Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Mai 2018 - XII ZB 14/18

ECLI: ECLI:DE:BGH:2018:160518BXIIZB14.18.0
published on 16/05/2018 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Mai 2018 - XII ZB 14/18
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Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt, 16 XVII 195/17, 05/10/2017
Landgericht Stuttgart, 10 T 429/17, 04/12/2017

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 14/18
vom
16. Mai 2018
in der Unterbringungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
In einem Unterbringungsverfahren ist das Sachverständigengutachten grundsätzlich
mit seinem vollen Wortlaut an den Betroffenen persönlich bekanntzugeben.
Davon kann nur unter den Voraussetzungen des § 325 Abs. 1 FamFG
abgesehen werden (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 8. März 2017
- XII ZB 516/16 - FamRZ 2017, 911).
BGH, Beschluss vom 16. Mai 2018 - XII ZB 14/18 - LG Stuttgart
AG Stuttgart-Bad-Cannstatt
ECLI:DE:BGH:2018:160518BXIIZB14.18.0

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Mai 2018 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richter Schilling, Dr. Günter und Dr. Botur und die Richterin Dr. Krüger
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 10. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 4. Dezember 2017 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens , an das Landgericht zurückverwiesen. Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

Gründe:

I.

1
Der Betroffene wendet sich gegen die Verlängerung seiner geschlossenen Unterbringung.
2
Er leidet an einer psychischen Störung in Form einer schizophrenen Psychose und einer Polytoxikomanie mit hoher Rückfallgefahr. Auf Antrag seines Betreuers hat das Amtsgericht nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Anhörung des Betroffenen mit Beschluss vom 5. Oktober 2017 die Verlängerung der bereits seit November 2015 bestehenden Unterbringung des Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung bis längstens 4. Oktober 2018 genehmigt.
3
Das Landgericht hat die Beschwerde des Betroffenen nach Anhörung des Betroffenen und der Sachverständigen zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.

II.

4
Die Rechtsbeschwerde ist begründet, weil die Entscheidungen des Amtsgerichts und des Landgerichts verfahrensfehlerhaft ergangen sind.
5
1. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass dem Betroffenen das eingeholte Sachverständigengutachten nicht persönlich bekanntgegeben wurde.
6
a) Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Grundlage einer Entscheidung in der Hauptsache setzt gemäß § 37 Abs. 2 FamFG voraus, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Insoweit ist das Gutachten mit seinem vollen Wortlaut im Hinblick auf die Verfahrensfähigkeit des Betroffenen (§ 316 FamFG) grundsätzlich auch ihm persönlich zur Verfügung zu stellen. Davon kann nur unter den Voraussetzungen des § 325 Abs. 1 FamFG abgesehen werden (vgl. Senatsbeschlüsse vom 8. März 2017 - XII ZB 516/16 - FamRZ 2017, 911 Rn. 5 mwN zur Unterbringung und vom 16. September 2015 - XII ZB 250/15 - FamRZ 2015, 2156 Rn. 15 mwN zur Betreuung).
7
b) Diesen Anforderungen wird das vorliegende Verfahren nicht gerecht.
8
Weder aus den Feststellungen des Landgerichts noch aus den Gerichtsakten lässt sich entnehmen, dass der Inhalt des Gutachtens dem Betroffenen in vollem Umfang bekannt gegeben worden ist. Ausweislich des Protokolls des Amtsgerichts über den am 5. Oktober 2017 durchgeführten Anhörungstermin wurde das Gutachten lediglich mit dem Betroffenen erörtert. Dies genügt den verfahrensrechtlichen Anforderungen nicht, weil dem Betroffenen damit die Möglichkeit genommen wird, sich auf den Anhörungstermin ausreichend vorzubereiten und durch die Erhebung von Einwendungen und Vorhalte an die Sachverständige eine andere Einschätzung zu erreichen. Ebenso wenig enthält das Sachverständigengutachten einen Hinweis darauf, dass der Betroffene durch dessen Bekanntgabe Gesundheitsnachteile entsprechend § 325 Abs. 1 FamFG zu befürchten hätte (vgl. Senatsbeschluss vom 8. März 2017 - XII ZB 516/16 - FamRZ 2017, 911 Rn. 6).
9
Dieser Verfahrensmangel wurde im Beschwerdeverfahren nicht geheilt. Das Landgericht hat zwar den Betroffenen erneut angehört und im Rahmen des Anhörungstermins eine ergänzende mündliche Stellungnahme der Sachverständigen eingeholt. Es hat es jedoch versäumt, vor dem Anhörungstermin dem Betroffenen das Sachverständigengutachten in seinem vollen Wortlaut zu übersenden.
10
2. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, da er die fehlerhaften Verfahrenshandlungen nicht selbst nachholen und die erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen kann.
11
3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Be- deutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Dose Schilling Günter Botur Krüger

