Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Sept. 2011 - XII ZB 16/11
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Für den Betroffenen wurde mit Beschluss vom 15. November 2010 eine Betreuung mit den Aufgabenkreisen Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung , Vermögenssorge, Wohnungsangelegenheiten, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern sowie Entgegennahme , Öffnen und Anhalten der Post angeordnet und ein Betreuer bestellt. Außerdem wurde angeordnet, dass der Betroffene zu Willenserklärungen, die den Aufgabenkreis der Vermögenssorge betreffen, der Einwilligung des Betreuers bedarf.
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- Mit Schriftsatz vom 15. November 2010 legte der Rechtsanwalt, der den Betroffenen im Betreuungsverfahren vertreten hatte, das Mandat für diesen nieder.
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- Die Beschwerde, die der Betroffene selbst gegen den Beschluss des Amtsgerichts eingelegt hatte, wurde vom Landgericht zurückgewiesen. Einen Verfahrenspfleger hatte das Landgericht nicht bestellt. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene sein Begehren auf Aufhebung der Betreuung und des Einwilligungsvorbehalts weiter.
II.
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- Die nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
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- 1. Das Landgericht hat angenommen, dass der Betroffene aufgrund einer bipolaren Störung mit ausgeprägter manischer Symptomatik derzeit nicht in der Lage sei, die Angelegenheiten, derentwegen das Amtsgericht die Betreuung angeordnet hat, selbst zu besorgen. Das folge aus dem nervenfachärztlichen Gutachten und der ergänzenden ärztlichen Stellungnahme der Sachverständigen. Deren Einschätzung habe sich auch im Rahmen der Anhörung des Betroffenen bestätigt. Er sei nach dem Sachverständigengutachten und dem Verlauf der Anhörung krankheitsbedingt auch nicht zu einer freien Willensbildung in der Lage.
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- 2. Gegen diese Ausführungen wendet sich die Rechtsbeschwerde ohne Erfolg, soweit sie geltend macht, aus einem später erstatteten Sachverständigengutachten ergebe sich, dass der Betroffene in seiner freien Willensbildung nicht beeinträchtigt sei. Nach dem von der Rechtsbeschwerde in Bezug ge- nommenen Gutachten, das von der Sachverständigen im Rahmen eines Unterbringungsverfahrens erstattet worden ist, ist dem Betroffenen aufgrund seiner manischen Erkrankung eine freie Willensbildung vielmehr nicht möglich.
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- 3. Die Rechtsbeschwerde rügt allerdings zu Recht, dass das Beschwerdegericht dem Betroffenen keinen Verfahrenspfleger bestellt hat. Es hat lediglich die für das Unterbringungsverfahren bestellte Verfahrenspflegerin zum Anhörungstermin geladen, sie aber nicht förmlich am Verfahren beteiligt.
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- a) Nach § 276 Abs. 1 FamFG hat das Gericht dem Betroffenen einen Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn dies zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen erforderlich ist. Nach § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG ist die Bestellung in der Regel erforderlich, wenn der Gegenstand des Verfahrens die Bestellung eines Betreuers zur Besorgung aller Angelegenheiten des Betroffenen oder die Erweiterung des Aufgabenkreises hierauf ist. Nach § 276 Abs. 2 Satz 1 FamFG kann von der Bestellung in den Fällen des Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 abgesehen werden, wenn ein Interesse des Betroffenen an der Bestellung des Verfahrenspflegers offensichtlich nicht besteht. Nach § 276 Abs. 2 Satz 2 FamFG ist die Nichtbestellung zu begründen. Der Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht unterliegt es, ob die den Tatsacheninstanzen obliegende Entscheidung ermessensfehlerfrei getroffen worden ist. Davon kann hier nicht ausgegangen werden.
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- aa) Die Bestellung eines Verfahrenspflegers für den Betroffenen ist regelmäßig schon dann geboten, wenn der Verfahrensgegenstand die Anordnung einer Betreuung in allen Angelegenheiten als möglich erscheinen lässt. Für einen in diesem Sinne umfassenden Verfahrensgegenstand spricht, dass die vom Gericht getroffene Maßnahme die Betreuung auf Aufgabenkreise erstreckt, die in ihrer Gesamtheit alle wesentlichen Bereiche der Lebensgestaltung des Be- troffenen umfassen und damit in die Zuständigkeit des Betreuers fallen. Selbst wenn dem Betroffenen nach der Entscheidung letztlich einzelne restliche Bereiche zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung verblieben sind, entbindet dies jedenfalls dann nicht von der Bestellung eines Verfahrenspflegers, wenn die verbliebenen Befugnisse den Betroffenen in seiner konkreten Lebenssituation keinen nennenswerten eigenverantwortlichen Handlungsspielraum belassen (Senatsbeschluss vom 4. August 2010 - XII ZB 167/10 - FamRZ 2010, 1648 Rn. 13).
