Bundesgerichtshof Urteil, 09. Jan. 2013 - 5 StR 395/12

published on 09/01/2013 00:00
Bundesgerichtshof Urteil, 09. Jan. 2013 - 5 StR 395/12
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate
5 StR 395/12

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 9. Januar 2013
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. Januar
2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dölp,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt F.
als Verteidiger,
Rechtsanwältin E.
als Nebenklägervertreterin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 12. März 2012 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Die Schwurgerichtskammer hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt.
2
Während die auch vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft zum Schuldspruch keinen Erfolg hat, führt ihr Rechtsmittel mit der Sachrüge aber zur Aufhebung des Strafausspruchs.
3
1. Zum Tatgeschehen in den frühen Morgenstunden des 12. Juli 2011 hat das Landgericht folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
a) Der Angeklagte und der gesondert verfolgte O. befanden sich mit zwei Prostituierten auf dem Weg zu deren Appartements. Dabei wurden sie von dem Zeugen B. , der zu einer Gruppe von weiteren drei Personen gehörte, despektierlich angesprochen. Da sich der Angeklagte und O. hierdurch in ihrer Ehre angegriffen fühlten, entspann sich zunächst ein Wortgefecht, das wenig später in eine Schlägerei ausartete. Der Angeklagte , dem es darauf ankam, die gegnerische Gruppe zu bestrafen, sah, wie O. zu Boden ging und dabei weiter geschlagen und getreten wurde. Es gelang ihm, sich von seinem Kontrahenten loszureißen. Während der Angeklagte die Absicht hatte, zu O. zu gelangen, bemerkte er den mit dem Kopf auf den Gehwegplatten liegenden, den stark betrunkenen (BAK 4,1 ‰) Nebenkläger K. . Da dieser ebenfalls zur gegnerischen Gruppe gehörte, lief der bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,8 ‰ enthemmte Angeklagte zwei bis drei Schritte auf den Nebenkläger zu und trat ihm mit Verletzungsvorsatz „wuchtig von oben nach unten“ (UA S. 5) auf den Kopf. Der Nebenkläger blieb sofort reglos liegen. Es bildete sich eine Blutlache unter dem Kopf und aus einem Ohr lief ebenfalls Blut. Als der Angeklagte dies bemerkte, „hielt er sofort wie erschrocken inne“ (UA S. 6). Die Schläge- rei hörte abrupt auf, weil auch die Umstehenden wahrgenommen hatten, dass der Nebenkläger möglicherweise tödlich verletzt worden sein konnte. Der Angeklagte bewegte sich darauf einige Schritte rückwärts und flüchtete.
5
Der Nebenkläger erlitt durch den Tritt einen Bruch des Gehörgangbodens , eine Fraktur der Kiefergelenkpfanne und eine Schädelbasisfraktur. Nach einem fünftägigen Krankenhausaufenthalt war er sechs Wochen arbeitsunfähig. Dauerhafte Folgeschäden sind indes, soweit ersichtlich, nicht zu erwarten.
6
b) Trotz der „brutalen“ und „unfairen“ Vorgehensweise (UA S. 12) hat das Landgericht einen Tötungsvorsatz des Angeklagten verneint, weil eine lebensgefährdende Handlungsweise nicht zwingend die Annahme eines Tötungsvorsatzes nach sich ziehe. Es lägen in diesem Falle vielmehr mit dem dynamischen Kampfgeschehen Umstände vor, die dem entgegenstünden. Darüber hinaus habe der Angeklagte auch nicht die Angriffsart zum entscheidenden (Tötungs-)Schlag gewechselt. Im Übrigen habe nicht festgestellt werden können, ob der Angeklagte die Wucht des spontanen Trittes „genauer“ (UA S. 13) abgemessen habe und ob ihm diese Überlegung in der vorliegenden Situation überhaupt möglich gewesen sei. Schließlich spreche die unmittelbare Reaktion des Angeklagten schon nach dem einzigen Tritt – seinerschrocken wirkendes Innehalten – für eine nicht bedachte bzw. un- terschätzte Handlung.
7
c) Bei der Bemessung der Höhe der Freiheitsstrafe war für die Schwurgerichtskammer entscheidend, dass der zuvor zwar 2004 einschlägig zu einer Bewährungsstrafe von acht Monaten verurteilte Angeklagte seitdem nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten ist und ihn die mehr als sechs Monate dauernde, wenn auch nicht erstmalige Untersuchungshaft durch die Versäumung der Geburt seines Kindes erheblich getroffen hat.
8
2. Die Ablehnung des Tötungsvorsatzes durch das Landgericht begegnet entgegen der Meinung der Staatsanwaltschaft keinen Bedenken.
9
