Bundesgerichtshof Urteil, 10. Feb. 2016 - IV ZR 175/15

published on 10/02/2016 00:00
Bundesgerichtshof Urteil, 10. Feb. 2016 - IV ZR 175/15
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Landgericht Dresden, 8 O 1265/13, 16/04/2014
Oberlandesgericht Dresden, 4 U 786/14, 24/02/2015

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 175/15 Verkündet am:
10. Februar 2016
Schick
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
ECLI:DE:BGH:2016:100216UIVZR175.15.0

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende Richterin Mayen, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, die Richter Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftlichen Verfahren, bei dem Schriftsätze bis zum 20. Januar 2016 eingereicht werden konnten,

für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerseite gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 24. Februar 2015 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 5.001,36 € festgesetzt.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die Klägerseite (Versicherungsnehmerin: im Folgenden d. VN) begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer fondsgebundenen Rentenversicherung mit Todesfall-Zusatzversicherung.
2
Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Versicherungsbeginn zum 1. Dezember 2007 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) abgeschlossen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erhielt d. VN mit dem Versicherungsschein die Versicherungsbedingungen und eine Verbraucherinformation, die eine Belehrung über das Widerspruchsrecht nach § 5a VVG a.F. enthielt, sowie auf einem gesonderten Blatt ("Wichtige Hinweise") eine weitere Widerspruchsbelehrung.
3
D. VN leistete zunächst monatliche Beiträge in Höhe von 100 € und eine Sonderzahlung von 15.000 €, insgesamt 18.200 €. Nach einer Aussetzung der Beitragszahlung und einer Beitragsfreistellung erhielt d. VN 2011 Teilauszahlungen in Höhe von 6.000,17 € und in Höhe von 5.500,16 €.
4
Mit Schreiben vom 22. November 2012 und nochmals mit Schreiben vom 11. Januar 2013 erklärte d. VN unter anderem den Widerspruch nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F., hilfsweise die Kündigung des Vertrages. Der Versicherer akzeptierte die Kündigung, zahlte den Rückkaufswert von 5.696,49 € und erstattete einen Stornoabzug in Höhe von 289,28 €.
5
Mit der Klage hat d. VN Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Nutzungszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz abzüglich der Teilauszahlungen und des bereits gezahlten Rückkaufswertes, insgesamt 6.745,96 € verlangt.
6
Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Widerspruch noch erklärt werden können.
7
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat ihr in der Hauptsache in Höhe von 1.406,02 € stattgegeben. Mit der Revision verfolgt d. VN das Klagebegehren in Höhe von 5.001,36 € weiter.

Entscheidungsgründe:


