Bundesgerichtshof Urteil, 11. Juli 2007 - IV ZR 332/05
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Kläger Der fordert vom beklagten Rechtsanwalt Schadensersatz wegen schuldhafter Versäumnis der Frist des § 12 Abs. 3 VVG bei Erhebung einer Klage auf Versicherungsleistungen nach einem behaupteten Kfz-Diebstahl.
- 2
- seinen Für erstmals am 20. Juli 1998 zugelassenen Pkw BMW 525 TDS hielt der Kläger eine Kfz-Haftpflicht- und Vollkaskoversicherung bei der O. AG. Am 21. September 1999 erlitt das Fahrzeug einen Unfallschaden, für dessen Reparatur der Versicherer aus der Vollkaskoversicherung 7.835,18 DM leistete.
- 3
- Im Juni 2000 zeigte der Kläger dem Versicherer an, das Fahrzeug sei ihm am 2. Juni 2000 in P. gestohlen worden. Ein Trickdieb habe den Fahrzeugschlüssel an sich genommen, der während eines durch Reifenschaden erzwungenen Radwechsels im Kofferraumschloss gesteckt habe, und sei, als der Kläger gerade das ausgewechselte Rad in den Kofferraum habe legen wollen, unter Benutzung des Schlüssels plötzlich davongefahren.
- 4
- In den ihm daraufhin übersandten Fragebogen zur Schadensmeldung trug der Kläger zu der Frage nach Zeitpunkt und Umfang von Schäden von der Erstzulassung bis zur Entwendung (reparierte und unreparierte ) die Antwort "keine" ein. Der Versicherer lehnte Versicherungsleistungen wegen Verschweigens des Vorschadens und auch deshalb ab, weil der Kläger den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt habe. Das Ablehnungsschreiben ging dem Kläger am 30. Mai 2001 zu. Am 15. November 2001 reichte der vom Kläger beauftragte Beklagte beim Landgericht Klage auf Versicherungsleistungen in Höhe von 18.657,26 € ein. Die Klage wurde abgewiesen, weil der Anfang Dezember beim Kläger eingeforderte Gerichtskostenvorschuss erst am 13. März 2002 eingezahlt , die Klage deshalb nicht mehr "demnächst" im Sinne von § 167 ZPO zugestellt worden und die Frist des § 12 Abs. 3 VVG damit nicht gewahrt war.
- 5
- Wegen der genannten Klagforderung, ferner wegen der ihm im Vorprozess entstandenen Kosten in Höhe von 3.653,24 € nimmt der Kläger den Beklagten in Regress. Er meint, der Beklagte habe nicht ausreichend darauf geachtet, dass der Gerichtskostenvorschuss rechtzeitig eingezahlt und die Klage rechtzeitig zugestellt wurde.
- 6
- Der Beklagte hat eine Pflichtverletzung im Zusammenhang mit der Klagezustellung in Abrede gestellt. Unter anderem sei er davon überrascht worden, dass die Anforderung des Gebührenvorschusses, nach der er sich unstreitig zweimal telefonisch beim Landgericht erkundigt hatte , nicht unmittelbar an ihn, sondern an den Kläger persönlich übermittelt worden sei. Im Übrigen sei dem Kläger auch kein Schaden entstanden, weil der Versicherer infolge der falschen Angaben des Klägers zu dem Vorschaden und auch wegen dessen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls leistungsfrei gewesen sei.
- 7
- Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
- 8
- Die Revision hat Erfolg.
- 9
- I.DasBerufungsgerich t meint, dem Kläger sei schon deshalb kein Schaden entstanden, weil der Kaskoversicherer nach § 6 Abs. 3 VVG in Verbindung mit § 7 Nr. 5 Abs. 4 der hier maßgeblichen AKB leistungsfrei geworden sei, nachdem der Kläger den Vorschaden vom 21. September 1999 verschwiegen habe. Die gesetzliche Vermutung, dass die Aufklärungsobliegenheit vorsätzlich verletzt sei, habe der Kläger nicht widerlegt. Auch die nach der Relevanzrechtsprechung geforderten weiteren Voraussetzungen der Leistungsfreiheit seien erfüllt. Das Verschweigen des Vorschadens sei generell geeignet gewesen, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden. Daran ändere sich nichts dadurch, dass die Datenverwaltung des Versicherers so eingerichtet gewesen sei, dass bei Aufruf der für die Bearbeitung eines Schadens erforderlichen Schadenshauptmaske dem Sachbearbeiter automatisch die Zahl der Vorschäden eines versicherten Fahrzeugs angezeigt werde. Denn das entbinde den Versicherungsnehmer nicht von seiner Obliegenheit, bei der Schadensanzeige zutreffende Angaben zu machen. Gerade in Entwendungsfällen sei der Versicherer in besonderem Maße auf zutreffende Angaben des Versicherungsnehmers zum Wert des Fahrzeugs angewiesen , weil dieses regelmäßig nicht für eine Begutachtung zur Verfügung stehe. Dass eine generelle Weisung an die Sachbearbeiter des Versicherers ergangen sei, bei der Schadensbearbeitung vorhandene Datenbestände auf verzeichnete Vorschäden zu überprüfen, habe der Kläger nicht behauptet. Der Versicherer müsse sich nicht darauf verweisen lassen , notwendige Erkenntnisse über Vorschäden aus archivierten Unterlagen oder Datenbankbeständen zu ermitteln.