Zwar liegt es, was die Schwurgerichtskammer nicht verkennt, bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe, dass der Täter mit Tötungsvorsatz handelt. Denn in derartigen Fällen ist in der Regel ein Schluss von der objektiven Gefährlichkeit der Handlungen eines Täters auf seine innere Einstellung im Sinne eines bedingten Tötungsvorsatzes zu ziehen (vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 – 5 StR 360/11, NStZ 2012, 207 mwN). Trotz dieses gewichtigen Beweisanzeichens ist aber in einer Gesamtschau auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut hat, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Mai 2011 – 1 StR 179/11, StV 2012, 89, 90, und Urteil vom 15. April 1997 – 1 StR 144/97, NStZRR 1997, 233). Diese Gesamtschau hat das Landgericht im Rahmen möglicher und damit revisionsrechtlich hinzunehmender Beweiswürdigung rechtsfehlerfrei vorgenommen. Es hat in seine Überlegungen nicht nur das dynamische Kampfgeschehen im Allgemeinen, sondern auch die spontane Handlungsweise des Angeklagten gegenüber dem Nebenkläger eingestellt. In diesem Zusammenhang ist es im Rahmen tatrichterlicher Beweiswürdigung vom Revisionsgericht hinzunehmen, dass die Schwurgerichtskammer das Tatgeschehen als einheitlichen dynamischen Verlauf gewertet und entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft die Situation des Nebenklägers nicht isoliert betrachtet hat. Nach den Feststellungen gehörte der Nebenkläger zu der gegnerischen Gruppe und lag lediglich zwei bis drei Schritte (UA S. 5) von den in weiterer körperlicher Auseinandersetzung befindlichen Gruppenmitgliedern entfernt auf dem Boden. Darüber hinaus hat das Landgericht die Tatausführung (ein Tritt) sowie das Nachtatverhalten des Angeklagten (erschrockenes Innehalten – UA S. 6) in den Blick genommen und damit insgesamt Gegebenheiten gewürdigt, die das Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes nachvollziehbar fraglich erscheinen lassen und lediglich die Annahme eines Körperverletzungsvorsatzes rechtfertigen.
10
3. Allerdings hält der Strafausspruch sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand. Entscheidend für dessen Aufhebung ist, dass nach den Feststellungen der Schwurgerichtskammer zur Schwere der Tat und zu ihren Folgen bei dem von § 224 Abs. 1 StGB vorgesehenen Regelstrafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe die verhängte Freiheitsstrafe von zwei Jahren zur Bewährung unvertretbar milde ist. Damit ist dem maßgeblichen Erschwerungsgrund der brutalen Tatausführung gegenüber dem auf dem Boden liegenden, hoch alkoholisierten, außer Gefecht gesetzten Nebenkläger , zudem eingedenk des der Auseinandersetzung zugrunde liegenden nichtigen Anlasses, nicht ausreichend Rechnung getragen. Daran än- dern auch die hier vorliegenden einfachen Milderungsgründe wie das Geständnis des Angeklagten und seine Tatspontanität nichts. Dies gilt auch, wenn man es noch als hinnehmbar ansieht, die (erneut) erlittene Untersuchungshaft in diesem Fall als weiteren Strafmilderungsgrund heranziehen zu können. Denn damit hat sich das Landgericht den Blick für die gewichtige Tatschwere verstellt. Bei einem Tatbild im – hier gegebenen – Grenzbereich zwischen bedingtem Tötungsvorsatz und bewusster oder gröbster Fahrlässigkeit in Bezug auf eine mögliche Todesfolge ist ein erheblicher Unterschied im konkreten Strafmaß zwischen Verurteilungen wegen versuchten Totschlags und wegen bloßer gefährlicher Körperverletzung – wie im Fall des Todeserfolgs zwischen Verurteilungen wegen Totschlags und wegen Körperverletzung mit Todesfolge – regelmäßig nicht gerechtfertigt (vgl. BGH, Urteile vom 4. Oktober 1999 – 5 StR 712/98, BGHSt 45, 219, 227, und vom 26. Januar 2005 – 5 StR 290/04, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 59).
11
Ob, wie die Staatsanwaltschaft meint, bei der Bestimmung der Höhe der Strafe in diesem Falle auch generalpräventive Überlegungen hätten einfließen müssen (zur generellen Zulässigkeit vgl. BGH, Beschluss vom 5. April 2005 – 4 StR 95/05, StV 2005, 387, 388 mwN), braucht der Senat nicht zu entscheiden. Eine gemeinschaftsgefährdende Zunahme solcher oder ähnlicher Taten ist vom Landgericht nicht festgestellt worden; sie ist auch nicht offenkundig (vgl. dagegen Pfeiffer, Die Macht der gefühlten Kriminalität, Forschung /Gesellschaft, Centaur 2/2011, S. 14 ff.; Kriminalitätsfurcht, Strafbedürfnisse und wahrgenommene Kriminalitätsentwicklung, Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen, Forschungsbericht 117, S. 145 ff.).
12
Der Senat verweist die Sache an eine allgemeine Strafkammer gemäß § 74 Abs. 1 GVG, weil nunmehr die Zuständigkeit der Schwurgerichtskammer nicht mehr gegeben ist. Das neue Tatgericht wird für seine Rechtsfolgenentscheidung insbesondere erneut Feststellungen zum Ausmaß der Beeinträchtigung der Hemmungsfähigkeit des Angeklagten bei Tatbegehung und zur Frage einer etwa vom Angeklagten bemerkten Mitwirkung des Nebenklägers an der Eskalation des unmittelbaren Vorgeschehens zu treffen haben.
Basdorf Raum Schneider Dölp Bellay
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Annotations