8
Die Revision hat keinen Erfolg.
9
I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht d. VN dem Grunde nach ein Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Prämien sowie Herausgabe der Nutzungen aus ungerechtfertigter Bereicherung zu. Der W iderspruch sei wirksam gewesen, da die Widerspruchsbelehrung nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprochen habe. Die Belehrung auf dem Extrablatt zum Policenbegleitschreiben sei zwar drucktechnisch hervorgehoben durch Fettdruck. Sie entspreche aber inhaltlich nicht den Anforderungen des § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F., da nach ihrem Wortlaut der Lauf der Widerspruchsfrist innerhalb von 30 Tagen nach Erhalt des Versicherungsscheins beginne. Tatsächlich setze aber der Lauf der Frist die Übersendung des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbrauchinformation voraus. Insoweit komme es nicht darauf an, ob d. VN mit Übersendung des Versicherungsscheins auch die weiteren maßgeblichen Unterlagen mitübersandt worden seien. Es werde der unzutreffende Eindruck erweckt, dass allein mit der Übersendung des Versicherungsscheins die Frist beginne. Die Widerspruchsbelehrung sei auch nicht deshalb ausreichend, weil wegen der genauen Angaben über Beginn und Ablauf der Frist auf die Verbraucherinformation Bezug genommen werde. Dort werde zwar der Beginn der Frist zutreffend erklärt. Diese Belehrung befinde sich aber nicht an drucktechnisch hervorgehobener Stelle.
10
Die Jahresfrist des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sei nicht anwendbar. Die Vorschrift sei richtlinienkonform dahin auszulegen, dass sie bei Lebens- und Rentenversicherungen keine Anwendung finde.
11
D. VN habe Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Prämien in Höhe von 18.200 €. Des Weiteren könne sie die von dem Versicherer zugestandenen Nutzungen in Höhe von 725,84 € und 15,86 € ersetzt verlangen. Darüber hinausgehende Nutzungen habe sie nicht schlüssig dargelegt. Sie habe sich darauf beschränkt, die gezogenen Nutzungen mit einem effektiven Zinssatz von 6,0579% zu errechnen. Es fehle an einer Grundlage für die tatsächliche Vermutung, dass Nutzungen jedenfalls in dieser Höhe gezogen worden seien. Die Einholung eines versicherungsmathematischen Sachverständigengutachtens oder eine Auskunft der BaFin komme daher nicht in Betracht. Auch eine Schätzung auf Basis der üblichen gesetzlichen Verzinsung oder auf Grundlage der in der Versicherungswirtschaft üblicherweise erzielten Rendite sei nicht möglich. Im Übrigen lasse sich die Entwicklung der Fonds auch aus allgemein zugänglichen Quellen ermitteln. Außerdem könne bei Berechnung der gezogenen Nutzungen nur auf denjenigen Anteil abgestellt werden, der tatsächlich angelegt worden sei. Zwar seien Verwaltungs- und Abschlusskosten im Rahmen der vom Versicherer geltend gemachten Entreicherung nicht abzugsfähig. Sie seien aber angefallen und hätten zur Erwirtschaftung von Gewinnen nicht zur Verfügung gestanden.
12
Von den Prämien seien die Zahlungen des Versicherers in Höhe von 17.486,10 € in Abzug zu bringen und die Risikoanteile für den Versicherungsschutz während der Laufzeit des Vertrages anzurechnen. Der Versicherer habe den Risikoanteil für die Hauptversicherung mit 28,58 € und für die Todesfall-Zusatzversicherung mit 20,80 € beziffert; diese Beträge habe d. VN unstreitig gestellt.
13
II. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
14
Einen - mit der Revision allein weiterverfolgten - Anspruch auf weitere Nutzungszinsen gemäß § 818 Abs. 1 BGB hat das Berufungsgericht mit zutreffender Begründung abgelehnt.
15
1. Entgegen der Auffassung des Versicherers hat es dem Grunde nach zu Recht die bereicherungsrechtlichen Voraussetzungen bejaht. Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen. Der Widerspruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten Jahresfrist - rechtzeitig.
16
a) Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts belehrte der Versicherer d. VN nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht. Anders als der Versicherer mit seiner Gegenrüge geltend macht, ist die drucktechnisch hervorgehobene Belehrung in dem Extrablatt unzureichend und damit fehlerhaft, weil sie entgegen § 5a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. für den Fristbeginn allein auf den Erhalt des Versicherungsscheins, nicht aber auch der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformation abstellt. Insoweit ist ohne Belang, dass d. VN zusammen mit dem Versicherungsschein auch die übrigen erforderlichen Unterlagen zugingen und der Fristbeginn in der Belehrung damit faktisch richtig angegeben worden war (vgl. Senatsurteil vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14, VersR 2015, 1101 Rn. 27). Die weitere Widerspruchsbelehrung in der Verbraucherinformation erklärt zwar den Fristbeginn zutreffend, ist aber drucktechnisch nicht hervorgehoben.
17
b) Für einen solchen Fall einer nicht ordnungsgemäßen Belehrung bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt.
18
Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort. Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR 2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.
19
2. Einen weitergehenden Anspruch auf Nutzungszinsen gemäß § 818 Abs. 1 BGB hat das Berufungsgericht d. VN ohne Rechtsfehler versagt.
20
Es ist zutreffend davon ausgegangen, dass nach § 818 Abs. 1 Alt. 1 BGB nur die Nutzungen herauszugeben sind, die vom Bereicherungsschuldner tatsächlich gezogen wurden (Senatsurteile vom 11. November 2015 - IV ZR 513/14, VersR 2016, 33 Rn. 41; vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14 aaO Rn. 46; IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104 Rn. 51; jeweils m.w.N.). Zudem können, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, bei der Bestimmung der gezogenen Nutzungen die gezahlten Prämien nicht in voller Höhe Berücksichtigung finden (Senatsurteil vom 11. November 2015 aaO Rn. 41 ff.). Nutzungen aus dem Risikoanteil, der dem Versicherer als Wertersatz für den von d. VN faktisch genossenen Versicherungsschutz verbleibt, stehen d. VN nicht zu (vgl. Senatsurteil vom 11. November 2015 aaO Rn. 42). Auch hinsichtlich des auf die Abschluss- und Verwaltungskosten entfallenden Prämienanteils hat das Berufungsgericht jedenfalls im Ergebnis zutreffend eine Verpflichtung der Beklagten zur Herausgabe von Nutzungen abgelehnt. Der auf die Abschlusskosten entfallende Prämienanteil bleibt für Nutzungsersatzansprüche außer Betracht. Mangels abweichender Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass der Versicherer diesen Prämienanteil nicht zur Kapitalanlage nutzen konnte (vgl. Senatsurteil vom 11. November 2015 aaO Rn. 44 f.).
21
Hinsichtlich des Verwaltungskostenanteils der Prämien kann nicht vermutet werden, dass der Versicherer Nutzungszinsen in bestimmter Höhe erzielt hat. Insoweit hat das Berufungsgericht zu Recht die Darlegungs - und Beweislast beim Versicherungsnehmer gesehen und ihm ei- nen entsprechenden Tatsachenvortrag abverlangt, der nicht ohne Bezug zur Ertragslage des jeweiligen Versicherers auf eine tatsächliche Vermutung einer Gewinnerzielung in bestimmter Höhe - etwa in Höhe der hier von d. VN verlangten Zinsen von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz - gestützt werden kann (vgl. Senatsurteil vom 11. November 2015 aaO Rn. 46 ff.). Diesen Anforderungen genügt der Vortrag d. VN nicht; sie hat nur allgemein vorgetragen, alle deutschen Lebensversicherer hätten zwischen 2000 und 2013 eine durchschnittliche Nettoverzinsung von 4,88% erwirtschaftet.
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Dresden, Entscheidung vom 16.04.2014- 8 O 1265/13 -
OLG Dresden, Entscheidung vom 24.02.2015- 4 U 786/14 -
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(1) Die Verpflichtung zur Herausgabe erstreckt sich auf die gezogenen Nutzungen sowie auf dasjenige, was der Empfänger auf Grund eines erlangten Rechts oder als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung des erlangten Gegenstands erwirbt
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(1) Die Verpflichtung zur Herausgabe erstreckt sich auf die gezogenen Nutzungen sowie auf dasjenige, was der Empfänger auf Grund eines erlangten Rechts oder als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung des erlangten Gegenstands erwirbt.

(2) Ist die Herausgabe wegen der Beschaffenheit des Erlangten nicht möglich oder ist der Empfänger aus einem anderen Grunde zur Herausgabe außerstande, so hat er den Wert zu ersetzen.

(3) Die Verpflichtung zur Herausgabe oder zum Ersatz des Wertes ist ausgeschlossen, soweit der Empfänger nicht mehr bereichert ist.

(4) Von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an haftet der Empfänger nach den allgemeinen Vorschriften.