Bundesgerichtshof Urteil, 05. Apr. 2017 - 2 StR 593/16

bei uns veröffentlicht am05.04.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 593/16
vom
5. April 2017
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:050417U2STR593.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 5. April 2017, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Krehl als Vorsitzender,
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Eschelbach, Zeng, Richterin am Bundesgerichtshof Wimmer, Richter am Bundesgerichtshof Dr. Grube,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung, Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 23. Juni 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Die Anklage der Staatsanwaltschaft legte dem Angeklagten zur Last, sich gemeinsam mit den früheren Mitangeklagten G. , R. , Z. und dem gesondert verfolgten Gu. im Zeitraum zwischen August 2012 und 24. Oktober 2013 des gewerbsmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge strafbar gemacht zu haben, wobei er als Mitglied einer Bande gehandelt haben soll.
2
Mit insoweit rechtskräftigem Urteil vom 14. August 2014 hat das Landgericht den damaligen Mitangeklagten G. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt und die weiteren damaligen Mitangeklagten R. und Z. freigesprochen. Den Angeklagten verurteilte das Landgericht wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Auf die Revision des Angeklagten hob der Senat das Urteil, soweit es ihn betraf, mit den Feststellungen auf und wies die Sache zu neuer Verhandlung an eine andere große Strafkammer des Landgerichts zurück (Senat, Beschluss vom 9. Juli 2015 – 2 StR 58/15, NStZ-RR 2015, 343). Das Landgericht hat den Angeklagten nunmehr freigesprochen und angeordnet, dass er für die erlittene Freiheitsentziehung zu entschädigen sei. Dagegen wendet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtmittel hat Erfolg.

I.

3
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts reiste der aus Albanien stammende Angeklagte am 13. März 2013 nach Deutschland ein und lebte anschließend zusammen mit dem früheren Mitangeklagten G. in dessen Mietwohnung in A. . G. hatte sich im Februar 2013 entschlossen, Albanien zu verlassen und nach Deutschland zu gehen, weil die Familie eines getöteten Landsmannes gegen ihn die Blutrache („Kanun“) ausgerufen hatte und er um sein Leben fürchtete. Er hatte daraufhin den mit ihm weitläufig verwandten Angeklagten gebeten, ihm in Deutschland zur Seite zu stehen.
4
Am 1. Mai 2013 wurde G. in Ro. festgenommen und am 30. Juli 2013 aus den Niederlanden nach Albanien abgeschoben. Am 13. Oktober 2013 kehrte er nach A. in die Wohnung zurück. Der Angeklagte blieb nach der Festnahme G. s in A. . Am 5. September 2013 reiste er nach Albanien aus, kam jedoch am 4. Oktober 2013 wieder nach A. zurück.
5
Am Morgen des 24. Oktober 2013 wurde in dem u.a. gegen G. und den Angeklagten geführten Ermittlungsverfahren die Wohnung G. s in A. durchsucht. Zunächst drangen polizeiliche Spezialkräfte ein und nahmen die dort angetroffenen Personen in Gewahrsam. Während sich G. mit R. in einen Raum befand, wurden der Angeklagte sowie Z. und Ra. in einem zweiten Raum, jeweils auf Matratzen schlafend, angetroffen. In diesem zweiten Raum stand ein großer Kleiderschrank mit sieben Türen und vier Abteilen. Die bei der Durchsuchung eingesetzten Beamten des Zolls verlangten die Ausweise der Angetroffenen und versuchten zu erfragen, wer den Kleiderschrank nutzt. Da die angetroffenen Personen, sämtlich Albaner, kein Deutsch verstanden und ein Dolmetscher nicht vor Ort war, verständigte man sich „mit Händen und Füßen“. Vielleicht auf die Frage nach dem Ausweis, viel- leicht auf die Frage nach der Schranknutzung zeigte der Angeklagte ohne verbale Erläuterung auf die äußere rechte Tür des Kleiderschranks, der an keiner Stelle abgeschlossen war. Nachdem die fünf in der Wohnung angetroffenen Männer zur weiteren Vernehmung zur Dienststelle transportiert worden waren, fanden die Beamten bei der Durchsuchung der Wohnung in dem Teil des Schrankes, auf den der Angeklagte gezeigt hatte, dessen albanischen Personalausweis sowie zehn Kokain-Briefchen mit insgesamt 8,69 Gramm Kokain und einem Wirkstoffgehalt von 7,18 Gramm Kokainhydrochlorid. Die konkrete Auffindesituation konnte mangels hinreichender Dokumentation nicht mehr rekonstruiert werden.
6
Insgesamt wurden bei der Durchsuchung in unterschiedlichen Bereichen der Wohnung 211,9 Gramm Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von 174,48 Gramm Kokainhydrochlorid und 755,2 Gramm Cannabisharz miteinem Wirkstoffgehalt von 19,7 Gramm Tetrahydrocannabinol aufgefunden,die G. kurz nach seiner Rückkehr aus Albanien zum gewinnbringenden Weiterverkauf von namentlich nicht ermittelten Bekannten erworben hatte. Auf verschiedenen bei der Durchsuchung sichergestellten Gegenständen wurden daktyloskopische und DNA-Spuren gefunden; auf einer Betäubungsmittelverpackung wurden die Fingerabdrücke des Angeklagten nachgewiesen.
7
2. Das Landgericht hat sich weder davon überzeugen können, dass der Angeklagte täterschaftlich mit Betäubungsmitteln gehandelt, noch dass er zu den Drogengeschäften des G. Beihilfe geleistet hat, und hat ihn daheraus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
8
Der Angeklagte hat sich eingelassen, er habe sich auf Bitten der Familie des G. auch nach dessen Verhaftung um die Wohnung gekümmert und quasi „Urlaub“ in A. gemacht. Nach der Abschiebung des G. habe er sich überwiegend in K. aufgehalten. Im Oktober 2013 sei er nach zwischenzeitlicher Ausreise nach Albanien nur deshalb wieder nach A. gekommen, um die Wohnung für G. zu halten, bis dieser nach Deutschland zurückkeh- re. Danach sei er quasi von seiner „Aufgabe“ entbunden gewesen und habe seine Rückkehr nach Albanien vorbereitet. G. habe ihm zwar gesagt, dass er in das Drogengeschäft einsteigen wolle und hierfür Kokain gekauft habe, er habe ihm aber entgegnet, dass er nichts davon halte. Später habe er von G. erfahren, dass dieser Kokain in der Wohnung deponiert habe. Mit dessen Verkauf habe er aber nichts zu tun gehabt. Es sei möglich, dass er einmal eine Betäubungsmittelverpackung angefasst habe. Die in dem Schrankfach gefundenen Kokain-Briefchen gehörten nicht ihm und seien auch nicht von ihm dort gelagert worden. Dass er am Tag der Durchsuchung nochmals in der Wohnung in A. geschlafen habe, sei nur Zufall gewesen.
9
Die Strafkammer sah die Einlassung des Angeklagten als nicht zu widerlegen an. Dass der Angeklagte in irgendeiner Weise fördernd an den Drogengeschäften des G. beteiligt war, lasse sich nicht feststellen. Es seilediglich gesichert, dass der Angeklagte von diesen Geschäften gewusst habe. Der frühere Mitangeklagte G. habe sich in seiner Einlassung, welche die Darstellung des Angeklagten bestätigte, dazu bekannt, die Betäubungsmittel in der gesamten Wohnung und damit auch im Kleiderschrank deponiert zu haben. Was der Angeklagte damit zum Ausdruck habe bringen wollen, als er auf die äußere rechte Hälfte des Schrankes gezeigt habe, sei nicht aufzuklären gewesen. Ebenso wenig sei eine Zuordnung der vorhandenen Schrankfächer zu den angetroffenen Personen möglich gewesen.

II.

10
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Die Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
11
1. Die Beweiswürdigung ist dem Tatgericht vorbehalten (§ 261 StPO). Es obliegt allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt nur, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 13. Juli 2016 – 1 StR 94/16, juris). Die Überzeugung des Tatgerichts muss in den Feststellungen und der sie tragenden Beweiswürdigung allerdings eine ausreichende objektive Grundlage finden. Auch im Falle eines Freispruchs des Angeklagten ist das Tatgericht verpflichtet, die wesentlichen Beweismittel im Rahmen seiner Beweiswürdigung heranzuziehen und einer erschöpfenden Würdigung zu unterziehen. Insbesondere in Fällen, in denen nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung ein erheblicher Tatverdacht gegen den Angeklagten besteht, ist es erforderlich, in die Beweiswürdigung und ihre Darlegung in den Urteilsgründen alle wesentlichen gegen den Angeklagten sprechenden Umstände einzubeziehen und sie einer umfassenden Gesamtwürdigung zu unterziehen (vgl. BGH, Urteil vom 11. November 2015 – 1 StR 235/15, NStZ-RR 2016, 47, 48; Urteil vom 28. Oktober 2010 – 4 StR 285/10, insoweit nicht abgedruckt in NStZ-RR 2011, 50).
12
2. An diesen Maßstäben gemessen hält die tatrichterliche Beweiswürdigung rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Beweiserwägungen sind lückenhaft.
13
a) Bereits die bei der Durchsuchung vorgefundene Wohnsituation hätte der Erörterung bedurft. Wie die Strafkammer festgestellt hat, wurden in der „un- terwohnt wirkenden“ Wohnung, die nur über eine provisorische Küche verfügte und in der sich an diversen Stellen (offen und versteckt) Drogen und Feinwaagen befanden, fünf auf Matratzen schlafende Personen angetroffen, denen nur vier Schrankabtrennungen zur Verfügung standen. Diese Umstände hätten es geboten, sich mit der vom Angeklagten behaupteten Zwecksetzung der Wohnung , für den Mitangeklagten G. eine dauerhafte Bleibe in Deutschland zu bilden, auseinanderzusetzen.
14
b) Zwar hat die Strafkammer ausdrücklich eine Gesamtwürdigung der Beweise vorgenommen. Dabei hat das Landgericht aber den wesentlichen belastenden Umstand nicht gewürdigt, dass auf einer Verpackung von Betäu- bungsmitteln die Fingerabdrücke des Angeklagten nachgewiesen werden konnten. Dies lag jedoch schon deshalb besonders nah, weil der Angeklagte nach den Feststellungen selbst keine Drogen konsumierte und sich nach seiner Einlassung gegenüber dem Mitangeklagten G. von Drogengeschäften distanziert haben will.
15
3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer bei rechtsfehlerfreier Würdigung der Beweise zu durchgreifenden Zweifeln an der Sachverhaltsdarstellung des Angeklagten gelangt und dessen Einlassung – auch im Hinblick auf die Möglichkeit einer Strafbarkeit wegen Besitzes von Betäubungsmitteln – als Schutzbehauptung eingeordnet hätte. Krehl Eschelbach Zeng Wimmer Grube

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Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.
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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 S t R 5 8 / 1 5
vom
9. Juli 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 9. Juli 2015 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 14. August 2014, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

I.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts erwarb der nicht revidierende Mitangeklagte G. 211,9 Gramm Kokain sowie 755,2 Gramm Cannabisharz zum gewinnbringenden Weiterverkauf. Er versteckte die Drogen an ver- schiedenen Stellen in seiner Wohnung, wo sie am 24. Oktober 2013 bei einer Wohnungsdurchsuchung aufgefunden wurden. In der Wohnung nächtigte zu diesem Zeitpunkt neben weiteren Personen auch der Angeklagte. Er hatte sich schon zuvor auf Bitten des G. bereit erklärt, einen Teil des Straßenverkaufs zu übernehmen und zu diesem Zweck 10 Kokain-Briefchen mit insgesamt 8,69 Gramm Kokain in seinem Schrankfach im Schlafzimmer gelagert.
3
2. Der Angeklagte hat die Tat bestritten. Zwar habe er Kenntnis davon gehabt, dass G. Betäubungsmittel in der Wohnung gelagert habe, die er verkaufen wollte. Er habe G. aber weder unterstützt noch dies vorgehabt.

