Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Aug. 2016 - X ZR 81/14

ECLI:ECLI:DE:BGH:2016:230816BXZR81.14.0
bei uns veröffentlicht am23.08.2016
vorgehend
Bundespatentgericht, 3 Ni 31/12, 25.03.2014

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ZR 81/14
vom
23. August 2016
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Photokatalytische Titandioxidschicht
Verteidigt der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Patentgericht
das Streitpatent in einer geänderten Fassung, die Merkmalen eines zuvor gestellten
Hilfsantrags weitere, einem geltenden Unteranspruch entnommene
Merkmale hinzufügt, darf ein in der mündlichen Verhandlung vom Kläger vorgebrachtes
neues Angriffsmittel gegen die Patentfähigkeit dieser technischen Lehre
jedenfalls dann nicht als verspätet zurückgewiesen werden, wenn der qualifizierte
Hinweis des Patentgerichts dem Beklagten Veranlassung gab, die in der
mündlichen Verhandlung verteidigte Fassung des Patents bereits innerhalb der
vom Patentgericht gesetzten Frist zu formulieren.
BGH, Beschluss vom 23. August 2016 - X ZR 81/14 - Bundespatentgericht
ECLI:DE:BGH:2016:230816BXZR81.14.0

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 23. August 2016 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Gröning, Dr. Grabinski, Hoffmann und die Richterin Dr. Kober-Dehm

beschlossen:
Das Urteil des Bundespatentgerichts vom 25. März 2014 ist wirkungslos. Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Streithilfe hat die Beklagte zu tragen.

Gründe:

