Bundesgerichtshof Urteil, 17. Juli 2008 - IX ZR 126/07

published on 17/07/2008 00:00
Bundesgerichtshof Urteil, 17. Juli 2008 - IX ZR 126/07
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Landgericht Neubrandenburg, 3 O 347/00, 08/07/2002
Oberlandesgericht Rostock, 7 U 132/02, 28/12/2006

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 126/07
Verkündet am:
17. Juli 2008
Preuß
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Dem Begehren des Insolvenzverwalters, die Feststellung einer für unberechtigt
gehaltenen Forderung zur Tabelle abzuwehren, kann das Rechtsschutzbedürfnis
selbst dann nicht abgesprochen werden, wenn die voraussichtliche Quote
Null beträgt.
BGH, Urteil vom 17. Juli 2008 - IX ZR 126/07 - OLG Rostock
LG Neubrandenburg
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in dem am 20. Juni 2008 geschlossenen
schriftlichen Verfahren durch den Vorsitzenden Richter Dr. Ganter,
die Richter Prof. Dr. Kayser, Prof. Dr. Gehrlein, Vill und Dr. Fischer

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Teilurteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Rostock vom 28. Dezember 2006 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen wird, zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die Klägerin hat die ursprüngliche Beklagte (= Schuldnerin) auf Zahlung eines Restwerklohns in Anspruch genommen. Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und die ursprüngliche Beklagte zur Zahlung von 76.253,82 € Zug um Zug gegen Übergabe diverser Baumaterialien verurteilt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Nachdem beide Seiten dagegen Berufung eingelegt hatten, wurde über das Vermögen der ursprünglichen Beklagten das Insolvenzverfahren eröffnet und der nunmehrige Beklagte zum Insolvenz- verwalter bestellt. Die Klägerin hat den Rechtsstreit aufgenommen und den Klageantrag auf Feststellung der Forderung zur Insolvenztabelle umgestellt.
2
Das Berufungsgericht hat durch Teilurteil die Berufung des nunmehrigen Beklagten als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, im Zeitpunkt der Einlegung der Berufung (durch die ursprüngliche Beklagte) sei die Beschwer zwar hinreichend im Sinne des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO gewesen. Da der nunmehrige Beklagte nicht dargetan habe, dass die zu erwartende Quote zugunsten der Klägerin mehr als Null betrage, fehle es aber jetzt an dem Rechtsschutzinteresse an der Durchführung des Berufungsverfahrens. Der Beklagte verfolge kein wirtschaftlich nachvollziehbares Ziel. Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.

Entscheidungsgründe:


