Bundesgerichtshof Urteil, 17. Juli 2019 - 5 StR 130/19
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17. Juli 2019, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. König, Dr. Berger, Prof. Dr. Mosbacher, Köhler
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Amtsrätin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
a) in den Strafaussprüchen für die Taten des schweren Bandendiebstahls gemäß II.1 bis 14 der Urteilsgründe sowie im Gesamtstrafausspruch und
b) im Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Bandendiebstahls in 14 Fällen, davon in 13 Fällen in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis, und wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es 5.000 Euro als „Wertersatz“ eingezogen. Die gegen die Einzie- hungsentscheidung gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg, führt jedoch zugunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) auch zu der aus dem Tenor ersichtlichen Aufhebung des Strafausspruchs.
- 2
- 1. Das Landgericht hat festgestellt:
- 3
- Der Angeklagte war zu den Tatzeiten Mitglied einer international organsierten polnischen Bande, die in Deutschland hochwertige Kraftwagen entwendete und nach Polen verbrachte. Gemäß der Bandenabrede reisten jeweils mindestens zwei Bandenmitglieder in der Nacht nach Deutschland ein und suchten in nicht weit von der Autobahn entfernten „guten“ Wohngegenden nach wertvollen Kraftfahrzeugen, die frei auf nicht umzäunten Hausgrundstücken standen und über das „Keyless-Go-System“ verfügten. Ein Bandenmitglied scannte mit einem Funkstreckenverlängerer die Hauswand, um das Signal ei- nes im Haus befindlichen Autoschlüssels aufzunehmen und zu „verlängern“. Währenddessen stand ein anderes Bandenmitglied an der Tür des ins Auge gefassten Kraftwagens, um das Signal mit einem technischen Gerät „aufzufan- gen“, damit die Tür zu öffnen und den Motor zu starten. Ein als Fahrer fungie- rendes Bandenmitglied steuerte das Auto mit Hilfe eines voreingestellten mobilen Navigationsgeräts vom Tatort zur Verwertung in Polen.
- 4
- In 13 der verfahrensgegenständlichen 14 Taten des schweren Bandendiebstahls war dem nicht über eine Fahrerlaubnis verfügenden Angeklagten zumindest die Funktion des Fahrers zugewiesen. Im Zeitraum vom 15. Juni bis 20. November 2017 verbrachte er elf Kraftwagen im Wert zwischen 21.632 Euro und 150.000 Euro nach Polen, von denen jedoch einer aus ungeklärten Gründen vor der Übergabe verbrannte. In den weiteren Fällen erlitt er mit einem BMW X5 (Zeitwert etwa 75.000 Euro) kurz vor der polnischen Grenze einen Unfall, bei dem das Auto liegenblieb, bzw. ließ er einen gestohlenen Mer- cedes AMG (Wert 80.000 Euro) auf seiner Flucht vor der Polizei in Thüringen zurück.
- 5
- In den zehn Fällen erfolgreicher Übergabe in Polen erhielt der Angeklagte als Entlohnung einen „Anteil an der Beute“ von jeweils 500 Euro, mithin insgesamt 5.000 Euro.
- 6
- 2. Das Landgericht hat die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe des „Gesamtlohns“ des Angeklagten von 5.000 € angeordnet. Nur inso- weit habe der Angeklagte „etwas“ im Sinne von § 73 Abs. 1 StGB erlangt. Hingegen scheide eine Einziehung des Wertes der entwendeten Kraftwagen aus. Zwar habe er Mitverfügungsgewalt über die Fahrzeuge gehabt. Jedoch habe sich diese auf die vorgegebenen Strecken bis zum Übergabeort beschränkt. Dieser kurzzeitige und vorübergehende Zustand genüge nicht, um einen „Vermögenszufluss“ beim Angeklagten annehmen zu können.