I. Die Beklagte ist Inhaberin des am 21. März 1996 unter Inanspruch1 nahme japanischer Prioritäten vom 20. März, 6. April, 14. Juni, 8. Juli, 9. November und 22. Dezember 1995 angemeldeten, mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten deutschen Patents 196 81 289 (Streitpatents). Anspruch 1 des Streitpatents, auf den die Patentansprüche 2 bis 11 unmittelbar oder mittelbar rückbezogen sind, hat im Einspruchsverfahren folgende Fassung erhalten: "Verwendung eines Verbundwerkstoffs, umfassend einen Träger und eine darauf aufgebrachte photokatalytische Schicht, wobei die photokatalytische Schicht ein photokatalytisches Material, gewählt aus der Gruppe, bestehend aus TiO2 in der Anatas-Form und SnO2, und außerdem SiO2 oder Silikon enthält und die photokatalytische Schicht eine Oberfläche hat, die durch Belichtung mit Sonnenlicht hydrophil gemacht wurde, wobei die hydrophile Oberfläche eine Wasserbenetzbarkeit von weniger als 20°, ausgedrückt durch den Kontaktwinkel mit Wasser, aufweist, als Material, von
dem Ablagerungen und/oder Verunreinigungen, die auf der Oberfläche haften, durch gelegentlichen Kontakt mit Regen abgewaschen werden."
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Die Klägerin und die auf ihrer Seite dem Rechtsstreit beigetretene Streithelferin haben geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents gehe über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus und sei nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Streitpatent beschränkt mit einem Hauptantrag und sieben Hilfsanträgen verteidigt. Das Patentgericht hat das Streitpatent insoweit für nichtig erklärt, als es über die Fassung des siebten Hilfsantrags der Beklagten hinausgeht.
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Dagegen hat die Beklagte Berufung eingelegt, mit der sie das Streitpatent zunächst weiterhin mit ihrem bereits vor dem Patentgericht geltend gemachten Haupt- und den ersten sechs Hilfsanträgen verteidigt hat. Dem sind die Klägerin und ihre Streithelferin entgegengetreten und haben mit der Anschlussberufung den Antrag weiterverfolgt, das Streitpatent insgesamt für nichtig zu erklären. Nachdem das Streitpatent durch Zeitablauf erloschen ist, haben die Parteien den Rechtsstreit mit widerstreitenden Kostenanträgen übereinstimmend für erledigt erklärt. II. Nachdem die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend in der
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Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist gemäß § 121 Abs. 2 PatG in Verbindung mit § 91a ZPO nur noch nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Parteivorbringens über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 28. Mai 2009 - Xa ZR 10/05, juris Rn. 9). Die Kosten sind einer Seite aufzuerlegen, soweit sie absehbar unterlegen wäre. Danach entspricht es der Billigkeit, die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten aufzuerlegen, weil ihre Berufung voraussichtlich erfolglos geblieben wäre, während die Anschlussberufung der Klägerin und ihrer Streithelferin voraussichtlich Erfolg gehabt und zur Nichtigerklärung des Streitpatents insgesamt geführt hätte. 1. Das Streitpatent betrifft die Verwendung eines Verbundwerkstoffs,
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dessen Oberfläche zur Ermöglichung oder Erleichterung der Selbstreinigung in einen hoch-hydrophilen Zustand gebracht wird. In der Beschreibung des Streitpatents wird ausgeführt, dass außenliegende Oberflächen von Gebäuden durch anorganische Substanzen wie Ruß- oder Staubpartikel zunehmend verschmutzten (Abs. 2 bis 4). Bisher sei angenommen worden, dass wasserabweisende Schutz- oder Farbanstriche, wie etwa Polytetrafluorethylen (PTFE), zweckmäßig seien, um derartigen Verschmutzungen vorzubeugen. Nach neueren Erkenntnissen könne den Schmutzteilchen, die große Mengen an oleophilen Komponenten enthielten, jedoch dadurch wirkungsvoller begegnet werden, dass die Oberflächen so hydrophil wie möglich gemacht würden (Abs. 5). Es sei etwa vorgeschlagen worden, die Gebäude mit einem hydrophilen PfropfCopolymer zu beschichten, wobei der Überzugsfilm eine Hydrophilie von 30 bis 40° aufgewiesen habe. Anorganische Stäube hätten einen Kontaktwinkel mit Wasser von 20 bis 50°, so dass eine Affinität für das Pfropf-Copolymer bestehe. Daher werde angenommen, dass anorganische Stäube an der Oberfläche des Pfropf-Copolymer-Überzugs haften und eine Verkrustung (Fouling) nicht ver- hindert werde. Gleiches gelte in noch größerem Maße für hydrophile Anstrichfarben , deren Kontaktwinkel mit Wasser 50 bis 70° betrage (Abs. 6 ff.). Das der Erfindung zugrunde liegende Problem besteht vor diesem Hin6 tergrund darin, einen Verbundwerkstoff bereitzustellen, der die Selbstreinigung der äußeren Oberflächen von Gebäuden, Fensterscheiben oder dergleichen ermöglicht oder erleichtert und damit deren Verschmutzung entgegenwirkt. Dies soll nach der Lehre aus Patentanspruch 1 in der von der Beklagten zuletzt im Hauptantrag verteidigten Fassung wie folgt erreicht werden:
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Verwendung eines Verbundwerkstoffs als Material, von dem Ablagerungen oder Verunreinigungen, die auf der Oberfläche haften, durch gelegentlichen Kontakt mit Regen abgewaschen werden;
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das Material umfasst einen Träger und
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eine auf dem Träger aufgebrachte photokatalytische Schicht, die enthält 3.1 ein photokatalytisches Material, ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus Titandioxid (TiO2) in der Anatas -Form und Siliziumdioxid (SiO2), und 3.2 außerdem Siliziumdioxid oder Silikon;
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die photokatalytische Schicht hat eine Oberfläche, die 4.1 durch Belichtung mit Sonnenlicht hydrophil gemacht wurde und 4.2 eine Wasserbenetzbarkeit von weniger als 10°, ausgedrückt durch den Kontaktwinkel mit Wasser, aufweist. Nach Hilfsantrag I ist vorgesehen gewesen, Merkmal 3.2 wie folgt anzu7 fügen: "wobei bei Verwendung von Silikon die an die Siliziumatome der Silikonmoleküle gebundenen organischen Gruppen unter der photokatalytischen Wirkung des photokatalytischen Materials zumindest teilweise durch Hydroxygruppen ersetzt werden"; in der Fassung der Hilfsanträge II bis VII sollte in Merkmal 3.2 jeweils die Alternative Silikon ganz entfallen. Die Hilfsanträge III bis VII haben ferner ein Merkmal 3.3III vorgesehen, wonach das Verhältnis von SiO2 zur Summe von TiO2 und SiO2 10 bis 50 Molprozent beträgt. Nach Hilfsantrag IV sollten die Merkmale 3.1 und 3.2 dahin formuliert werden, dass die photokatalytische Schicht TiO2 in der Anatas-Form und SiO2 enthält; nach den Hilfsanträgen V bis VII sollten sie hieraus bestehen. Hilfsantrag VI hat den Verbundwerkstoff (Merkmal 1) näher als einen Spiegel, ein Fensterglas, eine Fliese oder ein äußeres Paneel eines Gebäudes bestimmt. In der Fassung, die das Patentgericht entsprechend dem erstinstanzli8 chen Hilfsantrag VII dem Patent gegeben hat, ist der Träger (Merkmal 2) wie folgt fortgebildet worden: 2.1VII der Träger ist aus Glas hergestellt, das alkalische Netzwerk -Modifizierungsmittel-Ionen enthält und 2.2VII zwischen dem Träger und der Schicht ist ein dünner Film angeordnet, der verhindert, dass die Ionen von dem Träger in die photokatalytische Schicht diffundieren. Als maßgeblichen Fachmann hat das Patentgericht - rechtsfehlerfrei und
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von den Parteien nicht beanstandet - einen Chemiker mit Hochschulabschluss angesehen, der aufgrund seines Studiums über gute Kenntnisse auf dem Gebiet der organischen und anorganischen Chemie sowie der Polychemie verfügt und langjährig auf dem Gebiet der Beschichtung von äußeren Oberflächen, insbesondere zum verbesserten Freihalten von Schmutz durch Adsorption von Schmutzteilchen, tätig ist. Der Merkmalsgruppe 4 entnimmt ein solcher Fachmann, dass sich die
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Oberfläche der photokatalytischen Schicht nicht dauerhaft in einem hochhydrophilen Zustand befinden muss, wie er in Merkmal 4.2 durch den Kontaktwinkel der Oberfläche mit Wasser von weniger als 10° definiert ist, sondern dass es erfindungsgemäß ausreichend ist, wenn die Oberfläche der photokatalytischen Schicht durch Belichtung mit Sonnenlicht in diesen Zustand versetzt werden kann. Entsprechend wird dem Fachmann in der Beschreibung erläutert, dass die Oberfläche der photokatalytischen Schicht durch die Bestrahlung mit Licht in einer ausreichenden Intensität und mit einer Wellenlänge, deren Energie höher ist als die Bandlückenenergie des photokatalytischen Haltleiters, hoch-hydrophil ("super-hydrophil") gemacht werde, mithin die Wasserbenetzbarkeit der Oberfläche weniger als etwa 10° betrage (Abs. 18). Sei die Oberfläche in einen solchen Zustand der "Super-Hydrophilie" gebracht worden, halte dieser für eine bestimmte Zeitspanne auch dann an, wenn das Substrat im Dunkeln aufbewahrt werde. Mit der Zeit gehe die "Super-Hydrophilie" der Oberfläche aufgrund von Verunreinigungen, die an den Oberflächen-Hydroxylgruppen adsorbiert werden, allmählich verloren. Sie könne jedoch wieder hergestellt werden, wenn die Oberfläche erneut einer Photoerregung durch Lichtbestrahlung unterworfen werde (Abs. 24). 2. Die Angriffe der Berufung der Beklagten gegen Patentfähigkeit des
