Bundesgerichtshof Urteil, 20. Dez. 2017 - IV ZR 11/16
Gericht
Tenor
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Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 16. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 17. Dezember 2015 aufgehoben.
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Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
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Von Rechts wegen
Tatbestand
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Der Kläger verlangt Leistungen aus einer bei der Beklagten gehaltenen Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung.
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§ 2 der zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen lautet auszugsweise:
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"1. Vollständige Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn der Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich dauernd außerstande ist, seinen Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und seiner bisherigen Lebensstellung entspricht."
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Der Kläger wurde in der Zeit von 1987 bis 1991 zum Landmaschinenmechaniker ausgebildet. Von Juli 1994 bis Ende Dezember 2000 arbeitete er im Bereich Metallbau mit einem Schwerpunkt Hufbeschlag. Danach absolvierte er einen viereinhalb Monate dauernden, ganztägigen Lehrgang zum Hufbeschlagschmied und war von Juni 2003 bis März 2009 in diesem Beruf selbständig tätig. Vom 1. April 2009 bis 30. April 2015 war er in einer Biogasanlage zunächst als Anlagenwart, dann als Maschinenführer tätig. Seit dem 1. Mai 2015 ist er als Lagerist in einem anderen Unternehmen beschäftigt.
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Der Kläger behauptet, sein im Jahr 2004 beginnendes Leiden - unter anderem chronische Lendenwirbel- und Schultergelenksbeschwerden - habe den Wechsel zur Tätigkeit in der Biogasanlage erforderlich gemacht. Er habe die Tätigkeit als Hufbeschlagschmied zunächst noch nebenberuflich weitergeführt, sei aber in diesem Beruf jedenfalls seit Juli 2012 zu mindestens 50% berufsunfähig.
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Die Beklagte verweigert die Leistungen mit der Begründung, der Kläger könne auf die Tätigkeit als Maschinenführer verwiesen werden.
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Die Klage hat in den Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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I. Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob der für die Frage der Berufsunfähigkeit heranzuziehende Beruf des Klägers der des Hufbeschlagschmieds gewesen ist und ob er diesen Beruf aus gesundheitlichen und nicht aus allein wirtschaftlichen Gründen gewechselt hat. Selbst wenn man unterstelle, dass er im Beruf des Hufbeschlagschmieds zu mindestens 50% berufsunfähig geworden sei, habe die Beklagte ihn jedenfalls in zulässiger Weise auf seine Tätigkeit als Maschinenführer verwiesen. Nach den Versicherungsbedingungen müsse es sich um eine Tätigkeit handeln, die ihm nach seiner Ausbildung und Berufserfahrung möglich sei und seiner Lebensstellung entspreche. Die erstere Voraussetzung sei aufgrund seiner Ausbildung als Landmaschinenmechaniker und einer früheren Tätigkeit als Maschinenführer im Garten- und Landschaftsbau unzweifelhaft erfüllt. Die Tätigkeit entspreche auch seiner bisherigen Lebensstellung, zu der die Verdienstmöglichkeiten, aber auch das Ansehen des Berufs in der Öffentlichkeit gehörten. Zwar habe der Kläger als selbständiger Hufbeschlagschmied im ländlichen Bereich möglicherweise ein etwas höheres Sozialprestige gehabt als ein angestellter Maschinenführer. Dies werde aber durch das höhere und überhaupt erst jetzt einigermaßen auskömmliche Einkommen des Klägers als Maschinenführer mehr als ausgeglichen. Von seinem früheren Einkommen als Hufbeschlagschmied sei ihm dagegen praktisch nichts zum Leben verblieben.
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II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der gegebenen Begründung durfte das Berufungsgericht die Klage nicht abweisen. Das Berufungsgericht hat angenommen, dass die zwischenzeitlich ausgeübte Tätigkeit des Klägers als Maschinenführer seiner bisherigen Lebensstellung entsprach, ohne die Qualifikation des Klägers, die er für seinen nach der Unterstellung des Berufungsgerichts in gesunden Tagen zuletzt ausgeübten Beruf erworben hatte, mit der für die Tätigkeit als Maschinenführer erforderlichen zu vergleichen.