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- Nach diesen Grundsätzen ist im vorliegenden Fall das Regelbeispiel des § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG erfüllt. Die angeordnete Betreuung umfasst die Aufgabenkreise Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge , Wohnungsangelegenheiten, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen , Renten- und Sozialleistungsträgern sowie Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post. Dies hat zur Folge, dass der Betreuer in allen wesentlichen Bereichen maßgeblichen Einfluss auf die Lebensgestaltung des Betroffenen hat, so dass der Verfahrensgegenstand alle Angelegenheiten im Sinne des § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG betrifft. Im vorliegenden Fall ist darüber hinaus noch ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet worden.
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- bb) Die Bestellung eines Verfahrenspfleger soll allerdings unterbleiben, wenn die Interessen des Betroffenen von einem Rechtsanwalt oder einem anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten vertreten werden (§ 276 Abs. 4 FamFG). Denn wenn der Betroffene für seine Vertretung in dem Verfahren selbst Sorge trägt, besteht für die Bestellung eines Verfahrenspflegers kein Bedürfnis ; die Vertretung durch einen Anwalt hat vielmehr Vorrang (Keidel/Budde FamFG 16. Aufl. § 276 Rn. 7).
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- Im Hinblick hierauf war vorliegend die Bestellung eines Verfahrenspflegers im Beschwerdeverfahren indessen nicht entbehrlich. Denn der Rechtsanwalt , der den Betroffenen in erster Instanz vertreten hatte, hat zeitgleich mit dem Erlass der amtsgerichtlichen Entscheidung das Mandat für den Betroffenen niedergelegt.
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- cc) Gleichwohl kann nach § 276 Abs. 2 Satz 1 FamFG unter den bereits genannten Voraussetzungen von der Bestellung eines Verfahrenspflegers abgesehen werden. Eine Verfahrenspflegschaft ist nur dann nicht anzuordnen, wenn sie einen rein formalen Charakter hätte (Senatsbeschluss vom 4. August 2010 - XII ZB 167/10 - FamRZ 2010, 1648 Rn. 15). Ob es sich um einen Ausnahmefall im Sinne dieser Umschreibung handelt, ist aufgrund der nach § 276 Abs. 2 Satz 2 FamFG vorgeschriebenen Begründung zu beurteilen.
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- Der angefochtene Beschluss enthält indessen keine Begründung für die unterbliebene Bestellung eines Verfahrenspflegers. Deshalb lässt sich weder feststellen, aus welchen Erwägungen von der Anordnung einer Verfahrenspflegschaft abgesehen wurde noch dass diese Entscheidung ermessensfehlerfrei zustande gekommen ist. Dass der vor dem Landgericht anwaltlich nicht vertretene Betroffene seine Interessen selbst hätte wahrnehmen können, erscheint angesichts des bei ihm vorliegenden Krankheitsbildes und der dargestellten mangelnden Krankheitseinsicht fernliegend.
- 15
- b) Die Entscheidung des Landgerichts beruht auf der Nichtbestellung des Verfahrenspflegers. Denn es lässt sich nicht ausschließen, dass das Landgericht nach Hinzuziehung eines Verfahrenspflegers aufgrund dessen Stellungnahme zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre.
- 16
- 4. Der angefochtene Beschluss ist deshalb aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen. Dieses wird die Bestellung eines Ver- fahrenspflegers zu prüfen und gegebenenfalls nach dessen Stellungnahme erneut zu entscheiden haben. Hahne Weber-Monecke Dose Schilling Günter
AG Bühl, Entscheidung vom 15.11.2010 - 9 XVII 705/10 -
LG Baden-Baden, Entscheidung vom 17.12.2010 - 1 T 47/10 -
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(1) Das Gericht hat dem Betroffenen einen geeigneten Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn dies zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen erforderlich ist. Die Bestellung ist in der Regel erforderlich, wenn
- 1.
von der persönlichen Anhörung des Betroffenen nach § 278 Abs. 4 in Verbindung mit § 34 Abs. 2 abgesehen werden soll oder - 2.
die Bestellung eines Betreuers oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts gegen den erklärten Willen des Betroffenen erfolgen soll.