II.

4
Das Urteil hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
5
1. Die den Feststellungen zugrunde liegende Beweiswürdigung hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
6
Die Beweiswürdigung ist zwar Sache des Tatgerichts; der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt aber, ob diesem dabei Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 30. März 2004 - 1 StR 354/03, NStZRR 2004, 238; Urteil vom 2. Dezember 2005 - 5 StR 119/05, NJW 2006, 925, 928). So liegt es hier:
7
Dass sich der Angeklagte bereit erklärt hat, einen Teil des Straßenverkaufs zu übernehmen, steht zur Überzeugung des Landgerichts aufgrund des Umstands fest, dass 10 Kokain-Briefchen in einer Schrankabtrennung gefunden wurden, in der sich auch der Ausweis des Angeklagten befand. Die Einlassung des Angeklagten sowie des Wohnungsinhabers G. , es habe keine feste Zuteilung der Schrankabtrennungen gegeben, hat das Gericht als reine Schutzbehauptung bewertet, die lebensfremd erscheine.
8
Diese Überzeugungsbildung des Landgerichts ist lückenhaft. Das Landgericht ist offenkundig davon ausgegangen, dass in einer Wohnung vorhandene Schrankfächer nach allgemeiner Lebenserfahrung den einzelnen Nutzern einer Wohnung fest zugeteilt werden. Schon das Bestehen eines solchen Erfahrungssatzes erscheint zweifelhaft. Jedenfalls aber hätte sich das Gericht mit tatsächlichen Umständen auseinandersetzen müssen, die einen solchen Erfahrungssatz hier in Frage stellen können. Solche Umstände waren vorliegend gegeben , denn zum Zeitpunkt der Wohnungsdurchsuchung hielten sich in der Wohnung neben dem Angeklagten und dem Wohnungsinhaber G. regelmäßig noch drei weitere Personen auf. Die Küche war provisorisch eingerichtet, alle fünf Personen schliefen auf am Boden liegenden Matratzen. Der Schrank, in dem sich die Kokain-Briefchen befanden, bestand aus vier Abtrennungen. Für die Strafkammer bestand daher hinreichend Anlass, insbesondere die vorgefundene Wohnsituation sowie die Existenz von nur vier Schrankabtrennungen für fünf Personen in die Beweiswürdigung einzustellen. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht schon unter Berücksichtigung dieser Umstände zu einer anderen Überzeugung gelangt wäre.
9
2. Dessen ungeachtet tragen die landgerichtlichen Feststellungen auch nicht den Schuldspruch, denn hinsichtlich der Beihilfehandlung des Angeklagten fehlen ausreichende Feststellungen zum äußeren und inneren Tatgeschehen.
10
Als Gehilfe wird gemäß § 27 Abs. 1 StGB nur bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe leistet. Diese Hilfeleistung muss sich auf die Begehung der Haupttat zwar nicht kausal auswirken; erforderlich ist aber, dass sie die Haupttat zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen Versuchsbeginn und Beendigung in irgendeiner Weise erleichtert oder fördert (st. Rspr., vgl. Senatsurteil vom 16. Januar 2008 - 2 StR 535/07, NStZ 2008, 284 mwN).
11
Feststellungen dazu hat das Landgericht nicht getroffen. Die knappen Ausführungen, der Angeklagte habe sich an dem späteren Verkauf der 10 Kokain -Briefchen beteiligen wollen, belegen für sich genommen keine tatsächlich erfolgte Förderung oder Erleichterung der Haupttat. Zwar kann eine Haupttat in Ausnahmefällen auch schon durch das bloße Bereiterklären späterer Unterstützung gefördert oder erleichtert werden. Aber auch die Voraussetzungen einer solchen psychischen Beihilfe sind nicht belegt. Es ist nicht ersichtlich, dass der Angeklagte den Haupttäter G. durch seine Zusage, ihm beim späteren Abverkauf zu unterstützen, in seinem Tatentschluss bestärkt oder ihm ein erhöhtes Sicherheitsgefühl gegeben hätte.
12
Eine bloß versuchte Beihilfe ist demgegenüber straflos. Auch eine Verurteilung nach § 30 Abs. 2 StGB (Verabredung zu einem Verbrechen) käme nur dann in Betracht, wenn der in Aussicht genommene Tatbeitrag des Angeklagten täterschaftliche Qualität erreichen sollte. Ist seine Mitwirkung - wie hier - im Falle der Durchführung nur als die eines Gehilfen zu werten, bleibt er insoweit straffrei (Senatsurteil vom 31. Oktober 2001 - 2 StR 315/01, NStZ-RR 2002, 74,

75).

13
Da indes nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein neuer Tatrichter noch ergänzende Feststellungen zur Beihilfehandlung des Angeklagten - jedenfalls aber zu den Voraussetzungen eines möglichen Besitzes von Betäubungsmitteln - treffen kann, verweist der Senat die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an ein anderes Tatgericht zurück. Fischer Eschelbach Ott RiBGH Zeng ist wegen Bartel Urlaubs an der Unterschrift gehindert. Fischer

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 94/16
vom
13. Juli 2016
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Bandendiebstahls
ECLI:DE:BGH:2016:130716U1STR94.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 13. Juli 2016, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum
und die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Jäger, Prof. Dr. Radtke, Prof. Dr. Mosbacher, Dr. Bär,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof – in der Verhandlung –, Staatsanwalt – bei der Verkündung – als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 20. März 2015
a) im Schuldspruch dahingehend abgeändert, dass in den Fällen A.II.2.c) und A.II.2.d) der Urteilsgründe jeweils die tateinheitlichen Verurteilungen entfallen
b) und klarstellend dergestalt neu gefasst, dass der Angeklagte wegen Diebstahls in vier Fällen verurteilt ist;
c) im Strafausspruch mit Ausnahme der in den Fällen A.II.2.a) und A.II.2.b) der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels sowie über eine nach der Verkündung des angefochtenen Urteils eingetretene Verfahrensverzögerung, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls in vier Fällen, davon in einem Fall in drei tateinheitlichen Fällen und in einem (weiteren) Fall in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Seine auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts beteiligte sich der Angeklagte als Mitglied einer polnischen Tätergruppierung um den bereits verurteilten B. im Zeitraum zwischen Mai und September 2013 an vier Diebstählen von hochwertigen Fahrzeugen der Marke Audi. Bei den Tatobjekten handelte es sich jeweils um solche mit einem bestimmten Modell einer Wegfahrsperre, die B. zu überwinden in der Lage war. In sämtlichen verfahrensgegenständlichen Fällen öffnete B. mit einer spezifischen Vorgehensweise eine Fahrzeugtür, verschaffte sich Zugang zum Steuergerät des Fahrzeugs und verhinderte durch Unterbindung der Stromzufuhr das Auslösen des Alarms. Anschließend setzte er ein mitgeführtes elektronisches Gerät ein, um das Steuergerät des jeweiligen Pkws so zu programmieren, dass ein von ihm mitgebrachter Schlüsselrohling zum (erneuten) Öffnen der Fahrzeugtüren sowie zum Starten des Fahrzeugs eingesetzt werden konnte. Die Schlüsselrohlinge nutzten anschließend Tatbeteiligte, um die von B. manipulierten Fahrzeuge zu starten und vom jeweiligen Tatort wegzufahren.
3
In den Fällen der A.II.2.a) und b) der Urteilsgründe brach B. jeweils einen Pkw Audi auf die beschriebene Weise auf und versetzte diesen in einen fahrbereiten Zustand. Der Angeklagte übernahm das entsprechende Fahrzeug und entfernte sich damit jeweils in Koordination mit B. vom Tatort. Im Fall A.II.2.a) geriet er allerdings einige Zeit nach Aufbruch und Übernahme des Audi‘s in eine Polizeikontrolle. Der Angeklagte ließ das entwendete Fahrzeug stehen und floh zu Fuß.
4
Vor der Tat im Fall A.II.2.c) der Urteilsgründe reiste der Angeklagte gemeinsam mit B. , dessen jüngeren Bruder sowie einem weiteren, ledig- lich unter dem Spitznamen „K. “ bekannten Tatbeteiligten nach U. , um dort auf die beschriebene Weise Fahrzeuge zu entwenden. In der Tatnacht brach B. innerhalb eines Zeitraums von knapp einer Stunde drei Pkw verschiedener Modelle der Marke Audi auf und machte sie startbereit. Der Angeklagte sowie die beiden weiteren Tatbeteiligten übernahmen von B. jeweils einen Schlüsselrohling und traten als Fahrer je eines Fahrzeugs die Rückreise nach Polen an. Diese erfolgte in Koordination mit B. , der vorausfuhr , um die Fahrer der gestohlenen Pkws vor etwaigen Polizeikontrollen zu warnen. Welches der drei entwendeten Fahrzeuge der Angeklagte geführt hatte , konnte das Landgericht nicht aufklären.
5
Zur Ausführung der Tat im Fall A.II.2.d) begaben sich B. , der Angeklagte sowie ein unbekannt gebliebener weiterer Tatbeteiligter nach M. . Nach dem Aufbruch der beiden Audi-Pkw und der Umprogrammierung des Steuergeräts übergab B. den beiden anderen Beteiligten wiederum jeweils einen Schlüsselrohling. Unter der beschriebenen absichernden Begleitung durch B. fuhren der Angeklagte und der weitere Tatbeteiligte die Fahrzeuge nach Polen. Welcher Wagen von welchem der beiden gefahren worden war, hat die Strafkammer wiederum nicht feststellen können.

6
2. Das Landgericht hat die Taten für den Angeklagten jeweils als gemeinschaftlich mit B. begangene Diebstähle im besonders schweren Fall (§§ 242, 243 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nrn. 2 und 3 StGB) gewertet. Dabei ist es davon ausgegangen, dass es sich in den Fällen A.II.2.c) und d) der Urteilsgründe um drei bzw. zwei durch den Angeklagten tateinheitlich verwirklichte Diebstähle gehandelt hat. Ihm seien auch die Diebstähle derjenigen Fahrzeuge, die er nicht selbst gesteuert hatte, mittäterschaftlich zuzurechnen (UA S. 20).

