Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Aug. 2011 - XII ZR 153/09

published on 17/08/2011 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Aug. 2011 - XII ZR 153/09
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Landgericht München I, 6 O 23420/05, 27/06/2008
Oberlandesgericht München, 28 U 3936/08, 01/09/2009

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZR 153/09
vom
17. August 2011
in dem Rechtsstreit
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. August 2011 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, die Richterin Dr. Vézina und die Richter Dose,
Dr. Klinkhammer und Dr. Günter

beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird die Revision gegen das Urteil des 28. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 1. September 2009 zugelassen. Auf die Revision der Beklagten wird das vorgenannte Urteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Nichtzulassungsbeschwerde und des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gründe:

1
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
2
Das Berufungsgericht hat, wie die Beklagte zu Recht rügt, deren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
3
1. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung darauf gestützt, die Beklagte habe vor Abschluss des Mietvertrages mit der Klägerin gewusst, dass die für den vertragsgemäßen Gebrauch des Mietobjekts erforderlichen Stellplätze nicht vorhanden und auch nicht zu erlangen gewesen seien.
4
Dabei ist es davon ausgegangen, dass dem damaligen Vorstand der Beklagten H. aus seiner Vorstandstätigkeit für die Vormieterin ein früherer Genehmigungsbescheid der zuständigen Baubehörde und damit die fehlende Genehmigungsfähigkeit von Stellplätzen auf dem Mietgrundstück bekannt gewesen sei. Das Bestreiten der Beklagten sei deshalb "unbehelflich".
5
Das Berufungsgericht ist weiter davon ausgegangen, dass der damalige Vorstand der Beklagten H. der Klägerin versichert habe, zu den vorhandenen 12 Stellplätzen auf dem Mietgrundstück gebe es noch die Möglichkeit der Anmietung weiterer Stellplätze. Diese Annahme hat das Berufungsgericht auf die Aussage des von der Klägerin benannten Zeugen B. gestützt.
6
2. Diese Beurteilungen verletzen den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör, weil das Berufungsgericht entscheidungserheblichen und unter Beweis gestellten Vortrag der Beklagten übergangen hat.
7
a) Die Beklagte hat behauptet, ihrem damaligen Vorstand H. sei die Stellplatzproblematik und auch die der Vormieterin erteilte Baugenehmigung nicht bekannt gewesen. Erst durch ein nach Mietvertragsabschluss erhaltenes Schreiben der Lokalbaukommission habe er einen Hinweis auf eine mögliche Genehmigungsproblematik erhalten. Er habe auch vor der endgültigen Unterzeichnung des Mietvertrages gegenüber der Klägerin keine Zusagen über Stellplätze auf dem Mietgrundstück oder in der Umgebung gemacht.
8
Zum Beweis für diese Behauptungen hat sich die Beklagte zunächst auf die Vernehmung des H. als Partei berufen und, nachdem H. im Laufe des Beru- fungsverfahrens sein Amt als Vorstand der Beklagten niedergelegt hatte, ihn ausdrücklich als Zeugen für diese Behauptungen benannt.
9
Das Berufungsgericht durfte deshalb ohne Vernehmung des Zeugen H. nicht davon ausgehen, dass er in seiner Eigenschaft als Vorstand der Vormieterin Kenntnis von der fehlenden Genehmigungsfähigkeit der erforderlichen Stellplätze hatte und dass er der Klägerin gegenüber versichert hat, zu den vorhandenen Stellplätzen auf dem Mietgrundstück gebe es noch die Möglichkeit der Anmietung weiterer Stellplätze.
10
b) Das Berufungsgericht durfte auch nicht aus anderen Gründen von der Vernehmung des Zeugen H. absehen. Insbesondere lagen die Voraussetzungen für eine Zurückweisung des Beweisantrags nach § 531 Abs. 2 Ziff. 3 ZPO nicht vor. H. war bis zu seinem Ausscheiden als Vorstand der Beklagten - zu einem Zeitpunkt vor der ersten Beweisaufnahme vor dem Berufungsgericht - Partei, erst danach erhielt er die Stellung als Zeuge (vgl. Zöller/Greger ZPO 28. Aufl. § 373 Rn. 4). Darauf hat die Beklagte alsbald hingewiesen. Eine Benennung des H. als Zeuge war nicht früher möglich und damit auch nicht nachlässig.
11
c) Soweit das Berufungsgericht das Bestreiten der Beklagten als unbehelflich angesehen und damit zum Ausdruck gebracht hat, die Kenntnis des H. von der fehlenden Zulässigkeit der Stellplätze sei bereits bewiesen, liegt darin ein Verstoß gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung und damit ebenfalls gegen Art. 103 Abs. 1 GG.
12
d) Das angefochtene Urteil beruht auch auf den Gehörsverletzungen, denn es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht zu einem abweichendem Ergebnis gelangt wäre, wenn es den von der Beklagten angebotenen Zeugenbeweis erhoben hätte.