3
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
4
1. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist der von § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO geforderte Wert erreicht.
5
a) Nach der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung muss die Beschwerdesumme bei Einlegung des Rechtsmittels erreicht sein; durch eine spätere Verminderung der Beschwerdesumme wird das Rechtsmittel nicht unzulässig. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Verminderung der Beschwerdesumme auf einer später erfolgten willkürlichen Beschränkung des Rechtsmit- tels beruht (BGHZ 1, 29 ff; BGH, Urt. v. 9. September 1999 - IX ZR 80/99, ZIP 1999, 1811, 1812).
6
vorliegenden Im Fall liegt eine solche willkürliche Veränderung des Rechtsmittels - wie auch die Revisionserwiderung nicht in Abrede stellt - nicht vor. Der Beklagte hat lediglich die Konsequenzen aus dem veränderten Antrag der Gegenseite gezogen.
7
b) Zwar wird im Schrifttum die Ansicht vertreten, es komme auf den Berufungsantrag an, den der Berufungskläger zur Entscheidung des Berufungsgerichts stelle; der Wert dieses Begehrens sei dann nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt der Berufungseinlegung zu bemessen (MünchKomm-ZPO/ Rimmelspacher, 3. Aufl. § 511 Rn. 55). Dies führt jedoch im vorliegenden Fall zu keinem abweichenden Ergebnis.
8
Das Berufungsbegehren des Beklagten richtet sich - nachdem die Klägerin in der Berufungsinstanz ihre Klage auf Feststellung ihrer Forderungen zur Insolvenztabelle umgestellt hat - darauf, das Berufungsgericht möge die Forderung der Klägerin nicht zur Tabelle feststellen. Nach der vorgenannten Ansicht wäre also darauf abzustellen, was die von der Klägerin verfolgten Forderungen im Zeitpunkt der Berufungseinlegung - im August 2002 - wert gewesen sind. Da das Insolvenzverfahren erst am 1. April 2004 eröffnet worden ist, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Forderungen bereits im August 2002 wertlos waren.
9
2. Die Berufung ist auch nicht wegen Wegfalls des Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig geworden.
10
a) Allerdings kann - entgegen der Ansicht der Revision - das Fehlen des Rechtsschutzbedürfnisses ausnahmsweise zur Unzulässigkeit eines Rechtsmittels führen. Die Entscheidung BGHZ 57, 224, 225, auf welche die Revision sich beruft, besagt nichts anderes. Gemeint sind damit jedoch regelmäßig die Rechtsmittel eines Anspruchstellers (BGHZ aaO; BGH, Beschl. v. 2. Februar 2006 - IX ZB 78/04, NZI 2006, 250, 251). Handelt es sich um das Rechtsmittel einer Person, die zu Unrecht in Anspruch genommen worden ist, ist deren Interesse an der formellen Beseitigung eines stattgebenden Erkenntnisses grundsätzlich auch dann rechtlich schützenswert, wenn dieses sie materiell nicht belastet. Ein solcher Fall ist im Übrigen kaum vorstellbar, weil der Rechtsmittelführer jedenfalls durch die Kostenentscheidung betroffen wird.
11
b) Selbst wenn die voraussichtliche Quote Null beträgt, kann dem Begehren des Insolvenzverwalters, die Feststellung einer für unberechtigt gehaltenen Forderung zur Tabelle abzuwehren, das Rechtsschutzbedürfnis auch aus anderen Gründen nicht abgesprochen werden. Dem auf Feststellung zur Insolvenztabelle klagenden Gläubiger wird bei fehlender Quotenaussicht das allgemeine Rechtsschutzinteresse nicht abgesprochen; spiegelbildlich muss für den Verwalter , der unberechtigte Feststellungsbegehren abwehren will, dasselbe gelten.
12
aa) Ein dem Interesse der Insolvenzgläubiger an der Feststellung ihrer Forderungen zur Tabelle korrespondierendes Interesse des Insolvenzverwalters an dem Unterbleiben dieser Feststellung folgt aus dem mit der Feststellung verbundenen Recht auf Teilhabe an der Masse (MünchKommInsO /Schumacher, 2. Aufl. § 179 Rn. 9; Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 179 Rn. 11; HmbK-InsO/Herchen, 2. Aufl. § 179 Rn. 17 f; Häsemeyer, Insolvenzrecht 4. Aufl. Rn. 22.03).