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Gegenstandes des Patentanspruchs 1 in den Fassungen des Hauptantrags und der Hilfsanträge I bis VI wären voraussichtlich ohne Erfolg geblieben, weil die Wertung zu treffen gewesen wäre, dass dieser in der Fassung des Hauptantrags und der Hilfsanträge I bis IV nicht neu ist und in der Fassung der Hilfsanträge V und VI dem Fachmann durch den Stand der Technik nahegelegt war.
a) Der D2 (WO 95/11751) konnte der Fachmann einleitend als "Back12 ground of the Invention" entnehmen, dass die heterogene Photokatalyse ein vielversprechendes chemisches Verfahren zur Oxidation und damit zur Entfernung unerwünschter organischer Verbindungen von Fluiden, einschließlich Wasser und Luft sei. UV-bestrahlte Katalysatoren wie Titandioxid, ein Halbleiter mit einer Bandlücke von 3,0 eV (Rutil) und 3,2 eV (Anatas), absorbierten UVLicht , welches Elektronen und Löcher generiere, die an die Oberfläche des Katalysators migrierten. Während die Elektronen an der Oberfläche Sauerstoff adsorbierten, oxidierten die Löcher Verbindungen oder adsorbierte WasserMoleküle (D2, S. 1, Z. 24 ff.). Die D2 macht es sich zur Aufgabe, eine photokatalytische Zusammensetzung bereitzustellen, die einen Photokatalysator und ein Bindemittel zum Anhaften der Photokatalysatorpartikel an einer Vielzahl von Oberflächen ermöglicht (D2, S. 4, Z. 30 ff.). Die D2 war damit, wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, für einen Fachmann, der - entsprechend der Aufgabe des Streitpatents - einen Verbundwerkstoff zur Vermeidung von Verschmutzungen von äußeren Oberflächen durch Selbstreinigung entwickeln wollte , von großem Interesse.
b) Als Beispiel 14 wird die Herstellung von vier Titandioxid enthaltenden
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photoaktiven Oberflächen beschrieben. Zur Herstellung der zweiten photoaktiven Oberfläche heißt es im Einzelnen, dass Kalk-Natron-Glas mit einer Lösung beschichtet worden sei, die 99 Gewichtsprozent Wasser, 0,5 Gewichtsprozent kolloidales Siliziumdioxid (Alfa Johnson Matthey) und 0,5 Gewichtsprozent Titandioxid (Degussa P-25) enthalten habe, wobei das Wasser unter Umgebungsbedingungen verdampft sei (D2, S. 39, Z. 24 ff.; S. 40, Z. 13 ff.). Bei dem Titandioxid "Degussa P-25" handelt es sich nach den von der Berufung nicht angegriffenen Feststellungen des Patentgerichts um ein kommerzielles Titandioxidprodukt , das nach den Angaben der D6 neben Titandioxid in amorpher Form überwiegend aus Titandioxid in kristalliner Form mit einem 80-%-Anteil Anatas und einem 20-%-Anteil Rutil besteht. Damit wurde dem Fachmann ein Verbundwerkstoff als Material offenbart, der einen Träger und eine darauf aufgebrachte photokatalytische Schicht im Sinne der Merkmale 2 bis 3.2 umfasst.
c) Offenbart ist auch die Verwendung eines derart hergestellten Ver14 bundwerkstoffs als Material, von dem auf der Oberfläche haftende Ablagerungen oder Verunreinigungen durch gelegentlichen Kontakt mit Regen - und damit mit Wasser - abgewaschen werden (Merkmal 1). Zwar sollen nach der Beschreibung der D2 mit Proben der vier beschichteten Gläser des Beispiels 14 Kratzhärtetests mit leicht unterschiedlichen Ergebnissen durchgeführt worden sein (D2, S. 41, Z. 7 ff.) und ist der das Beispiel betreffende Abschnitt entsprechend mit dem Titel "Example 14 Measuring Abrasion Resistance by the Scratch Hardness Test" überschrieben (D2, S. 39, Z. 24 ff.). Das gab dem Fachmann jedoch noch keinen Grund, die vier Ausführungsformen des Beispiels 14 als ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Abriebfestigkeit bzw. Kratzfestigkeit vorteilhaft anzusehen. Vielmehr steht das Beispiel 14 im Gesamtzusammenhang der D2, der es - wie ausgeführt - darum geht, eine photokatalytische Zusammensetzung für selbstreinigende Oberflächen bereitzustellen. Die Rüge der Berufung, das Patentgericht habe die Ausführungsform des Beispiels 9, für das die besondere Selbstreinigungsfähigkeit einer der Witterung , insbesondere Sonnenlicht und Regen, ausgesetzten Zusammensetzung ausdrücklich erwähnt ist (D2, S. 36, Z. 17 ff.), mit der zweiten Ausführungsform des Beispiels 14 in unzulässiger Weise miteinander kombiniert, wäre daher voraussichtlich nicht erfolgreich gewesen. Da es sich bei dem Verbundwerkstoff der zweiten Ausführungsform des Beispiels 14 um Glas handelt, ist auch die Variante des Merkmals 1VI offenbart (vgl. etwa auch D2, S. 3, Z. 19; S. 5, Z. 11 f.).
d) Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit der Feststellung des Pa15 tentgerichts, dass sich die "Super-Hydrophilie" nach der Merkmalsgruppe 4 bei der Verwendung des Verbundwerkstoffs im Außenbereich bei Sonnenbestrahlung zwangsläufig einstellt, hätten begründen können, sind von der Berufung nicht aufgezeigt worden und wären für den Senat voraussichtlich auch nicht erkennbar gewesen (§ 117 PatG i.V.m. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). (1) Dabei hätte dahinstehen können, ob Verbundwerkstoffe, bei denen
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die photokatalytische Schicht - wie in den Beispielen 1 und 9 der D2 in Gestalt von Polymethylsilsesquioxan - Silikon als Bindemittel enthält, anders als der erfindungsgemäße Verbundwerkstoff mit Siliziumdioxid als Bindemittel nicht über die Eigenschaft verfügen, durch Belichtung mit Sonnenlicht (im Sinne der Merkmalsgruppe 4) hydrophil gemacht werden zu können, wie die Beklagte unter Verweis auf Experimente vorträgt, bei denen die Beispiele 1 und 9 der D2 nachgearbeitet worden sein sollen (E8). Denn werden als Bestandteile einer Stoffzusammensetzung mehrere Stoffe alternativ beansprucht - wie in Merkmal 3.2 des Streitpatents als Bindemittel der photokatalytischen Schicht Siliziumdioxid oder Silikon - fehlt es dem Gegenstand des Patents bereits dann an der erforderlichen Neuheit in der gesamten Bandbreite, wenn einer dieser Stoffe als Bestandteil einer solchen Zusammensetzung bekannt war (BGH, Urteil vom 5. Mai 2015 - X ZR 60/13, GRUR 2015, 1091 Rn. 31 - Verdickerpolymer I). Entsprechend reicht es für die Offenbarung der Merkmalsgruppe 4, dass in der zweiten Ausführungsform des Beispiels 14 der D2 Siliziumdioxid (SiO2) als in der photokatalytischen Schicht enthaltenes Bindemittel offenbart ist (D2, S. 40, Z. 16; vgl. auch allgemein S. 10, Z. 17) und das Patentgericht festgestellt hat, dass die erfindungsgemäße Hydrophilie zwangsläufig erreicht wird, wenn die Oberfläche einer solchen photokatalytischen Schicht hinreichend lange der Bestrahlung mit Sonnenlicht ausgesetzt ist. Nach der Fassung der Hilfsanträge II bis VII sollte in Merkmal 3.2 die Alternative Silikon ohnehin entfallen. (2) Dass in der D2 nicht gelehrt wird, die photokatalytische Schicht werde
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bei hinreichend langer Belichtung mit Sonnenlicht hydrophil gemacht, ändert an der Offenbarung des Merkmals nichts. Insoweit ist es auch unerheblich, dass in der D2 eine verstärkte Photoaktivität der photokatalytischen Schicht mit den hydrophoben Eigenschaften eines Bindemittels in Zusammenhang gebracht wird, wobei dieses dazu dienen soll, den Kontaktwinkel mit Wasser bis zu 180° zu erhöhen (D2, S. 17, Z. 18 ff.; S. 18, Z. 3 ff.). Den Erfindern des Streitpatents mag das Verdienst zukommen, entdeckt zu haben, dass die Selbstreinigungswirkung einer TiO2 und SiO2 enthaltenden und auf einer Außenoberfläche angebrachten photokatalytischen Schicht auf deren Eigenschaft zurückzuführen ist, durch Belichtung mit Sonnenlicht hoch-hydrophil gemacht zu werden, selbst wenn das Bindemittel an sich hydrophob ist, so wie dies in dem Referenzbeispiel 11 des Streitpatents veranschaulicht ist, wenn der Kontaktwinkel einer photokatalytischen Schicht ohne Belichtung bei 70° und nach 5 Tagen Belich- tung bei weniger als 3° liegt (Abs. 135 ff., 140 ff.). Die Entdeckung dieses Wirkzusammenhangs begründet jedoch keine auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhende Lehre zum technischen Handeln, da die erfindungsgemäße Verwendung des Verbundwerkstoffs aufgrund der D2 zumindest nahegelegen hat und die TiO2 und SiO2 enthaltende photokatalytische Schicht nach den Feststellungen des Patentgerichts bei hinreichend langer Sonnenbestrahlung zwangsläufig den in Merkmal 4.2 definierten hoch-hydrophilen Zustand erreicht (vgl. dazu BGH, Urteil vom 9. Juni 2011 - X ZR 68/08, GRUR 2011, 999 Rn. 44 - Memantin ; Urteil vom 24. Juli 2012 - X ZR 126/09, GRUR 2012, 1130 Rn. 29 - Leflunomid