13
3. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung weiter darauf gestützt, dass der Beklagten die Stellplatzproblematik auf dem Mietgrundstück vor Mietvertragsabschluss auch deshalb bekannt gewesen sei, weil nicht nur die Vormieterin , sondern auch die Beklagte ihre Verwaltung in dem Mietobjekt gehabt habe und auch ihre Mitarbeiter überwiegend identisch gewesen seien.
14
Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt zu Recht, dass dieser Sachverhalt von keiner Partei vorgetragen worden ist. Soweit die Klägerin sich zur Nutzung des Mietobjekts geäußert hat, bezieht sich dies auf spätere Zeiträume. Auch ist nicht vorgetragen, dass die Mitarbeiter der Vormieterin und der Beklagten überwiegend identisch gewesen seien und eine Funktion hatten, die eine Wissenszurechnung an die Beklagte ermöglicht. Allein der Umstand, dass die Vormieterin eine Tochtergesellschaft der Beklagten war, reicht für diese Annahme nicht aus.
15
Durch die Zugrundelegung des nicht vorgetragenen Sachverhalts hat das Berufungsgericht die Beklagte in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt (vgl. BGH Beschluss vom 20. Oktober 2008 - II ZR 207/07 - JR 2010, 33 Rn. 4).
16
4. Das Berufungsgericht hat eine grob fahrlässige Unkenntnis der Klägerin von der (mangels Stellplätzen) fehlenden Genehmigungsfähigkeit des Mietobjekts verneint. Diese Annahme hat es u.a. darauf gestützt, dass die vernommenen Zeugen keinen Nachweis für die Behauptung der Beklagten erbracht hätten, der Architekt der Klägerin sei am 8. Januar 2004 bei seinem Besuch bei der Lokalbaukommission im Besitz des der Vormieterin 1999 erteilten Genehmigungsbescheids gewesen.
17
Bei dieser Beurteilung hat das Berufungsgericht den von der Beklagten vorgelegten, unstreitig von der Sachbearbeiterin bei der Lokalbaukommission, der Zeugin M. , gefertigten Aktenvermerk nicht gewürdigt, aus dem sich ergibt, dass die Architekten der Klägerin am 8. Januar 2004 mit einer Baugenehmigung aus dem Jahr 1999 bei ihr erschienen sind.
18
Es hat weiter den von der Beklagten vorgelegten Schriftsatz der Klägerin in einem Rechtsstreit zwischen ihr und dem Makler unbeachtet gelassen, in dem die Klägerin vorgetragen hatte, dass ihr Architekt B. am 8. Januar 2004 die der Vormieterin erteilte Baugenehmigung aus dem Jahr 1999 von der Zeugin M. erhalten habe.
19
Damit hat das Berufungsgericht, wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht rügt, den Prozessstoff und das Beweisergebnis nicht umfassend gewürdigt (vgl. Musielak/Ball ZPO 7. Aufl. § 546 Rn. 9 mwN) und dadurch den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt.
20
Das Berufungsurteil beruht auch auf dem Gehörsverstoß. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei umfassender Würdigung eine grob fahrlässige Unkenntnis der Klägerin angenommen und das Mitverschulden der Klägerin nach § 254 BGB anders beurteilt hätte.
Hahne Vézina Dose Klinkhammer Günter
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 27.06.2008 - 6 O 23420/05 -
OLG München, Entscheidung vom 01.09.2009 - 28 U 3936/08 -
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(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde). (2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn1.der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Eur

(1) Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Beschädigten mitgewirkt, so hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem
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Tenor Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 15. Dezember 2011 aufgehoben.
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Annotations

(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).

(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn

1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder
2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.

(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.

(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.

(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.

(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.

(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.

(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.

(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Beschädigten mitgewirkt, so hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.

(2) Dies gilt auch dann, wenn sich das Verschulden des Beschädigten darauf beschränkt, dass er unterlassen hat, den Schuldner auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen, die der Schuldner weder kannte noch kennen musste, oder dass er unterlassen hat, den Schaden abzuwenden oder zu mindern. Die Vorschrift des § 278 findet entsprechende Anwendung.