II.

7
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen jeweils gemeinschaftlich mit B. begangenen Diebstahls in vier Fällen. Dagegen halten die in den Fällen A.II.2.c) und A.II.2.d) erfolgten Verurteilungen wegen tateinheitlich in drei bzw. zwei Fällen verwirklichter Diebstähle rechtlicher Überprüfung nicht stand.
8
1. Den getroffenen Feststellungen liegt für alle verfahrensgegenständlichen Fälle eine jeweils rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung zugrunde.
9
a) Die Beweiswürdigung ist dem Tatgericht vorbehalten (§ 261 StPO). Es obliegt allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind (siehe nur BGH, Beschlüsse vom 7. August 2014 – 3 StR 224/14 Rn. 5 [in NStZ-RR 2014, 349 nur redaktioneller Leitsatz] und vom 25. Februar 2015 – 4 StR 39/15 Rn. 2 [NStZ-RR 2015, 180 nur redaktioneller Leitsatz]). Der Beur- teilung durch das Revisionsgericht unterliegt nur, ob dem Tatgericht Rechtsfeh- ler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 10. Dezember 2014 – 5 StR 136/14 mwN und vom 15. Dezember 2015 – 1 StR 236/15, Rn. 18; BGH, Beschluss vom 25. Februar 2015 – 4 StR 39/15 Rn. 2 [NStZ-RR 2015, 180 nur redaktioneller Leitsatz]). Dabei hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteile vom 5. Dezember 2013 – 4 StR 371/13, NStZ-RR 2014, 87 und vom 15. Dezember 2015 – 1 StR 236/15 Rn. 18; siehe auch BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 – 4 StR 569/15 Rn. 26; Sander in LR-StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 182 mwN). Die Überzeugung des Tatgerichts muss in den Feststellungen und der diesen zugrunde liegenden Beweiswürdigung allerdings eine ausreichende objektive Grundlage finden (BGH, Urteil vom 19. April 2016 – 5 StR 594/15 Rn. 6; vgl. auch BGH, Beschluss vom 22. August 2013 – 1 StR 378/13, NStZ-RR 2013, 387, 388). Es ist im Fall einer Verurteilung des Angeklagten grundsätzlich verpflichtet, die für den Schuldspruch wesentlichen Beweismittel im Rahmen seiner Beweiswürdigung heranzuziehen und einer erschöpfenden Würdigung zu unterziehen (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 20. März 2002 – 5 StR 448/01 und vom 25. Februar 2015 – 4 St4 StR 39/15 Rn. 2 [NStZ-RR 2015, 180 nur redaktioneller Leitsatz]).
10
Die schriftlichen Urteilsgründe müssen dabei so sorgfältig und strukturiert abgefasst sein, dass die tatgerichtliche Entscheidung nachvollziehbar und einer revisionsrechtlichen Überprüfung anhand dieses Maßstabes zugänglich ist (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 7. August 2014 – 3 StR 224/14 mwN; BGH, Beschluss vom 25. Februar 2015 – 4 StR 39/15 Rn. 2 [NStZ-RR 2015, 180 nur redaktioneller Leitsatz]).
11
b) An diesen Maßstäben gemessen ist die tatrichterliche Beweiswürdigung nicht zu beanstanden.
12
aa) In den Fällen A.II.2.a) und b) der Urteilsgründe hat der Angeklagte eingeräumt, die betroffenen Fahrzeuge von mit B. erhaltenen Schlüsseln gestartet und jeweils vom Abstellort weggefahren zu haben. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht seiner weiteren Einlassung, er habe lediglich ein von B. gestohlenes Fahrzeug erwerben wollen, nicht gefolgt ist. Die vom Tatrichter in diesem Zusammenhang gezogenen Schlüsse, die u.a. auf früheren vergleichbaren Straftaten des Angeklagten in Österreich und dem von ihm selbst angegebenen finanziellen Rahmen zum Erwerb eines Pkw von B. sowie der Lebensfremdheit einer erneuten Beteiligung als bloßer Käufer nach der Tatentdeckung im Fall A.II.2.a) fußen, sind jedenfalls möglich, wenn nicht sogar naheliegend. Das gilt in gleicher Weise für die Erwägungen des Landgerichts über die für eine Beteiligung des Angeklagten an diesen Taten sprechende telefonische Kommunikation zwischen diesem undB. im Fall A.II.2.b) während der Überführung des Fahrzeugs vom Tatort in I. nach Polen. Der Angeklagte war während des Betankens des gestohlenen Wagens von der Überwachungskamera der Tankstelle gefilmt worden. Zeitgleich telefonierte er mit einem Mobiltelefon, deren Nummer B. zugeordnet werden konnte.
13
bb) Die Überzeugung des Landgerichts von der festgestellten Tatbeteiligung im Fall A.II.2.c) der Urteilsgründe beruht ebenfalls auf einer umfassenden und rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung. Insbesondere die vom Tatgericht aus dem mitgeteilten Inhalt eines überwachten Telefongesprächs zwischen B. und einer früheren Lebensgefährtin von diesem legen aus den im angefochtenen Urteil näher dargelegten Gründen die Beteiligung des Angeklag- ten durch Verbringen eines der bei dieser Tat gestohlenen Fahrzeuge nach Polen außerordentlich nahe.
14
cc) Die dem Schuldspruch im Fall A.II.2.d) zugrunde liegende Beweiswürdigung hält ebenfalls revisionsrechtlicher Überprüfung stand. Das Landgericht ist zunächst der Einlassung des Angeklagten am Tattag nicht in M. , dem Tatort, sondern zu einem Treffen mit einem Geschäftspartner in D. (Frankreich) gewesen zu sein, beanstandungsfrei nicht gefolgt. Dabei durfte es – wie in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts zutreffend aufgezeigt wird – aus dem Teilschweigen des Angeklagten über die Identität des Geschäftspartners eines angeblich legalen Geschäfts für den Angeklagten nachteilige Schlüsse ziehen.
15
Ebenso sind die Schlüsse, die das Tatgericht aus den Erkenntnissen des polizeilichen Hauptsachbearbeiters, KHK H. , und des Zeugen S. über den Besuch von B. , dem Angeklagten sowie einer dritten, unbekannt gebliebenen Person bei ihm gezogen hat, als (wenigstens) möglich revisionsrechtlich hinzunehmen. Der Zeuge S. hatte angeben, dass nach den Gesprächsinhalten während des Besuchs alle drei Besucher nach M. weiterfahren wollten. Da drei Personen an den Diebstählen der beiden Fahrzeuge beteiligt waren, zwei Personen während des Tatzeitraums Mobilfunkkontakt mit B. hatten und das Landgericht keinerlei Anhaltspunkte für ein Hinzutreten eines weiteren Täters, der nicht an dem Besuch bei S. beteiligt war, hat feststellen können, ist der im Rahmen der Gesamtwürdigung gezogene Schluss auf die Tatbeteiligung des Angeklagten als einer der Fahrer der entwendeten Audi-Fahrzeuge nicht zu beanstanden. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund des festgestellten jeweils gleichartigen Vorgehens von B. , Fahrer für die Überführung der Fahrzeuge nach Polen zu den Tatorten mitzunehmen, sowie des Umstandes, dass B. , dessen Bruder und der Angeklagte bei mehreren Polizeikontrollen gemeinsam angetroffen wurden (UA S. 11). In der vom Landgericht vorgenommenen Gesamtwürdigung zu allen verfahrensgegenständlichen Taten finden damit auch die Beweiswürdigung und die darauf gestützten Feststellungen zu Fall A.II.2.d) eine ausreichende objektive Grundlage.
16
2. Die getroffenen Feststellungen tragen jedoch für alle vier verfahrensgegenständlichen Taten lediglich die Verurteilung wegen jeweils eines mit B. gemeinschaftlich begangenen Diebstahls an je einem Fahrzeug, das der Angeklagte vom Tatort weggefahren hat, nachdem B. dieses zuvor auf die beschriebene Weise aufgebrochen und startbereit gemacht hatte. Die Annahme der Mittäterschaft des Angeklagten an den Diebstählen derjenigen Fahrzeuge in den Fällen A.II.2.c) und d), die durch andere Tatbeteiligte weggefahren und nach Polen überführt worden sind, haben dagegen keine tragfähige Grundlage.
17
a) Mittäter ist, wer nicht nur fremdes Tun fördert, sondern einen eigenen Tatbeitrag derart in eine gemeinschaftliche Tat einfügt, dass sein Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung seines eigenen Tatanteils erscheint. Ob ein Beteiligter ein so enges Verhältnis zur Tat hat, ist nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte können der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft sein (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 30. Juni 2005 – 5 StR 12/05, NStZ 2006, 44; vom 15. Januar 1991 – 5 StR 492/90, BGHSt 37, 289, 291; vom 9. April2013 – 1 StR 586/12, BGHSt 58, 218, 226 Rn. 43 und vom 7. Oktober 2014 – 1 StR 182/14, NStZ-RR 2015, 284, 285 jeweils mwN). Bei Beteiligung mehrerer Personen , von denen nicht jede sämtliche Tatbestandsmerkmale verwirklicht, ist Mittäter, wer seinen eigenen Tatbeitrag so in die Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Stets muss sich diese Mitwirkung aber nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 29. September 2015 – 3 StR 336/15, NStZ-RR 2016, 6 f.; vom 4. Februar 2016 – 1 StR 344/15, NStZ-RR 2016, 136 f. und vom 2. Juli 2008 – 1 StR 174/08, NStZ 2009, 25, 26; BGH, Urteil vom 17. Oktober 2002 – 3 StR 153/02, NStZ 2003, 253, 254).
18
b) Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Angeklagte die Diebstähle, an denen er als Fahrer der zuvor von B. aufgebrochenen und startbereit gemachten Fahrzeuge beteiligt war, mit diesem gemeinschaftlich im Sinne von § 25 Abs. 2 StGB begangen. Durch die Handlungen von B. war zwar jeweils der zuvor bestehende Gewahrsam des bisherigen Inhabers gebrochen worden. Die Neubegründung des Gewahrsams hat jedoch erst der Angeklagte durch das Wegfahren der Fahrzeuge vom Tatort begründet und damit die Vollendung der jeweiligen Taten bewirkt. Bereits dieses Ausmaß der Tatbeteiligung und das damit einhergehende Maß an Tatherrschaft genügen, um eine Mittäterschaft des Angeklagten an den Taten von B. rechtsfehlerfrei zu begründen.
19
c) Dagegen ist die Annahme einer Mittäterschaft an den Diebstählen derjenigen Fahrzeuge in den Fällen A.II.2.c) und d), die von anderen Tatbeteiligten geführt wurden, nicht tragfähig belegt.
20
Zu der Wegnahme dieser Fahrzeuge hat der Angeklagte keinen eigenen Tatbeitrag erbracht. Aufhebung des bisherigen Gewahrsams und dessen Neubegründung sowie die endgültige Sicherung der Tatbeute spätestens durch die Verbringung der Pkw Audi nach Polen erfolgten ausschließlich durch B.
und jeweils einen anderen Tatbeteiligten. Die vor dem unmittelbaren Ansetzen zu den Diebstählen dieser Fahrzeuge erfolgende gemeinsame Anreise aller an der jeweiligen Tat Beteiligten vermag jedenfalls unter den hier vorliegenden konkreten Gegebenheiten keine Tatherrschaft des Angeklagten zu begründen. Die vom Landgericht festgestellte Koordination der Überführung der gestohlenen Pkw durch die jeweiligen Fahrer untereinander mittels eigens dafür beschaffter Mobiltelefone und das Vorausfahren durch B. , um u.a. vor Polizeikontrollen zu warnen (UA S. 5), lässt ebenfalls nicht erkennen, wie auf diese Weise ein gewisses Maß an Tatbeteiligung und Tatherrschaft, als Anhaltspunkte für (Mit)Täterwillen, hinsichtlich der Vollendung und Beendigung der Diebstähle derjenigen Fahrzeuge begründet werden soll, die der Angeklagte nicht selbst geführt hat.
21
Soweit das Landgericht ein „nicht unerhebliches eigenes wirtschaftliches Interesse am Gelingen der Tat in nicht genau feststellbarem Umfang“ (UA S. 20) als Mittäterschaft begründendes Kriterium heranzieht, ist bereits der berücksichtigte Umstand nicht beweiswürdigend belegt. Das Landgericht hat nämlich gerade nicht aufzuklären vermocht, was mit den entwendeten Fahrzeugen nach der Tat geschah bzw. geschehen sollte und welchen finanziellen Vorteil der Angeklagte für seine Tatbeteiligung erhielt (UA S. 19). Die Annahme der Strafkammer, „pro Täter und Tat“ fiele „ein Profit in Höhe von mindestens einigen hundert Euro“ ab (UA S. 19) findet wiederum keine ausreichende Stütze in den erhobenen Beweisen. Insbesondere sind keine Umstände tragfähig festgestellt , aus denen sich eine Teilhabe aller jeweils Tatbeteiligten am Erlös sämtlicher pro Fall entwendeter Fahrzeuge entnehmen ließe.
22
Angesichts des Vorstehenden findet auch die weitere Erwägung der Strafkammer, „selbst bei einem gegenüber den weiteren Beteiligten gering aus- geprägten Eigeninteresse (seien) die übrigen Faktoren so stark ausgeprägt, dass Mittäterschaft … zu bejahen ist“ (UA S. 20), keine Stütze inden Feststel- lungen. Tatherrschaft und ein gewisses Maß an Tatbeteiligung des Angeklagten besteht hinsichtlich der jeweils als in Tateinheit verwirklicht bewerteten Diebstählen in den Fällen A.II.2.c) und d) gerade nicht. Selbst unter Berücksichtigung eines etwaigen dem Tatgericht eingeräumten, revisionsgerichtlicher Kontrolle nur eingeschränkt zugänglichen Beurteilungsspielraums (dazu nur BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2015 – 3 StR 439/15 Rn. 7 mwN) ist die Annahme von Mittäterschaft bezüglich der genannten Taten rechtsfehlerhaft.
23
d) Die Feststellungen tragen in diesen Fällen auch nicht eine Verurteilung des Angeklagten wegen Beihilfe zu den durch B. und jeweils einem weiteren Tatbeteiligten gemeinschaftlich begangenen Diebstählen.
24
aa) Wegen Beihilfe wird gemäß § 27 Abs. 1 StGB bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe leistet. Diese Hilfeleistung muss sich auf die Begehung der Haupttat zwar nicht kausal auswirken; erforderlich ist aber, dass sie die Haupttat zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen Versuchsbeginn und Beendigung in irgendeiner Weise erleichtert oder fördert (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 9. Juli 2015 – 2 StR 58/15, NStZ-RR 2015, 343, 344 und vom 4. Februar 2016 – 1 StR 344/15, NStZ-RR 2016, 136, 137; BGH, Urteil vom 16. Januar 2008 – 2 StR 535/07, NStZ 2008, 284 mwN). Strafbare Beteiligung kann auch in Form der psychischen Beihilfe verwirklicht werden. Die bloße Anwesenheit am Tatort in Kenntnis einer Straftat reicht dazu allerdings selbst bei deren Billigung nicht aus (vgl. dazu BGH, Urteil vom 24. Oktober 2001 – 3 StR 237/01, NStZ 2002, 139, 140 mwN sowie BGH, Beschlüsse vom 22. Dezember 2015 – 2 StR 419/15 Rn. 11 und vom 4. Februar 2016 – 1 StR 344/15, NStZ-RR 2016, 136, 137).

