- Die von der Klägerin insoweit geltend gemachten Nebenkosten für die tatsächlich erfolgte Beschaffung eines Ersatzfahrzeuges sind bereits deshalb nicht ersatzfähig, weil die Klägerin die für sie günstigere Möglichkeit einer fiktiven Schadensabrechnung auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens gewählt hat. An dieser Art der Schadensabrechnung muss sie sich jedenfalls dann festhalten lassen, wenn die konkreten Kosten der Ersatzbeschaffung unter Einbeziehung der geltend gemachten Nebenkosten den im Wege der fiktiven Schadensabrechnung erhaltenen Betrag nicht übersteigen; eine Kombination von fiktiver und konkreter Schadensabrechnung ist insoweit unzulässig (vgl. Senatsurteile vom 15. Juli 2003 - VI ZR 361/02 - VersR 2004, 1575 und vom 15. Februar 2005 - VI ZR 172/04 - VersR 2005, 665, 667). Auf die Frage, ob und ggf. inwieweit die geltend gemachten Kosten überhaupt ersatzfähig sind, kommt es deshalb im vorliegenden Fall nicht an.
- 12
- Da es keiner weiteren Feststellungen mehr bedarf und die Sache zur Endentscheidung reif ist, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO).
III.
- 13
- Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 Abs. 1 ZPO. Müller Greiner Wellner Stöhr Zoll
AG Nordhausen, Entscheidung vom 16.12.2004 - 27 C 538/04 -
LG Mühlhausen, Entscheidung vom 23.06.2005 - 1 S 45/05 -
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Annotations
(1) Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.
(2) Ist wegen Verletzung einer Person oder wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Gläubiger statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Bei der Beschädigung einer Sache schließt der nach Satz 1 erforderliche Geldbetrag die Umsatzsteuer nur mit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist.
(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Das Gericht kann den Beweisführer über den Schaden oder das Interesse vernehmen; die Vorschriften des § 452 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 bis 4 gelten entsprechend.
(2) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1, 2 sind bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen entsprechend anzuwenden, soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen.
(1) Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Beschädigten mitgewirkt, so hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.
(2) Dies gilt auch dann, wenn sich das Verschulden des Beschädigten darauf beschränkt, dass er unterlassen hat, den Schuldner auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen, die der Schuldner weder kannte noch kennen musste, oder dass er unterlassen hat, den Schaden abzuwenden oder zu mindern. Die Vorschrift des § 278 findet entsprechende Anwendung.
(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen.
(2) Das Berufungsgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(3) Das Revisionsgericht hat jedoch in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist.
(4) Kommt im Fall des Absatzes 3 für die in der Sache selbst zu erlassende Entscheidung die Anwendbarkeit von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach § 545 nicht gestützt werden kann, in Frage, so kann die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.
(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.
(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn
- 1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder - 2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.