- 7
- 3. Die Einziehungsentscheidung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
- 8
- a) Gemäß ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Vermögenswert im Rechtssinne aus der Tat erlangt, wenn er dem Beteiligten in irgendeiner Phase des Tatablaufs unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestands so zugeflossen ist, dass er hierüber tatsächliche Verfügungsgewalt ausüben kann (vgl. BGH, Urteile vom 30. Mai 2008 – 1 StR 166/07, BGHSt 52, 227, 246; vom 28. Oktober 2010 – 4 StR 215/10, BGHSt 56, 39, 45 f.; vom 24. Mai 2018 – 5 StR 623/17 und 624/17, jeweils mwN). Bei mehreren Beteiligten genügt insofern, dass sie zumindest eine faktische Mitverfügungsmacht über den Vermögensgegenstand erlangt haben. Das ist der Fall, wenn sie im Sinne eines rein tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses ungehinderten Zugriff auf diesen nehmen können (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 2018 – 5 StR 645/17, NStZ-RR 2018, 278, 279 mwN). Eine spätere Aufgabe der Mitverfügungsgewalt ist unerheblich (vgl. BGH Urteil vom 2. Juli 2015 – 3 StR 157/15, NStZ-RR 2015, 310, 311).
- 9
- b) Nach diesen Maßstäben hat der Angeklagte die Kraftwagen im Sinne von § 73 Abs. 1 StGB durch die jeweiligen Taten erlangt. Er hatte während der Überführungsfahrten die faktische Herrschaft über und damit ungehinderten Zugriff auf die Fahrzeuge. Angesichts der alleine vom Angeklagten durchgeführten Transporte, der Fahrstrecken von oftmals mehreren hundert Kilometern und der daraus resultierenden langen Fahrzeiten waren ihm diese Autos auch nicht nur kurzfristig und „transitorisch“ überlassen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. August 2018 – 2 StR 311/18, NStZ 2019, 20, 21).
- 10
- c) Da die für die Einziehungsentscheidung relevanten Fahrzeugwerte bislang nicht durch eine Beweiswürdigung belegt sind (vgl. unten 4.a), hebt der Senat die entsprechenden Feststellungen auf (§ 353 Abs. 2 StPO).
- 11
- d) Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass bei Einziehung der jeweiligen Fahrzeugwerte die an den Angeklagten ausgekehrten Entlohnungen aus der Tatbeute nicht zusätzlich eingezogen werden dürfen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. August 2018 − 2 StR 311/18, aaO).
- 12
- 4. Die von der Staatsanwaltschaft vorgenommene Beschränkung des Rechtsmittels auf die Einziehungsentscheidung ist unwirksam. Denn zwischen dieser und dem nicht rechtsfehlerfrei getroffenen Strafausspruch besteht ein untrennbarer Zusammenhang.
- 13
a) Das Landgericht hat die Bemessung der für die Taten des schweren Bandendiebstahls verhängten Strafen wesentlich am Wert der entwendeten Kraftwagen ausgerichtet (UA S. 22). Den Urteilsgründen lässt sich jedoch nicht entnehmen, auf welche Weise es den insoweit maßgebenden Zeitwert ermittelt hat und ob – wofür etwa die vielfach in Cent-Angaben aufgeführten Werte sprechen könnten – etwa die jeweiligen Kaufpreise übernommen wurden. Auch zum Alter und zum Zustand der Autos verhält sich das Urteil nicht. Der Senat kann daher nicht ausschließen, dass das Landgericht zu hohe Kraftfahrzeugwerte zugrunde gelegt und in der Folge zu hohe Strafen verhängt hat.
- 14
- b) Es würde den Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Feststellungen verletzen, wenn womöglich für die Strafbemessung andere Kraftfahrzeugwerte angesetzt würden als für die Einziehung. Die für die genannten Taten verhängten Strafen sowie die Gesamtstrafe waren deshalb mit den zugehörigen Feststellungen zugunsten des Angeklagten auch (vgl. den Senatsbeschluss vom heutigen Tage in dieser Sache) auf die Revision der Staatsanwaltschaft aufzuheben (§ 301 StPO).
Mosbacher Köhler
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Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.
(1) Hat der Täter oder Teilnehmer durch eine rechtswidrige Tat oder für sie etwas erlangt, so ordnet das Gericht dessen Einziehung an.
(2) Hat der Täter oder Teilnehmer Nutzungen aus dem Erlangten gezogen, so ordnet das Gericht auch deren Einziehung an.
(3) Das Gericht kann auch die Einziehung der Gegenstände anordnen, die der Täter oder Teilnehmer erworben hat
Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.