25
bb) Eine konkrete Erleichterung oder Förderung der Diebstähle der nicht vom Angeklagten geführten Fahrzeuge durch diesen ist aus den Feststellungen nicht ersichtlich. Weder finden sich Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte die anderen Tatbeteiligten an die jeweiligen Tatorte verbracht hat, noch ist eine Verringerung des Risikos des Transports der anderen Fahrzeuge aufgrund der koordinierten Rückreise nach Polen erkennbar. Selbst wenn die Fahrer auch untereinander per Mobiltelefon in Verbindung gestanden haben (vgl. UA S. 5 oben), erfolgte die Absicherung der Transporte nach den Feststellungen durch B. und nicht durch die Fahrer der bestohlenen Fahrzeuge untereinander. Es ist auch nicht festgestellt, dass den jeweils anderen Fahrern ein höheres Maß an Sicherheit aufgrund der Mitwirkung des Angeklagten durch Überführen eines weiteren Fahrzeugs vermittelt worden ist. Ob dies zur Begründung einer Beihilfe genügen würde, bedarf daher keiner Entscheidung.
26
3. Der Senat lässt in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO in den Fällen A.II.2.c) und A.II.2.d) der Gründe des angefochtenen Urteils jeweils die tateinheitlichen Verurteilungen entfallen. Er vermag angesichts der bisherigen Feststellungen auszuschließen, dass noch weitere getroffen werden können, aus denen sich die Voraussetzungen der Mittäterschaft oder einer Form strafbarer Teilnahme ergeben könnten. Selbst wenn sich die Voraussetzungen einer Bande feststellen ließe, resultierte daraus unmittelbar nichts für die konkrete Form strafbarer Beteiligung eines einzelnen Bandenmitglieds an Bandentaten (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Februar 2016 – 3 StR 538/15 Rn. 5 mwN [in NStZ-RR 2016, 139 nur redaktioneller Leitsatz]).
27
§ 265 StPO steht der Änderung des Schuldspruchs nicht entgegen, weil der Angeklagte sich nicht erfolgreicher als geschehen hätte verteidigen können.
28
4. Der Strafausspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.
29
a) Zwar enthalten die in den Fällen A.II.2.a) und b) der Urteilsgründe jeweils verhängten Einzelstrafen keine dem Angeklagten nachteiligen Rechtsfehler.
30
b) Allerdings entfallen infolge der Schuldspruchänderung die Einzelstrafen in den Fällen A.II.2.c) und d). Das Landgericht hat die Zumessung der Einzelstrafen vor allem am Wert der jeweils entwendeten Fahrzeuge orientiert. Da es diesen in den genannten Fällen anhand der Summe des Wertes aller bei der jeweiligen Tat bestohlenen Fahrzeuge bemessen hat (UA S. 22), kann der Senat die Verhängung niedrigerer Strafen durch das Landgericht nicht ausschließen , wenn dieses nur vom Wert des vom Angeklagten überführten Audis ausgegangen wäre. Damit bedarf es auch der Aufhebung der Gesamtstrafe.
31
c) Das Tatgericht hat zudem entgegen § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB einen Anrechnungsmaßstab für die in Polen offenbar in der Zeit vom 17. September bis 1. Oktober 2014 in Polen erlittene Auslieferungshaft (Bl. 48, 51 und 54 der Sachakten) nicht – wie geboten (siehe nur BGH, Urteil vom 5. November 2014 – 1 StR 299/14, BGHR StGB § 51 Abs. 4 Anrechnung 5 mwN) – bestimmt. Der neue Tatrichter wird dies nachzuholen haben. Angesichts der weitgehenden Aufhebung des Strafausspruchs sieht der Senat davon ab, den Anrechnungsmaßstab selbst festzulegen.
32
d) Der Aufhebung der dem Strafausspruch zugrunde liegenden Feststellungen bedarf es nicht (§ 353 Abs. 2 StPO). Der neue Tatrichter kann ergänzende Feststellungen, die zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen, treffen.

III.

33
Wie der Generalbundesanwalt bereits in seiner Antragsschrift zutreffend aufgezeigt hat, ist es nach der Verkündung des angefochtenen Urteils zu einer Verfahrensverzögerung gekommen. Die Akten des hiesigen Verfahrens sind versehentlich als Beiakten eines zivilrechtlichen Rechtsmittelverfahrens an den Bundesgerichtshof gesandt worden (BGH XII ZR 71/15). Erst im Februar 2016 gelangten diese wieder an die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth. Bei dem Generalbundesanwalt gingen die Akten am 25. Februar 2016 bzw. am 2. März 2016 ein.
34
Der neue Tatrichter wird die Verfahrensverzögerung näher festzustellen sowie über Art und Umfang einer dafür erforderlichen Kompensation zu entscheiden haben. Raum Jäger Radtke Mosbacher Bär

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 235/15
vom
11. November 2015
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen gewerbs- und bandenmäßigen Schmuggels u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
10. November 2015, in der Sitzung vom 11. November 2015, an denen teilgenommen
haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Graf
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Mosbacher,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Fischer
und der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Bär,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung vom
10. November 2015 -,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung vom
10. November 2015 -
als Verteidiger des Angeklagten G. ,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung vom
10. November 2015 -,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung vom
10. November 2015 -
als Verteidiger des Angeklagten M. ,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung vom
10. November 2015 -,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung vom
10. November 2015 -
als Verteidiger des Angeklagten K. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 15. September 2014 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten vom Vorwurf des gewerbs- und bandenmäßigen Schmuggels und der Hinterziehung von Umsatzsteuer in insgesamt 216 Fällen bzw. beim Angeklagten K. in 181 Fällen, darunter eine versuchte Tat, aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wenden sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft, die gestützt auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts die Beweiswürdigung des Landgerichts beanstanden. Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel haben bereits mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die von der Staatsanwaltschaft erhobenen verfahrensrechtlichen Beanstandungen nicht mehr ankommt.

I.


