Bundesgerichtshof Beschluss, 28. März 2018 - XII ZB 558/17
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. März 2018 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Prof. Dr. Klinkhammer, Schilling, Dr. Nedden-Boeger und Guhling
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Die im Jahre 1951 geborene Betroffene leidet an einer geistigen Behinderung im Sinne einer Minderbegabung bzw. einer schweren Intelligenzminderung. Seit 2013 ist die Beteiligte zu 1, Mitarbeiterin eines Betreuungsvereins, als Betreuerin für sämtliche Angelegenheiten einschließlich Postangelegenheiten bestellt; Ersatzbetreuer ist der Betreuungsverein (Beteiligter zu 2). Einen persönlichen Kontakt zur Betroffenen, die zusammen mit ihrem Ehemann, ihrer Nichte und deren Lebensgefährten auf einem der Nichte gehörenden Anwesen lebt, konnte die Betreuerin nicht pflegen, weil ihr der Zugang zu dem Anwesen von der Betroffenen und der Nichte verwehrt wurde.
- 2
- Als Zeitpunkt, bis zu dem spätestens über eine Aufhebung oder Verlängerung der Betreuung beschlossen werden sollte, war der 16. Oktober 2015 bestimmt. Mitte November 2015 ist das Amtsgericht in die entsprechende Prüfung eingetreten, hat ein Sachverständigengutachten sowie Stellungnahmen der Betreuungsbehörde und der Betreuerin eingeholt und die Betroffene wiederholt angehört. Dabei hat die Betroffene - wie schon im Rahmen der Betreuungserrichtung - den Wunsch geäußert, dass ihre Nichte zur Betreuerin bestellt werden möge.
- 3
- Mit Beschluss vom 28. Juli 2017 hat das Amtsgericht die Betreuung verlängert und es - ohne in den Gründen hierzu auszuführen - bei den bestellten (Ersatz)Betreuern belassen. Mit ihrer Beschwerde hat sich die Betroffene allein gegen die Betreuerauswahl gewandt und die Bestellung ihrer Nichte verlangt. Das Landgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen, mit der sie weiterhin das Ziel verfolgt, dass ihre Nichte Betreuerin werden soll.
II.
- 4
- Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
- 5
- 1. Prüfungsgegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist allein die Frage der Betreuerauswahl und somit nicht, ob die Voraussetzungen einer Betreuerbestellung vorgelegen haben. Denn hierauf war bereits die mit der Beschwerde vorgenommene Anfechtung der die Verlängerung der Betreuung und die Betreuerbestellung umfassenden Einheitsentscheidung - wie das Landgericht richtig erkannt hat - in zulässiger Weise beschränkt (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Juli 2017 - XII ZB 57/17 - FamRZ 2017, 1612 Rn. 8 mwN). Auch wenn die Beschränkung im Verfahren über die Verlängerung einer bestehenden Betreuung nach § 295 FamFG erfolgt, ist gegen die Beschwerdeentscheidung die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG statthaft (Senatsbeschluss vom 19. Juli 2017 - XII ZB 390/16 - FamRZ 2017, 1779 Rn. 5 mwN).
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- 2. Nach Ansicht des Landgerichts ist die Nichte zu Recht nicht zur Betreuerin bestellt worden. Die bereits von Beginn der Betreuung an bestehenden Bedenken gegen deren Eignung als Betreuerin seien weiterhin gegeben. Es bestehe nach wie vor der Eindruck, dass die dominante Nichte die leicht zu beeinflussende und zu manipulierende Betroffene von der Außenwelt abschirme, die Betroffene eigene Bedürfnisse aus Angst vor der Nichte nicht äußere und sich deren Anordnungen auch gegen ihre eigenen Wünsche füge. Bei Übertragung der Betreuung auf die Nichte sei zu befürchten, dass der die Betroffene täglich am Hoftor mit Medikamenten versorgende Pflegedienst gekündigt und damit der einzige Außenkontakt der Betroffenen gekappt werde. Eine mögliche Verschlechterung der Situation der Betroffenen bleibe dann gegebenenfalls völlig unbemerkt. Die Bestellung einer dritten Person als Betreuer werde ebenfalls nicht zu einem Kontakt zwischen Betroffener und Betreuer führen. Die Ablehnung der Betreuerin erfolge nicht im Hinblick auf deren Person, sondern wegen grundsätzlicher Vorbehalte der Betroffenen und ihrer Nichte, die eine Einmischung in ihre Angelegenheiten befürchteten, gegen einen familienfremden Betreuer.