).

(3) Soweit die Berufung geltend gemacht hat, erfindungsgemäß würden
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Siliziumdioxid und Silikon so gewählt, dass durch die Verwendung mit dem Photokatalysator die in Merkmal 4.2 bezeichnete Wasserbenetzbarkeit erreicht werde, während die D2 ausdrücklich eine Erhöhung des Kontaktwinkels anstrebe , hätte sie auch damit keinen Erfolg haben können. Weder die Streitpatentschrift noch das Vorbringen der Beklagte bieten eine konkrete Grundlage für die Annahme, die Erfindung und die D2 unterschieden sich in den Anforderungen an ein geeignetes Siliziumdioxid.
e) Wie vom Patentgericht ausgeführt, ist bei der zweiten Ausführungs19 form des Beispiels 14 der D2 das Verhältnis der Gewichtsanteile von SiO2 und TiO2 gleich (jeweils 0,5 Gewichtsprozent), was einem Mengenanteil des SiO2 an der Summe von SiO2 und TiO2 von etwa 57 Molprozent entspricht. In der D2 ist jedoch allgemein zur Herstellung der Photokatalysator-Bindemittel-Zusammensetzung ausgeführt, dass diese zwischen etwa 10 und 90 Gewichtsprozent Photokatalysatorpartikel und zwischen 10 und 90 Gewichtsprozent Bindemittel enthalten kann. Damit ist auch ein sich mit Merkmal 3.3III überschneidendes Verhältnis von SiO2 zur Summe von TiO2 und SiO2 von 12,8 bis 92 Molprozent offenbart.
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f) Rechtsfehlerfrei hat das Patentgericht schließlich angenommen, dass der Fachmann zu den mit den Hilfsanträgen IV bis VI beanspruchten Varianten des Merkmals 3.1 durch die D2 angeregt wurde. Bei der zweiten Ausführungsform des Beispiels 12 wird, wie ausgeführt, ein kommerzielles TitandioxidProdukt (Degussa P-25) für die Herstellung der photokatalytischen Schicht verwendet , das neben Titandioxid in amorpher Form überwiegend aus Titandioxid in kristalliner Form mit 80 % Anatas und 20 % Rutil besteht. Der Fachmann wird dieses Anteilsverhältnis jedoch schon deshalb nicht als zwingende Vorgabe für die Herstellung der photokatalytischen Schicht ansehen, weil ihn die D2 allgemein dahin belehrt, dass Titandioxid sowohl in seinem Anatas- und in seinem Rutil-Zustand photoaktiv und damit gleichermaßen als erfindungsgemäßer Photokatalysator geeignet ist (D2, S. 16, Z. 22 f.; vgl. auch D2, S. 2, Z. 3 ff.). Damit kommen ohne weiteres beide kristalline Formen des Titandioxids für die Herstellung der photokatalytischen Schicht in Betracht, wobei deren Anteilsverhältnis in das Belieben des Anwenders gestellt ist. Dass die photokatalytische Schicht TiO2 in der Anatas-Form enthält oder der Photokatalysator hieraus besteht , ist damit ebenfalls zumindest nahegelegt. 2. Die Anschlussberufung der Klägerin und ihrer Streithelferin hätte hin21 gegen voraussichtlich Erfolg gehabt, da die Wertung zu treffen gewesen wäre, dass der Gegenstand des Hilfsantrags VII dem Fachmann durch den Stand der Technik nahegelegt worden war. Die Rüge der Anschlussberufung, das Patentgericht habe die Entgegen22 haltung D8/D8a verfahrensfehlerhaft nicht sachlich geprüft, hätte voraussichtlich durchgegriffen. Die Voraussetzungen des § 83 Abs. 4 PatG für eine Zurückweisung als verspätetes Angriffsmittel hätten nicht vorgelegen; das neue Vorbringen wäre mithin nach § 177 PatG in Verbindung mit § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zu berücksichtigen gewesen.
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a) Hilfsantrag VII mit derjenigen Fassung der Patentansprüche des Streitpatents, die das Patentgericht für rechtsbeständig erachtet hat, ist - wie Hilfsantrag VI - von der Beklagten erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Patentgericht gestellt worden. Zwar kann die unterbliebene Zurückweisung dieses Hilfsantrags, die die Anschlussberufung als rechtsfehlerhaft rügt, im Berufungsverfahren nicht nachgeholt werden (BGH, Urteil vom 9. Juni 2015 - X ZR 51/13, GRUR 2015, 976 Rn. 62 - Einspritzventil). Die Verteidigung des Streitpatents mit dem Hilfsantrag VII war aber ihrerseits verspätet, so dass der Klägerin, die auf den Hilfsantrag VII unmittelbar unter Berufung auf die D8 reagiert hat, das verspätete Vorbringen eines Angriffsmittels gegen den Gegenstand dieses Hilfsantrags nicht zur Last gelegt werden durfte.
b) Der Hilfsantrag VII ist nicht deshalb rechtzeitig gestellt, weil die zu den
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Merkmalen des Hilfsantrags V hinzu tretenden Merkmale 2.1VII und 2.2VII dem geltenden Patentanspruch 8 entnommen sind. (1) Auch die Verteidigung des Streitpatents nur mit einem geltenden Un25 teranspruch unter Wegfall eines diesem übergeordneten Anspruchs ist eine Verteidigung des Patents in einer geänderten Fassung. Hat der Beklagte zuvor nicht jedenfalls hilfsweise geltend gemacht, dass die im Unteranspruch hinzutretenden Merkmale von Bedeutung für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit hinsichtlich der technischen Lehre dieses Unteranspruchs seien (d.h. der Gegenstand des Unteranspruchs mit der üblichen, etwas verkürzenden Formulierung "eigenständigen erfinderischen Gehalt" aufweise), handelt es sich bei der selbständigen Verteidigung des Gegenstands des Unteranspruchs um ein neues Verteidigungsmittel (BGH, Urteil vom 15. Dezember 2015 - X ZR 111/13, GRUR 2016, 365 - Telekommunikationsverbindung). (2) Unerheblich ist, dass die Klägerin sich in der Nichtigkeitsklage aus26 drücklich mit der Patentfähigkeit des Gegenstands des Patentanspruchs 8 befasst und sich insoweit ausschließlich auf die Entgegenhaltung D1 berufen hat, von der das Patentgericht in seinem qualifizierten Hinweis ausgeführt hat, dass sie aufgrund der vorläufigen Einschätzung der Prioritäten nicht als Stand der Technik zu berücksichtigen sei, und dass das Patentgericht dort ferner bemerkt hat, dass auch die Gegenstände der Unteransprüche gegenüber der D2 "bis auf den dünnen Film", womit erkennbar Patentanspruch 8 gemeint war, als nicht neu erschienen. Denn die Beklagte hat diese ausdrückliche Differenzierung bei der vorläufigen Neuheitsbeurteilung des Patentgerichts nicht aufgegriffen und bis zur mündlichen Verhandlung nichts dafür geltend gemacht, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 8 auch dann nicht nahegelegt sei, wenn der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in den verschiedenen verteidigten Fassungen eine erfinderische Tätigkeit nicht erfordere.
c) Voraussichtlich wäre der Senat zu der Wertung gekommen, dass der
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Gegenstand des Hilfsantrags VII dem Fachmann durch die Entgegenhaltungen D2 und D8 (WO 95/15815 = D8a [europäische Patentanmeldung 684 075]) nahegelegt war. Der Fachmann, der sich ausgehend von der D2 um eine Verbesserung
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der photokatalytischen Wirkung der aus Titandioxid und Siliziumdioxid bestehenden Schicht bemühte, um deren Selbstreinigungskraft zu erhöhen, konnte der D8/D8a entnehmen, dass diesem Ziel eine Zwischen- oder Bindeschicht zwischen dem Träger und der photokatalytischen Schicht förderlich sein konnte. Wie die D2 betrifft auch die D8/D8a eine photokatalytische Schicht aus Titandioxid auf Oberflächen von Wänden, Fliesen, Glas u.a., um diese schmutzabweisend (stain-resistant) zu machen (D8a, S. 3, Z. 3 ff., 9 ff.). Aus den Beispielen 35 und 37 der D8/D8a geht hervor, dass eine Natronglasplatte mit einer Schicht aus Titandioxid eine verbesserte photokatalytische Wirkung hat, wenn sie vor der Beschichtung mit Titandioxid mit einer Zwischen- oder Bindeschicht aus reinem Siliziumdioxid versehen wurde. Entsprechend bot es sich für den Fachmann an, auch bei dem durch die D2 nahegelegten Verbundstoff, wenn der Träger aus Glas ist, eine solche dünne Zwischenschicht vorzusehen. Zwar wird die Verbesserung der katalytischen Wirkung in der D8/D8a darauf zurückgeführt , dass die Zwischenschicht die Titandioxidpartikel daran hindert, in dem durch Sintertemperaturen von 400 bis 500° erweichten Natronglas eingebettet zu werden (D8a, S. 50, Z. 1 ff.). Darauf kommt es aber nicht an, weil die in Merkmal 2.2VII genannten Wirkungen notwendigerweise eintreten, wenn eine Zwischenschicht, wie in D8/D8a offenbart, zwischen dem Glas und der photokatalytischen Schicht angeordnet wird. Es genügt daher die sich aus der D8/D8a ergebende Anregung für den Fachmann, bei Glas als Träger eine Zwischenschicht (etwa aus reinem Siliziumdioxid) zwischen diesem und der photokatalytischen Schicht aus Titandioxid und Siliziumdioxid anzuordnen, um ein "Auswandern" von Titandioxidpartikeln zu verhindern und so die photokatalytische Wirkung zu verbessern.
Meier-Beck Gröning Grabinski
Hoffmann Kober-Dehm
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 25.03.2014 - 3 Ni 31/12 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Aug. 2016 - X ZR 81/14

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 529 Prüfungsumfang des Berufungsgerichts


(1) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:1.die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidung

Zivilprozessordnung - ZPO | § 91a Kosten bei Erledigung der Hauptsache


(1) Haben die Parteien in der mündlichen Verhandlung oder durch Einreichung eines Schriftsatzes oder zu Protokoll der Geschäftsstelle den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, so entscheidet das Gericht über die Kosten unter Berücksich

Patentgesetz - PatG | § 121


(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend. (2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über d

Patentgesetz - PatG | § 83


(1) In dem Verfahren wegen Erklärung der Nichtigkeit des Patents oder des ergänzenden Schutzzertifikats weist das Patentgericht die Parteien so früh wie möglich auf Gesichtspunkte hin, die für die Entscheidung voraussichtlich von besonderer Bedeutung
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Auf den Prüfungsumfang des Berufungsgerichts, die verspätet vorgebrachten, die zurückgewiesenen und die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sind die §§ 529, 530 und 531 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden. Dabei tritt an die Stelle de

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bei uns veröffentlicht am 15.12.2015

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 111/13 Verkündet am: 15. Dezember 2015 Hartmann Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ:

Bundesgerichtshof Urteil, 09. Juni 2015 - X ZR 51/13

bei uns veröffentlicht am 09.06.2015

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X Z R 5 1 / 1 3 Verkündet am: 9. Juni 2015 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja

Bundesgerichtshof Urteil, 05. Mai 2015 - X ZR 60/13

bei uns veröffentlicht am 05.05.2015

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X Z R 6 0 / 1 3 Verkündet am: 5. Mai 2015 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja
2 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Aug. 2016 - X ZR 81/14.

Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Juni 2018 - X ZR 41/16

bei uns veröffentlicht am 19.06.2018

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS X ZR 41/16 vom 19. Juni 2018 in der Patentnichtigkeitssache ECLI:DE:BGH:2018:190618BXZR41.16.0 Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Juni 2018 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Rich

Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Dez. 2016 - X ZR 105/14

bei uns veröffentlicht am 06.12.2016

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS X ZR 105/14 Verkündet am: 6. Dezember 2016 Anderer Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache ECLI:DE:BGH:2016:061216BXZR105.14.0 Der X. Zivils

Referenzen

(1) In dem Verfahren wegen Erklärung der Nichtigkeit des Patents oder des ergänzenden Schutzzertifikats weist das Patentgericht die Parteien so früh wie möglich auf Gesichtspunkte hin, die für die Entscheidung voraussichtlich von besonderer Bedeutung sein werden oder der Konzentration der Verhandlung auf die für die Entscheidung wesentlichen Fragen dienlich sind. Dieser Hinweis soll innerhalb von sechs Monaten nach Zustellung der Klage erfolgen. Ist eine Patentstreitsache anhängig, soll der Hinweis auch dem anderen Gericht von Amts wegen übermittelt werden. Das Patentgericht kann den Parteien zur Vorbereitung des Hinweises nach Satz 1 eine Frist für eine abschließende schriftliche Stellungnahme setzen. Setzt das Patentgericht keine Frist, darf der Hinweis nicht vor Ablauf der Frist nach § 82 Absatz 3 Satz 2 und 3 erfolgen. Stellungnahmen der Parteien, die nach Fristablauf eingehen, muss das Patentgericht für den Hinweis nicht berücksichtigen. Eines Hinweises nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die zu erörternden Gesichtspunkte nach dem Vorbringen der Parteien offensichtlich erscheinen. § 139 der Zivilprozessordnung ist ergänzend anzuwenden.

