Bundesgerichtshof Urteil, 11. Sept. 2013 - 2 StR 287/13

published on 11/09/2013 00:00
Bundesgerichtshof Urteil, 11. Sept. 2013 - 2 StR 287/13
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 287/13
vom
11. September 2013
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. September
2013, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Schmitt,
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
Zeng,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 4. März 2013 werden verworfen; jedoch wird der Schuldspruch dahingehend ergänzt, dass der Angeklagte wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit besonders schwerem Raub, schwerer Körperverletzung und gefährlicher Körperverletzung verurteilt ist. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels sowie die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last. Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerem Raub, schwerer Körperverletzung und gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vierzehn Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil richten sich die Revision des Angeklagten und die zu seinen Ungunsten eingelegte, auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft ; beide Rechtsmittel haben keinen Erfolg.

I.

2
Nach den Feststellungen leidet der zur Tatzeit 46-jährige Angeklagte seit 1991 unter Spielsucht, weshalb er in der Vergangenheit mehrere stationäre und ambulante Therapien ohne nachhaltigen Erfolg absolviert hat. Infolge exzessiven Spielens verlor er mehrfach seinen Arbeitsplatz und häufte Schulden in Höhe von ca. 50.000 € an; dies führte im November 2011 auch zur Trennung von seiner Ehefrau und den vier gemeinsamen Kindern.
3
Am 22. Mai 2012 hatte sich der Angeklagte unter einem Vorwand von seinem damaligen Arbeitgeber einen Vorschuss von 500 € erschwindelt, den er im Verlaufe des Abends und der Nacht in seiner Stamm-Spielhalle " " vollständig verspielte. Einzige Spielhallenaufsicht in dieser Nacht war die 47-jährige Nebenklägerin, die ihren Dienst in einem durch Glasscheiben umgebenen Aufsichtsrondell versah. Gegen 5 Uhr morgens kurz vor Schließen der Spielhalle entschloss sich der Angeklagte als letzter Gast, die Nebenklägerin zu überfallen, um mit der erhofften Beute in einer anderen Spielhalle weiter spielen zu können. Im Bereich der Herrentoilette spiegelte er Kreislaufprobleme vor und lockte so die Nebenklägerin aus dem Aufsichtsrondell. Diese stützte den Angeklagten , half ihm, sich auf den Boden zu setzen und holte ihm ein Glas Wasser. Diese Situation nutzte der Angeklagte zum Überfall aus, indem er aufsprang, die Geschädigte würgte und in einen von der optischen Überwachungsanlage nicht erfassten Bereich der Spielhalle zerrte. Dort schlug er - den Tod der Geschädigten billigend in Kauf nehmend - diese mit zwei wuchtigen Faustschlägen ins Gesicht zu Boden, ergriff ihren Kopf und schlug diesen mehrfach gegen die Wand und auf den Boden. Anschließend trat er ihr noch zweimal mit dem beschuhten Fuß gegen den Kopf, drehte sein bewusstloses Opfer auf den Bauch und fesselte es für den unerwarteten Fall der Wiedererlangung des Bewusstseins. Die aus den Kopfverletzungen und dem Ohr blutende Geschädigte erlitt infolge der Schläge und Tritte u.a. eine Mittelgesichts- und Nasenbeinfraktur. Durch das Aufschlagen des Kopfes gegen Wand und Boden entstand ein schwerstes Schädel-Hirntrauma, weshalb akute Todesgefahr bestand. Dem Angeklagten, der die Schwere der Verletzungen erkannte, war bewusst, dass die Geschädigte ohne medizinische Hilfe alsbald versterben würde. Gleichwohl setzte er den Überfall fort, indem er aus dem offenstehenden Aufsichtsrondell Münzgeld im Wert von 290 € sowie die Handtasche der Geschädigten mit Ausweispapieren , Handy und Portemonnaie an sich nahm, bevor er wegen des Eintreffens einer weiteren, zum Schichtwechsel eintreffenden Spielhallenaufsicht fluchtartig das " " verließ. Anschließend fuhr er zu einer anderen Spielhalle, wo er mit dem erbeuteten Geld das Glücksspiel an Automaten fortsetzte. Im Verlaufe des Morgens veränderte er sein Aussehen, indem er neue Kleidung erwarb und sich eine Glatze rasieren sowie den Bart abnehmen ließ. Am darauffolgenden Tag nahm der Angeklagte auf Betreiben seiner Familie von der bereits vorbereiteten Flucht in die Türkei Abstand und stellte sich den Behörden.
4
Die Geschädigte befindet sich seit dem Überfall im Wachkomazustand und ist vollständig auf Pflege angewiesen. Eine Besserung ihres Zustandes ist nicht zu erwarten.

II.