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1. Eine Verweisung des Versicherten auf eine andere Tätigkeit kommt nach § 2 Abs. 1 der Bedingungen der Beklagten nur dann in Betracht, wenn die andere Tätigkeit seiner bisherigen Lebensstellung entspricht. Die bisherige Lebensstellung wird vor allem durch die zuletzt ausgeübte Tätigkeit geprägt. Ihre Berücksichtigung sondert Tätigkeiten aus, deren Ausübung deutlich geringere Fähigkeiten und Erfahrung erfordert als der bisherige Beruf (Senatsurteile vom 21. April 2010 - IV ZR 8/08, VersR 2010, 1023 Rn. 11; vom 11. Dezember 2002 - IV ZR 302/01, NJW-RR 2003, 383 unter II 1 [juris Rn. 13]; vom 11. Dezember 1996 - IV ZR 238/95, VersR 1997, 436 unter II 3 b [juris Rn. 29]). Die Lebensstellung des Versicherten wird also von der Qualifikation seiner Erwerbstätigkeit bestimmt, die sich wiederum daran orientiert, welche Kenntnisse und Erfahrungen die ordnungsgemäße und sachgerechte Ausübung der Tätigkeit voraussetzt. Eine Vergleichstätigkeit ist dann gefunden, wenn die neue Erwerbstätigkeit keine deutlich geringeren Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert und in ihrer Vergütung sowie in ihrer sozialen Wertschätzung nicht spürbar unter das Niveau des bislang ausgeübten Berufs absinkt (aaO).
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2. Diesen Maßstäben genügt die Vergleichsbetrachtung des Berufungsgerichts nicht.
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a) Der Umstand, dass das Einkommen des Klägers als Hufbeschlagschmied nicht zur Deckung des Lebensunterhalts ausreichte und sein Berufswechsel zu einer erheblichen Einkommenssteigerung geführt hat, ändert nichts daran, dass die für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit erforderlichen Kenntnisse und die hierfür notwendige Erfahrung seine berufliche Qualifikation, die durch die neue Tätigkeit nicht deutlich unterschritten werden darf, bestimmen. Der Versicherte darf in dem von ihm ausgeübten Verweisungsberuf unabhängig von einem unter Umständen auch höheren Einkommen nicht "unterwertig", also seine frühere Qualifikation und seinen beruflichen oder sozialen Status unterschreitend, beschäftigt sein (Rixecker in Langheid/Rixecker, VVG 5. Aufl. § 172 Rn. 46).
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b) Selbst wenn der Kläger - worauf sich die Revisionserwiderung beruft - seiner Darlegungslast insoweit noch nicht genügt hätte, führte dies nicht zur Abweisung der Klage. Denn er hatte mit Blick darauf, dass das Berufungsgericht nur eine Beschreibung seiner neuen Tätigkeit forderte, keinen Anlass davon auszugehen, er habe bislang nicht ausreichend zu den Vergleichsgrundlagen hinsichtlich des mit beiden Berufen verbundenen Anforderungsprofils vorgetragen. Einen der Sache nach gemäß § 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO gebotenen Hinweis hat das Berufungsgericht nicht erteilt.
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III. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. An einer eigenen Sachentscheidung ist der Senat bereits deswegen gehindert, weil das Berufungsgericht keine Feststellungen zu den Anforderungsprofilen für die Tätigkeit als Hufbeschlagschmied einerseits und als Maschinenführer andererseits getroffen hat. Hierzu - und gegebenenfalls zu den bisher vom Berufungsgericht offengelassenen Fragen zum zuletzt ausgeübten Beruf des Klägers, den Gründen für seinen Berufswechsel und der behaupteten Berufsunfähigkeit - wird das Berufungsgericht noch entsprechende Feststellungen zu treffen haben.
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Mayen
Dr. Karczewski
Lehmann
Dr. Brockmöller
Dr. Bußmann
Annotations
(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.
(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.
(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.
(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.
(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.