- 10
- Das Verschulden des Klägers sei auch ungeachtet einer späteren Korrektur seiner Angaben erheblich, denn diese Korrektur sei erst aufgrund eines Schreibens des Versicherers vom 21. Oktober 2000 und mithin nicht spontan, aus eigenem Antrieb und freiwillig erfolgt. Auch die dem Kläger erteilte Belehrung über die Rechtsfolgen einer vorsätzlichen folgenlosen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit genüge in Form und Inhalt den Anforderungen der Rechtsprechung.
- 11
- II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
- 12
- Das 1. Berufungsgericht hat zu Unrecht angenommen, das Verschweigen des vom Kaskoversicherer selbst regulierten Vorschadens in der Schadensmeldung führe zur Leistungsfreiheit des Versicherers.
- 13
- a) Der Senat hat bereits entschieden, dass Leistungsfreiheit des Versicherers wegen einer Verletzung der Aufklärungsobliegenheit nicht in Betracht kommt, wenn der Versicherungsnehmer bei der Schadensanzeige einen Umstand verschweigt, den der Versicherer bereits positiv kennt (Senatsurteil vom 26. Januar 2005 - IV ZR 239/03 - VersR 2005, 493 unter II 2 a). Denn Aufklärungsobliegenheiten - wie hier nach § 7 Nr. 5 Abs. 4 der AKB - dienen dem Zweck, den Versicherer in die Lage zu versetzen, sachgemäße Entschlüsse zu fassen. Fehlt das entsprechende Aufklärungsbedürfnis, weil der Versicherer einen maßgeblichen Umstand bereits kennt, so verletzen unzulängliche Angaben des Versicherungsnehmers über diesen Umstand keine schutzwürdigen Interessen des Versicherers und können deshalb die Sanktion der Leistungsfreiheit des Versicherers nicht rechtfertigen.
- 14
- b) Hat - wie hier - der Versicherer einen Vorschaden im Rahmen eines laufenden, auch für die neue Schadensmeldung maßgeblichen Versicherungsvertrages über einen bestimmten versicherten Gegenstand selbst reguliert, so kennt er diesen Vorschaden in seinen Einzelheiten.
Denn diese Kenntnis ist bei seinem mit der Schadensregulierung befassten Sachbearbeiter - und mithin beim Versicherer selbst - angefallen, und es bleibt im Weiteren allein eine Frage seiner innerbetrieblichen Organisation , wie er dieses Wissen auch anderen Sachbearbeitern zugänglich macht.
- 15
- 2. Das unterscheidet den Fall von anderen Fällen, in denen sich der Versicherungsnehmer lediglich darauf beruft, der Versicherer habe den von ihm verschwiegenen Sachverhalt zunächst zwar nicht positiv gekannt, jedoch entweder auf anderem Wege noch rechtzeitig erfahren oder sich die erforderlichen Kenntnisse jedenfalls anderweitig - etwa durch eine Dateiabfrage - verschaffen können (vgl. dazu Senatsurteil vom 17. Januar 2007 - IV ZR 106/06 - VersR 2007, 481; r+s 2007, 147 Tz. 15 f.). Den Versicherungsnehmer, der im Rahmen seiner Aufklärungsobliegenheit grundsätzlich verpflichtet ist, alles zu tun, was zur Sachaufklärung und zur Schadensminderung dienlich ist, entlastet es in solchen Fällen regelmäßig nicht, wenn sich für den Versicherer lediglich anderweitige Erkenntnismöglichkeiten ergeben. Denn diese lassen - anders als ein bereits sicher erworbenes Wissen - das Aufklärungsinteresse des Versicherers noch nicht entfallen (Senatsurteil vom 17. Januar 2007 aaO).
- 16
- 3. Die Sache bedarf insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung , sowohl zur Frage der anwaltlichen Pflichtverletzung wie auch der grobfahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalles.
