Bundesgerichtshof Urteil, 08. März 2017 - 2 StR 429/16
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8. März 2017, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Appl als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Eschelbach, Zeng, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Bartel, Richter am Bundesgerichtshof Dr. Grube,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Vollstreckung der Strafe und der Maßregel hat es zur Bewährung ausgesetzt. Schließlich hat es eine halbautomatische Selbstladepistole eingezogen. Gegen dieses Urteil richten sich die Revision des Angeklagten und die zu seinen Ungunsten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft jeweils mit der Sachrüge. Das Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet, dasjenige der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
I.
- 2
- 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte nachts in W. als Taxifahrer tätig und führte währenddessen ein Taxi, das am Tage dem Zeugen B. zur Verfügung stand. Im Februar 2014 fragte der Angeklagte am Taxistand seinen Kollegen B. nach dem in der Nähe stehenden Fahrer eines anderen Taxis und erfuhr den Spitznamen des Nebenklägers sowie dessen Eigenschaft als Taxiunternehmer. Er äußerte gegenüber dem Zeugen B. , dass der Nebenkläger ihn über Funk beschimpft habe und er- gänzte: „Leider hat die Polizei meine Pistole genommen, sonst hätte ich ihn in seinem Auto geschossen.“ Tatsächlich war eine Kommunikation über Funk unter den Taxifahrern nicht möglich. Die Vorstellung einer Beleidigung über Funk war eine Wahnvorstellung des Angeklagten, die auf einer schizoaffektiven Störung beruhte.
- 3
- Am 7. März 2014 gegen 21.00 Uhr stand der Nebenkläger mit einem Kollegen am Taxistand neben seinem Fahrzeug. Plötzlich lief der Angeklagte mit einer halbautomatischen Selbstladepistole Kaliber 7,62 mm in der Hand auf ihn zu, richtete die Pistole „in Höhe seines Bauches und der Beine“ auf ihn und sagte: „Du hast mich beleidigt über Funk. Jetzt kriegst du die Antwort auf die Beleidigung.“ Dann schoss er aus einer Entfernung von einem bis zwei Metern zweimal in Richtung der Füße des Nebenklägers. Ob er diesen bereits dabei traf, konnte nicht festgestellt werden. Der Nebenkläger wich zurück und fragte: „Was ist los? Ich kenne dich nicht. Ist das ein Spielzeug?“ Der Angeklagte gab darauf zwei weitere Schüsse in Richtung der Füße des Nebenklägers ab. Die- ser erkannte nun, dass er mit einer echten Waffe beschossen wurde. Deshalb lief er um das Taxi herum auf eine Grünfläche, um sich dort zwischen Bäumen zu verstecken. Der Angeklagte folgte ihm und gab drei weitere Schüsse ab. Auf der Grünfläche kam es zu einem Gerangel, in dessen Verlauf die Pistole auf den Rasen fiel und der Nebenkläger von einem Schlag des Angeklagten gegen die Schläfe getroffen wurde. Ein Hotelbediensteter und zwei Taxifahrer kamen hinzu, überwältigten den Angeklagten und verständigten die Polizei.
- 4
- Der Angeklagte hatte insgesamt sieben Schüsse abgegeben, die zu Weichteilverletzungen am rechten Unterschenkel und an beiden Füßen des Nebenklägers geführt hatten. Knochen und größere Blutgefäße wurden durch Zufall nicht getroffen.
- 5
- 2. Das Verfahren gegen den Angeklagten wegen des Vorwurfs, am 1. März 2013 unerlaubt eine andere halbautomatische Selbstladepistole Kaliber 6,35 mm nebst Munition besessen zu haben, hat das Landgericht gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt.
- 6
- 3. Die verfahrensgegenständliche Tat hat das Landgericht als tateinheitlich begangene Vergehen gemäß §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB, § 52 Abs. 1 Nr. 2 b WaffG gewertet. Die Qualifikation der Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB hat es nicht festgestellt. Zwar genüge dafür eine potentiell lebensgefährliche Handlung, wie sie hier vorgelegen habe. Jedoch müsse der Täter dabei mit dem Vorsatz zu einer das Leben gefährdenden Behandlung des Opfers gehandelt haben. Dies sei „nach den getroffenen Feststellungen und insbesondere der zutage getretenen Absicht des Angeklagten“ nicht sicher festzustellen.
- 7
- Das Landgericht hat die Tat als minder schweren Fall der gefährlichen Körperverletzung bewertet. Der Angeklagte habe bei der Begehung der Tat im Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit gemäß § 21 StGB gehandelt , weil er sich in der akuten Phase einer schizoaffektiven Störung befunden habe. Diesen vertypten Milderungsgrund hat das Landgericht in die Bewertung der gefährlichen Körperverletzung als minder schwerer Fall einbezogen. Außerdem hat es den so gemilderten Strafrahmen gemäß § 46a Nr. 1 in Verbindung mit § 49 Abs. 1 StGB weiter gemildert. Schließlich hat das Landgericht im Hinblick auf die schizoaffektive Störung des Angeklagten dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet. Die Vollstreckung von Strafe und Maßregel hat es zur Bewährung ausgesetzt.
II.