2
1. In der zugelassenen Anklage werden den Angeklagten in den Jahren 2010 bis 2012 zugunsten der S. K. GmbH (im Folgenden: S. GmbH) und der G. GmbH begangene Steuerstraftaten zur Last gelegt.
3
Die S. GmbH, deren Geschäftsführer und alleiniger Gesellschafter der gesondert Verurteilte P. gewesen sei, habe ab dem Jahr 2010 umfangreiche Importe von Metallen durchgeführt, die nahezu vollständig an die G. GmbH weiterverkauft worden seien. Der Angeklagte G. sei Geschäftsführer und Alleingesellschafter und die Angeklagten M. und K. Angestellte dieser Gesellschaft gewesen.
4
Aufgrund einer gemeinsamen Besprechung Ende Juni 2010 in den Räumen der G. GmbH hätten die Angeklagten mit P. und den früheren Mitangeklagten S. und St. vereinbart, sich durch die Zwischenschaltung der S. GmbH in den Warenbezug einen Wettbewerbsvorteil am Markt zu verschaffen. Anders als bei der zuvor durch die G. GmbH selbst eingeführten Ware sollte es nun möglich sein, aufgrund generierter Vorsteuerabzüge eine Kaufpreisminderung und damit eine Gewinnmaximierung zu erreichen. Hierzu sollte die S. GmbH in den Rechnungen an die G. GmbH jeweils Umsatzsteuer ausweisen, diese aber gegenüber den Finanzbehörden nicht erklären und auch nicht abführen. Auf diese Weise sollte der G. GmbH die Geltendmachung von Vorsteuern ermöglicht werden, ohne dass diese zuvor abgeführt worden seien.
5
Die aus Osteuropa nach Deutschland verbrachten Waren hätten im Jahr 2010 allein aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union, insbesondere den baltischen Staaten, gestammt. Ab Anfang 2011 seien dann von den Angeklagten G. und M. zusammen mit den früheren Mitangeklagten S. und St. auch Einfuhren aus Drittstaaten, namentlich aus Russland und der Ukraine , vorgenommen worden. Hierbei sei der Wert der eingeführten Waren gegenüber dem Zoll in der Regel mit weniger als einem Zehntel des tatsächlichen Werts angegeben worden. Zudem sei für die inländischen Verkäufe der S. GmbH an die G. GmbH keine Umsatzsteuer erklärt worden, obwohl die Umsatzsteuer bei den jeweiligen Rechnungen an die G. GmbH ausgewiesen worden sei. Hierdurch seien jeweils Abgaben verkürzt worden. Im Einzelnen:
6
a) Fälle 1 bis 184 der Anklageschrift (gewerbs- und bandenmäßiger Schmuggel)
7
In den die Jahre 2011 und 2012 betreffenden Fällen 1 bis 184 bzw. hinsichtlich des Angeklagten K. 24 bis 184 der Anklageschrift wirft die Staatsanwaltschaft den Angeklagten vor, sie hätten gewerbs- und bandenmäßig ge- genüber dem Zollamt E. falsche Angaben zum Warenwert bei der Einfuhr von Kupfererzeugnissen aus osteuropäischen Staaten in das Gebiet der Europäischen Union gemacht. Infolge der falschen Angaben seien nahezu vier Millionen Euro an Einfuhrumsatzsteuer und mehr als 300.000 Euro an Zoll nicht festgesetzt und damit verkürzt worden.
8
b) Fälle 185 bis 199 der Anklageschrift (Umsatzsteuerhinterziehung zugunsten der S. GmbH)
9
In den Fällen 185 bis 199 bzw. hinsichtlich des Angeklagten K. 191 bis 199 der Anklageschrift wirft die Staatsanwaltschaft den Angeklagten jeweils die Hinterziehung von Umsatzsteuer zugunsten der S. GmbH vor. Entsprechend dem gemeinsamen Tatplan mit P. seien für die S. GmbH für das Jahr 2010 wahrheitswidrig ein Umsatz von null Euro angemeldet und für die Monate Februar 2011 bis März 2012 pflichtwidrig keine Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben worden. Hierdurch sei insgesamt Umsatzsteuer in Höhe von mehr als 4,7 Mio. Euro verkürzt worden.
10
c) Fälle 200 bis 216 der Anklageschrift (Umsatzsteuerhinterziehung zugunsten der G. GmbH)
11
In den Fällen 200 bis 216 bzw. hinsichtlich des Angeklagten K. 206 bis 216 der Anklageschrift wirft die Staatsanwaltschaft den Angeklagten jeweils die Hinterziehung von Umsatzsteuer zugunsten der G. GmbH vor. Entsprechend dem gemeinsamen Tatplan seien für die G. GmbH in der Umsatzsteuerjahreserklärung 2010 und den Umsatzsteuervoranmeldungen für Februar 2011 bis März 2012 sowie Mai und November 2012 zu Unrecht Vorsteuerbeträge aus den Rechnungen der S. GmbH geltend gemacht worden. Den Angeklagten sei dabei bewusst gewesen, dass ein Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der S. GmbH nicht in Betracht kam. Hierdurch seien in den Fällen 200 bis 215 der Anklageschrift insgesamt nahezu fünf Mio. Euro an Umsatzsteuer verkürzt worden. Im Fall 216 sei es beim Versuch geblieben.
12
2. Das Landgericht hat im Wesentlichen Folgendes festgestellt:
13
a) Die G. GmbH stand etwa zehn Jahre lang in laufender Geschäftsbeziehung zur A. AG. Diese produzierte aus Kupferkonzentraten, Kupferschrott und anderen kupferhaltigen Legierungen hochreines Kupfer. Für ihre Kupferöfen benötigte die A. AG kupferhaltige Rohstoffe. Kupfer wird weltweit zu Preisen gehandelt, die an der Börse London Metal Exchange (LME) nach börsenmäßigen Preisfindungsmechanismen gebildet werden. Der Preis unterliegt dabei erheblichen Schwankungen. Für andere kupferhaltige Materialien werden Abschläge zu den LME-Preisen verhandelt.
14
Bis zum Ende des Jahres 2010 bezog die G. GmbH selbst Kupferraffiniermaterial aus Osteuropa. Die Einfuhren in den Jahren 2003 bis 2010 waren Gegenstand von zwei Betriebsprüfungen, die jeweils zu Beanstandungen führten , weil die Gesellschaft das Benennungsverlangen gemäß § 160 AO für die ausländischen Zahlungsempfänger nicht erfüllen konnte. Zur Vermeidung gleichartiger Probleme wurden mit den steuerlichen Beratern der Gesellschaft zahlreiche Maßnahmen erörtert, darunter die Einholung von steuerlichen Unbedenklichkeitsbescheinigungen über Vertragspartner bei den Finanzbehörden.
15
b) Im Oktober 2006 hatte der frühere Mitangeklagte S. für den gesondert Verurteilten P. die S. GmbH gegründet, die ebenfalls im Metallhandel tätig werden sollte. Bei einem Treffen mit P. im Juli 2010 unter Beteiligung der Angeklagten G. und M. sowie der früheren Mitangeklagten S. und St. wurde vereinbart, dass die S. GmbH zukünftig die G. GmbH mit Buntmetallen beliefern sollte. S. und St. sollten P. unterstützen, insbesondere Aufgaben in Deutschland wahrnehmen, wenn sich P. im Ausland aufhält.
16
c) Ab September 2010 erfolgten dann Bestellungen der G. GmbH bei der S. GmbH und Lieferungen im Wege des Streckengeschäfts direkt an die G. GmbH. Der Angeklagte G. ließ sich für diese Geschäfte regelmäßig Unbedenklichkeitsbescheinigungen des Finanzamts über die S. GmbH vorlegen. Für den Einkauf in den baltischen Staaten führte der Zeuge P. dort mit den Lieferanten die Vertragsverhandlungen. Die letzte Lieferung aus den baltischen Staaten erfolgte Anfang Dezember 2010. Danach kam es zu einem Wechsel der Bezugsquellen. Ab Februar 2011 kamen die Kupferprodukte aus nicht der Europäischen Union angehörenden Staaten Osteuropas. Die S. GmbH lieferte dann bis zum Ende der Geschäftsbeziehung infolge der Festnahme des Zeugen P. im Mai 2012 an die G. GmbH sogenanntes Halbzeug, das sie von Lieferanten aus Russland und der Ukraine bezog.
17
d) Die Geschäfte der S. GmbH in Deutschland wurden weitgehend von den früheren Mitangeklagten S. und St. abgewickelt. Für die Verzollung der LKW-Lieferungen mit Kupfer tauschten sie die Kaufunterlagen gegen solche mit niedrigeren, manipulierten Werten aus, die stets nur zehn Prozent des tatsächlichen Werts betrugen. Infolgedessen wurden jeweils der Zoll und die Einfuhrumsatzsteuer zu niedrig festgesetzt. Bei den insgesamt 184 Einfuhren entstand insgesamt ein Einfuhrumsatzsteuerschaden von mehr als 3,9 Mio. Euro und ein Zollschaden von mehr als 307.000 Euro (UA S. 29 f.).
18
e) Beim anschließenden Weiterverkauf an die G. GmbH akzeptierte und bezahlte diese sämtliche Rechnungen einschließlich der dort ausgewiese- nen Umsatzsteuer. Da das aus Osteuropa gelieferte Halbzeug von minderer Qualität war, wurde allerdings beim Weiterverkauf an die A. AG nach Erörterung mit deren Vertretern gemäß § 13b Abs. 2 Nr. 7 UStG das ReverseCharge -Verfahren angewendet, so dass die Ausgangsrechnungen der G. GmbH im Gegensatz zu den Eingangsrechnungen keine Umsatzsteuer enthielten.
19
f) Zum Zwecke der Umsatzsteuerhinterziehung verschwieg die S. GmbH in der Umsatzsteuerjahreserklärung 2010 und den Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate Februar 2011 bis März 2012 die Umsätze aus den inländischen Metallverkäufen. Insgesamt wurde hierdurch Umsatzsteuer in Höhe von mehr als 4,7 Mio. Euro hinterzogen.
20
g) Wer letztlich von den Zoll- und Steuerverkürzungen der S. GmbH profitierte, konnte das Landgericht nicht feststellen (UA S. 32).
21
h) Der Angeklagte G. brachte für die G. GmbH die Vorsteuern aus den Rechnungen der S. GmbH in der Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 2010 und in den Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate Februar 2011 bis März 2012 sowie Mai und November 2012 in Ansatz. Hierdurch wurde die Umsatzsteuerzahllast im Umfang von insgesamt mehr als 4,9 Mio. Euro vermindert; für November 2012 wurde zudem eine Auszahlung eines Umsatzsteuerguthabens von mehr als 141.000 Euro erstrebt.
22
3. Das Landgericht hat die Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Es konnte sich von einer Tatbegehung bzw. Tatbeteiligung der Angeklagten nicht überzeugen.
23
a) Der Angeklagte G. hatte die Tatvorwürfe bestritten (UA S. 33 ff.); die Angeklagten M. und K. hatten sich nicht zur Sache eingelassen (UA S. 35).
24
b) Hinsichtlich der Tatvorwürfe des Schmuggels und der Hinterziehung von Umsatzsteuer zugunsten der S. GmbH (Fälle 1 bis 199 der Anklageschrift ) hat sich das Landgericht zwar die Überzeugung gebildet, dass diese Straftaten tatsächlich begangen worden sind. Eine Beteiligung der drei Angeklagten an diesen Straftaten hält es jedoch nicht für erwiesen.
25
Bezüglich des Vorwurfs der Hinterziehung von Umsatzsteuer zugunsten der G. GmbH (Fälle 200 bis 216 der Anklageschrift) hat sich das Landgericht davon überzeugt, dass die Angeklagten bei den Handelsgeschäften der G. GmbH mit der S. GmbH gutgläubig gewesen seien; ihnen sei auch keine Leichtfertigkeit vorzuwerfen. Der G. GmbH habe deshalb jeweils ein Vorsteuererstattungsanspruch zugestanden, so dass Steuern nicht verkürzt worden seien.
26
c) Im Einzelnen konnte sich das Landgericht von folgenden Behauptungen der Staatsanwaltschaft keine Überzeugung verschaffen:
27
aa) Hinsichtlich der im Juli 2010 mit dem Zeugen P. geführten Unterredung konnte das Landgericht nicht zweifelsfrei klären, ob die Beteiligten des Gesprächs vereinbart hatten, dass die S. GmbH bei der Einfuhr zu geringe Werte angeben sollte, um zu erreichen, dass Zölle und Einfuhrumsatzsteuer zu niedrig festgesetzt werden. Auch konnte das Landgericht nicht zweifelsfrei klären, ob Gegenstand der Gespräche war, dass die S. GmbH bei den Weiterverkäufen an die G. GmbH im Streckengeschäft Umsatzsteuer gegen- über der G. GmbH in ihren Rechnungen ausweist, ohne sie beim Finanzamt anzumelden und abzuführen, und die G. GmbH sodann die Vorsteuer aus den Rechnungen beim Finanzamt geltend macht. Schließlich konnte das Landgericht nicht zweifelsfrei klären, ob in dem Gespräch vereinbart wurde, dass sich der Zeuge P. aus der Geschäftsführung zurückziehen und die S. GmbH faktisch den Angeklagten überlassen sollte (UA S. 26 f.).
28
bb) Das Landgericht konnte sich auch nicht davon überzeugen, dass die Angeklagten Kenntnis davon hatten oder zumindest die Möglichkeit hatten zu erkennen, dass beim Zoll zu niedrige Warenwerte für die Kupferwaren angegeben wurden und dass die S. GmbH in ihren Ausgangsrechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer bei den Finanzbehörden nicht anmeldete und auch nicht abführte. Der Angeklagte G. habe versucht, alle steuerlichen Verpflichtungen zu erfüllen und die von seinen Steuerberatern empfohlenen Maßnahmen, um nicht in ein Umsatzsteuerkarussell eingebunden zu werden, umzusetzen.
29
d) Der Angeklagte G. hatte sich eingelassen, die Geschäftsanbahnung mit der S. GmbH sei in völlig üblichem Rahmen verlaufen (UA S. 34). Die Geschäftsbeziehung habe sich positiv entwickelt; außerdem habe er alle sechs Monate vom Finanzamt für diese Gesellschaft Unbedenklichkeitsbescheinigungen angefordert und erhalten. Für ihn sei es daher überraschend, dass der Zeuge P. die Handelsgeschäfte mit dem Ziel betrieben habe, Umsatzsteuer zu hinterziehen.
30
e) Das Landgericht ist der Auffassung, die Einlassung des Angeklagten G. sei nicht zu widerlegen. Die Behauptung der Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift, es habe einen gemeinsamen Tatplan gegeben, sei auf die Einlassung des Zeugen P. im vorangegangenen gegen ihn geführten Strafverfahren gestützt gewesen. Dieser habe in der gegen ihn gerichteten Hauptverhandlung seine eigene Tatbeteiligung eingeräumt und behauptet, es habe im Juni 2010 ein Treffen mit den Angeklagten G. und M. sowie den gesondert Verfolgten S. und St. gegeben. Bei diesem Treffen sei vereinbart worden, die bereits bestehende S. GmbH zwecks Hinterziehung von Einfuhrabgaben und inländischer Umsatzsteuer sowie zur Erschleichung von Vorsteuererstattungen zu nutzen, um Metallschrott aus dem Ausland für die G. GmbH einzuführen. Wesentliche Funktion des P. sei dabei der Kontakt zu den ausländischen Lieferanten und das „Schreiben von Rechnungen“ gewesen (UA S. 40).
31
Im Zuge seiner mehrtägigen Vernehmung vor der erkennenden Strafkammer habe der Zeuge P. aber bestritten, sich im vorangegangenen Verfahren in diesem Sinne geäußert zu haben, und habe den Sachverhalt abweichend dargestellt. Gegenstand eines Gesprächs im Juli 2010 seien nur sein beruflicher Hintergrund und seine Fachkenntnisse im Metallhandel, die Möglichkeit einer Belieferung der G. GmbH durch die S. GmbH und technische Details gewesen. Über geplante Abgabenverkürzungen sei dagegen weder ausdrücklich noch stillschweigend gesprochen worden. Erst im August 2011 habe er von den gesondert Verfolgten S. und St. erfahren, dass in den Zollanmeldungen die Warenwerte manipulativ herabgesetzt worden seien. Unter dem Eindruck ihrer Drohung, als Geschäftsführer der S. GmbH andernfalls finanziell einstehen zu müssen, habe er sich bereitgefunden, an der Fortführung dieser illegalen Praktiken mitzuwirken. Von der Hinterziehung der inländischen Umsatzsteuer habe er hingegen keine Kenntnis gehabt. Seine Verurteilung wegen Abgabenhinterziehung habe er akzeptiert, weil er als formeller Geschäftsführer unabhängig von seiner Unkenntnis einstandspflichtig gewesen sei (UA S. 41).