Vorinstanzen:
AG Stuttgart-Bad Cannstatt, Entscheidung vom 05.10.2017 - 16 XVII 195/17 -
LG Stuttgart, Entscheidung vom 04.12.2017 - 10 T 429/17 -
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(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem gesamten Inhalt des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. (2) Das Gericht darf eine Entscheidung, die die Rechte eines Beteiligten beeinträchtigt, nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützen

In Unterbringungssachen ist der Betroffene ohne Rücksicht auf seine Geschäftsfähigkeit verfahrensfähig.
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(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem gesamten Inhalt des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. (2) Das Gericht darf eine Entscheidung, die die Rechte eines Beteiligten beeinträchtigt, nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützen

In Unterbringungssachen ist der Betroffene ohne Rücksicht auf seine Geschäftsfähigkeit verfahrensfähig.
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published on 08/03/2017 00:00

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Annotations

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem gesamten Inhalt des Verfahrens gewonnenen Überzeugung.

(2) Das Gericht darf eine Entscheidung, die die Rechte eines Beteiligten beeinträchtigt, nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützen, zu denen dieser Beteiligte sich äußern konnte.

(1) Von der Bekanntgabe der Gründe eines Beschlusses an den Betroffenen kann abgesehen werden, wenn dies nach ärztlichem Zeugnis erforderlich ist, um erhebliche Nachteile für seine Gesundheit zu vermeiden.

(2) Der Beschluss, durch den eine Unterbringungsmaßnahme genehmigt oder angeordnet wird, ist auch dem Leiter der Einrichtung, in der der Betroffene untergebracht werden soll, bekannt zu geben. Das Gericht hat der zuständigen Behörde die Entscheidung, durch die eine Unterbringungsmaßnahme genehmigt, angeordnet oder aufgehoben wird, bekannt zu geben.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem gesamten Inhalt des Verfahrens gewonnenen Überzeugung.

(2) Das Gericht darf eine Entscheidung, die die Rechte eines Beteiligten beeinträchtigt, nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützen, zu denen dieser Beteiligte sich äußern konnte.

In Unterbringungssachen ist der Betroffene ohne Rücksicht auf seine Geschäftsfähigkeit verfahrensfähig.

(1) Von der Bekanntgabe der Gründe eines Beschlusses an den Betroffenen kann abgesehen werden, wenn dies nach ärztlichem Zeugnis erforderlich ist, um erhebliche Nachteile für seine Gesundheit zu vermeiden.

(2) Der Beschluss, durch den eine Unterbringungsmaßnahme genehmigt oder angeordnet wird, ist auch dem Leiter der Einrichtung, in der der Betroffene untergebracht werden soll, bekannt zu geben. Das Gericht hat der zuständigen Behörde die Entscheidung, durch die eine Unterbringungsmaßnahme genehmigt, angeordnet oder aufgehoben wird, bekannt zu geben.

(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.

(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.

(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.

(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.