Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Juni 2011 - XII ZB 691/10
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Die Parteien sind getrennt lebende Eheleute. Mit einem am 28. August 2009 beim Familiengericht eingegangenen Schriftsatz hat der Ehemann Scheidungsantrag gestellt. Im weiteren Verfahren haben die Parteien über die Wirksamkeit eines zwischen ihnen vor der Ehe geschlossenen notariellen Ehevertrages gestritten. Durch Zwischenurteil vom 20. August 2010 hat das Amtsgericht die Wirksamkeit des Ehevertrages festgestellt. Das Zwischenurteil wurde der Antragsgegnerin zu Händen ihrer Prozessbevollmächtigten am 25. August 2010 zugestellt. Mit einem rechtzeitig beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz hat die Antragsgegnerin Rechtsmittel eingelegt und dieses mit einem am 29. Oktober 2010, somit verspätet eingegangenen Schriftsatz begründet.
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- Auf richterlichen Hinweis vom 2. November 2010 hat die Antragsgegnerin am 15. November 2010 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die versäumte Berufungsbegründungsfrist beantragt. Der sachbearbeitenden Rechtsanwältin sei die Handakte erst am 29. Oktober 2010 durch die ansonsten zuverlässige Kanzleiangestellte vorgelegt worden, obgleich die Rechtsmittelbegründungsfrist sowie eine auf den 18. Oktober 2010 datierte Vorfrist korrekt im Fristenkalender eingetragen gewesen seien. Diesen Sachverhalt haben die Prozessbevollmächtigte und die Kanzleiangestellte eidesstattlich versichert, wobei sie zunächst den 19. Oktober 2010 als Vorlagedatum versichert, dieses später jedoch als ein Schreibversehen bezeichnet und durch korrigierte eidesstattliche Versicherungen schließlich den 29. Oktober 2010 als Vorlagedatum versichert haben.
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- Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Die Klägerin habe nicht glaubhaft gemacht, dass sie die Berufungsbegründungsfrist schuldlos versäumt habe (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Nach der ersten Glaubhaftmachung sei die Handakte noch innerhalb der laufenden Berufungsbegründungsfrist am 19. Oktober 2010 vorgelegt worden, so dass Entschuldigungsgründe nicht ersichtlich seien. An der Richtigkeit der zuletzt abgegebenen, korrigierten eidesstattlichen Versicherungen bestünden erhebliche Zweifel. Weder sei das Schreibversehen nachvollziehbar noch sei plausibel, weshalb die im Fristenkalender auf den 18. Oktober notierte Aktenvorlage dann am 29. Oktober erfolgt sei.
II.
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- Die gemäß §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind.
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- 1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Der angefochtene Beschluss verletzt die Antragsgegnerin weder in ihrem verfahrensrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) noch in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Danach darf einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (vgl. Senatsbeschluss vom 11. Juni 2008 - XII ZB 184/07 - FamRZ 2008, 1605 Rn. 6 mwN).
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- 2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehört es zu den Aufgaben des Prozessbevollmächtigten, dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig hergestellt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Zu diesem Zweck muss der Rechtsanwalt eine zuverlässige Fristenkontrolle organisieren und insbesondere einen Fristenkalender führen. Die Fristenkontrolle muss gewährleisten, dass die fristgebundene Maßnahme rechtzeitig ergriffen wird. Ist dies geschehen, darf die fristwahrende Maßnahme im Kalender als erledigt gekennzeichnet werden. Die Erledigung fristgebundener Sachen ist am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders zu überprüfen (BGH Beschluss vom 12. April 2011 - VI ZB 6/10 - juris mwN).
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- Die zuverlässige Fristenkontrolle muss der Prozessbevollmächtigte selbst organisieren. Er muss sicherstellen, dass die im Fristenkalender vermerkten Fristen erst gestrichen oder in anderer Weise als erledigt gekennzeichnet werden, wenn die fristgebundene Maßnahme durchgeführt, die Handakte also anlässlich der Vorfrist vorgelegt bzw. der fristwahrende Schriftsatz bei Ablauf der Notfrist postfertig gemacht worden ist. Dabei muss der Prozessbevollmächtigte auch Vorkehrungen treffen, die geeignet sind, versehentliche Erledigungsvermerke im Fristenkalender zu verhindern (BGH Beschluss vom 10. Juli 1997 - IX ZB 57/97 - NJW 1997, 3177 mwN).
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- 3. Nach diesen Maßstäben hat die Antragsgegnerin die Fristversäumung nicht ausreichend entschuldigt. Denn nach ihrem eigenen Vorbringen waren sowohl der 18. Oktober - als Vorfrist für die Vorlage der Handakte - als auch noch einmal der Tag des eigentlichen Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist korrekt im Fristenkalender eingetragen. Dass diese Eintragungen gleichwohl nicht dazu führten, dass die Handakte tatsächlich rechtzeitig vorgelegt und die Rechtsmittelbegründung rechtzeitig gefertigt worden sei, ließe nur den Schluss zu, dass entweder im Laufe beider Tage die Frist im Kalender als erledigt gekennzeichnet worden wäre, ohne dass die zu veranlassende Maßnahme tatsächlich ergriffen war, oder am Ende beider Tage versäumt worden wäre, die Erledigung aller fristgebundener Sachen anhand des Fristenkalenders zu überprüfen. Die Antragstellerin hat nicht dargelegt, welche dieser möglichen Fehler tatsächlich ursächlich war, geschweige denn hat sie den Fehler genügend entschuldigt. Die schlichte Angabe, die Handakte sei, und zwar gleich zweimal, von der sonst zuverlässigen Bürokraft nicht zu den im Fristenkalender notierten Terminen vorgelegt worden, genügt ohne eine in sich geschlossene Darstel- lung, durch welche Umstände es zu den Fehlern kommen konnte, welche Vorkehrungen zur Vermeidung der Fehler der Prozessbevollmächtigte zuvor ergriffen hatte und warum diese Vorkehrungen in dem konkreten Fall gleich zweimal nicht gegriffen haben, nicht.
Vorinstanzen:
AG Mannheim, Entscheidung vom 20.08.2010 - 6 F 239/09 -
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 08.12.2010 - 16 UF 179/10 -
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(1) Die Form des Antrags auf Wiedereinsetzung richtet sich nach den Vorschriften, die für die versäumte Prozesshandlung gelten.
(2) Der Antrag muss die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten; diese sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Prozesshandlung nachzuholen; ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.