Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Okt. 2006 - XI ZB 14/06
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Die Sache wird zur Verhandlung und Entscheidung über die Berufung der Beklagten und über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens an das Oberlandesgericht München zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 228.353,03 €
Gründe:
I.
- 1
- Landgericht Das hat mit Urteil vom 12. Oktober 2005, zugestellt am 25. November 2005, der Zahlungsklage der Klägerin gegen die beklagte Aktiengesellschaft, deren Vorstand der Rechtsbeschwerdeführer zu 1) ist, in vollem Umfang von 228.353,03 € zuzüglich Zinsen stattgegeben. Am 20. Dezember 2005 ist eine Berufungsschrift des seinerzeitigen Prozessbevollmächtigten der Beklagten beim Berufungsgericht eingegangen ; eine Ablichtung des vollständigen Urteils des Landgerichts soll beigefügt gewesen sein. Der Text der Berufungsschrift lautet auszugsweise : "In Sachen U. E. , …, KlägerundBerufungskläger,…, gegen M. eG, …, BeklagteundBe rufungsbeklagte, …, wegen Forderung, Aktenzeichen erstinstanzlich Landgericht München I, Geschäftszeichen: 29 O 1037/05 Beschwerdewert: 228.353,03€ lege ich hiermit namens des Klägers und Berufungsklägers gegen das am 12.10.2005 verkündete und am 25.11.2005 zugestellte Endurteil des Landgerichts München I, Az.: 29 O 1037/05 Berufung ein."
- 2
- Mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2005 beantragte der seinerzeitige Prozessbevollmächtigte der Beklagten "in Sachen E. U. gegen M. eG" die Verlängerung der Berufungsbegründungfrist. Am 18. Januar 2006 bat er um Berichtigung des Rubrums dahin, dass bei der Beklagtenpartei die Parteibezeichnung "D. AG, vertreten durch den Vorstand U. E. " laute. Zugleich legte er für diese vorsorglich nochmals Berufung ein, verbunden mit dem Antrag, gegen die Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
- 3
- Beschluss Mit vom 21. März 2006 hat das Berufungsgericht die Berufung des Rechtsbeschwerdeführers zu 1) als unzulässig verworfen sowie den Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und ihre Berufung als unzulässig verworfen. Die Berufung des Rechtsbeschwerdeführers zu 1) könne nicht als Berufung der Beklagten ausgelegt werden. Zwar sei zu Gunsten der Beklagten davon auszugehen, dass der Berufungsschrift eine Abschrift des angefochtenen Urteils beigelegen habe. Im Hinblick auf eine beim Berufungsgericht am 3. November 2005 eingelegte Berufung des Rechtsbeschwerdeführers zu 1), mit der er sich in einem Parallelverfahren gegen die Abweisung seiner gegen die Klägerin des vorliegenden Rechtsstreits gerichteten Vollstreckungsgegenklage durch ein Urteil des Landgerichts T. vom 6. Oktober 2005 wendete , verblieben aber Zweifel an der Person des Rechtsmittelführers, weil eine irrtümliche Wiederholung der Berufungseinlegung des Rechtsbeschwerdeführers zu 1) gegen dieses Urteil nicht ausgeschlossen werden könne. Aufgrund dessen seien die Berufung des Rechtsbeschwerdeführers zu 1) mangels Beschwer und die Berufung der Beklagten infolge Fristversäumung unzulässig. Gegen diesen Beschluss wenden sich die beiden Rechtsbeschwerdeführer.
II.
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- Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.
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- 1. Die gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde des Klägers ist zulässig, weil zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlich ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt die Beklagte in ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip. Die Verfahrensgarantien des Grundgesetzes verbieten es, den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingerichteten Instanzen in unzumutbarer , aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. dazu BVerfGE 74, 228, 234; BVerfG NJW 2005, 814, 815; BGHZ 151, 221, 227).
- 6
- Indem das Berufungsgericht zu Unrecht (dazu unter 2.) davon ausgegangen ist, dass nicht die im Verfahren vor dem Landgericht unterlegene Beklagte, sondern der durch das Urteil erster Instanz nicht beschwerte und bis dahin an dem Rechtsstreit nicht beteiligte Rechtsbeschwerdeführer zu 1) Berufungskläger sei, hat es der Beklagten den Zugang zur Berufungsinstanz ungerechtfertigt versagt.
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- 2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
- 8
- Zutreffend a) geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass an die eindeutige Bezeichnung des Rechtsmittelführers strenge An- forderungen zu stellen sind. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Formvorschrift des § 519 Abs. 2 ZPO (früher: § 518 Abs. 2 ZPO a.F.) nur entsprochen, wenn bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist zweifelsfrei angegeben wird, für wen und gegen wen das Rechtsmittel eingelegt werden soll (Senat, Beschluss vom 22. November 2005 - XI ZB 43/04, NJW-RR 2006, 284 m.w.Nachw.). Da mit der Berufung ein neuer Verfahrensabschnitt vor einem anderen Gericht eröffnet wird, müssen aus Gründen der Rechtssicherheit zur Erzielung eines geordneten Verfahrenablaufs die Parteien des Rechtsmittelverfahrens und insbesondere die Person des Rechtsmittelführers bei verständiger Würdigung des gesamten Vorgangs der Rechtsmitteleinlegung bis zum Ablauf der Berufungsfrist für das Berufungsgericht und den Gegner in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise erkennbar sein (BGH, Urteil vom 15. November 2001 - I ZR 74/99, BGHReport 2002, 655 m.w.Nachw.). Dabei ist die erforderliche Klarheit über den Rechtsmittelführer nicht allein aus dessen ausdrücklicher Bezeichnung zu erzielen. Sie kann vielmehr - wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat - auch im Wege der Auslegung der Berufungsschrift und der etwa sonst im Zeitpunkt des Ablaufs der Berufungsfrist vorliegenden Unterlagen gewonnen werden (Senat, Beschluss vom 22. November 2005, aaO).
