Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Sept. 2024 - XIII ZB 71/22

originally published: 23/10/2024 19:41, updated: 23/10/2024 19:43
Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Sept. 2024 - XIII ZB 71/22
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Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Principles

Amtliche Leitsätze

a) Ist der Aufenthalt eines Ausländers bestandskräftig auf den Bezirk einer Ausländerbehörde beschränkt, kann er einen gewöhnlichen Aufenthalt an einem anderen Ort nicht mehr begründen (Bestätigung von BGH, Beschlüsse vom 18. März 2010 - V ZB 194/09FGPrax 2010, 156 Rn. 13, vom 13. Oktober 2011 - V ZB 13/11InfAuslR 2012, 74 Rn. 5).

b) Der Ausländer ist gemäß § 62 Abs. 3b Nr. 7 AufenthG 2022 dem behördlichen Zugriff entzogen, wenn er nach Bekanntwerden seines Aufenthaltsorts diesen wechselt und der neue Aufenthaltsort der Ausländerbehörde (erneut) nicht bekannt ist.

Bundesgerichtshof

Beschluss vom 17. September 2024

Az.: XIII ZB 71/22

 

 

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 53. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 31. August 2022 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Landgericht die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 12. August 2022 für den Zeitraum ab dem 31. August 2022 zurückgewiesen hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu anderweitiger Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Antrag der Betroffenen auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für die Rechtsbeschwerde wird abgelehnt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Gründe

I.    Die Betroffene, eine thailändische Staatsangehörige, reiste am 17. August 2018 mit einem Schengenvisum nach Frankreich ein und hielt sich seither im Schengenraum auf. Ihr Visum lief am 23. Februar 2018 ab. Am 19. Januar 2020 stellte die Polizei anlässlich einer Verkehrskontrolle in S fest, dass sich die Betroffene unerlaubt im Bundesgebiet aufhielt. Ihr Pass wurde einbehalten und sie erhielt die Auflage, sich am 20. Januar 2020 bei der beteiligten Behörde zu melden. Der Auflage kam die Betroffene nicht nach. Die beteiligte Behörde erließ am 10. Februar 2020 eine Ausweisungsverfügung mit Abschiebungsandrohung und ordnete die sofortige Vollziehbarkeit an. Die Verfügung konnte der Betroffenen unter der von ihr bei der Kontrolle angegebenen Anschrift nicht zugestellt werden, weil sie dort nicht zu ermitteln war. Als die Betroffene am 20. Februar 2020 erneut - dieses Mal von der Polizei in B - aufgegriffen wurde, wurden ihr die Ausweisungsverfügung und eine Anlaufbescheinigung vom 20. Februar 2020, durch die ihr Aufenthalt bis zur Ausreise auf den Landkreis R der beteiligten Behörde beschränkt wurde, mit der Aufforderung zur Vorsprache bei der beteiligten Behörde übergeben. Die Ausweisungsverfügung wurde bestandskräftig; die Vorsprache erfolgte nicht. Die Betroffene wurde zur Festnahme ausgeschrieben und am 29. Juni 2022 in H festgenommen.

Mit Beschluss vom 30. Juni 2022 ordnete das Amtsgericht auf Antrag der beteiligten Behörde Abschiebungshaft bis zum 22. Juli 2022 an. Nachdem eine von der Betroffenen bei der beteiligten Behörde beantragte Aufenthaltserlaubnis abgelehnt worden war, stellte die Betroffene am 18. Juli 2022 einen Asylantrag. Die für den 20. Juli 2022 geplante Abschiebung fand daraufhin nicht statt. Die Haft wurde mit Beschluss des Amtsgerichts vom 21. Juli 2022 bis zum 12. August 2022 verlängert. Am 10. August 2022 wies das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend Bundesamt) den Asylantrag als offensichtlich unbegründet zurück. Am 11. August 2022 ordnete das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung bis zur Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren an. Daraufhin wurde die für diesen Tag vorgesehene Abschiebung abgebrochen.

