Bundesgerichtshof Urteil, 28. Sept. 2005 - IV ZR 288/03
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.639,92 € nebst 5% Zinsen hierauf seit dem 28. März 2003 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Der Kläger, ein niedergelassener Arzt, unterhielt seit dem 31. August 1996 bei der Beklagten sowohl eine private Rechtsschutzversicherung für Selbständige ohne Arbeits- und Sozialgerichtsrechtsschutz als auch eine Berufsrechtsschutzversicherung für freiberuflich tätige Ärzte bei einer versicherten Tätigkeit als Allgemeinarzt. Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversi- cherung (ARB 94) zugrunde. Der Kläger fordert nach einem Sozialgerichts -Rechtsstreit mit der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern die Erstattung einer anwaltlichen Vergleichsgebühr.
- 2
- Nachdem die Kassenärztliche Vereinigung den Antrag des Klägers auf Erweiterung oder Aussetzung seines Praxis- und/oder Zusatzbudgets (zur Sicherstellung eines behaupteten besonderen Versorgungsbedarfs) zurückgewiesen hatte, hatte die Beklagte dem Kläger im Oktober 2000 für seine nach erfolglosem Widerspruchsverfahren beabsichtigte Klage vor dem Sozialgericht eine Deckungszusage erteilt. In der mündlichen Verhandlung vom 14. März 2002 schlossen die damaligen Parteien den nachfolgenden Vergleich: "I. Die Kassenärztliche Vereinigung Bayern verpflichtet sich, über den Widerspruch des Klägers vom 17. 10. 98 - begründet mit Schriftsatz vom 22.10.98 - nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Widerspruchsverfahrens erneut zu entscheiden. II. Der Kläger nimmt das Angebot an und erklärt im Gegenzug das Klageverfahren für erledigt. III. Die Parteien sind sich darüber einig, dass mit dem Abschluß des Vergleiches das anhängige Sozialgerichtsverfahren mit dem Aktenzeichen S ... in vollem Umfang erledigt ist."
- 3
- Den Gegenstandswert setzte das Sozialgericht auf 1 10.000 € fest.
- 4
- Der Kläger hat die von seinem damaligen Prozessbev ollmächtigten nach den §§ 11, 23 BRAGO erhobene Vergleichsgebühr von insgesamt 1.639,92 € (1.413,72 € zzgl. 16% MWSt) bezahlt. Die Beklagte meint, sie sei nicht verpflichtet, dem Kläger den genannten, der Höhe nach unstreitigen , Betrag zu erstatten, weil der Vergleich die Voraussetzungen des § 779 BGB insoweit nicht erfülle, als mit ihm der Streit und die Ungewissheit über das Ausgangsrechtsverhältnis nicht beseitigt worden seien.
- 5
- Dem haben sich die Vorinstanzen angeschlossen und die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
- 6
- Die Revision hat Erfolg. Der Kläger hat aus dem be i der Beklagten gehaltenen Rechtsschutzversicherungsvertrag nach § 24 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 i.V. mit § 2 lit. f und § 5 Abs. 1 lit. a ARB 94 einen Anspruch auf Erstattung der verauslagten anwaltlichen Vergleichsgebühr.
- 7
- I. Das Berufungsgericht meint demgegenüber, eine V ergleichsgebühr nach § 23 BRAGO sei deshalb nicht angefallen, weil ein Vergleich im Sinne von § 779 BGB nicht geschlossen worden sei. Die Vorschrift setze voraus, dass der Streit oder die Ungewissheit über das "Ausgangsrechtsverhältnis" , hier die Frage nach der vom Kläger angestrebten Budgetentlastung , beseitigt werde. Die Bereitschaft der Kassenärztlichen Vereinigung, ein neues Widerspruchsverfahren durchzuführen, habe dieses Ausgangsrechtsverhältnis aber unberührt gelassen, zumal im Vergleich keinerlei verbindliche Vorgaben für die neue Ermessensentscheidung niedergelegt seien. Allein die vereinbarte prozessuale Beendigung des Rechtsstreits vor dem Sozialgericht reiche für die Annahme eines Vergleichs im Sinne von § 23 BRAGO nicht aus.
- 8
- II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
- 9
- 1. Dem Berufungsgericht ist zwar darin zu folgen, dass nach dem hier gemäß den §§ 116 Abs. 2 BRAGO, 197a Abs. 1, 183 SGG anwendbaren § 23 BRAGO eine Vergleichsgebühr nur dann entsteht, wenn der Vergleich die Voraussetzungen des § 779 BGB erfüllt (vgl. BGHZ 39, 60, 62). Denn der Prozessvergleich hat eine Doppelnatur, weil er sowohl eine Prozesshandlung ist als auch ein Rechtsgeschäft im sachlichrechtlichen Sinne (BGH, Urteil vom 15. Januar 1985 - X ZR 16/83 - WM 1985, 673 unter I 1; BGHZ 79, 71, 74 m.w.N.; BVerwGE 84, 157 ff.).
- 10
- 2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts g enügt der hier in Rede stehende Vergleich jedoch den Voraussetzungen des § 779 BGB. Mit ihm ist der Streit und die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt worden.