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- 3. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen verstößt die Betreuerauswahl der Vorinstanzen gegen § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB.
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- a) Die Regelung des § 1897 BGB legt den Maßstab für die Betreuerauswahl nicht nur bei der Erstentscheidung, sondern auch bei einer Verlängerung der Betreuung fest. Dies folgt aus dem Rechtscharakter der Verlängerungsentscheidung als erneute vollständige Einheitsentscheidung über die Betreuung und ergibt sich aus § 295 Abs. 1 Satz 1 FamFG, nach dem für die Verlängerung der Bestellung eines Betreuers die Verfahrensvorschriften über die erstmalige Anordnung dieser Maßnahme entsprechend gelten (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Juli 2017 - XII ZB 57/17 - FamRZ 2017, 1612 Rn. 14 mwN).
- 9
- Daher ist § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB zu beachten. Diese Vorschrift räumt dem Tatrichter bei der Auswahl des Betreuers kein Ermessen ein. Es ist die Person zum Betreuer zu bestellen, die der Betroffene wünscht. Der Wille des Betroffenen kann nur dann unberücksichtigt bleiben, wenn die Bestellung der vorgeschlagenen Person seinem Wohl zuwiderläuft. Dies setzt voraus, dass sich aufgrund einer umfassenden Abwägung aller relevanten Umstände Gründe von erheblichem Gewicht ergeben, die gegen die Bestellung der vorgeschlagenen Person sprechen. Es muss die konkrete Gefahr bestehen, dass der Vorgeschlagene die Betreuung des Betroffenen nicht zu dessen Wohl führen kann oder will. Die Annahme einer solchen konkreten Gefahr beruht auf einer Prognoseentscheidung des Gerichts, für die dieses sich naturgemäß auf Erkenntnisse stützen muss, die in der - näheren oder auch weiter zurückliegenden - Vergangenheit wurzeln. Soweit es um die Eignung der vorgeschlagenen Person geht, müssen diese Erkenntnisse geeignet sein, einen das Wohl des Betroffenen gefährdenden Eignungsmangel auch für die Zukunft und bezogen auf den von der Betreuung umfassten Aufgabenkreis zu begründen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 19. Juli 2017 - XII ZB 57/17 - FamRZ 2017, 1612 Rn. 15 mwN und vom 14. März 2018 - XII ZB 589/17 - zur Veröffentlichung bestimmt).
- 10
- b) Die Betroffene hat immer wieder im Sinne des § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB vorgeschlagen, ihre Nichte zur Betreuerin zu bestellen. Ein solcher Vorschlag erfordert weder Geschäftsfähigkeit noch natürliche Einsichtsfähigkeit. Vielmehr genügt, dass der Betroffene seinen Willen oder Wunsch kundtut, eine bestimmte Person solle sein Betreuer werden. Auch die Motivation des Betroffenen ist für die Frage, ob ein betreuungsrechtlich beachtlicher Vorschlag vorliegt, ohne Bedeutung. Etwaigen Missbräuchen und Gefahren wird vielmehr hinreichend durch die begrenzte, letztlich auf das Wohl des Betroffenen abstellende Bindungswirkung eines solchen Vorschlags begegnet (vgl. Senatsbeschlüsse vom 19. Juli 2017 - XII ZB 57/17 - FamRZ 2017, 1612 Rn. 17 mwN und vom 14. März 2018 - XII ZB 589/17 - zur Veröffentlichung bestimmt).
- 11
- c) Das Landgericht hat keine Umstände festgestellt, die es rechtfertigen würden, diesem Vorschlag nicht zu entsprechen. Soweit es auf den "Eindruck" abhebt, die Nichte schirme die Betroffene ab und die Betroffene stelle aus Angst eigene Wünsche zurück, stellt das eine Vermutung, nicht aber die Überzeugung von der Wahrheit eines bestimmten Umstands dar. Darüber hinaus wird nicht mitgeteilt, auf welche Tatsachen sich diese Vermutung stützt. Gleiches gilt für die "Befürchtung" des Landgerichts, die Nichte werde im Falle ihrer Bestellung als Betreuerin - trotz der dann gemäß §§ 1908 i Abs. 1 Satz 1, 1839, 1840 Abs. 1 BGB gegenüber dem Betreuungsgericht bestehenden Auskunftsund Berichtspflichten - den Pflegedienst kündigen. Unabhängig davon hat das Landgericht sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob dieser Befürchtung (ihre Berechtigung unterstellt) nicht etwa durch die Bestellung verschiedener Betreuer für abgegrenzte Teile des Aufgabenkreises begegnet werden könnte.
