Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Sept. 2017 - XII ZB 185/17

ECLI: ECLI:DE:BGH:2017:130917BXIIZB185.17.0
published on 13/09/2017 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Sept. 2017 - XII ZB 185/17
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Amtsgericht Dresden, 404 XVII 2125/16, 17/02/2017
Landgericht Dresden, 2 T 227/17, 15/03/2017

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 185/17
vom
13. September 2017
in der Unterbringungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4
Die Zulässigkeit einer ärztlichen Zwangsmaßnahme setzt gemäß § 1906 a
Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BGB voraus, dass zuvor ernsthaft, mit dem nötigen Zeitaufwand
und ohne Ausübung unzulässigen Drucks versucht wurde, den Betreuten
von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen. Das Vorliegen
dieser Voraussetzung hat das Gericht in jedem Einzelfall festzustellen und in
seiner Entscheidung in nachprüfbarer Weise darzulegen (im Anschluss an Senatsbeschluss
vom 2. September 2015 - XII ZB 226/15 - FamRZ 2015, 2050
mwN).
BGH, Beschluss vom 13. September 2017 - XII ZB 185/17 - LG Dresden
AG Dresden
ECLI:DE:BGH:2017:130917BXIIZB185.17.0

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. September 2017 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Prof. Dr. Klinkhammer, Dr. Günter, Dr. Nedden-Boeger und Dr. Botur
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Dresden vom 17. Februar 2017 und der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Dresden vom 15. März 2017, soweit es jeweils die Genehmigung der Einwilligung der Betreuerin in eine ärztliche Zwangsmaßnahme betrifft , ihn in seinen Rechten verletzt haben. Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei. Die in der Rechtsbeschwerdeinstanz entstandenen außergerichtlichen Kosten des Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

I.

1
Der Betroffene begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer durch Zeitablauf erledigten Genehmigung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme.
2
Er war seit dem 3. Dezember 2016 öffentlich-rechtlich untergebracht, nachdem er sich der Räumung seines in einer Gartenlaube befindlichen Behelfs -Domizils widersetzt hatte, indem er mit Fäkalien um sich warf. Nach fachpsychiatrischem Gutachten leidet er unter einer paranoid wahnhaften Störung mit florider psychotischer Symptomatik und Handlungsrelevanz.
3
Am 17. Februar 2017 hat das Amtsgericht auf Antrag der zwischenzeitlich bestellten Betreuerin ihre Einwilligung in die weitere zivilrechtliche Unterbringung für zwölf Wochen sowie die Zwangsbehandlung unter Verantwortung und Dokumentation eines Arztes mit einem näher bezeichneten Medikament für annähernd sechs Wochen genehmigt. Das Landgericht hat den Betroffenen im Beisein der Verfahrenspflegerin erneut angehört und seine Beschwerde gegen die Genehmigungen der Unterbringung und Zwangsbehandlung zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde begehrt er die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Genehmigung der ärztlichen Zwangsmaßnahme.

II.

4
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FamFG statthaft und auch ansonsten zulässig. Sie ist auch begründet, weil die Entscheidungen von Amts- und Landgericht den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben. Dies ist nach der in der Rechtsbeschwerdeinstanz entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 62 Abs. 1 FamFG (Senatsbeschluss vom 29. Januar 2014 - XII ZB 330/13 - FamRZ 2014, 649 Rn. 8 mwN) festzustellen.
5
1. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass die Instanzgerichte die Genehmigung zur Durchführung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme ausgesprochen haben, ohne einen vorherigen Überzeugungsversuch ausreichend darzulegen.
6
Eine Zwangsmaßnahme ist nur dann gemäß § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BGB zulässig, wenn zuvor ernsthaft, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks versucht worden ist, den Betreuten von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen. Das Vorliegen dieser Voraussetzung hat das Gericht in jedem Einzelfall festzustellen und in seiner Entscheidung in nachprüfbarer Weise darzulegen (vgl. Senatsbeschluss vom 2. September 2015 - XII ZB 226/15 - FamRZ 2015, 2050 Rn. 26 mwN).
7
Dieser Anforderung werden die angefochtenen Entscheidungen nicht gerecht. Die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts verhält sich überhaupt nicht zur Frage eines Überzeugungsversuchs, während der erstinstanzliche Beschluss lediglich den nicht näher konkretisierten Hinweis enthält, dass versucht worden sei, den Betroffenen von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen. Diese pauschale Angabe genügt alsnachvollziehbare Darlegung nicht.
8
2. Das nach § 62 Abs. 1 FamFG erforderliche berechtigte Interesse des Betroffenen daran, die Rechtswidrigkeit der - hier durch Zeitablauf - erledigten Maßnahme feststellen zu lassen, liegt vor. Die gerichtliche Anordnung oder Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme bedeutet stets einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff im Sinne des § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG. Gleiches gilt für die Genehmigung der ärztlichen Zwangsbehandlung des Betroffenen gegen seinen natürlichen Willen (st. Rspr. des Senats, vgl. Senatsbeschluss vom 8. Juli 2015 - XII ZB 600/14 - FamRZ 2015, 1706 Rn. 14 f. mwN).
9
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung , zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Dose Klinkhammer Günter Nedden-Boeger Botur
Vorinstanzen:
AG Dresden, Entscheidung vom 17.02.2017 - 404 XVII 2125/16 -
LG Dresden, Entscheidung vom 15.03.2017 - 2 T 227/17 -
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(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat. (2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn 1. die Rechtssache grundsätzlic

(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig

(1) Hat sich die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache erledigt, spricht das Beschwerdegericht auf Antrag aus, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn der Beschwerdeführ
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(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat. (2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn 1. die Rechtssache grundsätzlic

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Annotations

(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat.

(2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(3) Die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts ist ohne Zulassung statthaft in

1.
Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers, zur Aufhebung einer Betreuung, zur Anordnung oder Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts,
2.
Unterbringungssachen und Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 sowie
3.
Freiheitsentziehungssachen.
In den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 und 3 gilt dies nur, wenn sich die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss richtet, der die Unterbringungsmaßnahme oder die Freiheitsentziehung anordnet. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 3 ist die Rechtsbeschwerde abweichend von Satz 2 auch dann ohne Zulassung statthaft, wenn sie sich gegen den eine freiheitsentziehende Maßnahme ablehnenden oder zurückweisenden Beschluss in den in § 417 Absatz 2 Satz 2 Nummer 5 genannten Verfahren richtet.

(4) Gegen einen Beschluss im Verfahren über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung oder eines Arrests findet die Rechtsbeschwerde nicht statt.

(1) Hat sich die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache erledigt, spricht das Beschwerdegericht auf Antrag aus, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat.

(2) Ein berechtigtes Interesse liegt in der Regel vor, wenn

1.
schwerwiegende Grundrechtseingriffe vorliegen oder
2.
eine Wiederholung konkret zu erwarten ist.

(3) Hat der Verfahrensbeistand oder der Verfahrenspfleger die Beschwerde eingelegt, gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend.

(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.

(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.

(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.

(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.