Auf den am gleichen Tag gestellten Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht am 12. August 2022 die Haft bis zum 9. September 2022 verlängert. Dagegen hat die Betroffene am gleichen Tag Beschwerde eingelegt und die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft beantragt. Mit Beschluss vom 31. August 2022 hat das Landgericht die Beschwerde zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde beantragt die Betroffene, die Beschlüsse des Amtsgerichts vom 12. August 2022 und des Beschwerdegerichts vom 31. August 2022 aufzuheben, und festzustellen, dass der Vollzug der Haft die Betroffene ab dem 11. August 2022 in ihren Rechten verletzt hat.

II.    Die zulässige Rechtsbeschwerde hat teilweise Erfolg.

1.    Das Beschwerdegericht hat angenommen, die Abschiebungshaft sei zu Recht angeordnet worden. Es liege ein zulässiger Haftantrag vor. Die Betroffene habe sich zuletzt in S aufgehalten und sei dort aufgegriffen worden, so dass an der örtlichen Zuständigkeit der beteiligten Behörde kein Zweifel bestehe. Die Betroffene sei vollziehbar ausreisepflichtig, die Ausreisepflicht sei vollstreckbar und es bestehe der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 62 Abs. 3b Nr. 7, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Es stehe nicht fest, dass die Abschiebung innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten nicht durchgeführt werden könne. Die Verzögerungen durch den Abbruch der Abschiebungsmaßnahme am 11. August 2022 habe die beteiligte Behörde nicht zu vertreten. Sie habe mitgeteilt, dass die Abschiebung binnen vier Wochen erfolgen könne. Aus diesem Grund sei die Haft bis zum 9. September 2022 befristet worden. Die Haftdauer sei auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit und des Beschleunigungsgebots nicht zu beanstanden.

2.    Das hält der rechtlichen Nachprüfung für den Haftzeitraum vom 12. bis 30. August 2022, mithin bis zum Tag vor der Entscheidung des Beschwerdegerichts stand. Zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung fehlte es aber für die Annahme, eine Abschiebung sei gemäß § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG 2022 innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten nicht ausgeschlossen, an einer ausreichenden Grundlage.

a)    Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde liegt ein zulässiger Haftantrag vor.

aa)    Keinen Erfolg hat die Rüge der Rechtsbeschwerde, es fehle an der örtlichen Zuständigkeit der beteiligten Behörde, weil die Betroffene im Landkreis R keinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe, sondern in H wohnhaft gewesen sei. Die beteiligte Behörde ist die für die Beantragung der Abschiebungshaft sachlich und örtlich zuständige Verwaltungsbehörde.

(1)    Die Zuständigkeit der den Haftantrag stellenden Verwaltungsbehörde ist nach § 417 Abs. 1 FamFG unabdingbare Voraussetzung für die richterliche Haftanordnung und von Amts wegen zu prüfen. Sachlich zuständig ist gemäß § 71 AufenthG die Ausländerbehörde. Die örtliche Zuständigkeit folgt aus den jeweiligen Landesgesetzen. Maßgeblich für die Zuständigkeit ist der Zeitpunkt der Haftantragstellung (BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2023 - XIII ZB 32/21" href="https://openjur.de/u/2481658.html" rel="nofollow">XIII ZB 32/21, juris Rn. 6 mwN).

(2)    Danach war die beteiligte Behörde die gemäß § 1 Abs. 1 NVwVfG, § 3 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG, § 71 AufenthG in Verbindung mit § 2 Nr. 1 AllgZustVO-Kom (in der 2022 geltenden Fassung), § 51 Abs. 6, § 61 AufenthG sachlich und örtlich zuständige Ausländerbehörde.

(a)    Örtlich zuständig ist in Angelegenheiten, die eine natürliche Person betreffen, und die nicht § 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2 VwVfG unterfallen, die Behörde, in deren Bezirk die natürliche Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat oder zuletzt hatte, § 3 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a VwVfG. In Angelegenheiten, bei denen sich die Zuständigkeit nicht aus § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG ergibt, ist gemäß Nummer 4 der Vorschrift die (Ausländer-)Behörde örtlich zuständig, in deren Bezirk der Anlass für die Amtshandlung hervortritt.