13
Dass es aus der Masse nichts an die Insolvenzgläubiger zu verteilen gibt, kann nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden. Nicht selten gelingt es den Insolvenzverwaltern, in anfänglich masselosen Verfahren - etwa im Wege von Anfechtungen - Masse zu generieren. Für solche Fälle, in denen sich später Masse herausstellt, sieht das Gesetz eine Nachtragsverteilung (§ 203 InsO) vor. Schon die nicht auszuschließende Aussicht auf eine solche rechtfertigt selbst bei zunächst masselosen Verfahren das Feststellungsinteresse für eine Klage nach § 180 InsO und umgekehrt das Interesse des Insolvenzverwalter an der Verteidigung gegen diese.
14
bb) Das Rechtsschutzinteresse für die Feststellungsklage und - umgekehrt - für die Verteidigung des Insolvenzverwalters gegen eine solche kann auch deswegen nicht verneint werden, weil die Feststellung des Bestehens der Forderung das Insolvenzteilnahmerecht sichert (Uhlenbruck, aaO). Selbst in masselosen Verfahren haben die Insolvenzgläubiger ein rechtlich schützenswertes Interesse, an einem geordnet durchgeführten Insolvenzverfahren teilzunehmen. Immerhin wird in diesem Verfahren möglicherweise auch darüber entschieden , ob ihre Forderungen von der Restschuldbefreiung erfasst werden (vgl. § 301 Abs. 1 Satz 2 InsO). Wären sie von der Teilnahme an dem Verfahren ausgeschlossen, weil sie die Feststellung ihrer bestrittenen Forderungen zur Tabelle nicht durchsetzen können, wenn die Quote voraussichtlich Null beträgt , könnte ihre Forderung durch die Restschuldbefreiung undurchsetzbar werden, ohne dass sie die Möglichkeit hatten, ihren Standpunkt hierzu vorzutragen. Dadurch wäre das Grundrecht der Gläubiger bestrittener Forderungen auf effektiven Rechtsschutz in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verletzt.
15
Dem Interesse der Insolvenzgläubiger im Hinblick auf ihr Teilnahmerecht entspricht auf Seiten des Insolvenzverwalters das Interesse, dass an dem von ihm betriebenen Verfahren alle Gläubiger teilnehmen, die eine Insolvenzforderung gegen den Schuldner haben, aber eben nur diese, nicht solche Personen, die sich eines derartigen Anspruchs zu Unrecht berühmen.
Ganter Kayser Gehrlein
Vill Fischer
Vorinstanzen:
LG Neubrandenburg, Entscheidung vom 08.07.2002 - 3 O 347/00 -
OLG Rostock, Entscheidung vom 28.12.2006 - 7 U 132/02 -
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(1) Die Berufung findet gegen die im ersten Rechtszug erlassenen Endurteile statt. (2) Die Berufung ist nur zulässig, wenn1.der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt oder2.das Gericht des ersten Rechtszuges die Berufung im Urteil zu

(1) Ist eine Forderung vom Insolvenzverwalter oder von einem Insolvenzgläubiger bestritten worden, so bleibt es dem Gläubiger überlassen, die Feststellung gegen den Bestreitenden zu betreiben. (2) Liegt für eine solche Forderung ein vollstreckbar
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(1) Die Berufung findet gegen die im ersten Rechtszug erlassenen Endurteile statt. (2) Die Berufung ist nur zulässig, wenn1.der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt oder2.das Gericht des ersten Rechtszuges die Berufung im Urteil zu

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(1) Ist eine Forderung vom Insolvenzverwalter oder von einem Insolvenzgläubiger bestritten worden, so bleibt es dem Gläubiger überlassen, die Feststellung gegen den Bestreitenden zu betreiben.

(2) Liegt für eine solche Forderung ein vollstreckbarer Schuldtitel oder ein Endurteil vor, so obliegt es dem Bestreitenden, den Widerspruch zu verfolgen.

(3) Das Insolvenzgericht erteilt dem Gläubiger, dessen Forderung bestritten worden ist, einen beglaubigten Auszug aus der Tabelle. Im Falle des Absatzes 2 erhält auch der Bestreitende einen solchen Auszug. Die Gläubiger, deren Forderungen festgestellt worden sind, werden nicht benachrichtigt; hierauf sollen die Gläubiger vor dem Prüfungstermin hingewiesen werden.

(1) Auf die Feststellung ist im ordentlichen Verfahren Klage zu erheben. Für die Klage ist das Amtsgericht ausschließlich zuständig, bei dem das Insolvenzverfahren anhängig ist oder anhängig war. Gehört der Streitgegenstand nicht zur Zuständigkeit der Amtsgerichte, so ist das Landgericht ausschließlich zuständig, zu dessen Bezirk das Insolvenzgericht gehört.