32
Das Landgericht hält die Angaben des Zeugen P. in weiten Teilen für unglaubhaft und widerlegt. Auch gestützt auf die Angaben der früheren Mitangeklagten S. und St. hat sich das Landgericht vielmehr die Überzeugung gebildet, dass die Tatherrschaft über die Einfuhrabgabenverkürzung und die Verkürzung der inländischen Umsatzsteuer der S. GmbH allein bei dem Zeugen P. lag (UA S. 43).
33
Das Landgericht hat „keineVeranlassung gesehen, aufzuklären, ob der Zeuge P. in der früheren Hauptverhandlung in eigener Sache die von der Staatsanwaltschaft behaupteten belastenden Angaben betreffend die Angeklagten G. , M. und K. tatsächlich gemacht hat.“ Denn es bleibe nicht nur zweifelhaft, ob P. die Angeklagten in der früheren Hauptver- handlung überhaupt in dieser Weise belastet hat. „Vielmehr wären entspre- chende frühere Angaben im Lichte seiner aktuellen zeugenschaftlichen Bekundungen und nach dem persönlichen Eindruck der Kammer unglaubhaft.“ Die Bekundungen des Zeugen P. seien daher nicht geeignet, den Nachweis einer kollusiven Einbindung der Angeklagten in die Abgabenhinterziehungen der S. GmbH zu führen (UA S. 44).
34
Auch nach einer Gesamtwürdigung mit weiteren Umständen, darunter die Höhe der Preise, Teilzahlungen an Drittempfänger, die Anwendung des Reverse -Charge-Verfahrens gegenüber der A. AG, die vorangegangene Versagung des Betriebskostenabzugs gemäß § 160 AO, der E-Mail-Verkehr unter den Angeklagten und die steuerliche Beratung des Angeklagten G. , verblieben beim Landgericht „unüberwindbare Zweifel“ an der Tatbeteiligung der Angeklagten.

II.