(b)    So lag es zunächst hier, nachdem die Betroffene am 19. Januar 2020 im Bezirk der beteiligen Behörde angetroffen worden war. Ein anderweitiger gewöhnlicher Aufenthalt (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 5. Dezember 2017 - 13 ME 181/17" href="https://openjur.de/u/2183814.html" rel="nofollow">13 ME 181/1713 ME 181/17" href="https://openjur.de/u/2183814.html" rel="nofollow">DVBl 2018, 268 Rn. 28) bestand zu diesem Zeitpunkt nicht. Die Betroffene hielt sich nach ihren Angaben bei der Vernehmung am 20. Februar 2020 ab einem nicht näher benannten Zeitpunkt nach Weihnachten 2019 bis zu ihrem Aufgreifen am 20. Februar 2020 vorrangig in B auf. Dass sie dort erkennbar nicht nur vorübergehend verweilte, sondern auf unabsehbare Zeit lebte, macht sie selbst nicht geltend und ist auch nicht ersichtlich, zumal sie am 19. Januar 2020 eine Adresse in H angab (K Straße 344). Unter dieser konnte sie in der Folge aber nicht erreicht oder von der Post ermittelt werden. Sie stimmt auch nicht mit der Adresse überein, an der die Betroffene sodann ab einem nicht genauer bezeichneten Zeitpunkt nach Ausbruch der Corona-Pandemie gewohnt haben will (K Straße 394 in H). Die beteiligte Behörde hat folglich aufgrund der gemäß § 1 Abs. 1 NVwVfG, § 3 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG begründeten Zuständigkeit die Ausweisungsverfügung erlassen und sodann in der der Betroffenen ausgehändigten Anlaufbescheinigung vom 20. Februar 2020 den Aufenthalt der Betroffenen gemäß § 51 Abs. 6 in Verbindung mit § 61 Abs. 1 AufenthG in der am 20. Februar 2020 geltenden Fassung räumlich auf den Landkreis R beschränkt. Nachdem sich die Betroffene dagegen in der Folge nicht gewendet hat, erlangte die Beschränkung Bestandskraft. Dadurch wurde der Landkreis R der (einzig) legale Verbleibensort der Betroffenen, die einen gewöhnlichen Aufenthalt an einem anderen Ort nicht mehr begründen konnte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. März 2010 - V ZB 194/09" href="https://openjur.de/u/70148.html" rel="nofollow">V ZB 194/09V ZB 194/09" href="https://openjur.de/u/70148.html" rel="nofollow">FGPrax 2010, 156 Rn. 13; vom 13. Oktober 2011 - V ZB 13/11" href="https://openjur.de/u/258231.html" rel="nofollow">V ZB 13/11V ZB 13/11" href="https://openjur.de/u/258231.html" rel="nofollow">InfAuslR 2012, 74 Rn. 5; OVG Lüneburg, aaO Rn. 28 f.; Sächsisches OVG, Beschluss vom 17. Januar 2024 - 3 B 228/23" href="https://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Text=3%20B%20228/23" rel="nofollow">3 B 228/23, juris Rn. 17; Grotkopp, Abschiebungshaft, 2020, Rn. 357; Bergmann/Putzar-Sattler in Huber/Mantel, AufenthG/AsylG, 3. Aufl., Vor § 62 AufenthG Rn. 9; Bumiller in Bumiller/Harders/Schwamb, FamFG, 13. Aufl., § 417 Rn. 4; Kaniess, Abschiebungshaft, 2024, Kapitel 12 Rn. 11). In der Folge konnte es daher nicht mehr zu einem Zuständigkeitswechsel kommen. Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts hatte die Betroffene allerdings auch in tatsächlicher Hinsicht keinen gewöhnlichen Aufenthalt in H.