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

(1) Die Strafkammern sind als erkennende Gerichte des ersten Rechtszuges zuständig für alle Verbrechen, die nicht zur Zuständigkeit des Amtsgerichts oder des Oberlandesgerichts gehören. Sie sind auch zuständig für alle Straftaten, bei denen eine höhere Strafe als vier Jahre Freiheitsstrafe oder die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, allein oder neben einer Strafe, oder in der Sicherungsverwahrung zu erwarten ist oder bei denen die Staatsanwaltschaft in den Fällen des § 24 Abs. 1 Nr. 3 Anklage beim Landgericht erhebt.

(2) Für die Verbrechen

1.
des sexuellen Missbrauchs von Kindern mit Todesfolge (§ 176d des Strafgesetzbuches),
2.
des sexuellen Übergriffs, der sexuellen Nötigung und Vergewaltigung mit Todesfolge (§ 178 des Strafgesetzbuches),
3.
des Mordes (§ 211 des Strafgesetzbuches),
4.
des Totschlags (§ 212 des Strafgesetzbuches),
5.
(weggefallen)
6.
der Aussetzung mit Todesfolge (§ 221 Abs. 3 des Strafgesetzbuches),
7.
der Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 des Strafgesetzbuches),
8.
der Entziehung Minderjähriger mit Todesfolge (§ 235 Abs. 5 des Strafgesetzbuches),
8a.
der Nachstellung mit Todesfolge (§ 238 Absatz 3 des Strafgesetzbuches),
9.
der Freiheitsberaubung mit Todesfolge (§ 239 Abs. 4 des Strafgesetzbuches),
10.
des erpresserischen Menschenraubes mit Todesfolge (§ 239a Absatz 3 des Strafgesetzbuches),
11.
der Geiselnahme mit Todesfolge (§ 239b Abs. 2 in Verbindung mit § 239a Absatz 3 des Strafgesetzbuches),
12.
des Raubes mit Todesfolge (§ 251 des Strafgesetzbuches),
13.
des räuberischen Diebstahls mit Todesfolge (§ 252 in Verbindung mit § 251 des Strafgesetzbuches),
14.
der räuberischen Erpressung mit Todesfolge (§ 255 in Verbindung mit § 251 des Strafgesetzbuches),
15.
der Brandstiftung mit Todesfolge (§ 306c des Strafgesetzbuches),
16.
des Herbeiführens einer Explosion durch Kernenergie (§ 307 Abs. 1 bis 3 des Strafgesetzbuches),
17.
des Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion mit Todesfolge (§ 308 Abs. 3 des Strafgesetzbuches),
18.
des Mißbrauchs ionisierender Strahlen gegenüber einer unübersehbaren Zahl von Menschen (§ 309 Abs. 2 und 4 des Strafgesetzbuches),
19.
der fehlerhaften Herstellung einer kerntechnischen Anlage mit Todesfolge (§ 312 Abs. 4 des Strafgesetzbuches),
20.
des Herbeiführens einer Überschwemmung mit Todesfolge (§ 313 in Verbindung mit § 308 Abs. 3 des Strafgesetzbuches),
21.
der gemeingefährlichen Vergiftung mit Todesfolge (§ 314 in Verbindung mit § 308 Abs. 3 des Strafgesetzbuches),
22.
des räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer mit Todesfolge (§ 316a Abs. 3 des Strafgesetzbuches),
23.
des Angriffs auf den Luft- und Seeverkehr mit Todesfolge (§ 316c Abs. 3 des Strafgesetzbuches),
24.
der Beschädigung wichtiger Anlagen mit Todesfolge (§ 318 Abs. 4 des Strafgesetzbuches),
25.
einer vorsätzlichen Umweltstraftat mit Todesfolge (§ 330 Abs. 2 Nr. 2 des Strafgesetzbuches),
26.
der schweren Gefährdung durch Freisetzen von Giften mit Todesfolge (§ 330a Absatz 2 des Strafgesetzbuches),
27.
der Körperverletzung im Amt mit Todesfolge (§ 340 Absatz 3 in Verbindung mit § 227 des Strafgesetzbuches),
28.
des Abgebens, Verabreichens oder Überlassens von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch mit Todesfolge (§ 30 Absatz 1 Nummer 3 des Betäubungsmittelgesetzes),
29.
des Einschleusens mit Todesfolge (§ 97 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes)
ist eine Strafkammer als Schwurgericht zuständig. § 120 bleibt unberührt.

(3) Die Strafkammern sind außerdem zuständig für die Verhandlung und Entscheidung über das Rechtsmittel der Berufung gegen die Urteile des Strafrichters und des Schöffengerichts.