35
Die Freisprüche haben keinen Bestand; denn die Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
36
1. Allerdings muss es das Revisionsgericht grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Vielmehr hat es die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178). Dem Tatrichter obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt , dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 23. Juli 2007 – 2 StR 150/08, NJW 2008, 2792 mwN).
37
2. Solche Rechtsfehler liegen hier vor.
38
a) Die Beweiswürdigung zur Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen P. ist lückenhaft. Denn die Urteilsgründe enthalten keine nachvollzieh- bare Begründung für die Annahme des Landgerichts, die von P. in der Hauptverhandlung des gegen ihn selbst gerichteten Strafverfahrens gemachten Angaben seien jedenfalls unglaubhaft (UA S. 44).
39
aa) Zwar können und müssen die Gründe auch eines freisprechenden Urteils nicht jeden irgendwie beweiserheblichen Umstand ausdrücklich würdigen. Das Maß der gebotenen Darlegung hängt vielmehr von der jeweiligen Beweislage und insoweit von den Umständen des Einzelfalls ab; dieser kann so beschaffen sein, dass sich die Erörterung bestimmter einzelner Beweisumstände erübrigt. Insbesondere dann, wenn das Tatgericht auf Freispruch erkennt, obwohl gegen den Angeklagten ein ganz erheblicher Tatverdacht besteht, muss es jedoch in seine Beweiswürdigung und deren Darlegung die ersichtlich möglicherweise gegen den Angeklagten sprechenden Umstände und Erwägungen einbeziehen und in einer Gesamtwürdigung betrachten (vgl. BGH, Urteile vom 8. September 2011 – 1 StR 38/11, wistra 2011, 465, vom 6. September 2006 – 5 StR 156/06, wistra 2007, 18, 19 und vom 22. August 2002 – 5 StR 240/02, wistra 2002, 430 mwN).
40
bb) Diesen Anforderungen genügt die Beweiswürdigung zu den Angaben des Zeugen P. nicht.
41
Ausweislich der Urteilsgründe beruht die Anklage entscheidend auf der Tatschilderung dieses Zeugen, die er in dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren in der Hauptverhandlung gemacht hatte (UA S. 40). Weshalb das Landgericht diese Angaben für unglaubhaft hält, hat es indes nicht nachvollziehbar und für das Revisionsgericht nachprüfbar begründet. Als Beleg für diese Annahme hat das Landgericht lediglich die Bekundungen des Zeugen P. im vorliegenden Verfahren und dessen persönlichen Eindruck aus der Hauptverhand- lung angeführt. Den Inhalt der früheren Aussage des Zeugen hat das Landgericht hingegen nicht mitgeteilt. Damit fehlt es an einer ausreichenden Grundlage für die Glaubhaftigkeitsbeurteilung. Um die Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen P. beurteilen zu können, durfte das Landgericht nicht offen lassen , von welchem Inhalt der früheren Aussage es ausgeht. Auch hat das Landgericht nicht erörtert, welches Motiv der Zeuge für Falschangaben zum damaligen Zeitpunkt gehabt haben könnte. Umgekehrt hat das Landgericht auch nicht in den Blick genommen, dass die Aussage des Zeugen P. in der Hauptverhandlung gegen die Angeklagten eine Gefälligkeitsaussage zu deren Gunsten gewesen sein konnte. Mit dieser Möglichkeit musste sich das Landgericht schon deshalb auseinandersetzen, weil es als naheliegend ansah, dass der Tatplan des Zeugen P. von vornherein auf die Verkürzung der Einfuhrabgaben , des Zolls und der Umsatzsteuer gerichtet war (UA S. 44).
42
b) Die Beweiswürdigung des Landgerichts lässt zudem besorgen, das Landgericht habe belastende Indizien fehlerhaft einzeln sowie anhand eines falschen Maßstabs gewürdigt und nicht in die Gesamtwürdigung eingestellt.
43
aa) Das Tatgericht ist gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen , wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Dabei muss sich aus den Urteilsgründen auch ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 23. Juli 2007 – 2 StR 150/08, NJW 2008, 2792 mwN). Die Anforderungen an eine umfassende Würdigung der festgestellten Tatsachen sind bei einem Freispruch nicht geringer als im Fall der Verurteilung (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2009 – 1 StR 479/08, wistra 2009, 315). Auch wenn keine der Indiztatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten ausreichen würde, besteht die Möglichkeit, dass sie in ihrer Gesamtheit dem Tatrichter die entsprechende Überzeugung vermitteln können (vgl. BGH, Urteil vom 30. März2004 – 1 StR 354/03, NStZ-RR 2004, 238).
44
bb) Rechtsfehlerhaft ist hier bereits der rechtliche Ansatz des Landgerichts bei der Würdigung belastender Einzelindizien.
45
Statt die Indizien mit ihrem jeweiligen Beweiswert in die Gesamtwürdigung einzustellen, spricht das Landgericht einzelnen Umständen jeglichen belastenden Beweiswert mit der Begründung ab, diese seien „nicht zwangsläufig“ nur mit einer Abgabenverkürzung zu erklären (UA S. 46), seien „nicht zweifelsfrei“ (UA S. 50) oder ließen „keinen zweifelsfreien Rückschluss“ auf Kenntnisse oder eine Tatbeteiligung der Angeklagten (UA S. 47, 52, 53) zu. Damit hat das Landgericht rechtsfehlerhaft einzelne Beweisergebnisse lediglich isoliert und nicht im Zusammenhang mit anderen Beweisanzeichen gewürdigt.
46
cc) Schließlich hält auch die vom Landgericht vorgenommene Gesamtwürdigung (UA S. 57 ff.) rechtlicher Nachprüfung nicht stand; denn sie beschränkt sich im Wesentlichen auf die Würdigung entlastender Indizien. Belastende Indizien wurden hingegen nicht in die Gesamtwürdigung einbezogen, die damit unvollständig ist. Hierauf beruht das Urteil schon deshalb, weil auch dann, wenn keine der Indiztatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft der Angeklagten ausreichen würde, die Möglichkeit besteht, dass sie in ihrer Gesamtheit dem Tatgericht die entsprechende Überzeugung vermitteln können (vgl. BGH, Urteil vom 30. März 2004 – 1 StR 354/03, NStZ-RR 2004,

238).



47
3. Die Freisprüche einschließlich der ihnen zugrunde liegenden Feststellungen haben daher wegen rechtsfehlerhafter Beweiswürdigung keinen Bestand. Die Sache ist zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen. Auf die weiteren von der Staatsanwaltschaft erhobenen sachlich- und verfahrensrechtlichen Beanstandungen kommt es nicht mehr an.

III.


48
Für die neue Hauptverhandlung bemerkt der Senat im Hinblick auf die insoweit unzutreffenden Ausführungen des Landgerichts auf UA S. 61:
49
Die Kognitionspflicht des Gerichts bezieht sich auf die Tat im prozessualen Sinn (§ 264 StPO). Zur Tat als Prozessgegenstand gehört das gesamte Verhalten des Angeklagten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorkommnis nach der Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang bildet. Dies kann nicht unabhängig von der verletzten Strafbestimmung beurteilt werden. Im Steuerstrafrecht werden der Umfang und die Reichweite der prozessualen Tat neben der einschlägigen Blankettvorschrift maßgeblich durch die sie ausfüllenden Normen des Steuerstrafrechts bestimmt (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Mai 2009 – 1 StR 665/08, wistra 2009, 465 mwN). Hierbei ist in den Blick zu nehmen, dass es sich bei der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 AO um ein Erklärungs- und zugleich um ein Erfolgsdelikt handelt (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2009 – 1 StR 718/08, BGHR StPO § 267 Abs. 1 StPO Steuerhinterziehung 1). Deshalb ist beim Tatvorwurf der Steuerhinterziehung auch bei einem freisprechenden Urteil festzustellen und in den Urteilsgründen darzulegen, wann der Angeklagte welche Steuererklärun- gen mit welchem Inhalt abgegeben hat (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2009 – 1 StR 718/08, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Steuerhinterziehung 1 mwN). Die Urteilsgründe müssen zudem in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise erkennen lassen, ob die in den verfahrensgegenständlichen Steuererklärungen enthaltenen Angaben unrichtig oder unvollständig waren und ob sie gegebenenfalls zu einer Steuerverkürzung oder einem nicht gerechtfertigten Steuervorteil geführt haben. Dies beinhaltet, dass das Tatgericht nicht nur die in der Anklageschrift als Beleg für fehlerhafte Angaben angeführten Umstände in den Blick zu nehmen hat. Vielmehr muss es sich dann, wenn nach dem Gang der Hauptverhandlung hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für andere Geschehnisse bestehen, aus denen sich die Unrichtigkeit der verfahrensgegenständlichen Steuererklärungen ergeben kann, auch mit diesen Umständen auseinandersetzen. Gegebenenfalls hat das Tatgericht entsprechend § 265 StPO auf diese Veränderung hinzuweisen. Denn der Strafklageverbrauch eines Freispruchs würde einer neuen, auf solche Umstände gestützten Strafverfolgung entgegenstehen. Ein Freispruch kommt schließlich auch dann nicht in Betracht, wenn das vom Tatgericht festgestellte Verhalten eines Angeklagten den Ordnungswidrigkeitentatbestand der leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO) erfüllt (vgl. BGH, Urteil vom 8. September 2011 – 1 StR 38/11, wistra 2011, 465 mwN). Graf Jäger Mosbacher Fischer Bär

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 285/10
vom
28. Oktober 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Verdachts der Körperverletzung mit Todesfolge
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. Oktober
2010, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanovic,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Dr. Mutzbauer
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger gegen das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 20. Oktober 2009 werden verworfen.
Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft sowie die dem Angeklagten dadurch und durch die Revisionen der Nebenkläger entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
Die Nebenkläger tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel. Die im Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen tragen die Staatskasse und die Nebenkläger je zur Hälfte.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Nach der Anklage lag ihm zur Last, seine damalige Lebensgefährtin während einer Auseinandersetzung aus Eifersucht durch Schläge auf den Gesichtsbereich körperlich so schwer misshandelt zu haben, dass diese nach hinten mit dem Kopf auf ein Möbelstück oder auf den Boden fiel und wenige Tage später an den Folgen des dabei erlittenen beidseitigen subduralen Hämatoms verstarb. Die Staatsanwaltschaft beanstandet den Freispruch mit ihrer auf die Sachrüge gestützten und vom Generalbundesanwalt vertretenen Revision. Auch die Nebenkläger rügen die Verletzung materiellen Rechts; sie erheben ferner Verfahrensrügen. Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.

I.


2
1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
3
Nach einem überwiegend gemeinsam mit dem Angeklagten und seiner Lebensgefährtin, der später verstorbenen Petra K. , verbrachten Wochenende , in dessen Verlauf es auch zur Teilnahme an verschiedenen Feierlichkeiten gekommen war, wurde der inzwischen stark alkoholisierte Zeuge J. in den Abendstunden des 24. Juni 2007 von der Geschädigten mit dem Pkw nach Hause gefahren. Da diese länger als vom Angeklagten erwartet wegblieb , versuchte er, sie beim Zeugen J. telefonisch zu erreichen, was jedoch nicht gelang, da der Zeuge das Gespräch nicht annahm. Nach ihrer verspäteten Rückkehr in die gemeinsame Wohnung nahm die Geschädigte, die zu diesem Zeitpunkt weder unter Alkohol- noch unter Drogeneinfluss stand, zunächst eine Dusche. Das Landgericht hält es für möglich, dass sie während des Duschens auf dem nassen Untergrund der Duschbadewanne ausrutschte. Jedenfalls hörte der Angeklagte vom Schlafzimmer aus, wie die Geschädigte im Badezimmer „Aua“ oder „Scheiße“ rief. Nach Verlassen des Badezimmers teilte die Geschädigte dem Angeklagten mit, es sei „etwas passiert“, was der Angeklagte , ohne einer weiteren Erklärung zu bedürfen, dahin verstand, die Geschädigte habe ihn während ihres Aufenthaltes in der Wohnung des Zeugen J. mit diesem betrogen. In drei kurz aufeinander folgenden, seitens des Angeklagten äußerst erregt geführten Telefonaten mit dem Zeugen J. räumte dieser den Geschlechtsverkehr mit der Geschädigten letztlich ein. Die Geschädigte ihrerseits suchte nunmehr eine Aussprache mit dem Angeklagten und hielt ihn deshalb auf dem Weg ins Schlafzimmer im Flur fest. Der Angeklagte machte eine abschüttelnde Handbewegung mit dem rechten Arm, da er nicht reden, sondern allein sein wollte. Die Geschädigte erklärte daraufhin, ihr werde schlecht, was der Angeklagte mit der Bemerkung „Mir auch“ beantwortete. Daraufhin fiel die Geschädigte rückwärts um und krampfte; sie war nicht ansprechbar und verdrehte die Augen. Der Angeklagte begab sich zu dem mit ihm befreundeten Nachbarn, dem Zeugen P. , der den Rettungswagen und den Notarzt alarmierte. Die Geschädigte verstarb am 27. Juni 2007 im Krankenhaus.
4
2. Den Ausführungen der medizinischen Sachverständigen folgend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Geschädigte die zum Tode führenden Verletzungen im Schädel-Hirn-Bereich bei einem Sturz mit Anprall auf das Hinterhaupt erlitt. Es hat sich jedoch letztlich nicht davon überzeugen können , dass ein Handeln des Angeklagten, etwa ein Faustschlag auf die Kopfregion der Geschädigten, zu diesem Sturz führte. Trotz starker Indizien für eine Täterschaft des Angeklagten gebe es tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass sich die Geschädigte die Verletzungen während ihres Aufenthaltes bei dem Zeugen J. , später auf dem Heimweg oder nach Rückkehr in die Wohnung bei einem Sturz im Badezimmer während des Duschens ohne Fremdeinwirkung zugezogen habe. Eine körperliche Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten nach deren Rückkehr vom Zeugen J. habe nicht stattgefunden. Soweit am Körper der Geschädigten weitere, nur durch Fremdeinwirkung erklärbare Verletzungen im Gesichtsbereich festgestellt worden seien (Bluterguss an der rechten Wange, Hautrötung am Mundboden), sei eine zeitliche Verknüpfung mit einer Gewalteinwirkung auf den Schädel-Hirnbereich nicht möglich. Die anderen festgestellten Verletzungen könnten auch durch einen Sturz und außerdem zeitlich deutlich vor der todesursächlichen Verletzung im Schädel-Hirnbereich entstanden sein.

