BGH IV ZR 54/14
Gericht
Richter
Tenor
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Die Revision gegen das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 10. Januar 2014 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
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Von Rechts wegen
Tatbestand
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Der Kläger begehrt Versicherungsleistungen aus einer bei der Beklagten unterhaltenen Krankentagegeldversicherung, mit der ein Krankentagegeld in Höhe von 120 € täglich versichert ist und der die Musterbedingungen 2008 des Verbandes der privaten Krankenversicherung (MB/KT 2008, im Folgenden nur MB/KT) zugrunde liegen.
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In § 1 Teil I dieser Bedingungen heißt es unter anderem:
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"(1) Der Versicherer bietet Versicherungsschutz gegen Verdienstausfall als Folge von Krankheiten oder Unfällen, soweit dadurch Arbeitsunfähigkeit verursacht wird. Er zahlt im Versicherungsfall für die Dauer einer Arbeitsunfähigkeit ein Krankentagegeld in vertraglichem Umfang.
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(2) Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen, in deren Verlauf Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird. Der Versicherungsfall beginnt mit der Heilbehandlung; er endet, wenn nach medizinischem Befund keine Arbeitsunfähigkeit und keine Behandlungsbedürftigkeit mehr bestehen. …
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(3) Arbeitsunfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen liegt vor, wenn die versicherte Person ihre berufliche Tätigkeit nach medizinischem Befund vorübergehend in keiner Weise ausüben kann, sie auch nicht ausübt und keiner anderweitigen Erwerbstätigkeit nachgeht.
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…"
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Der Kläger war in der Zeit vom 16. September 2009 bis zum 30. April 2010 wegen eines Burn-Out-Syndroms arbeitsunfähig krankgeschrieben. Bereits ab dem 1. April 2010 wurde er jedoch nach dem "Hamburger Modell" stufenweise wieder in den Arbeitsprozess eingegliedert. Dabei arbeitete er in den ersten beiden Wochen drei Stunden, in der dritten und vierten Woche sechs Stunden am Tag. Auch in dieser Zeit bezog er keinen Lohn, sondern ausschließlich Krankengeld.
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Mit der Klage hat der Kläger Krankentagegeld für die gesamte Zeit seiner Krankschreibung in Höhe von 24.840 € beansprucht. Das Landgericht hat der Klage unter Berücksichtigung einer vereinbarten Karenzzeit von 42 Tagen für die Zeit bis zum 31. März 2010 in Höhe von 18.600 € stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Die Berufung, mit der der Kläger die Zahlung weiterer 3.600 € für April 2010 begehrt hat, ist erfolglos geblieben. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision.
Entscheidungsgründe
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Die Revision hat keinen Erfolg.
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I. Das Berufungsgericht, dessen Urteil unter anderem in VersR 2014, 576 veröffentlicht ist, hat ausgeführt, dass im Monat April 2010 keine bedingungsgemäße Arbeitsunfähigkeit des Klägers vorgelegen habe, weil er seine bisherige berufliche Tätigkeit im Rahmen der Wiedereingliederungsmaßnahme jedenfalls tatsächlich ausgeübt habe.
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Es habe sich nicht um einen bloßen Arbeitsversuch des Klägers gehandelt. Dagegen sprächen Umfang und Regelmäßigkeit der ausgeübten Tätigkeit. Ferner setze die stufenweise Wiedereingliederung nach § 74 SGB V voraus, dass der Versicherte nach ärztlicher Feststellung seine bisherige Tätigkeit teilweise verrichten könne und eine entsprechende Belastbarkeit vorhanden sei. Unerheblich sei demgegenüber, dass der Kläger kein Arbeitsentgelt erhalten, sondern weiterhin Krankengeld bezogen habe; nach den Versicherungsbedingungen komme es nicht auf den Verlust des Arbeitseinkommens an, sondern vielmehr darauf, dass der Versicherungsnehmer seine berufliche Tätigkeit nicht ausübe. Ebenso stünden der Charakter der Krankentagegeldversicherung und ihr sozialer Schutzzweck einer Einordnung der beruflichen Wiedereingliederung als Berufsausübung nicht entgegen.
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II. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.
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Zu Recht hat das Berufungsgericht eine Arbeitsunfähigkeit des Klägers i.S. von § 1 (3) MB/KT für den Monat April 2010 verneint, weil er in dieser Zeit seine berufliche Tätigkeit, wenn auch in eingeschränktem Umfang, ausgeübt hat. Damit fehlt es für diesen Zeitraum an bedingungsgemäßer Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Leistungsanspruch nach § 1 (1) Satz 2 MB/KT.