- 11
- a) Dabei kann offen bleiben, ob es - wie die Revis ion meint - für einen Vergleich im Sinne von § 779 BGB schon ausreicht, dass mit ihm das Prozessrechtsverhältnis zwischen den Parteien des sozialgerichtlichen Rechtsstreits beendet worden ist. Denn jedenfalls ist hier mit der vergleichsweise getroffenen Regelung über die formale Beendigung des Rechtsstreits hinaus auch das so genannte Ausgangsrechtsverhältnis, das ist das die sozialrechtliche Frage der Budgetierung betreffende Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger und der Kassenärztlichen Vereinigung , berührt und in einem strittigen Punkt geregelt worden.
- 12
- Das Berufungsgericht hat in diesem Zusammenhang di e Bedeutung des von der Kassenärztlichen Vereinigung erlassenen und durch den Vergleich konkludent aufgehobenen Widerspruchsbescheides verkannt. Mit diesem Widerspruchsbescheid war eine der Bestandskraft fähige Einzelfallregelung über das Begehren des Klägers getroffen worden. Das insoweit zweistufige Klagebegehren war deshalb darauf gerichtet, zunächst diese den Kläger beschwerende Regelung aufzuheben und im Weiteren durch eine neue, dem Kläger günstigere Ermessensentscheidung zu ersetzen. Klageziel war damit ein so genanntes Bescheidungsurteil im Sinne von § 131 Abs. 5 SGG, mit welchem der beanstandete Widerspruchsbescheid aufgehoben und der Kassenärztlichen Vereinigung aufgegeben worden wäre, den Widerspruch des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Sozialgerichts erneut zu bescheiden.
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- Die im Vergleich getroffene Regelung bleibt dahint er zwar insoweit zurück, als sie keine Vorgaben für die neu zu treffende Widerspruchsentscheidung enthält. Dennoch hat es der Kläger erreicht, die ihn belastende Regelung aus dem angegriffenen Widerspruchsbescheid zu beseitigen und so die Chance für eine neue, ihm günstigere Entscheidung zu eröffnen. Damit war der Streit über die Wirksamkeit der im Widerspruchsbescheid getroffenen Regelung, die bis dahin den Inhalt des Ausgangsrechtsverhältnisses maßgeblich bestimmte, beigelegt. Eine solche teilweise Erledigung des Streitgegenstandes genügt den materiell -rechtlichen Voraussetzungen des § 779 BGB.
- 14
- b) Gegenseitiges Nachgeben im Sinne von § 779 BGB liegt schon dann vor, wenn die Parteien, um zur Einigung zu gelangen, überhaupt Zugeständnisse machen. Geringes Nachgeben auch im kleinsten Streitpunkt reicht insoweit aus (BGHZ 39, 60, 62 f. m.w.N.). Insbesondere kann genügen, dass eine Partei ihr prozessuales Ziel, eine der Rechtskraft fähige Entscheidung zu erhalten, aufgibt.
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- Daran gemessen haben die Parteien des Sozialgerich tsverfahrens im Prozessvergleich gegenseitig nachgegeben. Die damalige Beklagte hat das Ziel ihrer Rechtsverteidigung, die Bestandskraft des von ihr er- lassenen Widerspruchsbescheides eintreten zu lassen, aufgegeben, während umgekehrt der Kläger auf ihm günstige, sozialgerichtliche Vorgaben für das neue Widerspruchsverfahren verzichtet hat.
Felsch Dr. Franke
Vorinstanzen:
AG Wiesbaden, Entscheidung vom 26.06.2003 - 93 C 1091/03-19 -
LG Wiesbaden, Entscheidung vom 01.10.2003 - 10 S 24/03 -
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(1) Ein Vertrag, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird (Vergleich), ist unwirksam, wenn der nach dem Inhalt des Vertrags als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht und der Streit oder die Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde.
(2) Der Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis steht es gleich, wenn die Verwirklichung eines Anspruchs unsicher ist.
(1) Wird ein Verwaltungsakt oder ein Widerspruchsbescheid, der bereits vollzogen ist, aufgehoben, so kann das Gericht aussprechen, daß und in welcher Weise die Vollziehung des Verwaltungsakts rückgängig zu machen ist. Dies ist nur zulässig, wenn die Verwaltungsstelle rechtlich dazu in der Lage und diese Frage ohne weiteres in jeder Beziehung spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Hält das Gericht die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten Verwaltungsakts für begründet und diese Frage in jeder Beziehung für spruchreif, so ist im Urteil die Verpflichtung auszusprechen, den beantragten Verwaltungsakt zu erlassen. Im Übrigen gilt Absatz 3 entsprechend.
(3) Hält das Gericht die Unterlassung eines Verwaltungsakts für rechtswidrig, so ist im Urteil die Verpflichtung auszusprechen, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(4) Hält das Gericht eine Wahl im Sinne des § 57b oder eine Wahl zu den Selbstverwaltungsorganen der Kassenärztlichen Vereinigungen oder der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen ganz oder teilweise oder eine Ergänzung der Selbstverwaltungsorgane für ungültig, so spricht es dies im Urteil aus und bestimmt die Folgerungen, die sich aus der Ungültigkeit ergeben.
(5) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Satz 1 gilt auch bei Klagen auf Verurteilung zum Erlass eines Verwaltungsakts und bei Klagen nach § 54 Abs. 4; Absatz 3 ist entsprechend anzuwenden. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlass des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, dass Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluss kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(1) Ein Vertrag, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird (Vergleich), ist unwirksam, wenn der nach dem Inhalt des Vertrags als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht und der Streit oder die Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde.
(2) Der Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis steht es gleich, wenn die Verwirklichung eines Anspruchs unsicher ist.