(2) Das Patentgericht kann den Parteien eine Frist setzen, binnen welcher sie zu dem Hinweis nach Absatz 1 durch sachdienliche Anträge oder Ergänzungen ihres Vorbringens und auch im Übrigen abschließend Stellung nehmen können. Die Frist kann verlängert werden, wenn die betroffene Partei hierfür erhebliche Gründe darlegt. Diese sind glaubhaft zu machen.

(3) Die Befugnisse nach den Absätzen 1 und 2 können auch von dem Vorsitzenden oder einem von ihm zu bestimmenden Mitglied des Senats wahrgenommen werden.

(4) Das Patentgericht kann Angriffs- und Verteidigungsmittel einer Partei oder eine Klageänderung oder eine Verteidigung des Beklagten mit einer geänderten Fassung des Patents, die erst nach Ablauf einer hierfür nach Absatz 2 gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn

1.
die Berücksichtigung des neuen Vortrags eine Vertagung des bereits anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung erforderlich machen würde und
2.
die betroffene Partei die Verspätung nicht genügend entschuldigt und
3.
die betroffene Partei über die Folgen einer Fristversäumung belehrt worden ist.
Der Entschuldigungsgrund ist glaubhaft zu machen.

(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend.

(2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkosten (§§ 91 bis 101) sind entsprechend anzuwenden, soweit nicht die Billigkeit eine andere Entscheidung erfordert; die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103 bis 107) und die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen (§§ 724 bis 802) sind entsprechend anzuwenden.

(1) Haben die Parteien in der mündlichen Verhandlung oder durch Einreichung eines Schriftsatzes oder zu Protokoll der Geschäftsstelle den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, so entscheidet das Gericht über die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen durch Beschluss. Dasselbe gilt, wenn der Beklagte der Erledigungserklärung des Klägers nicht innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen seit der Zustellung des Schriftsatzes widerspricht, wenn der Beklagte zuvor auf diese Folge hingewiesen worden ist.

(2) Gegen die Entscheidung findet die sofortige Beschwerde statt. Dies gilt nicht, wenn der Streitwert der Hauptsache den in § 511 genannten Betrag nicht übersteigt. Vor der Entscheidung über die Beschwerde ist der Gegner zu hören.

Auf den Prüfungsumfang des Berufungsgerichts, die verspätet vorgebrachten, die zurückgewiesenen und die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sind die §§ 529, 530 und 531 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden. Dabei tritt an die Stelle des § 520 der Zivilprozessordnung der § 112.

(1) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:

1.
die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
2.
neue Tatsachen, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist.

(2) Auf einen Mangel des Verfahrens, der nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist, wird das angefochtene Urteil nur geprüft, wenn dieser nach § 520 Abs. 3 geltend gemacht worden ist. Im Übrigen ist das Berufungsgericht an die geltend gemachten Berufungsgründe nicht gebunden.

31
cc) NiK6 trifft Patentanspruch 1 des Streitpatents entgegen der Auffassung der Berufung insgesamt neuheitsschädlich, obwohl die Vergleichsbeispiele 21 und 24 in NiK6 in Bezug auf die Merkmalsgruppe 2 lediglich ein Polyurethan gemäß COATEX BR 900 bzw. 910 und in Bezug auf die Merkmals- gruppe 4 nur ein nicht-ionisches Tensid offenbaren. Patentschutz kann nur für eine insgesamt neue Erfindung beansprucht werden. Wird ihr Gegenstand im Stand der Technik auch nur mit einer erfassten Ausführungsform vorweggenommen , fehlt es an dieser Voraussetzung (vgl. Benkard/Melullis, PatG, 10. Aufl., § 3 Rn. 12). Andernfalls würde ein Exklusivrecht für schon im Stand der Technik Bekanntes verliehen. Das gilt auch, wenn, wie hier, als Bestandteile einer Stoffzusammensetzung mehrere Stoffe oder Stoffgruppen alternativ beansprucht werden, obwohl einige dieser Stoffe oder Stoffgruppen als Bestandteil einer solchen Zusammensetzung bekannt waren. Dies steht zu der von der Beklagten angeführten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs insbesondere zum Offenbarungsgehalt von Strukturformeln (BGH, Urteil vom 16. Dezember 2008 - X ZR 89/07, BGHZ 179, 168 - Olanzapin) nicht in Widerspruch. Denn es geht nicht darum, ob mit Polyurethanen auch die anderen in Patentanspruch 1 beanspruchten Verdickerpolymere offenbart sind, sondern, worauf der Senat in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat, darum, dass ein solcher Anspruch nicht in seiner Gesamtheit gewährt werden kann.
44
Damit offenbart das Grundpatent jedoch keine neue Lehre zum technischen Handeln, sondern nur eine Entdeckung biologischer Zusammenhänge, die als solche dem Patentschutz nicht zugänglich ist (Art. 52 Abs. 2 Buchst. a EPÜ). Die Lehre zum technischen Handeln geht weiterhin dahin, (auch) Alzheimer -Patienten zur Linderung ihres Leidens mit Memantin zu behandeln. Weder gibt das Grundpatent mit Blick auf den aufgedeckten Wirkungsmecha- nismus eine andere Dosierungsanweisung, noch konkretisiert es in anderer Hinsicht die Art und Weise, wie der Wirkstoff Memantin verwendet wird. Die - durchaus verdienstvolle - wissenschaftliche Erklärung der Wirkungsursachen bzw. die theoretische Begründung der Lehre zum technischen Handeln ist aus medizinischer und pharmakologischer Sicht ein Fortschritt, kann aber zur Beurteilung der Patentfähigkeit nicht herangezogen werden.
29
cc) Unerheblich ist auch, dass es für den Fachmann nicht nahegelegen haben mag, ein Leflunomidpräparat mit der Intention zu formulieren, nach einer üblichen und zulässigen Lagerungsdauer eine Kombination von Leflunomid mit dem Metaboliten Teriflunomid zur Verfügung zu haben. Denn ebenso wie die Neuheit eines Gegenstands zu verneinen ist, der sich bei Befolgung eines bekannten Verfahrens zwangsläufig einstellt (Benkard/Melullis, EPÜ, 2. Aufl., Art. 54 Rn. 134; vgl. auch BGH, Beschluss vom 17. Januar 1980 - X ZB 4/79, BGHZ 76, 97 - Terephthalsäure - sowie US Court of Appeals for the Federal Circuit vom 8. Mai 2012, 11-1376 in re Montgomery), ist ein Gegenstand als nahegelegt anzusehen, den der Fachmann - und sei es mit gewisser Verzögerung - zwangsläufig erhält, wenn er ein durch den Stand der Technik nahegelegtes Verfahren anwendet. Denn ein derartiger Gegenstand, mag ihn zur Ver- fügung zu stellen auch als solches nicht nahegelegt gewesen sein, ist das Ergebnis naheliegenden fachmännischen Handels und kann mithin hervorgebracht werden, ohne dass es hierzu eines erfinderischen Bemühens bedürfte.

(1) In dem Verfahren wegen Erklärung der Nichtigkeit des Patents oder des ergänzenden Schutzzertifikats weist das Patentgericht die Parteien so früh wie möglich auf Gesichtspunkte hin, die für die Entscheidung voraussichtlich von besonderer Bedeutung sein werden oder der Konzentration der Verhandlung auf die für die Entscheidung wesentlichen Fragen dienlich sind. Dieser Hinweis soll innerhalb von sechs Monaten nach Zustellung der Klage erfolgen. Ist eine Patentstreitsache anhängig, soll der Hinweis auch dem anderen Gericht von Amts wegen übermittelt werden. Das Patentgericht kann den Parteien zur Vorbereitung des Hinweises nach Satz 1 eine Frist für eine abschließende schriftliche Stellungnahme setzen. Setzt das Patentgericht keine Frist, darf der Hinweis nicht vor Ablauf der Frist nach § 82 Absatz 3 Satz 2 und 3 erfolgen. Stellungnahmen der Parteien, die nach Fristablauf eingehen, muss das Patentgericht für den Hinweis nicht berücksichtigen. Eines Hinweises nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die zu erörternden Gesichtspunkte nach dem Vorbringen der Parteien offensichtlich erscheinen. § 139 der Zivilprozessordnung ist ergänzend anzuwenden.