(2) Von der Bestellung kann in den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 abgesehen werden, wenn ein Interesse des Betroffenen an der Bestellung des Verfahrenspflegers offensichtlich nicht besteht. Die Nichtbestellung ist zu begründen.
(3) Der Verfahrenspfleger hat die Wünsche, hilfsweise den mutmaßlichen Willen des Betroffenen festzustellen und im gerichtlichen Verfahren zur Geltung zu bringen. Er hat den Betroffenen über Gegenstand, Ablauf und möglichen Ausgang des Verfahrens in geeigneter Weise zu informieren und ihn bei Bedarf bei der Ausübung seiner Rechte im Verfahren zu unterstützen. Er ist nicht gesetzlicher Vertreter des Betroffenen.
(4) Als Verfahrenspfleger ist eine natürliche Person zu bestellen. Wer Verfahrenspflegschaften im Rahmen seiner Berufsausübung führt, soll nur dann zum Verfahrenspfleger bestellt werden, wenn keine andere geeignete Person zur Verfügung steht, die zur ehrenamtlichen Führung der Verfahrenspflegschaft bereit ist.
(5) Die Bestellung eines Verfahrenspflegers soll unterbleiben oder aufgehoben werden, wenn die Interessen des Betroffenen von einem Rechtsanwalt oder einem anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten vertreten werden.
(6) Die Bestellung endet, sofern sie nicht vorher aufgehoben wird, mit der Rechtskraft der Endentscheidung oder mit dem sonstigen Abschluss des Verfahrens.
(7) Die Bestellung eines Verfahrenspflegers oder deren Aufhebung sowie die Ablehnung einer derartigen Maßnahme sind nicht selbständig anfechtbar.
(8) Dem Verfahrenspfleger sind keine Kosten aufzuerlegen.
(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) Die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts ist ohne Zulassung statthaft in
- 1.
Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers, zur Aufhebung einer Betreuung, zur Anordnung oder Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts, - 2.
Unterbringungssachen und Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 sowie - 3.
Freiheitsentziehungssachen.
(4) Gegen einen Beschluss im Verfahren über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung oder eines Arrests findet die Rechtsbeschwerde nicht statt.
(1) Das Gericht hat dem Betroffenen einen geeigneten Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn dies zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen erforderlich ist. Die Bestellung ist in der Regel erforderlich, wenn
- 1.
von der persönlichen Anhörung des Betroffenen nach § 278 Abs. 4 in Verbindung mit § 34 Abs. 2 abgesehen werden soll oder - 2.
die Bestellung eines Betreuers oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts gegen den erklärten Willen des Betroffenen erfolgen soll.
(2) Von der Bestellung kann in den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 abgesehen werden, wenn ein Interesse des Betroffenen an der Bestellung des Verfahrenspflegers offensichtlich nicht besteht. Die Nichtbestellung ist zu begründen.
(3) Der Verfahrenspfleger hat die Wünsche, hilfsweise den mutmaßlichen Willen des Betroffenen festzustellen und im gerichtlichen Verfahren zur Geltung zu bringen. Er hat den Betroffenen über Gegenstand, Ablauf und möglichen Ausgang des Verfahrens in geeigneter Weise zu informieren und ihn bei Bedarf bei der Ausübung seiner Rechte im Verfahren zu unterstützen. Er ist nicht gesetzlicher Vertreter des Betroffenen.
(4) Als Verfahrenspfleger ist eine natürliche Person zu bestellen. Wer Verfahrenspflegschaften im Rahmen seiner Berufsausübung führt, soll nur dann zum Verfahrenspfleger bestellt werden, wenn keine andere geeignete Person zur Verfügung steht, die zur ehrenamtlichen Führung der Verfahrenspflegschaft bereit ist.
(5) Die Bestellung eines Verfahrenspflegers soll unterbleiben oder aufgehoben werden, wenn die Interessen des Betroffenen von einem Rechtsanwalt oder einem anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten vertreten werden.
(6) Die Bestellung endet, sofern sie nicht vorher aufgehoben wird, mit der Rechtskraft der Endentscheidung oder mit dem sonstigen Abschluss des Verfahrens.
(7) Die Bestellung eines Verfahrenspflegers oder deren Aufhebung sowie die Ablehnung einer derartigen Maßnahme sind nicht selbständig anfechtbar.
(8) Dem Verfahrenspfleger sind keine Kosten aufzuerlegen.