- 9
- b) Gemessen an diesen Grundsätzen ist das Berufungsgericht zu Unrecht davon ausgegangen, dass die fristgerecht eingegangene Berufung nicht von der Beklagten eingelegt worden ist.
- 10
- Berufungsgericht Das hat rechtsfehlerfrei zugrunde gelegt, dass der am 20. Dezember 2005 eingegangenen Berufungsschrift eine Ab- schrift des angefochtenen Urteils beigefügt war. Dann bestand aber kein Anlass zu Zweifeln, dass die Beklagte Berufungsklägerin sein sollte. Dem steht nicht entgegen, dass als solche in der Berufungsschrift der Rechtsbeschwerdeführer zu 1) bezeichnet war und zusätzlich die Parteirollen in erster Instanz vertauscht waren. Unter Berücksichtigung dessen , dass die Berufungsschrift das erstinstanzliche Urteil mit den zutreffenden Angaben des Aktenzeichens, des Verkündungsdatums und des Beschwerdewertes sowie mit derselben Kurzbezeichnung "wegen Forderung" anführte und im beigefügten Urteil des Landgerichts die D. AG als einzige und voll verurteilte Beklagte ausgewiesen war, während der Rechtsbeschwerdeführer zu 1) - bis auf seine Stellung als Vorstand der Beklagten - an dem Rechtsstreit nicht beteiligt war, konnten für das Berufungsgericht und die Klägerin aus damaliger Sicht keine vernünftigen Zweifel daran bestehen, dass der Rechtsbeschwerdeführer zu 1) bei der Berufungseinlegung versehentlich anstelle der Beklagten als Berufungskläger benannt worden war. Dass auch der innerhalb der Berufungsfrist eingegangene Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist vom 22. Dezember 2005 die falsche Rubrumsbezeichnung enthielt, ist unschädlich , weil es sich hierbei - wie sich auch an der Beifügung der Berufungsschrift zeigt - um einen offensichtlichen Folgefehler handelt.
- 11
- Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ergeben sich auch keine vernünftigen Zweifel an der Person des Rechtsmittelführers daraus, dass vor demselben Senat ein Rechtsmittelverfahren zwischen dem Rechtsbeschwerdeführer zu 1) als Kläger und Berufungskläger und der Klägerin des vorliegenden Rechtsstreits als Beklagter und Berufungsbeklagter anhängig war. Bis auf die - allerdings einen gewichtigen, aber eben nicht ausschlaggebenden Umstand darstellende - Parteibezeichnung wies die Berufungsschrift keinen Bezug zu diesem Verfahren auf; die dortige Berufung richtete sich gegen das Urteil eines anderen Landgerichts mit einem anderen Aktenzeichen, einem anderen Beschwerdewert und einer anderen Kurzbezeichnung des Streitgegenstands ("wegen Vollstreckungsgegenklage" statt "wegen Forderung"). Zudem waren die Berufung bereits am 3. November 2005 eingelegt worden und anhand der Aktenlage - eigene Feststellungen hat das Berufungsgericht nicht getroffen - keine Gründe ersichtlich, weshalb der Rechtsbeschwerdeführer zu 1) seine Berufung ca. 6 Wochen später, d.h. deutlich nach Ablauf der Berufungsfrist, wiederholen sollte.
- 12
- c) Deshalb musste die Auslegung der am 20. Dezember 2005 fristgerecht eingegangenen Berufungsschrift zum Ergebnis führen, dass die Beklagte als Berufungsklägerin anzusehen war. Das Berufungsgericht durfte die mit Schriftsatz vom 18. Januar 2006 vorsorglich eingelegte nochmalige Berufung deshalb nicht als unzulässig verwerfen, sondern musste sie als gegenstandslos ansehen (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Mai 2000 - VI ZB 12/00, NJW-RR 2000, 1661, 1662). Daraus folgt zugleich, dass der Rechtsbeschwerdeführer zu 1) keine Berufung eingelegt hat, so dass eine solche auch nicht auf seine Kosten als unzulässig verworfen werden durfte.
Schmitt Grüneberg
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 12.10.2005 - 29 O 1037/05 -
OLG München, Entscheidung vom 21.03.2006 - 19 U 5776/05 + 19 U 2459/06 -
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Annotations
(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt.
(2) Die Berufungsschrift muss enthalten:
- 1.
die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird; - 2.
die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde.
(3) Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsschrift anzuwenden.
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt.
(2) Die Berufungsschrift muss enthalten:
- 1.
die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird; - 2.
die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde.
(3) Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsschrift anzuwenden.
Wird innerhalb der Berufungsfrist ein Urteil durch eine nachträgliche Entscheidung ergänzt (§ 321), so beginnt mit der Zustellung der nachträglichen Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist auch für die Berufung gegen das zuerst ergangene Urteil von neuem. Wird gegen beide Urteile von derselben Partei Berufung eingelegt, so sind beide Berufungen miteinander zu verbinden.