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1. Bereits eine nur zum Teil gegebene Arbeitsfähigkeit genügt, um den Anspruch auf Krankentagegeld auszuschließen, sofern der Versicherte seinem Beruf in seiner konkreten Ausgestaltung teilweise nachgehen kann oder tatsächlich nachgeht (Senatsurteile vom 3. April 2013 - IV ZR 239/11, VersR 2013, 615 Rn. 13; vom 25. November 1992 - IV ZR 187/91, VersR 1993, 297 unter II 1). Soweit es dabei um die Bewertung einer vom Versicherten tatsächlich ausgeübten Tätigkeit geht, ist nur entscheidend, ob die fragliche Tätigkeit nach ihrer Art der zuletzt konkret ausgeübten beruflichen Tätigkeit zuzuordnen ist (Senatsurteil vom 18. Juli 2007 - IV ZR 129/06, VersR 2007, 1260 Rn. 19).
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2. Zu Recht ist das Berufungsgericht danach zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger im Rahmen der Wiedereingliederungsmaßnahme eine berufliche Tätigkeit im Sinne von § 1 (3) MB/KT ausgeübt hat, weil es auf den Umfang der Tätigkeit nicht ankommt, wie eine Auslegung der Klausel ergibt (Senatsurteil vom 18. Juli 2007 aaO Rn. 24 ff.).
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a) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung des Senats so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch seine Interessen an. In erster Linie ist vom Wortlaut der jeweiligen Klausel auszugehen (Senatsurteile vom 10. Dezember 2014 - IV ZR 281/14, VersR 2015, 182 Rn. 12 f.; vom 23. Juni 1993 - IV ZR 135/92, BGHZ 123, 83, 85; st. Rspr.). Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (Senatsurteile vom 8. Oktober 2014 - IV ZR 16/13, VersR 2014, 1367 Rn. 16; vom 25. Juli 2012 - IV ZR 201/10, VersR 2012, 1149 Rn. 21 m.w.N.; st. Rspr.).
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b) Dem Wortlaut der Regelung in § 1 (3) MB/KT wird der Versicherungsnehmer zunächst entnehmen, dass es für die Frage seiner Arbeitsunfähigkeit allein darauf ankommt, ob er zur Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit auch nur teilweise in der Lage ist oder diese jedenfalls in Teilbereichen ausübt.
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Ob hiervon eine Ausnahme bei bloßen Arbeitsversuchen - insbesondere solchen zu therapeutischen Zwecken - zu machen ist (so LG Hannover, VersR 1991, 1281; offen gelassen im Senatsurteil vom 3. Oktober 1984 - IVa ZR 76/83, VersR 1985, 54 unter II 3; vgl. auch Senatsurteil vom 18. Juli 2007 - IV ZR 129/06, VersR 2007, 1260 Rn. 31 ff.), bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Anders als die Revision meint, erbrachte der Kläger seine Tätigkeit im Rahmen der Wiedereingliederungsmaßnahme nach den nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts nicht im Rahmen eines solchen Arbeitsversuchs.
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Unstreitig ist der Kläger in diesem Monat an seinem Arbeitsplatz bei seinem Arbeitgeber in zeitlich begrenztem Umfang inhaltlich derselben Tätigkeit nachgegangen, die er dort bereits vor seiner Erkrankung ausgeübt hatte.
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Bei der Wiedereingliederung i.S. von § 74 SGB V handelt es sich um eine stufenweise Wiederaufnahme der vorherigen Berufstätigkeit, die die Fähigkeit, diese Tätigkeit teilweise verrichten zu können, voraussetzt und bei der es allein darum geht, den Arbeitnehmer schonend, aber kontinuierlich wieder an die Belastungen seines Arbeitsplatzes heranzuführen (Hess in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 74 SGB V Rn. 2 Stand Dezember 2014). Eine solche Tätigkeit des Arbeitnehmers stellt deshalb keinen bloßen Arbeitsversuch dar; sie ist ungeachtet ihrer zeitlichen Reduzierung und unbeschadet einer im Einzelfall fehlenden Lohnzahlung als Ausübung beruflicher Tätigkeit zu qualifizieren. Dafür spricht, dass sie auch im Falle zunächst fehlender Lohnzahlung durch das stufenweise Heranführen der Vorbereitung der vollständigen Arbeitsaufnahme im Beruf gegen Entgeltzahlungen des Arbeitgebers dient.