bb)    Im Übrigen bestehen gegen die Zulässigkeit des Haftantrags der beteiligten Behörde nach den dafür bestehenden Maßgaben (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 18. Juli 2023 - XIII ZB 24/22" href="https://openjur.de/u/2474845.html" rel="nofollow">XIII ZB 24/22, juris Rn. 9 f. mwN; vom 20. Februar 2024 - XIII ZB 42/21" href="https://openjur.de/u/2487311.html" rel="nofollow">XIII ZB 42/21, juris Rn. 20 mwN; vom 5. März 2024 - XIII ZB 41/22" href="https://openjur.de/u/2485445.html" rel="nofollow">XIII ZB 41/22, juris Rn. 8 f.; vom 5. März 2024 - XIII ZB 65/22" href="https://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Text=XIII%20ZB%2065/22" rel="nofollow">XIII ZB 65/22, NVwZ-RR 2024, 524 Rn. 7 bis 10 mwN) keine Bedenken. Soweit die Rechtsbeschwerde rügt, der Haftantrag vom 11. August 2022 enthalte keine Angaben dazu, aus welchen tatsächlichen Gründen die beteiligte Behörde davon habe ausgehen dürfen, dass eine Abschiebung bis zum 9. September 2022 unter Berücksichtigung des Aussetzungsbeschlusses des Verwaltungsgerichts möglich sein werde, ist dem kein Erfolg beschieden.

(1)    Im Haftantrag führt die beteiligte Behörde aus, dass die seit dem 30. Juni 2022 in Haft befindliche Betroffene am 20. Juli 2022 hätte abgeschoben werden können. Die Abschiebung sei nach der Stellung des Asylantrags am 18. Juli 2022 auf den 11. August 2022 umgebucht worden. Nachdem der Asylantrag am 10. August 2022 als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, sei die begonnene Abschiebung am 11. Augst 2022 abgebrochen worden, weil das Verwaltungsgericht am gleichen Tag die aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage bis zur Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren angeordnet habe. Es sei davon auszugehen, dass eine Entscheidung kurzfristig getroffen werde. Nach aktueller Auskunft der Landesaufnahmebehörde sei eine Abschiebung innerhalb von vier Wochen möglich.

(2)    Diese Angaben zur Erforderlichkeit der Haftdauer und zur Durchführbarkeit der Abschiebung reichen aus und ermöglichen diesbezügliche Rückfragen des Haftrichters. Entgegen der Rechtsbeschwerde ergibt sich aus den zusätzlichen Darlegungen der beteiligten Behörde im Anhörungstermin, wonach die genannte Vorlaufzeit angesichts der aktuellen Flugsituation und der Kontaktaufnahme mit den thailändischen Behörden erforderlich sei, sowie aus den Angaben zu den zuvor zweifach gebuchten und abgesagten Abschiebungsterminen, dass eine Durchführung der Abschiebung mit einer jeweiligen Vorlaufzeit von drei bis vier Wochen möglich war, wobei am 11. August 2022 noch die von der Behörde kurzfristig erwartete Entscheidung des Verwaltungsgerichts abgewartet werden musste. Ob die Angaben inhaltlich tragfähig sind, ist keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit des Haftantrags (vgl. BGH, NVwZ-RR 2024, 524 Rn. 10).

b)    Entgegen der Rechtsbeschwerde hat das Beschwerdegericht aufgrund der von ihm vorgenommenen Gesamtwürdigung den Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3b Nr. 7 AufenthG in der im maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Fassung (nachfolgend AufenthG 2022) zutreffend bejaht. Nach § 62 Abs. 3b Nr. 7 AufenthG besteht ein Anhaltspunkt für Fluchtgefahr, wenn der Ausländer, der erlaubt eingereist und vollziehbar ausreisepflichtig geworden ist, dem behördlichen Zugriff entzogen ist, weil er keinen Aufenthaltsort hat, an dem er sich überwiegend aufhält.