Felsch Dr. Franke
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 13.10.2003 - 11 O 216/03 -
KG Berlin, Entscheidung vom 06.01.2005 - 27 U 451/03 -
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(1) Der Versicherer hat den Versicherungsnehmer, soweit nach der Schwierigkeit, die angebotene Versicherung zu beurteilen, oder der Person des Versicherungsnehmers und dessen Situation hierfür Anlass besteht, nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen und, auch unter Berücksichtigung eines angemessenen Verhältnisses zwischen Beratungsaufwand und der vom Versicherungsnehmer zu zahlenden Prämien, zu beraten sowie die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben. Er hat dies unter Berücksichtigung der Komplexität des angebotenen Versicherungsvertrags zu dokumentieren.
(2) Für die Übermittlung des erteilten Rats und der Gründe hierfür gilt § 6a.
(3) Der Versicherungsnehmer kann auf die Beratung und Dokumentation nach den Absätzen 1 und 2 durch eine gesonderte schriftliche Erklärung verzichten, in der er vom Versicherer ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass sich ein Verzicht nachteilig auf seine Möglichkeit auswirken kann, gegen den Versicherer einen Schadensersatzanspruch nach Absatz 5 geltend zu machen. Handelt es sich um einen Vertrag im Fernabsatz im Sinn des § 312c des Bürgerlichen Gesetzbuchs, kann der Versicherungsnehmer in Textform verzichten.
(4) Die Verpflichtung nach Absatz 1 Satz 1 besteht auch nach Vertragsschluss während der Dauer des Versicherungsverhältnisses, soweit für den Versicherer ein Anlass für eine Nachfrage und Beratung des Versicherungsnehmers erkennbar ist; Absatz 3 Satz 2 gilt entsprechend. Der Versicherungsnehmer kann im Einzelfall auf eine Beratung durch schriftliche Erklärung verzichten.
(5) Verletzt der Versicherer eine Verpflichtung nach Absatz 1, 2 oder 4, ist er dem Versicherungsnehmer zum Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verpflichtet. Dies gilt nicht, wenn der Versicherer die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.
(6) Die Absätze 1 bis 5 sind auf Versicherungsverträge über ein Großrisiko im Sinn des § 210 Absatz 2 nicht anzuwenden, ferner dann nicht, wenn der Vertrag mit dem Versicherungsnehmer von einem Versicherungsmakler vermittelt wird.
Als Versicherungsperiode gilt, falls nicht die Prämie nach kürzeren Zeitabschnitten bemessen ist, der Zeitraum eines Jahres.
Soll durch die Zustellung eine Frist gewahrt werden oder die Verjährung neu beginnen oder nach § 204 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gehemmt werden, tritt diese Wirkung bereits mit Eingang des Antrags oder der Erklärung ein, wenn die Zustellung demnächst erfolgt.
Als Versicherungsperiode gilt, falls nicht die Prämie nach kürzeren Zeitabschnitten bemessen ist, der Zeitraum eines Jahres.
(1) Der Versicherer hat den Versicherungsnehmer, soweit nach der Schwierigkeit, die angebotene Versicherung zu beurteilen, oder der Person des Versicherungsnehmers und dessen Situation hierfür Anlass besteht, nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen und, auch unter Berücksichtigung eines angemessenen Verhältnisses zwischen Beratungsaufwand und der vom Versicherungsnehmer zu zahlenden Prämien, zu beraten sowie die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben. Er hat dies unter Berücksichtigung der Komplexität des angebotenen Versicherungsvertrags zu dokumentieren.
(2) Für die Übermittlung des erteilten Rats und der Gründe hierfür gilt § 6a.
(3) Der Versicherungsnehmer kann auf die Beratung und Dokumentation nach den Absätzen 1 und 2 durch eine gesonderte schriftliche Erklärung verzichten, in der er vom Versicherer ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass sich ein Verzicht nachteilig auf seine Möglichkeit auswirken kann, gegen den Versicherer einen Schadensersatzanspruch nach Absatz 5 geltend zu machen. Handelt es sich um einen Vertrag im Fernabsatz im Sinn des § 312c des Bürgerlichen Gesetzbuchs, kann der Versicherungsnehmer in Textform verzichten.
(4) Die Verpflichtung nach Absatz 1 Satz 1 besteht auch nach Vertragsschluss während der Dauer des Versicherungsverhältnisses, soweit für den Versicherer ein Anlass für eine Nachfrage und Beratung des Versicherungsnehmers erkennbar ist; Absatz 3 Satz 2 gilt entsprechend. Der Versicherungsnehmer kann im Einzelfall auf eine Beratung durch schriftliche Erklärung verzichten.
(5) Verletzt der Versicherer eine Verpflichtung nach Absatz 1, 2 oder 4, ist er dem Versicherungsnehmer zum Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verpflichtet. Dies gilt nicht, wenn der Versicherer die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.
(6) Die Absätze 1 bis 5 sind auf Versicherungsverträge über ein Großrisiko im Sinn des § 210 Absatz 2 nicht anzuwenden, ferner dann nicht, wenn der Vertrag mit dem Versicherungsnehmer von einem Versicherungsmakler vermittelt wird.