Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Apr. 2016 - XII ZB 397/15
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. April 2016 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richterin Weber-Monecke und die Richter Dr. Klinkhammer, Dr. Nedden-Boeger und Guhling
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Durch Beschluss des Amtsgerichts vom 26. März 2013 ist für den Betroffenen eine Betreuung mit dem Aufgabenkreis Aufenthaltsbestimmung "bezogen auf die Abhängigkeitserkrankung", Wohnungsangelegenheiten, Gesundheitsfürsorge "bezogen auf die Abhängigkeitserkrankung", Vermögenssorge und Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post im Rahmen des über- tragenen Aufgabenkreises angeordnet und eine Berufsbetreuerin bestellt worden. Das Landgericht hat die dagegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen durch Beschluss vom 19. September 2013 zurückgewiesen. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist durch Senatsbeschluss vom 12. Februar 2014 (XII ZB 520/13) zurückgewiesen worden.
- 2
- Auf die vom Betroffenen eingelegte Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht durch Beschluss vom 20. Januar 2015 (1 BvR 665/14 = FamRZ 2015, 565) festgestellt, dass die im Rechtsmittelverfahren ergangenen Beschlüsse des Landgerichts und des Senats den Betroffenen in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzt haben. Es hat die Beschlüsse aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen.
- 3
- Weil das Amtsgericht die Betreuung bereits zuvor durch Beschluss vom 21. Oktober 2014 aufgehoben hatte, hat der Betroffene vor dem Landgericht die Feststellung beantragt, dass der Beschluss des Amtsgerichts vom 26. März 2013 in rechtswidriger Weise ergangen sei. Das Landgericht hat seinen Feststellungsantrag dahin verstanden, dass er (erneut) auch die Feststellung der Rechtswidrigkeit des landgerichtlichen Beschlusses vom 19. September 2013 erreichen wolle, und hat dem Antrag insoweit stattgegeben. Den Feststellungsantrag bezüglich der amtsgerichtlichen Entscheidung vom 26. März 2013 hat es zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, der seinen Feststellungsantrag weiterverfolgt.
II.
- 4
- Die Rechtsbeschwerde ist nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG statthaft (vgl. BGH Beschluss vom 28. April 2011 - V ZB 292/10 - FGPrax 2011, 200 Rn. 9 mwN) und auch im Übrigen zulässig. Sie ist auch begründet.
- 5
- 1. Das Landgericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass sich die Rechtswidrigkeit der amtsgerichtlichen Entscheidung nicht feststellen lasse. Nach dem Ergebnis des eingeholten Sachverständigengutachtens sei es aufgrund des jahrelangen Alkoholmissbrauchs beim Betroffenen zu einer nachweisbaren Stirnhirnatrophie gekommen, die zu Funktionseinschränkungen dieses speziellen Hirnbereichs geführt habe, welche sich in einer organischen Persönlichkeits - und Verhaltensstörung ausdrückten. Aufgrund der erstinstanzlichen Äußerungen des Betroffenen und der ehemaligen Betreuerin sei es nicht zu beanstanden gewesen, dass das Amtsgericht die Betreuung angeordnet habe. Da der Betroffene sich ausweislich des Akteninhalts im erstinstanzlichen Verfahren nicht gegen die Betreuung gewandt habe, habe das Amtsgericht auch nicht prüfen müssen, ob die Voraussetzungen für eine Anordnung der Betreuung gegen den freien Willen des Betroffenen vorgelegen hätten. Daher lasse sich nicht feststellen, dass der amtsgerichtliche Beschluss den Betroffenen in seinen Rechten verletzt habe.
- 6
- 2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.
- 7
- a) Das Landgericht ist allerdings zu Recht und übereinstimmend mit dem Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 20. Januar 2015 - 1 BvR 665/14 - FamRZ 2015, 565 Rn. 29) davon ausgegangen, dass der Betroffene seinen der Betreuung entgegenstehenden Willen erstmals im Beschwerdeverfahren geäußert hat.