(2) Das Patentgericht kann den Parteien eine Frist setzen, binnen welcher sie zu dem Hinweis nach Absatz 1 durch sachdienliche Anträge oder Ergänzungen ihres Vorbringens und auch im Übrigen abschließend Stellung nehmen können. Die Frist kann verlängert werden, wenn die betroffene Partei hierfür erhebliche Gründe darlegt. Diese sind glaubhaft zu machen.

(3) Die Befugnisse nach den Absätzen 1 und 2 können auch von dem Vorsitzenden oder einem von ihm zu bestimmenden Mitglied des Senats wahrgenommen werden.

(4) Das Patentgericht kann Angriffs- und Verteidigungsmittel einer Partei oder eine Klageänderung oder eine Verteidigung des Beklagten mit einer geänderten Fassung des Patents, die erst nach Ablauf einer hierfür nach Absatz 2 gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn

1.
die Berücksichtigung des neuen Vortrags eine Vertagung des bereits anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung erforderlich machen würde und
2.
die betroffene Partei die Verspätung nicht genügend entschuldigt und
3.
die betroffene Partei über die Folgen einer Fristversäumung belehrt worden ist.
Der Entschuldigungsgrund ist glaubhaft zu machen.

(1) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:

1.
die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
2.
neue Tatsachen, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist.

(2) Auf einen Mangel des Verfahrens, der nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist, wird das angefochtene Urteil nur geprüft, wenn dieser nach § 520 Abs. 3 geltend gemacht worden ist. Im Übrigen ist das Berufungsgericht an die geltend gemachten Berufungsgründe nicht gebunden.

62
b) Die Frage, ob das Patentgericht die Klageänderung nach § 83 Abs. 4 PatG oder nach § 99 Abs. 1 PatG in Verbindung mit § 263 ZPO hätte zurück- weisen können, stellt sich gleichfalls nicht, denn das Patentgericht hat dies nicht getan, sondern die Klageänderung sachlich beschieden. Dass es gleichzeitig gemeint hat, es brauche nicht entschieden zu werden, ob die Zulassung der Klageänderung sachdienlich sei, ändert daran nichts. Eine in erster Instanz unterbliebene Zurückweisung verspäteten Vorbringens oder verspäteter Anträge kann in der Berufungsinstanz nicht nachgeholt werden. Hierfür bietet das Gesetz keine Grundlage, und dies kommt auch schon deswegen nicht in Betracht, weil die Zurückweisung, die im Übrigen im Ermessen des Patentgerichts steht, unter anderem zur Voraussetzung hat, dass die Berücksichtigung des neuen Vortrags eine Vertagung des Termins zur Verhandlung vor dem Patentgericht erforderte (§ 83 Abs. 4 Satz 1 Buchst. a PatG), und diese Voraussetzung im Berufungsverfahren nicht nachträglich eintreten kann.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 111/13 Verkündet am:
15. Dezember 2015
Hartmann
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Telekommunikationsverbindung

a) Die hilfsweise Verteidigung des Streitpatents mit geänderten Ansprüchen in der Berufungsinstanz
kann regelmäßig nicht als sachdienlich im Sinne von § 116 Abs. 2 Nr. 1 PatG angesehen
werden, wenn der Beklagte dazu bereits in erster Instanz Veranlassung hatte.

b) Ein Anlass zur zumindest hilfsweisen beschränkten Verteidigung in der ersten Instanz kann
sich daraus ergeben, dass das Patentgericht in seinem nach § 83 Abs. 1 PatG erteilten Hinweis
mitgeteilt hat, dass nach seiner vorläufigen Auffassung der Gegenstand des Streitpatents
nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen dürfte.

c) Macht der Beklagte in der ersten Instanz keinen eigenständigen erfinderischen Gehalt der
auf den Hauptanspruch rückbezogenen Unteransprüche des Streitpatents geltend und erklärt
er nach richterlichem Hinweis in der mündlichen Verhandlung vor dem Patentgericht,
dass es bei der Verteidigung der erteilten Fassung sein Bewenden haben soll, handelt es
sich um ein neues Verteidigungsmittel, wenn der Beklagte in der Berufungsinstanz das
Streitpatent erstmals hilfsweise beschränkt durch die Kombination des Hauptanspruchs mit
Unteransprüchen des Streitpatents verteidigt und sich zur Begründung auf einen eigenständigen
erfinderischen Gehalt der Unteransprüche beruft.
ECLI:DE:BGH:2015:151215UXZR111.13.0

BGH, Urteil vom 15. Dezember 2015 - X ZR 111/13 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 15. Dezember 2015 durch die Richter Gröning, Dr. Grabinski und Hoffmann sowie die Richterinnen Schuster und Dr. Kober-Dehm

für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das am 8. Mai 2013 verkündete Urteil des 5. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Beklagten sind Inhaber des unter Inanspruchnahme der Priorität
1
zweier deutscher Anmeldungen vom 31. August 2001 und vom 20. November 2001 am 30. August 2002 angemeldeten und mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 421 771 (nachfolgend: Streitpatent ). Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zum Herstellen einer Telekommunikationsverbindung zwischen zwei Personen. Patentanspruch 1 lautet in der erteilten Fassung: "1. Verfahren zum Herstellen einer Telekommunikationsverbindung zwischen zwei Personen, die sich mit einem ihre Adresse enthaltenden Datensatz über ein Telekommunikationssystem (4) bei einer diesem zugeordneten Datenverarbeitungseinrichtung (2) melden, die mit einem Datensatzspeicher (11) für die Speicherung derartiger Datensätze und einem Vergleicher (1) versehen ist, der bei weitgehender Übereinstimmung mindestens zweier Datensätze ein Übereinstimmungssignal zur Herstellung einer Verbindung zwischen den beiden Personen abgibt, dadurch gekennzeichnet, dass der von einem Funktelefon (9a, 9b) übermittelte Datensatz mindestens Zeitpunkt und durch ein Standortermittlungssystem ermittelter Aufenthaltsort einer sich meldenden, kontaktsuchenden Person sowie deren Rufnummer enthält, zu dem ein passender, ebenfalls Zeitpunkt und Aufenthaltsort enthaltender Datensatz einer sich ebenfalls meldenden, kontaktbereiten Person im Vergleicher (1) ermittelt wird, wobei jede Meldung des Datensatzes mit Zeitpunkt und Aufenthaltsort der kontaktsuchenden Person das Anlaufen eines begrenzten Zeitraums in der Datenverarbeitungseinrichtung (2) für die Ermittlung des Übereinstimmungssignals und dessen Abgabe bei Überlappung der beiden Zeiträume auslöst, und dass das Übereinstimmungssignal im Telekommunikationssystem (4) ein Rufsignal zu der kontaktbereiten Person zu deren Funktelefon erzeugt und damit eine Telekommunikationsverbindung zwischen den beiden Funktelefonen (9a, 9b) beider Personen erstellt."
2
Die Patentansprüche 2 bis 14 sind unmittelbar oder mittelbar auf Patentanspruch 1 rückbezogen.
3
Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig. Die Beklagten haben das Streitpatent verteidigt. Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt. Dagegen richtet
4
sich die Berufung der Beklagten, mit der sie die Abänderung des Urteils des Patentgerichts und die Abweisung der Klage beantragen. Außerdem verteidigen sie das Streitpatent zuletzt in der Fassung von drei Hilfsanträgen, die sie erstmals im Berufungsverfahren gestellt haben.

