Bundesgerichtshof Urteil, 16. März 2016 - IV ZR 224/14
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende Richterin Mayen, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, die Richter Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist bis zum 1. März 2016
für Recht erkannt:
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 8.518,07 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Die Klägerseite (Versicherungsnehmerin: im Folgenden d. VN) begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer fondsgebundenen Rentenversicherung.
- 2
- Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Versicherungsbeginn zum 1. November 2002 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) abgeschlossen. D. VN zahlte in der Folge die Versicherungsprämien. Mit Schreiben vom 12. Oktober 2010 erklärte d. VN unter anderem den Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F., hilfsweise die Kündigung des Vertrages. Der Versicherer akzeptierte die Kündigung und zahlte den Rückkaufswert abzüglich eines Policendarlehens aus.
- 3
- Mit der Klage verlangt d. VN Rückzahlung aller geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts.
- 4
- Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen, weil sie nicht ordnungsgemäß belehrt wurde. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Widerspruch noch erklärt werden können.
- 5
- Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt d. VN das Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
- 6
- Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
- 7
- I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. Der Versicherer habe zwar nicht ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht belehrt, weil der Hinweis auf die einzuhaltende Textform fehle. Der Vertrag sei aber gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie rückwirkend endgültig wirksam geworden.
- 8
- II. Die Revision ist begründet.
- 9
- 1. Ein Anspruch auf Prämienrückzahlung aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB kann d. VN nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung versagt werden.
- 10
- a) Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen. Der Widerspruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten Jahresfrist - rechtzeitig.
- 11
- aa) Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts belehrte der Versicherer d. VN nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht. Die Widerspruchsbelehrung in dem maßgeblichen Policenbegleitschreiben genügt diesen Anforderungen nicht, weil sie keinen Hinweis auf die nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG in der ab 1. August 2001 gültigen Fassung erforderliche, aber auch ausreichende Textform des Widerspruchs enthielt. Dieses Formerfordernis konnte d. VN entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung nicht aus der Formulierung entnehmen , dass zur Wahrung der Frist die rechtzeitige Absendung des Wi- derspruchs genüge (Senatsurteil vom 22. Juli 2015 - IV ZR 35/14, juris Rn. 12).
- 12
- Die Widerspruchsbelehrung genügt auch deswegen den Anforderungen des § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. nicht, weil sie den Fristbeginn nur an den Erhalt des Versicherungsscheins nicht aber auch an den Erhalt der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformation knüpft (vgl. Senatsurteil vom 29. Juli 2015 - IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104 Rn. 25 m.w.N.).
- 13
- Für einen solchen Fall bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt. Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunktder Widerspruchserklärung fort.
- 14
- Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR 2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.
- 15
- bb) Die hilfsweise Kündigung des Versicherungsvertrages steht dem Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).
- 16
- b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarechtswidrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur eine Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).
- 17
- 2. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien. Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.; vgl. auch Senatsurteile vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14, VersR 2015, 1101 und IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104).
- 18
- Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46) und dabei auch die Vorgaben der Senatsurteile vom 29. Juli 2015 (IV ZR 384/14, VersR 2015, 1101 Rn. 36 ff.; IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104 Rn. 34 ff.) sowie vom 11. November 2015 (IV ZR 513/14, VersR 2015, 33 Rn. 31 ff.) zu beachten haben.
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Aachen, Entscheidung vom 09.12.2011- 9 O 187/11 -
OLG Köln, Entscheidung vom 02.05.2014 - 20 U 12/12 -
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Annotations
(1) Die Parteien verhandeln über den Rechtsstreit vor dem erkennenden Gericht mündlich.
(2) Mit Zustimmung der Parteien, die nur bei einer wesentlichen Änderung der Prozesslage widerruflich ist, kann das Gericht eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung treffen. Es bestimmt alsbald den Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können, und den Termin zur Verkündung der Entscheidung. Eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ist unzulässig, wenn seit der Zustimmung der Parteien mehr als drei Monate verstrichen sind.
(3) Ist nur noch über die Kosten oder Nebenforderungen zu entscheiden, kann die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergehen.
(4) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.