aa)    Das Beschwerdegericht hat unter anderem unter Verweis auf seinen im Beschwerdeverfahren gegen die Haftanordnung vom 21. Juli 2022 ergangenen Beschluss vom 5. August 2022 ausgeführt, da der Aufenthalt der Betroffenen mehr als zwei Jahre nicht habe ermittelt werden können und sie dem behördlichen Zugriff entzogen gewesen sei, sei anzunehmen, dass sie keinen Aufenthaltsort habe, an dem sie sich regelmäßig aufhalte. Die Betroffene habe sich trotz Kenntnis der Ausweisungsverfügung und Erläuterungen in einer ihrer verständlichen Sprache zur Anlaufadresse und Ausweisung bei der beteiligten Behörde nicht gemeldet. Außerdem sei die Aussage der Betroffenen, sie wolle nicht nach Thailand zurückkehren, sondern mit dem Mann zusammenleben, der sie heiraten wolle, unter Würdigung der Gesamtumstände dahin zu verstehen, dass sie damit zum Ausdruck gebracht habe, nicht freiwillig ausreisen und sich auch nicht für eine behördliche Durchsetzung der Rückkehrpflicht zur Verfügung halten zu wollen. Es sei daher davon auszugehen, dass sie sich der Abschiebung durch Flucht entziehen werde.

bb)    Der Einwand der Rechtsbeschwerde, der Aufenthaltsort der Betroffenen sei unschwer festzustellen sowie der beteiligten Behörde bekannt gewesen, trifft demgegenüber nicht zu. Wie ausgeführt, hatte die Betroffene bei ihrem Aufgriff am 19. Januar 2020 eine unzutreffende Anschrift angegeben. Tatsächlich hielt sie sich nach ihren Angaben bei der am 20. Februar 2020 erfolgten Vernehmung in B auf. Obwohl am 19. Januar 2020 ihr Pass einbehalten worden war, sie die Ausweisungsverfügung und zwei Anlaufbescheinigungen erhalten hatte, und sie am 20. Februar 2020 in einer ihr verständlichen Sprache über die Anlaufadresse belehrt worden war, meldete sie sich in der Folge nicht bei der beteiligten Behörde. Soweit sie in der Folge in H gewohnt haben will, wurde sie dort anlässlich der Vollstreckung eines in anderer Sache ergangenen Durchsuchungsbefehls am 29. Juni 2022 angetroffen und festgenommen, und nicht etwa - wie die Rechtsbeschwerde geltend macht - weil der beteiligten Behörde ihr Aufenthaltsort bekannt gewesen wäre. Das Beschwerdegericht hat vor diesem Hintergrund zutreffend angenommen, dass die Betroffene, die nach ihrem Aufgreifen jeweils ihren tatsächlichen Aufenthalt wechselte, dem behördlichen Zugriff im Sinn von § 62 Abs. 3b Nr. 7 AufenthG entzogen war. Aufgrund der von ihm vorgenommenen Gesamtwürdigung unter Einbeziehung der Äußerungen der Betroffenen bei der Anhörung hat das Beschwerdegericht eine Fluchtgefahr rechtsfehlerfrei bejaht.

c)    Schließlich greift für den Zeitraum bis zur Entscheidung des Beschwerdegerichts auch die Rüge der Rechtsbeschwerde nicht durch, es fehle an der gemäß § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG 2022 erforderlichen Prognose der Durchführbarkeit der Abschiebung.

aa)    Nach § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG 2022 muss das Haftgericht zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eine Prognose anstellen, ob die Abschiebung innerhalb der nächsten drei Monate erfolgen kann. Für die Anordnung von Abschiebungshaft ist erst Raum, wenn die Sachverhaltsermittlung und -bewertung ergeben hat, dass entweder eine Abschiebung innerhalb der nächsten drei Monate prognostiziert oder zunächst eine zuverlässige Prognose nicht getroffen werden kann. Erweist sich, dass die Abschiebung innerhalb von drei Monaten voraussichtlich nicht bewerkstelligt werden kann, muss untersucht werden, ob der Ausländer dies zu vertreten hat; ist dies nicht der Fall, darf Haft nicht angeordnet werden. Die Prognose muss sich grundsätzlich auf alle im konkreten Fall ernsthaft in Betracht kommenden Gründe erstrecken, die der Zurückschiebung entgegenstehen oder sie verzögern können (BVerfG, Beschluss vom 27. Februar 2009 - 2 BvR 538/07" href="https://openjur.de/u/199265.html" rel="nofollow">2 BvR 538/072 BvR 538/07" href="https://openjur.de/u/199265.html" rel="nofollow">NJW 2009, 2659 Rn. 22 f.). Dazu muss das Gericht nach § 26 FamFG die erforderlichen Ermittlungen anstellen. Für die Überprüfung der vom Amtsgericht angestellten Prognose ist dessen Kenntnisstand im Zeitpunkt seiner Entscheidung zugrunde zu legen (BGH, Beschluss vom 26. März 2024 - XIII ZB 44/21" href="https://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Text=XIII%20ZB%2044/21" rel="nofollow">XIII ZB 44/21, juris Rn. 7 mwN).