- 8
- Die Revision des Angeklagten ist unbegründet.
- 9
- Das Landgericht hat Feststellungen zur subjektiven Tatseite der Körperverletzung getroffen. Im Zusammenhang mit der rechtlichen Würdigung hat es ausgeführt: „Der Angeklagte nahm bei der jeweiligen Schussabgabe zumindest billigend in Kauf, dass der Zeuge H. durch Projektile oder Projektilteile an den Füßen bzw. den Beinen getroffen wird, sodass dessen tatsächliche Verlet- zungen von dem jedenfalls bedingten Vorsatz des Angeklagten erfasst sind.“ Nach den Gesamtumständen ist auch die zu Grunde liegende Beweiswürdigung rechtlich nicht zu beanstanden. Der Einlassung des Angeklagten, er habe „auf den Boden geschossen und versehentlich die Beine des Nebenklägers getroffen“ , ist das Landgericht ohne Rechtsfehler nicht gefolgt.
- 10
- Auch die Annahme der sachverständig beratenen Strafkammer, zur Tatzeit sei die Fähigkeit des Angeklagten zur Einsicht in das Unrecht der Tat und seine Fähigkeit, sich der Unrechtseinsicht gemäß zu verhalten, trotz einer akuten schizoaffektiven Störung nicht aufgehoben, die Steuerungsfähigkeit aber sicher erheblich eingeschränkt gewesen, ist rechtsfehlerfrei. Gleiches gilt für die Feststellung der weiteren Voraussetzungen für die Anordnung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB.
III.
- 11
- Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet.
- 12
- 1. Die Verneinung des Vorliegens einer Tat nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB ist nicht tragfähig begründet worden. Dies führt zur Urteilsaufhebung auch im Schuldspruch.
- 13
- a) Das Landgericht hat ausgeführt, nach „den getroffenen Feststellungen und insbesondere der zutage getretenen Absicht des Angeklagten“ sei nicht sicher festzustellen, dass der Angeklagte den Nebenkläger „lebensgefährlich verletzen wollte oder dies auch nur billigend in Kauf nahm“. Auf welche konkre- ten Feststellungen damit Bezug genommen wurde, bleibt unklar. Die vom Landgericht hervorgehobene „Absicht“ des Angeklagten, dem Nebenkläger ei- nen „Denkzettel“ zu verpassen, liefert keinen eindeutigen Hinweis auf eine Be- schränkung seines Vorsatzes, die schon für sich genommen einen zumindest bedingten Lebensgefährdungsvorsatz ausschließen könnte (vgl. für bedingten Tötungsvorsatz bei der Abgabe von Schüssen zur Erteilung eines „Denkzettels“ Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2015 – 2 StR 312/15, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 66). Eine Gesamtwürdigung aller Umstände hätte auch erfordert, die Äußerung des Angeklagten bereits im Februar 2014 gegenüber dem Zeugen B. zu berücksichtigen, er hätte den Nebenkläger „in sei- nem Auto geschossen“, wenn nicht die weitere Pistole, die er zuvor besessen hatte, von der Polizei sichergestellt worden wäre. Dieser Bemerkung hatte dieselbe Fehlvorstellung des Angeklagten über Beleidigungen durch den Nebenkläger zu Grunde gelegen wie der abgeurteilten Tat.
- 14
- b) Der Rechtsfehler betrifft nur eine von zwei Qualifikationsvarianten des § 224 Abs. 1 StGB unmittelbar. Der Senat hebt gleichwohl den Schuldspruch mit den Feststellungen auf, weil zwischen den Tatvarianten gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 und § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB hinsichtlich der Feststellungen zum subjektiven Tatbestand ein untrennbarer Zusammenhang besteht.
- 15
- 2. Die Aufhebung wegen gefährlicher Körperverletzung erfasst auch die Verurteilung wegen des tateinheitlich begangenen Waffendelikts.
- 16
- Der neu entscheidende Tatrichter wird auch eine Strafbarkeit wegen unerlaubten Besitzes von Munition zu erörtern haben (vgl. zur Tateinheit von Munitions - und Waffenbesitz Senat, Beschluss vom 7. Mai 2015 - 2 StR 478/14, NStZ-RR 2016, 155; zur Konkurrenz von Besitz und Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe BGH, Beschluss vom 15. Juni 2015 – 5 StR 197/15, NStZ 2015, 529).
- 17
- 3. Die Urteilsaufhebung im Schuldspruch und demzufolge im Strafausspruch zwingt zugleich zur Aufhebung der Maßregelentscheidung. Appl Eschelbach Zeng Bartel Grube
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Annotations
(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,
- 1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder - 2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.
(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.
(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.
(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.
(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.
(1) Wer die Körperverletzung
- 1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen, - 2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs, - 3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls, - 4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder - 5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
(2) Der Versuch ist strafbar.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:
- 1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. - 2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze. - 3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sich im Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre, im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate, im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate, im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.
(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
(1) Wer die Körperverletzung
- 1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen, - 2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs, - 3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls, - 4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder - 5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
(2) Der Versuch ist strafbar.
(1) Wer die Körperverletzung
- 1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen, - 2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs, - 3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls, - 4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder - 5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
(2) Der Versuch ist strafbar.