(2) War zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Rechtsstreit über die Forderung anhängig, so ist die Feststellung durch Aufnahme des Rechtsstreits zu betreiben.

(1) Die Berufung findet gegen die im ersten Rechtszug erlassenen Endurteile statt.

(2) Die Berufung ist nur zulässig, wenn

1.
der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt oder
2.
das Gericht des ersten Rechtszuges die Berufung im Urteil zugelassen hat.

(3) Der Berufungskläger hat den Wert nach Absatz 2 Nr. 1 glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides statt darf er nicht zugelassen werden.

(4) Das Gericht des ersten Rechtszuges lässt die Berufung zu, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und
2.
die Partei durch das Urteil mit nicht mehr als 600 Euro beschwert ist.
Das Berufungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Auf Antrag des Insolvenzverwalters oder eines Insolvenzgläubigers oder von Amts wegen ordnet das Insolvenzgericht eine Nachtragsverteilung an, wenn nach dem Schlußtermin

1.
zurückbehaltene Beträge für die Verteilung frei werden,
2.
Beträge, die aus der Insolvenzmasse gezahlt sind, zurückfließen oder
3.
Gegenstände der Masse ermittelt werden.

(2) Die Aufhebung des Verfahrens steht der Anordnung einer Nachtragsverteilung nicht entgegen.

(3) Das Gericht kann von der Anordnung absehen und den zur Verfügung stehenden Betrag oder den ermittelten Gegenstand dem Schuldner überlassen, wenn dies mit Rücksicht auf die Geringfügigkeit des Betrags oder den geringen Wert des Gegenstands und die Kosten einer Nachtragsverteilung angemessen erscheint. Es kann die Anordnung davon abhängig machen, daß ein Geldbetrag vorgeschossen wird, der die Kosten der Nachtragsverteilung deckt.

(1) Auf die Feststellung ist im ordentlichen Verfahren Klage zu erheben. Für die Klage ist das Amtsgericht ausschließlich zuständig, bei dem das Insolvenzverfahren anhängig ist oder anhängig war. Gehört der Streitgegenstand nicht zur Zuständigkeit der Amtsgerichte, so ist das Landgericht ausschließlich zuständig, zu dessen Bezirk das Insolvenzgericht gehört.

(2) War zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Rechtsstreit über die Forderung anhängig, so ist die Feststellung durch Aufnahme des Rechtsstreits zu betreiben.

(1) Wird die Restschuldbefreiung erteilt, so wirkt sie gegen alle Insolvenzgläubiger. Dies gilt auch für Gläubiger, die ihre Forderungen nicht angemeldet haben.

(2) Die Rechte der Insolvenzgläubiger gegen Mitschuldner und Bürgen des Schuldners sowie die Rechte dieser Gläubiger aus einer zu ihrer Sicherung eingetragenen Vormerkung oder aus einem Recht, das im Insolvenzverfahren zur abgesonderten Befriedigung berechtigt, werden durch die Restschuldbefreiung nicht berührt. Der Schuldner wird jedoch gegenüber dem Mitschuldner, dem Bürgen oder anderen Rückgriffsberechtigten in gleicher Weise befreit wie gegenüber den Insolvenzgläubigern.

(3) Wird ein Gläubiger befriedigt, obwohl er auf Grund der Restschuldbefreiung keine Befriedigung zu beanspruchen hat, so begründet dies keine Pflicht zur Rückgewähr des Erlangten.

(4) Ein allein aufgrund der Insolvenz des Schuldners erlassenes Verbot, eine gewerbliche, geschäftliche, handwerkliche oder freiberufliche Tätigkeit aufzunehmen oder auszuüben, tritt mit Rechtskraft der Erteilung der Restschuldbefreiung außer Kraft. Satz 1 gilt nicht für die Versagung und die Aufhebung einer Zulassung zu einer erlaubnispflichtigen Tätigkeit.