II.


5
Die von den Nebenklägern erhobenen Verfahrensrügen haben aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 23. Juli 2010 dargelegten Gründen keinen Erfolg.

III.


6
Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge hat einen Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten nicht ergeben. Die von der Staatsanwaltschaft und den Nebenklägern gleichermaßen beanstandete Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung stand.
7
1. Das Revisionsgericht muss es grundsätzlich hinnehmen, wenn der Tatrichter einen Angeklagten freispricht, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (BGHSt 21, 149, 151). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (BGHSt 29, 18, 20). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16 m.w.N.). Bei einem Freispruch unterliegt der Überprüfung auch, ob der Tatrichter überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt hat. Schließlich kann ein Rechtsfehler in einem solchen Fall auch darin liegen, dass das Tatgericht nach den Feststellungen nicht nahe lie- gende Schlussfolgerungen gezogen hat, ohne tragfähige Gründe anzuführen, die dieses Ergebnis stützen können. Denn es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten eines Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte vorhanden sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 24. Januar 2008 – 5 StR 253/07, NStZ 2008, 575 m.w.N.). Erkennt der Tatrichter auf Freispruch, obwohl nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten ein ganz erheblicher Tatverdacht besteht, muss er in seine Beweiswürdigung und deren Darlegung die ersichtlich möglicherweise wesentlichen gegen den Angeklagten sprechenden Umstände und Erwägungen einbeziehen und in einer Gesamtwürdigung betrachten (BGHSt 25, 285, 286; BGH, Urteil vom 24. Januar 2008 aaO).
8
2. Dem wird die Beweiswürdigung im vorliegenden Fall noch gerecht.
9
a) Vor dem Hintergrund der bestreitenden Angaben des Angeklagten sowie der Aussage des Zeugen J. und mangels unmittelbarer Tatzeugen hat das Landgericht im Rahmen der Beweiswürdigung folgerichtig zunächst die Ausführungen der medizinischen Sachverständigen zu dem für eine Verletzungshandlung in Betracht kommenden Zeitpunkt in den Vordergrund gestellt. Dass die Strafkammer auf der Grundlage der in den Urteilsgründen eingehend wiedergegebenen Darlegungen dreier erfahrener medizinischer Sachverständiger angenommen hat, das neuropathologische Verletzungsbild lasse den Schluss auf ein Schlag-Sturz-Geschehen bzw. ein Stoß-Sturz-Geschehen unter Fremdeinwirkung nicht mit der erforderlichen Sicherheit zu, stellt eine mögliche und deshalb vom Revisionsgericht hinzunehmende Schlussfolgerung dar. Die Angriffe der Beschwerdeführer dagegen verkennen, dass alle drei Sachverständigen ein Unfallgeschehen für nicht ausschließbar gehalten haben. Das Landgericht hat ferner rechtsfehlerfrei in diese Erwägungen einbezogen, dass die Sachverständigen auf Grund der erhobenen Befunde und nach medizinischer Erfahrung, wenngleich unter Angabe unterschiedlicher Wahrscheinlichkeitsgrade , eine ein- bis zweistündige Handlungsfähigkeit der Geschädigten nach der todesursächlichen Einwirkung auf ihre Schädel-Hirn-Region nicht auszuschließen vermochten. Danach durfte die Strafkammer aus Rechtsgründen begründete Zweifel an einem Tatgeschehen in der Wohnung nach Rückkehr der Geschädigten unter Mitwirkung des Angeklagten haben. Soweit die Staatsanwaltschaft in ihrer Revisionsbegründung meint, das in den Urteilsgründen dargelegte Verletzungsbild lege es bei zusammenfassender Würdigung nahe, von einem einheitlichen, durch den Angeklagten verursachten Verletzungsbild auszugehen, ersetzt sie die vom Gericht vorgenommene Bewertung der Indiztatsachen durch eine eigene. Einen Rechtsfehler vermag sie damit nicht aufzuzeigen ; es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Daran ändert sich nicht einmal dann etwas, wenn vom Tatrichter getroffene Feststellungen „lebensfremd“ erscheinen mögen, wie die Beschwerdeführer hier im Einzelnen darlegen. Es gibt im Strafprozess keinen Beweis des ersten Anscheins, der nicht auf der Gewissheit des Tatrichters, sondern auf der Wahrscheinlichkeit eines Geschehensablaufs beruht (BGH, Urteil vom 15. Juli 2008 – 1 StR 231/08). Auch die Beanstandung der Staatsanwaltschaft, die sich an die Bewertung der bei der Geschädigten diagnostizierten axonalen Zerreißungen von Nervenfortsätzen im Gehirn für die Frage eines sofortigen Eintritts von Bewusstlosigkeit knüpft, geht fehl. Abgesehen davon, dass der in den Ausführungen des Sachverständigen Dr. F. zunächst aufgetretene Widerspruch ausweislich der Urteilsgründe in der Hauptverhandlung geklärt werden konnte, hat das Landgericht den Umstand, dass sich allein aus dem Vorhandensein derartiger Zerreißungen keine sicheren Schlüsse auf eine sofortige Bewusstlosigkeit zie- hen lassen, rechtsfehlerfrei in die zusammenfassende Bewertung weiterer erheblicher Indiztatsachen einbezogen.
10
b) Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts hat das Landgericht die Bekundungen der Sachverständigen hinsichtlich der nicht todesursächlichen Verletzungen zu den Ausführungen hinsichtlich der tödlichen Schädel-HirnVerletzung ausreichend in Beziehung gesetzt und auch insoweit die Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung nicht überspannt. Es hat auch die diesbezüglichen Gutachtenergebnisse in den Urteilsgründen ausführlich mitgeteilt und – als Indiz für eine Täterschaft des Angeklagten – nicht verkannt, dass als Ursache der Verletzungen im Wangen- bzw. Mundbereich schlüssig nur ein Stoß- oder Schlaggeschehen in Frage kam. Andererseits vermochten die Sachverständigen Dr. Pf. und Dr. Z. übereinstimmend eine zeitliche Verknüpfung zwischen der todesverursachenden Verletzung und derjenigen im Wangen- bzw. Mundbodenbereich gerade nicht herzustellen; vielmehr war eine deutliche zeitliche Zäsur nicht auszuschließen.
11
c) Bei der Würdigung der bestreitenden Angaben des Angeklagten, die in den Urteilsgründen eingehend mitgeteilt werden, hat sich die Strafkammer ersichtlich von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab leiten lassen und diese ihren Feststellungen nicht vorschnell als unwiderlegbar zu Grunde gelegt. Sie hat vielmehr die – im Wesentlichen konstanten – Angaben, die der Angeklagte im Anschluss an den Abtransport der Geschädigten ins Krankenhaus Dritten gegenüber gemacht hat, durch Vernehmung einer Vielzahl von Zeugen ermittelt und ebenfalls ausführlich dargelegt. Die Ansicht der Beschwerdeführer, insbesondere im Hinblick auf einen möglichen Streit zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten seien die Erwägungen im Urteil widersprüchlich und deshalb rechtsfehlerhaft, greift zu kurz. Den Urteilsgründen ist zu entnehmen, dass das Landgericht die Einlassung des Angeklagten, es sei nach Rückkehr der Geschädigten zu keinerlei Streit zwischen ihnen gekommen, mangels unmittelbar anwesender Zeugen nicht zu widerlegen vermochte. Soweit es eine mögliche körperliche Auseinandersetzung betrifft, erweist sich diese Erwägung als tragfähig. Soweit der Zeuge P. bekundet hat, der Angeklagte habe ihm berichtet, die Geschädigte habe ihn getreten, kommt die Strafkammer zu dem möglichen Schluss, es habe sich um ein Treten im Zusammenhang mit dem Krampfanfall der Geschädigten gehandelt. Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnimmt der Senat ferner, dass das Landgericht aus einer auch von ihm als naheliegend in Betracht gezogenen verbalen Auseinandersetzung nach dem Eingeständnis der "Untreue" weiter gehende, für den Angeklagten nachteilige Schlussfolgerungen vor dem Hintergrund des übrigen Beweisergebnisses nicht ziehen wollte.
12
Ferner hat die Strafkammer das nicht in jeder Hinsicht widerspruchsfreie Aussageverhalten des Zeugen J. nachgezeichnet und auch dessen Motivlage vor dem Hintergrund eines nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbaren beginnenden Liebesverhältnisses zwischen ihm und der Geschädigten erwogen. Dass die Strafkammer den Angaben dieses Zeugen in wesentlichen Teilen nicht gefolgt ist, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
13
d) Schließlich fehlt es auch nicht an einer zusammenfassenden Bewertung des Beweisergebnisses und der Indizien unter dem Gesichtspunkt einer Gesamtwürdigung. Die dem Landgericht verbliebenen Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten sind jedenfalls nachvollziehbar und nicht nur abstrakttheoretisch. Den Beschwerdeführern ist zwar zuzugeben, dass die Strafkammer weitere Beweisanzeichen zusätzlich, weiter gehend oder noch detailierter hätte erörtern können. Indes kann eine Beweiswürdigung ihrer Natur nach nicht er- schöpfend in dem Sinne sein, dass alle irgendwie denkbaren Gesichtspunkte und Würdigungsvarianten in den Urteilsgründen ausdrücklich abgehandelt werden. Dies ist von Rechts wegen nicht zu verlangen. Aus einzelnen denkbaren oder tatsächlichen Lücken in der ausdrücklichen Erörterung kann nicht abgeleitet werden, der Tatrichter habe nach den sonstigen Urteilsfeststellungen auf der Hand liegende Wertungsgesichtspunkte nicht bedacht (BGH, Urteil vom 23. Juni 2010 – 2 StR 35/10).
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3. Da sowohl die Revision der Staatsanwaltschaft als auch die der Nebenkläger erfolglos geblieben sind, haben die Nebenkläger außer der Revisionsgebühr auch die Hälfte der gerichtlichen Auslagen zu tragen. Die durch die Rechtsmittel verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten hat allein die Staatskasse zu tragen (BGH, Urteil vom 6. Dezember 2007 – 3 StR 342/07, NStZ-RR 2008, 146; Urteil vom 30. November 2005 – 2 StR 402/05, NStZ-RR 2006, 128; vgl. aber BGH, Urteil vom 16. September 2010 – 3 StR 280/10).
Ernemann Solin-Stojanović Cierniak
Franke Mutzbauer