bb)    Nach diesen Maßgaben ist die auf der Grundlage des Kenntnisstandes vom 12. August 2022 vorgenommene Prognoseentscheidung des Amtsgerichts nicht zu beanstanden. Da das Bundesamt den am 18. Juli 2022 aus der Haft heraus gestellten Asylantrag am 10. August 2022 als offensichtlich unbegründet abgelehnt hatte, lag nicht fern, dass - wie die beteiligte Behörde im Haftantrag ausgeführt hatte - eine baldige Entscheidung im Eilrechtsschutzverfahren erwartet werden konnte. Nachfragen zur voraussichtlichen Verfahrensdauer beim Verwaltungsgericht versprachen angesichts des Umstands, dass der Antrag erst am 11. August 2022 bei diesem eingegangen und es am späten Nachmittag zunächst zur Rechtswahrung die aufschiebende Wirkung für die Dauer des einstweiligen Rechtschutzverfahrens angeordnet hatte, am Morgen des 12. August 2022 (noch) keinen Erfolg und waren daher nicht erforderlich.

d)    Nach den oben genannten Grundsätzen (Rn. 20) hätte das Beschwerdegericht aber nicht annehmen dürfen, der Ausschlussgrund nach § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG 2022 liege auch weiterhin nicht vor, denn es stehe nicht fest, dass die Abschiebung innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten aus Gründen, die die Betroffene nicht zu vertreten hat, nicht durchgeführt werden könne. Zu Recht rügt die Rechtsbeschwerde, dass es für diese Annahme im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung an einer ausreichenden Grundlage fehlte. Zwar hatte das Beschwerdegericht beim Verwaltungsgericht angefragt, ob im einstweiligen Rechtsschutzverfahren eine Entscheidung ergangen sei und daraufhin die Antwort erhalten, es laufe noch eine dem Bundesamt eingeräumte Äußerungsfrist. Aus dem angefochtenen Beschluss geht aber nicht hervor, auf welcher Tatsachenbasis das Beschwerdegericht annimmt, das Ergehen einer Entscheidung bis zum 30. September 2022 erscheine nicht ausgeschlossen.

3.    Danach ist die Entscheidung des Beschwerdegerichts gemäß § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben, soweit das Beschwerdegericht die Beschwerde für den Zeitraum ab dem 31. August 2022 zurückgewiesen hat. Im Umfang der Aufhebung ist die Sache gemäß § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen. Falls ein Prognosemangel ohne weitere Ermittlungen nicht auszuschließen ist, wird es zunächst aufzuklären haben, ob und gegebenenfalls wann die Betroffene abgeschoben worden ist. Sollte sich danach ein etwaiger Prognosemangel nicht ausgewirkt haben, wird die Beschwerde schon aus diesem Grund (auch) für den Zeitraum ab dem 31. August 2022 zurückzuweisen sein (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Januar 2011 - V ZB 226/10" href="https://openjur.de/u/163375.html" rel="nofollow">V ZB 226/10V ZB 226/10" href="https://openjur.de/u/163375.html" rel="nofollow">FGPrax 2011, 144 Rn. 19; vom 20. Februar 2024 - XIII ZB 24/21" href="https://openjur.de/u/2485373.html" rel="nofollow">XIII ZB 24/21, juris Rn. 9 mwN).

4.    Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG. Der Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe hat keinen Erfolg, weil die Betroffene keine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingereicht und daher die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe gemäß § 76 Abs. 1 FamFG, § 114 Abs. 1 ZPO nicht dargetan hat.

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