Entscheidungsgründe:


5
Die zulässige Berufung der Beklagten bleibt in der Sache ohne Erfolg.
6
I. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zum Herstellen einer Telekommunikationsverbindung zwischen zwei Personen.
7
1. Nach der Beschreibung waren derartige Verfahren im Stand der Technik bekannt (Abs. 2 f.). Sie setzen voraus, dass der kontaktsuchenden Person die Adresse einer kontaktbereiten Person über eine Datenverarbeitungseinrichtung mitgeteilt wird, um die Verbindung herzustellen (Abs. 4).
8
In der internationalen Anmeldung 00/19344 sei zudem ein Verfahren zur Herstellung eine Telekommunikationsverbindung zwischen Personen offenbart worden, die sich bei einer Datenverarbeitungseinrichtung jeweils mit einem Datensatz meldeten, wobei der Datensatz eine Adresse des Teilnehmers und eine Örtlichkeit enthalte, wie etwa ein Gebäude, eine Straße oder eine Stadt. Die Streitpatentschrift verweist darauf, dass ein solches Verfahren für die Herstellung einer Telekommunikationsverbindung zwischen einer kontaktsuchenden und einer sich in der Nähe befindlichen kontaktbereiten Person ungeeignet sei, wenn es von vornherein nur darum gehe, eine Telekommunikationsverbindung nur zwischen zwei Personen zu erstellen (Abs. 5) und schlägt mit Patentan- spruch 1 vor diesem Hintergrund folgende Lehre für eine Telekommunikationsverbindung zwischen zwei Personen vor: 1. Verfahren zum Herstellen einer Telekommunikationsverbindung zwischen zwei Personen: 2. Die zwei Personen melden sich mit einem ihre Adresse enthaltenden Datensatz über ein Telekommunikationssystem (4) bei einer diesem zugeordneten Datenverarbeitungseinrichtung

(2).

3. Die Datenverarbeitungseinrichtung (2) ist mit einem Datensatzspeicher (11) für die Speicherung derartiger Datensätze und einem Vergleicher (1) versehen. 4. Der von einem Funktelefon (9a, 9b) übermittelte Datensatz der kontaktsuchenden Person enthält mindestens
a) den Zeitpunkt und
b) den durch ein Standortermittlungssystem ermittelten Aufenthaltsort und die Rufnummer der kontaktsuchenden Person. 5. Im Vergleicher (1) wird zu dem Datensatz der kontaktsuchenden Person ein passender, ebenfalls Zeitpunkt und Aufenthaltsort enthaltender Datensatz einer sich ebenfalls meldenden , kontaktbereiten Person ermittelt. 6. Der Vergleicher (1) gibt bei weitgehender Übereinstimmung mindestens zweier Datensätze ein Übereinstimmungssignal zur Herstellung einer Verbindung zwischen den beiden Personen.
7. Jede Meldung des Datensatzes mit Zeitpunkt und Aufenthaltsort der kontaktsuchenden Person löst das Anlaufen eines begrenzten Zeitraums in der Datenverarbeitungseinrichtung (2) für die Ermittlung des Übereinstimmungssignals und dessen Abgabe bei Überlappung der beiden Zeiträume aus. 8. Das Übereinstimmungssignal erzeugt im Telekommunikationssystem (4) ein Funksignal zu der kontaktbereiten Person zu deren Funktelefon und erstellt damit eine Telekommunikationsverbindung zwischen den beiden Funktelefonen (9a, 9b) beider Personen.
9
Dem Streitpatent kommt es der Beschreibung zufolge für den Ablauf des Verfahrens darauf an, dass die erste Telekommunikationsverbindung zwischen den beiden Personen im Interesse der Wahrung ihrer Anonymität unter vollem Schutz der beiderseitigen Adressen durch die Datenverarbeitungsanlage hergestellt wird und keine der Personen aktiv die Adresse der anderen eingeben muss, um die Verbindung herzustellen (Abs. 9).
10
Aus Sicht des Fachmanns, der in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Patentgerichts ein Ingenieur der Nachrichtentechnik mit Kenntnissen und Erfahrungen auf dem Gebiet des Verbindungsaufbaus in Telekommunikationsnetzen und der Ähnlichkeitsanalyse von Datensätzen in Datenbanken ist, nennen die Merkmale 5 und 6 die Mindestinformationen, die die jeweiligen Datensätze beinhalten müssen, um den Zweck zu erfüllen, dem das streitpatentgemäße Verfahren dient, nämlich am Ende eine Telekommunikationsverbindung zwischen einer kontaktsuchenden und einer kontaktbereiten Person zu ermöglichen. Die Daten, die für die Verwirklichung des Verfahrenszwecks zumindest benötigt werden, betreffen neben der Rufnummer der kontaktsuchenden Person Ort und Zeit, damit im Vergleicher zu diesem Datensatz ein passender , ebenfalls Zeitpunkt und Aufenthaltsort (und Rufnummer) einer sich desgleichen meldenden, kontaktbereiten Person ermittelt werden kann. Dafür stellt das Streitpatent auf den Aufenthaltsort der Personen und den Zeitpunkt ab. Nach welchen Kriterien der Zeitpunkt zu bestimmen ist, überlässt das Streitpatent dem Fachmann, der ihn so definieren und festlegen wird, wie dies der Förderung des Verfahrenszwecks am besten entspricht.
11
Gemäß Merkmal 7 löst jede Meldung des Datensatzes mit Zeitpunkt und Aufenthaltsort der kontaktsuchenden Person in der Datenverarbeitungseinrichtung 2 das Anlaufen eines begrenzten Zeitraums für die Ermittlung des Übereinstimmungssignals und dessen Abgabe bei Überlappung der beiden Zeiträume aus. Bei dem "begrenzten Zeitraum" handelt es sich um den Zeitraum, der dem Vergleicher (etwa durch Steuerung der Datenverarbeitungsvorrichtung) vorgegeben ist, um zu ermitteln, ob mindestens zwei weitgehend übereinstimmende Datensätze vorliegen, so dass ein Übereinstimmungssignal ausgelöst werden kann, das ein Rufsignal zu der kontaktbereiten Person erzeugt und damit eine Verbindung zwischen den beiden Funktelefonen beider Personen erstellt. Das setzt voraus, dass sich die von zwei Personen ausgelösten begrenzten Zeiträume überlappen, weil das Übereinstimmungssignal nur in diesem Überlappungsbereich ein Rufsignal zum Funktelefon der kontaktbereiten Person erzeugen und eine Verbindung zwischen den beiden Personen herstellen kann (vgl. Abs. 15). Daraus folgt jedoch nicht, dass der begrenzte Zeitraum zum Zeitpunkt der Meldung des Datensatzes beginnen muss. Dafür lassen sich weder der Wortlaut des Merkmals 7 noch die Beschreibung des Streitpatents anführen , in der hervorgehoben wird, dass die Bemessung des Zeitraums zweckmäßigerweise so gestaltet wird, dass dieser von jeder der beiden Personen individuell für sich durch Ermittlung des Zeitbefehls an die Datenverarbeitungseinrichtung festgelegt werden kann (Abs. 16). Entsprechend den Ausführungen des Patentgerichts ist erfindungsgemäß auch nicht festgelegt, wann der begrenzte Zeitraum beginnt, ob er also unmittelbar nach Eingang des Datensatzes in der Datenverarbeitungseinrichtung oder erst verzögert ausgelöst wird.
12
II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet.
13
Der Gegenstand von Patentanspruch 1 des Streitpatents beruhe gegenüber der internationalen Anmeldung 01/15480 (K7) nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
14
Aus der K7 sei ein Verfahren zum Herstellen einer Telekommunikationsverbindung zwischen zwei Personen bekannt. Die Personen meldeten sich mit einem ihre Adresse ("USER ID") enthaltenden Datensatz über ein Telekommunikationssystem ("GSM-network" bzw. Internet) bei einer zugeordneten Datenverarbeitungseinrichtung , die mit einem Datensatzspeicher und einem Vergleicher ausgestattet sei, der bei weitgehender Übereinstimmung mindestens zweier Datensätze ein Übereinstimmungssignal zur Herstellung einer Verbindung zwischen den beiden Personen abgebe. Zudem sei offenbart, dass der Aufenthaltsort einer sich meldenden, kontaktsuchenden Person über das Funktelefon durch ein Standortermittlungssystem ermittelt werde und diese Information sowie die Rufnummer der Person an die Datenverarbeitungseinrichtung übermittelt werde. Es werde ein passender Datensatz einer kontaktbereiten Person im Vergleicher ermittelt.
15
Aus der K7 gehe nicht unmittelbar hervor, dass jeweils im Datensatz der kontaktbereiten und der kontaktsuchenden Person ein "Zeitpunkt" enthalten sei und jede Meldung des Datensatzes der kontaktsuchenden Person das Anlaufen eines Zeitraums für die Ermittlung des Übereinstimmungssignals auslöse. Der Fachmann entnehme der K7 jedoch eine Zeitintervallangabe, die als Grundlage für die Bestimmung eines zeitlichen Überlappungsbereichs zwischen kontaktsuchender und kontaktbereiter Person diene und durch entsprechende Parameter beschrieben werde. Aufgrund dieser und weiterer Angaben werde mittels des Auswertealgorithmus im Vergleicher ein Übereinstimmungssignal ermittelt und im Telekommunikationssystem ein Rufsignal zu der kontaktbereiten Person über deren Funktelefon erzeugt.
16
Die nicht offenbarten Teilmerkmale seien bei der Prüfung erfinderischer Tätigkeit nicht zu berücksichtigen, weil sie die Lösung des technischen Problems nicht mit technischen Mitteln bestimmten oder zumindest beeinflussten, zumal der Zeitpunkt für das erfindungsgemäße Verfahren offensichtlich ohne Belang sei. Aber auch wenn diese Teilmerkmale zu berücksichtigen seien, sei kein erfinderischer Gehalt gegeben. Im GSM-Netz werde, wie der Fachmann wisse, schon zu Übergabe- und Abrechnungszwecken etwa das Betreten oder Verlassen einer Funkzelle durch ein Mobilfunkgerät mit einer Zeitmarke (Zeitpunkt ) versehen. Bei einem Verfahren, das dem Aufbau einer Verbindung zwischen zwei Personen diene, werde der Fachmann zunächst diese bezüglich beider Personen ohnehin vorhandenen Zeitmarken zum Aktivieren eines verbindungsrelevanten Zeitraums nutzen, um den Datenbeschaffungs- und -verarbeitungsaufwand gering zu halten. Daher sei ein Zeitpunkt als Auslöser für das Anlaufen eines hierfür vorgesehenen Zeitraums nahegelegt, wenn dieser nicht ohnehin bereits in der K7 mitgelesen werde. Aber auch der einfache Nutzerwunsch , den Matching-Prozess nicht nur mittels des Endgerätes unter Nutzung getrennt festzulegender Matching-Parameter aktivieren oder deaktivieren zu können, führe den Fachmann dahin, für den Nutzer die Möglichkeit bereitzustellen , direkt mit seiner Meldung einen Zeitraum bestimmen zu lassen, während dessen das Matching durchgeführt werde.
17
III. Die Begründung des Patentgerichts hält der Überprüfung im Berufungsverfahren stand.
18
1. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 des Streitpatents in der erteilten Fassung wird dem Fachmann durch die K7 nahegelegt, so dass es an einer erfinderischen Tätigkeit fehlt.
19
Die K7 befasst sich mit einem Verfahren zur Herstellung einer Telekommunikationsverbindung zwischen zwei Personen, wobei die Verbindung nicht durch die Wahl einer Telefonnummer, sondern in Abhängigkeit vom Standort der Personen und der Ähnlichkeit eines Profils ("profile") mit Informationen her- gestellt werden soll, das die Personen im Netzwerk gespeichert haben (K7, S. 4, Z. 14 ff.; S. 24, Z. 1 ff.; "claim 1").
20
Nach dem Verfahren melden sich die Personen mit einem Profil (K7, S. 10, Z. 5 ff.; Z. 12 ff.: "profile"), also einem Datensatz, der auch ihre Adresse (K7, S. 9, Z. 10 ff.; S. 10, Z. 5 ff.: "USER ID") enthält, über ein Telekommunikationssystem , bei dem es sich um das GSM-Mobilfunknetzwerk handeln kann (K7, S. 5, Z. 8 ff.: GSM "cellular phone network"), bei einem Server (K7, S. 10, Z. 8 ff.; S. 16, Z. 20 ff.: "server"), also einer Datenverarbeitungseinrichtung. In einem bevorzugten Ausführungsbeispiel wird das Profil einer Personvon dem Server 106 empfangen und gespeichert, wenn das Funktelefon ("mobile station" ) das erste Mal im Dienstbereich ("service area 103") des Servers aktiv wird, und ist im Server solange erhältlich, wie das Funktelefon in dessen Dienstbereich ("service area") aktiv bleibt (K7, S. 9, Z. 21 ff.; S. 10, Z. 12 ff.; vgl. auch Figur 1). Mithin wird das Profil bzw. der Datensatz der kontaktsuchenden Person von einem Funktelefon übermittelt und enthält auch den durch ein Standortermittlungssystem (etwa GPS, vgl. K7, S. 13, Z. 1 ff.) ermittelten Aufenthaltsort. Handelt es sich bei dem Telekommunikationssystem um das GSM-Netzwerk, ist nach den von der Berufung nicht angegriffenen Feststellungen des Patentgerichts für den Fachmann zudem implizit offenbart, dass die Rufnummer an den Server (die Datenverarbeitungseinrichtung) übermittelt wird. Der übermittelte Datensatz enthält schließlich einen Zeitpunkt, wie sich aus der von der Berufung gleichfalls nicht beanstandeten Feststellung des Patentgericht ergibt, dass nach Kenntnis des Fachmanns im GSM-Netzwerk das Betreten einer Funkzelle durch ein Mobilfunkgerät mit einer Zeitmarke (also einem Zeitpunkt) versehen wird. Die vom Patentgericht zudem angesprochene Frage, ob es sich bei dem in den Merkmalen 4, 5 und 7 genannten Zeitpunkt überhaupt um ein bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit zu berücksichtigendes technisches Merkmal handelt, bedarf danach keiner Entscheidung, weil die K7 jedenfalls einen solchen Zeitpunkt offenbart.