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Soweit § 1 (3) MB/KT auch auf eine anderweitige Erwerbstätigkeit des Versicherten abstellt, betrifft dies ersichtlich nur Tätigkeiten außerhalb des zuletzt ausgeübten Berufs. Daraus kann der Versicherungsnehmer nicht darauf schließen, dass es selbst bei der Ausübung von Tätigkeiten, die zu seinem Berufsfeld gehören, auf ein hierfür gezahltes Entgelt oder dessen Höhe ankommen soll. Vielmehr entfällt der Anspruch nach dem Wortlaut der Regelung, wenn er seinem Beruf in der konkreten Ausgestaltung auch nur teilweise nachgeht.
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c) Eine davon abweichende Beurteilung ist nicht aufgrund des Sinn und Zwecks der Regelung geboten.
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aa) Allerdings verfolgt die Krankentagegeldversicherung grundsätzlich den Zweck, den Versicherungsnehmer vor Verdienstausfall durch Arbeitsunfähigkeit als Folge von Krankheiten oder Unfällen zu schützen. Dieser Zweck ist in § 1 (1) Satz 1 MB/KT ausdrücklich niedergelegt. Insoweit dient die Versicherung auch der sozialen Absicherung erwerbstätiger Personen (Senatsurteil vom 22. Januar 1992 - IV ZR 59/91, BGHZ 117, 92, 95).
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bb) Auch der durchschnittliche Versicherungsnehmer kann jedoch erkennen, dass mit ihr kein umfassender Schutz gegen jegliche Einkommenseinbußen bezweckt wird. Dies ergibt sich schon daraus, dass der Versicherungsschutz erst bei vollständiger Arbeitsunfähigkeit eingreift, während bereits eine nur zum Teil bestehende Arbeitsfähigkeit typischerweise ebenfalls Einkommenseinbußen mit sich bringt. Die Reichweite des vom Versicherer gebotenen Schutzes ist damit erkennbar nicht unmittelbar am Verdienstausfall ausgerichtet. Der Versicherungsanspruch orientiert sich nicht am tatsächlich erzielten Arbeitseinkommen, sondern ist rein tätigkeitsbezogen.
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Hat der Versicherungsnehmer seine Arbeitsfähigkeit im Anschluss an eine Erkrankung nach medizinischem Befund auch nur teilweise wiedererlangt, so entfällt aufgrund des ersten Merkmals des § 1 (3) MB/KT bereits damit der weitere Anspruch. Versicherungsschutz scheidet in diesen Fällen auch dann aus, wenn der Versicherungsnehmer tatsächlich nicht arbeitet und deshalb kein Geld verdient. Deshalb erfordern Sinn und Zweck der Versicherung nichts anderes, wenn der Versicherungsnehmer im Rahmen einer Maßnahme nach § 74 SGB V bereits teilweise wieder in seinem Beruf arbeitet, dabei aber noch kein Arbeitseinkommen erzielt. Der grundsätzlich verfolgte Zweck, dem Versicherungsnehmer, der infolge Erkrankung vorübergehend vollständig arbeitsunfähig gewesen ist, einen finanziellen Ausgleich für hierdurch entstandene Einkommensverluste zu gewähren, wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Leistungspflicht des Versicherers zu einem früheren Zeitpunkt endet als die Gehaltszahlungen des Arbeitgebers wieder einsetzen, weil der Arbeitnehmer an einer stufenweise Wiedereingliederung ins Arbeitsleben teilnimmt.
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d) Die gegenteilige Auffassung des Amtsgerichts Wiesbaden (VersR 1999, 1270), der auch ein Teil der Kommentarliteratur folgt (Wilmes in Bach/Moser, Private Krankenversicherung 4. Aufl. § 1 MB/KT Rn. 22; Voit in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. § 192 Rn. 192; Versicherungsrechts-Handbuch/Tschersich 2. Aufl. § 45 Rn. 95), erweist sich damit als unzutreffend.
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Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
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Lehmann Dr. Brockmöller
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Können arbeitsunfähige Versicherte nach ärztlicher Feststellung ihre bisherige Tätigkeit teilweise verrichten und können sie durch eine stufenweise Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit voraussichtlich besser wieder in das Erwerbsleben eingegliedert werden, soll der Arzt auf der Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit Art und Umfang der möglichen Tätigkeiten angeben und dabei in geeigneten Fällen die Stellungnahme des Betriebsarztes oder mit Zustimmung der Krankenkasse die Stellungnahme des Medizinischen Dienstes (§ 275) einholen. Spätestens ab einer Dauer der Arbeitsunfähigkeit von sechs Wochen hat die ärztliche Feststellung nach Satz 1 regelmäßig mit der Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit zu erfolgen. Der Gemeinsame Bundesausschuss legt in seinen Richtlinien nach § 92 bis zum 30. November 2019 das Verfahren zur regelmäßigen Feststellung über eine stufenweise Wiedereingliederung nach Satz 2 fest.