Bundesgerichtshof Urteil, 17. Dez. 2008 - 1 StR 552/08
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf, seine im Jahre 1987 geborene Stieftochter O. - die Nebenklägerin - im Jahre 1992, im Mai/Juni 1996 sowie zwischen Ende 1996 und Mai 1997 sexuell missbraucht zu haben, aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die hiergegen von der Nebenklägerin eingelegte Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.
- 2
- Der Senat muss offen lassen, ob der Freispruch in der Sache rechtsfehlerfrei erfolgt ist, da ihm insoweit eine Nachprüfung nicht möglich ist. Das angefochtene Urteil wird nämlich schon den Anforderungen an die Begründungspflicht bei einem freisprechenden Urteil nicht gerecht. Spricht das Tatgericht den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen frei, so muss es in den Urteilsgründen den Anklagevorwurf, die hierzu getroffenen Feststellungen, die we- sentlichen Beweisgründe und seine rechtlichen Erwägungen mitteilen (MeyerGoßner , StPO 51. Aufl. § 267 Rdn. 33 m.w.N.). Diese Mindestvoraussetzungen sind nicht erfüllt. Das Urteil leidet an mehreren Darstellungs- und Erörterungsmängeln , die dem Senat eine Prüfung auf Rechtsfehler verwehren.
- 3
- 1. Die Urteilsgründe geben bereits nicht die einzelnen Anklagevorwürfe in den wesentlichen Einzelheiten der vorgeworfenen Tathandlungen wieder, sondern setzen sie als bekannt voraus. Eine Bezugnahme auf die Anklagepunkte ist jedoch insoweit nicht zulässig. Das Urteil muss aus sich heraus verständlich sein (vgl. BGHSt 37, 21, 22).
- 4
- 2. Die Urteilsgründe enthalten keine Feststellungen zum Werdegang und zur Persönlichkeit des Angeklagten. Zu solchen Feststellungen ist das Tatgericht verpflichtet, wenn diese - z.B. bei einschlägigen Vorverurteilungen - für die Beurteilung des Tatvorwurfs eine Rolle spielen können (vgl. BGH, Urt. vom 23. Juli 2008 - 2 StR 150/08). Einschlägige Vorverurteilungen stehen hier im Raum.
- 5
- 3. Feststellungen zum eigentlichen Tatgeschehen waren der Strafkammer zwar nicht möglich, weil sie zu der Auffassung gelangte, dass nach der Beweisaufnahme nichts blieb, was zu den Tatvorwürfen zu ihrer Überzeugung als erwiesen hätte festgestellt werden können. In diesem Falle hätte sie jedoch die hierfür maßgeblichen Gründe so darlegen müssen, dass das Revisionsgericht prüfen kann, ob der den Entscheidungsgegenstand bildende Sachverhalt erschöpfend gewürdigt ist (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 7). Hieran fehlt es in mehrfacher Hinsicht:
- 6
- Die Kammer teilt schon im Ausgangspunkt nicht die Aussage der Belastungszeugin in ihrer Entstehung und nach ihrem wesentlichen Inhalt mit. Dies war hier erforderlich, weil Aussage gegen Aussage stand und die Entscheidung allein davon abhing, welcher Person die Kammer Glauben schenkt. Ihrer Pflicht konnte die Kammer sich nicht dadurch entziehen, dass sie einige Argumente gegen die Glaubhaftigkeit der Aussage angeführt hat. Denn diese stellen nur einen Ausschnitt aus der gebotenen Gesamtwürdigung dar. Eine umfassende Nachprüfung der Überzeugungsbildung ist so nicht möglich.
- 7
- Tagebuchaufzeichnungen der Belastungszeugin, die für die Beweiswürdigung von zentraler Bedeutung waren, werden im Urteil nicht wiedergegeben, sondern nur unter Bezugnahme auf den Akteninhalt bewertet. Eine Verweisung auf Schriften ist in den Urteilsgründen nicht statthaft (vgl. BGH bei Becker NStZRR 2003, 99).
- 8
- Ein weiterer durchgreifender Mangel liegt darin, dass die Strafkammer den Inhalt des erstatteten Glaubwürdigkeitsgutachtens nicht mitteilt, obwohl dieses im Gegensatz zur Kammer zu dem Ergebnis kommt, dass "mit hoher Wahrscheinlichkeit von der Erlebnisfundiertheit der Bekundungen von O. L. auszugehen" sei. Zwar ist das Gericht nicht gehindert, eine von dem Sachverständigengutachten abweichende eigene Beurteilung der Aussagekonstanz und der Glaubhaftigkeit der Angaben eines Belastungszeugen vorzunehmen ; denn das Tatgericht ist im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung stets zu einer eigenen Beurteilung verpflichtet (vgl. BGHR StPO § 261 Sachverständiger 9; BGH, Beschl. vom 16. September 2008 - 3 StR 302/08). Will es jedoch eine Frage, zu deren Beantwortung es sachverständige Hilfe für erforderlich gehalten hat, in Widerspruch zu dem Gutachten beantworten, muss es die Ausführungen des Sachverständigen in nachprüfbarer Weise wiedergeben.
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(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.
(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.
(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.
(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.
(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.
(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.
Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.