Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Okt. 2016 - XII ZR 130/15
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. Oktober 2016 durch die Richter Dr. Klinkhammer, Schilling, Dr. Günter und Dr. Botur und die Richterin Dr. Krüger
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Die Klägerin macht aus abgetretenem Recht Ansprüche auf Rückzahlung von Entgelt für die vorübergehende Nutzung einer Grundstücksfläche sowie auf Rückerstattung einer geleisteten Kaution geltend.
- 2
- Im Jahr 2005 beabsichtigte die B. GmbH & Co. KG auf einem von ihr erworbenen Grundstück einen Neubau zu errichten. Mit den Stadtwerken M. als Eigentümerin des Nachbargrundstücks vereinbarte sie, eine dort belegene Teilfläche für die Zufahrt zum Baugrundstück und die Lagerung von Materialien gegen ein monatliches Entgelt von 3.500 € nutzen zu können. Da hierfür auf dem Nachbargrundstück eine Grenzmauer abgerissen werden musste, sah die Vereinbarung eine entsprechende Wiederherstellungsverpflichtung vor, zu deren Absicherung die B. GmbH & Co. KG eine Sicherheitsleistung in Höhe von 50.000 € erbrachte.
- 3
- Im April 2007 teilte die Beklagte der B. GmbH & Co. KG mit, dass sie das Grundstück von den Stadtwerken M. erworben habe und die bestehende Vereinbarung höchstens bis 30. April 2007 verlängert werde. Nachdem eine neue Nutzungsabrede nicht zustande gekommen war, kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 2. Oktober 2008 die Nutzung der Flächen zum 31. Dezember 2007.
- 4
- Zwischen den Parteien ist streitig, wie lange die B. GmbH & Co. KG die Grundstücksfläche nutzte. Die Beklagte behauptet, die Nutzung sei bis 1. Juni 2009 fortgesetzt worden.
- 5
- Die Klägerin, an die die B. GmbH & Co. KG ihre Ansprüche gegen die Beklagte abgetreten hat, verlangt von der Beklagten u. a. Rückzahlung der Sicherheitsleistung in Höhe von 50.000 €.
- 6
- Die Beklagte meint, sie habe ihrerseits noch einen Anspruch auf Zahlung von Nutzungsentgelt in Höhe von 69.616 € brutto, weil die B. GmbH & Co. KG die Nutzung bis zum 1. Juni 2009 fortgesetzt habe. Mit diesem Betrag hat sie mit Schriftsatz vom 30. März 2012 hilfsweise die Aufrechnung erklärt.
- 7
- Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht die Beklagte unter Berücksichtigung von zur Auf- rechnung gestellten Gegenforderungen in Höhe von insgesamt 30.193,49 € zur Rückzahlung eines Teilbetrags aus der Sicherheitsleistung in Höhe von 19.806,51 € nebst Zinsen verurteilt. Die Revision hat es nicht zugelassen. Da- gegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde, mit der sie eine Verurteilung der Beklagten zur Zahlung in Höhe von weiteren 24.990 € aus der Sicherheitsleistung erreichen will.
II.
- 8
- Die Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur teilweisen Aufhebung des angefochtenen Urteils und insoweit zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
- 9
- Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Recht, dass das Berufungsgericht Beweisangebote der Klägerin zu der Behauptung, die Mietfläche sei längstens bis November 2008 genutzt worden, unter unzutreffender Annahme der Voraussetzungen der §§ 529 Abs. 1, 531 Abs. 1 ZPO zurückgewiesen und dadurch deren Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
- 10
- 1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei soll das Gebot des rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG iVm den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebotes verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (vgl. BGH Beschluss vom 16. September 2014 - VI ZR 118/13 - VersR 2015, 338 Rn. 4 mwN).
- 11
- 2. So verhält es sich im Streitfall.
- 12
- Nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel zuzulassen, wenn sie einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist. Diese Voraussetzungen hat das Berufungsgericht verkannt.