- 8
- Die hierzu von der Rechtsbeschwerde erhobene Rüge, dass das Amtsgericht seine Aufklärungspflicht nach § 26 FamFG verletzt habe, ist nicht begründet. Das Amtsgericht hat den Betroffenen persönlich angehört. In der Anhörung hat dieser einen der Betreuung entgegenstehenden Willen nicht geäußert. Im Zusammenhang mit seiner näher begründeten Äußerung gegenüber dem Sachverständigen, dass er seine Probleme nicht mehr lösen könne und Hilfe brauche, konnte das Amtsgericht davon ausgehen, dass der Betroffene keinen der Betreuung entgegenstehenden Willen hatte. Dass schriftsätzliche Äußerungen des Betroffenen einen Aufklärungsbedarf ergeben haben sollen, ist mangels konkreter Bezeichnung des betreffenden Vorbringens bereits nicht hinreichend spezifiziert gerügt worden. Schließlich musste das Amtsgericht der protokollierten Erklärung des Betroffenen im Rahmen der Anhörung ("Was soll ich gegen Unabänderliches sagen") nicht die Bedeutung zumessen, dass er damit der von der Richterin angekündigten Betreuungsanordnung widersprechen wollte.
- 9
- Das Landgericht hat daher im Ergebnis zu Recht darauf abgestellt, dass für das Amtsgericht noch keine Veranlassung bestand, sich mit den Anforderungen an einen der Betreuung entgegenstehenden freien Willen gemäß § 1896 Abs. 1a BGB auseinanderzusetzen.
- 10
- b) Die Rechtsbeschwerde rügt indessen zu Recht einen Verstoß gegen § 37 Abs. 2 FamFG, weil dem Betroffenen das Sachverständigengutachten erst in der Anhörung überlassen worden ist.
- 11
- Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Entscheidungsgrundlage erfordert nach § 37 Abs. 2 FamFG, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat (vgl. Senatsbeschlüsse vom 16. September 2015 - XII ZB 250/15 - FamRZ 2015, 2156 Rn. 15 mwN und vom 6. Juli 2011- XII ZB 616/10 - FamRZ 2011, 1574 Rn. 11 mwN). Das setzt voraus, dass der Betroffene vor der Entscheidung nicht nur im Besitz des schriftlichen Sachverständigengutachtens ist, sondern auch ausreichend Zeit hatte, von dessen Inhalt Kenntnis zu nehmen und sich dazu zu äußern (vgl. Prütting/Helms/Fröschle FamFG 3. Aufl. § 280 Rn. 13).
- 12
- Diesen Anforderungen genügt das amtsgerichtliche Verfahren im vorliegenden Fall nicht. Das Sachverständigengutachten ist dem Betroffenen erst in der Anhörung vom 26. März 2013 ausgehändigt worden, nachdem er erklärt hatte, das Gutachten bislang nicht erhalten zu haben. Dass die Richterin schon unter dem 21. März 2013 die Übersendung des Gutachtens an den Betroffenen veranlasst hatte, reicht zum Nachweis einer früheren Mitteilung des Gutachtens nicht aus (zur Bekanntgabe durch Aufgabe zur Post vgl. Senatsbeschluss vom 2. Dezember 2015 - XII ZB 283/15 - FamRZ 2016, 296 Rn. 22 ff.). Ausweislich des Anhörungsprotokolls ist die Richterin vielmehr ebenfalls davon ausgegangen , dass der Betroffene das Gutachten noch nicht erhalten hatte.
- 13
- Dem Betroffenen ist keine ausreichende Gelegenheit gegeben worden, zu dem Gutachten noch vor der Entscheidung Stellung zu nehmen und sich im Sinne von § 37 Abs. 2 FamFG zu dem Beweisergebnis zu äußern. Denn der Betreuungsbeschluss ist noch am selben Tag ergangen.
- 14
- Es ist auch davon auszugehen, dass die Entscheidung auf dem Verfahrensfehler beruhte. Denn aufgrund des weiteren Verfahrensablaufs liegt es nahe , dass der Betroffene bei rechtzeitiger Kenntnis vom Inhalt des Gutachtens der Anordnung der Betreuung schon vor dem Amtsgericht widersprochen hätte.
- 15
- c) Ob auch weitere von der Rechtsbeschwerde erhobene Rügen begründet sind, bedarf keiner Entscheidung. Von einer weiteren Begründung wird nach § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.
Vorinstanzen:
AG Bayreuth, Entscheidung vom 26.03.2013 - 7 XVII 854/12 -
LG Bayreuth, Entscheidung vom 29.07.2015 - 42 T 109/13 -
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(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) Die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts ist ohne Zulassung statthaft in
- 1.
Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers, zur Aufhebung einer Betreuung, zur Anordnung oder Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts, - 2.
Unterbringungssachen und Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 sowie - 3.
Freiheitsentziehungssachen.
(4) Gegen einen Beschluss im Verfahren über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung oder eines Arrests findet die Rechtsbeschwerde nicht statt.
Das Gericht hat von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen.
(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.
(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.
(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.
(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.