5
1. Die Revision des auch zur subjektiven Seite umfassend geständigen Angeklagten bleibt ohne Erfolg.
6
Der Schuldspruch ist frei von Rechtsfehlern und bedarf nur insoweit der Klarstellung, dass der Angeklagte wegen eines tateinheitlich begangenen besonders schweren Raubes verurteilt ist. Auch der Strafausspruch ist nicht zu beanstanden. Die Strafkammer hat im Grundsatz zutreffend berücksichtigt, dass der Angeklagte vier Straftatbestände in jeweils mehreren Varianten verwirklicht hat, so den versuchten Mord mit dem Merkmal der Habgier, der Heimtücke und in Ermöglichungsabsicht, den besonders schweren Raub in den Alternativen des § 250 Abs. 2 Nr. 3 a und b StGB, die schwere Körperverletzung gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB in den Tatbestandsalternativen Siechtum, Lähmung und geistige Behinderung sowie die gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 5 StGB.
7
Soweit das Landgericht verkannt hat, dass § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB von § 250 Abs. 2 Nr. 3 b StGB verdrängt wird (BGH NStZ 2006, 449), schließt der Senat aus, dass die Strafkammer bei zutreffender rechtlicher Einordnung auf eine niedrigere Freiheitsstrafe erkannt hätte.
8
2. Die wirksam auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 3) ist ebenfalls unbegründet.
9
Dass die Strafkammer hier eine Strafrahmenverschiebung gemäß § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB vorgenommen und eine zeitige Freiheitsstrafe von vierzehn Jahren verhängt hat, ist im Ergebnis revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
10
Dem Revisionsführer ist darin zuzustimmen, dass die rechtsfehlerfreie Anwendung des § 23 Abs. 2 StGB eine Gesamtschau verlangt, die neben der Persönlichkeit des Täters die Tatumstände im weitesten Sinne und dabei insbesondere auch die versuchsbezogenen Gesichtspunkte wie Nähe zur Tatvollendung , Gefährlichkeit des Versuchs und eingesetzte kriminelle Energie einbezieht. Eine sorgfältige Abwägung dieser Umstände, auch soweit sie für den Täter sprechen, ist namentlich dann geboten, wenn von der Entschließung über die versuchsbedingte Milderung die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe abhängt (BGH NStZ 2004, 620).
11
Diesen Anforderungen genügt die vom Landgericht vorgenommene Gesamtabwägung im Ergebnis [noch]. Die Revision beanstandet, die Strafkammer habe bei der Abwägung, ob eine Strafrahmenmilderung vorzunehmen ist, als für den Angeklagten sprechenden Umstand gewertet, dass "die Tat im Hinblick auf den Tatbestand des Mordes unvollendet blieb". Eine solche Erwägung lässt für sich genommen befürchten, die Strafkammer habe verkannt, dass die Nichtvollendung der Tat Grundvoraussetzung für die Eröffnung des Ermessensspielraums des Tatrichters ist und keinen ermessensbestimmenden Faktor innerhalb der vorzunehmenden Gesamtwürdigung darstellt. Ob dieser Formulierung tatsächlich ein solch rechtsfehlerhaftes Verständnis seitens des Landgerichts zugrundeliegt , kann hier jedoch dahinstehen. Jedenfalls schließt der Senat ein Beruhen des Urteils auf dieser Erwägung aus. Das Landgericht hat ausdrücklich in seine Abwägung einbezogen, dass "das Erfolgsunrecht der Tat sehr nah an dasjenige des vollendeten Mordes heranreicht." Gleichzeitig hat es jedoch auch eine Vielzahl gravierender, zu Gunsten des Angeklagten sprechender Umstände festgestellt. So ist der Angeklagte nicht vorbestraft und hat ein sozial integriertes Leben geführt. Es handelte sich um eine Spontantat mit geringer Beute, bei der der Angeklagte infolge seiner Spielsucht zwar nicht erheblich in seiner Steuerungsfähigkeit eingeschränkt, wohl aber enthemmt war. Nach der Tat hat er sich der Polizei gestellt und ein von Reue und Einsicht getragenes umfassendes Geständnis auch zur subjektiven Seite abgelegt. Schließlich hat er sich in der Hauptverhandlung entschuldigt und zur Wiedergutmachung die Zahlung eines nicht unerheblichen Geldbetrages angeboten.
12
Auch soweit die Strafkammer bei der Strafzumessung im engeren Sinne nochmals - mit gemindertem Gewicht - zu Gunsten des Angeklagten gewertet hat, dass die Tat unvollendet blieb, führt dies nicht zur Aufhebung des Strafausspruchs. Zwar kann innerhalb eines Strafrahmens, der wegen Versuchs gemildert worden ist, allein der Umstand, dass ein Versuch vorliegt, keine Bedeutung für die Findung der angemessenen Strafe entfalten (BGH NStZ 1990, 30). Allerdings schließt der Senat im Hinblick auf die bereits geschilderten, auch hier zu Gunsten des Angeklagten sprechenden gravierenden Milderungsgründe aus, dass die Strafkammer innerhalb des bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe reichenden Strafrahmens eine höhere Freiheitsstrafe als 14 Jahre verhängt hätte. Appl Schmitt Krehl Eschelbach Zeng
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(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes: 1. An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.2. Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf hö
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(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes: 1. An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.2. Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf hö
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Annotations

(1) Hat die Körperverletzung zur Folge, daß die verletzte Person

1.
das Sehvermögen auf einem Auge oder beiden Augen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert,
2.
ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nicht mehr gebrauchen kann oder
3.
in erheblicher Weise dauernd entstellt wird oder in Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit oder Behinderung verfällt,
so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

(2) Verursacht der Täter eine der in Absatz 1 bezeichneten Folgen absichtlich oder wissentlich, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt.

(2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1).

(3) Hat der Täter aus grobem Unverstand verkannt, daß der Versuch nach der Art des Gegenstandes, an dem, oder des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte, so kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2).

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.

(1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt.

(2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1).

(3) Hat der Täter aus grobem Unverstand verkannt, daß der Versuch nach der Art des Gegenstandes, an dem, oder des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte, so kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2).