- 13
- a) Soweit es die von der Klägerin beantragte Vernehmung des Zeugen Dr. W. betrifft, fehlt es bereits an der Voraussetzung eines „neuen“ Angriffs- oder Verteidigungsmittels iSv § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Neu im Sinne des § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel, wenn es bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz nicht vorgebracht worden und daher im erstinstanzlichen Urteil unberücksichtigt geblieben ist. Die Klägerin hat den Zeugen Dr. W. jedoch bereits im landgerichtlichen Verfahren zu der Tatsache benannt, dass die streitgegenständliche Grundstücksfläche bereits Ende November 2008 geräumt gewesen sei. Zwar hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 25. Mai 2012 zunächst (rechtlich unzutreffend ) die Vernehmung von Dr. W. als Partei beantragt. In ihrem Schriftsatz vom 2. Juli 2012 hat sie dies jedoch noch während des landgerichtlichen Verfahrens berichtigt und klargestellt, dass Dr. W. als Zeuge vernommen werden soll.
- 14
- b) Der weitere Zeuge B. wurde zwar von der Klägerin erstmals im Berufungsverfahren benannt und stellt damit ein neues Angriffs- oder Verteidigungsmittel im Sinne von § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO dar. Trotzdem hätte das Berufungsgericht diesen Beweis erheben müssen. Denn nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel zuzulassen, wenn sie einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszugs für unerheblich gehalten worden ist.
- 15
- Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt. Für das Landgericht war es nicht entscheidungserheblich, wann die Klägerin die Grundstücksfläche tatsächlich geräumt hat. Nach der von ihm vertretenen Rechtsauffassung war bereits der Anspruch der Klägerin auf Rückzahlung der Sicherheitsleistung im Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht fällig. Ob der Beklagten die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung auf Nutzungsersatz nach § 546 a Abs. 1 BGB für die Zeit von Dezember 2008 bis Mai 2009 zusteht, war daher für die erstinstanzliche Entscheidung ohne Bedeutung. Folglich musste das Landgericht der strittigen Frage, wann die Klägerin ihre Rückgabeverpflichtung erfüllt hat, auch nicht weiter nachgehen. Darauf hat das Gericht die Parteien in der mündlichen Verhandlung vom 7. Dezember 2012 ausdrücklich hingewiesen. Damit ist die Rechtsansicht des erstinstanzlichen Gerichts zumindest mitursächlich dafür geworden, dass die Klägerin den Zeugen B. erst im Berufungsverfahren benannt hat (vgl. hierzu BGH Urteil vom 1. Juli 2015 - VIII ZR 226/14 - NJW 2015, 3455 Rn. 25 mwN).
- 16
- c) Die Gehörsverletzung ist auch entscheidungserheblich. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht nach der Einvernahme der beiden Zeugen zu der Überzeugung gelangt, die Klägerin habe die streitgegenständliche Grundstücksfläche lediglich bis November 2008 genutzt und der Klägerin daher kein Anspruch auf Nutzungsersatz nach § 546 a Abs. 1 BGB zusteht, mit dem sie gegen den Anspruch der Klägerin auf teilweise Rückzahlung der Sicherheitsleistung aufrechnen kann.
- 17
- 3. Das Übergehen der entscheidungserheblichen Beweisangebote der Klägerin findet somit im Prozessrecht keine Stütze und verletzt die Klägerin in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin war daher die Revision zuzulassen. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 544 Abs. 7 ZPO Gebrauch, das angefochtene Urteil teilweise aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Klinkhammer Schilling Günter Botur Krüger
LG München I, Entscheidung vom 01.03.2013 - 24 O 30029/11 -
OLG München, Entscheidung vom 01.10.2015 - 32 U 1382/13 -
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(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).
(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn
- 1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder - 2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.
(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.
(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.
(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.
(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.
(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.
(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.
(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.
(1) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:
- 1.
die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten; - 2.
neue Tatsachen, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist.
(2) Auf einen Mangel des Verfahrens, der nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist, wird das angefochtene Urteil nur geprüft, wenn dieser nach § 520 Abs. 3 geltend gemacht worden ist. Im Übrigen ist das Berufungsgericht an die geltend gemachten Berufungsgründe nicht gebunden.
(1) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesen worden sind, bleiben ausgeschlossen.
(2) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nur zuzulassen, wenn sie
- 1.
einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist, - 2.
infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurden oder - 3.
im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht.
(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).
(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn
- 1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder - 2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.
(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.
(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.
(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.
(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.
(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.
(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.
(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.