- 12
- Schließlich trägt auch der pauschale Verweis des Landgerichts auf seinen auf die Beschwerde gegen die Erstbestellung von Betreuerin und Ersatzbetreuer hin ergangenen Beschluss nicht die Annahme, die Bestellung der Nichte laufe dem Wohl der Betroffenen zuwider. Dort wird auf zum Teil auch damals schon viele Jahre zurückliegende Vorfälle Bezug genommen. Inwiefern diese auch noch zum Zeitpunkt der jetzigen Beschwerdeentscheidung der Eignung der Nichte im Sinne des § 1897 Abs. 1 BGB entgegenstehen, legt das Landgericht nicht dar.
- 13
- 4. Der angefochtene Beschluss ist daher gemäß § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben und die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG). Dieses wird nun unter Auswertung des Akteninhalts und mit weiteren, gegebenenfalls auch Anhörungen etwa der Betroffenen und der Nichte umfassenden Ermittlungen Feststellungen zur Eignung der Nichte gemäß § 1897 Abs. 1 BGB und dazu zu treffen haben, ob deren Bestellung dem Wohl der Betroffenen zuwiderläuft.
- 14
- Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung , zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Vorinstanzen:
AG Wetzlar, Entscheidung vom 28.07.2017 - 65 XVII 188/13 K -
LG Limburg an der Lahn, Entscheidung vom 29.09.2017 - 7 T 156/17 -
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Annotations
(1) Für die Verlängerung der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts gelten die Vorschriften über die erstmalige Anordnung dieser Maßnahmen entsprechend. Von der erneuten Einholung eines Gutachtens kann abgesehen werden, wenn sich aus der persönlichen Anhörung des Betroffenen und einem ärztlichen Zeugnis ergibt, dass sich der Umfang der Betreuungsbedürftigkeit offensichtlich nicht verringert hat und eine Verlängerung dem erklärten Willen des Betroffenen nicht widerspricht. Das Gericht hat die zuständige Behörde nur anzuhören, wenn es der Betroffene verlangt oder es zur Sachaufklärung erforderlich ist.
(2) Über die Verlängerung der Betreuung oder des Einwilligungsvorbehalts hat das Gericht spätestens sieben Jahre nach der Anordnung dieser Maßnahmen zu entscheiden. Ist die Maßnahme gegen den erklärten Willen des Betroffenen angeordnet worden, ist über eine erstmalige Verlängerung spätestens nach zwei Jahren zu entscheiden.
(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) Die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts ist ohne Zulassung statthaft in
- 1.
Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers, zur Aufhebung einer Betreuung, zur Anordnung oder Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts, - 2.
Unterbringungssachen und Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 sowie - 3.
Freiheitsentziehungssachen.
(4) Gegen einen Beschluss im Verfahren über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung oder eines Arrests findet die Rechtsbeschwerde nicht statt.
(1) Für die Verlängerung der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts gelten die Vorschriften über die erstmalige Anordnung dieser Maßnahmen entsprechend. Von der erneuten Einholung eines Gutachtens kann abgesehen werden, wenn sich aus der persönlichen Anhörung des Betroffenen und einem ärztlichen Zeugnis ergibt, dass sich der Umfang der Betreuungsbedürftigkeit offensichtlich nicht verringert hat und eine Verlängerung dem erklärten Willen des Betroffenen nicht widerspricht. Das Gericht hat die zuständige Behörde nur anzuhören, wenn es der Betroffene verlangt oder es zur Sachaufklärung erforderlich ist.
(2) Über die Verlängerung der Betreuung oder des Einwilligungsvorbehalts hat das Gericht spätestens sieben Jahre nach der Anordnung dieser Maßnahmen zu entscheiden. Ist die Maßnahme gegen den erklärten Willen des Betroffenen angeordnet worden, ist über eine erstmalige Verlängerung spätestens nach zwei Jahren zu entscheiden.
(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.
(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.
(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.
(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.