21
Der Server ist mit einem Vergleicher ("matching engine") ausgestattet, der die Profile der Personen, die sich an einem bestimmten Ort (etwa im Bereich einer Basisstation, einer Zelle oder Zellgruppe oder eines Dienstbereichs) aufhalten, auf Übereinstimmungen hin überprüft (K7, S. 9, Z. 18 ff.; S. 10, Z. 16 ff.; S. 16, Z. 14 ff.; S. 20 Z. 11 ff.). Im Vergleicher wird also zu dem Datensatz der kontaktsuchenden Person ein passender, den Aufenthaltsort enthaltender Datensatz einer sich ebenfalls meldenden, kontaktbereiten Person ermittelt , wobei der Datensatz der kontaktbereiten Person zumindest im GSMNetzwerk neben dem Aufenthaltsort auch mit einer Zeitmarke bzw. einem Zeitpunkt versehen ist.
22
Der Vergleicher gibt aufgrund eines Auswertealgorithmus (K7, S. 10, Z. 16 ff.) bei weitgehender Übereinstimmung mindestens zweier Profile ein Übereinstimmungssignal, das im Telekommunikationssystem ein Funksignal zu der kontaktbereiten Person zu deren Funktelefon erzeugt und damit eine Telekommunikationsverbindung herstellt (K7, S. 21, Z. 5 ff.; Ansprüche 1 und 6; Abstract). Damit sind die Merkmale 1 bis 6 und 8 durch die K7 offenbart.
23
In der K7 wird zudem ausgeführt, dass Vergleichsparameter vorgesehen werden können, die es den Benutzern erlauben, den Vergleich räumlich oder zeitlich einzuschränken. Die Parameter können die Größe des Standortbereichs angeben, die der Benutzer wünscht, oder den Zeitpunkt, zu dem ein Vergleich versucht werden soll (K7, S. 19, Z. 5 ff.). Dem Fachmann ist damit - in teilweiser Vorwegnahme des Merkmals 7 - die Möglichkeit offenbart, für die Ermittlung des Übereinstimmungssignals einen begrenzten Zeitraum und dessen Abgabe bei Überlappung der beiden Zeiträume bei mindestens zwei Personen vorzusehen. Hingegen ist zwar nicht beschrieben, dass jede Meldung des Datensatzes mit Zeitpunkt und Aufenthaltsort der kontaktsuchenden Person das Anlaufen des begrenzten Zeitraums für die Übermittlung des Übereinstimmungssignals auslöst. Gleichwohl trifft es entgegen der Sichtweise der Berufung nicht zu, dass K7 einen gänzlich anderen Ansatz als das Streitpatent verfolgte.
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Nach der Lehre von K7 sucht das Funktelefon grundsätzlich konstant und automatisch nach Vergleichsmöglichkeiten und meldet damit auch das Profil (den Datensatz) mit Zeitpunkt und Aufenthaltsort beim Server (bei der Datenverarbeitungseinrichtung ), wann immer der kontaktsuchende Benutzer einen neuen Standortbereich betritt. Alternativ hat der kontaktsuchende Benutzer aber auch die Option, das Vergleichen durch einen einfachen Eingabevorgang unter Verwendung des Funktelefons zu aktivieren oder zu deaktivieren, wobei der Benutzer auch bei dieser Option sein Vergleichs- und Anforderungsprofil nur einmal eingeben muss (K7, S. 20, Z. 2 ff.). In dieser Variante ist die Lehre von K7 derjenigen des Streitpatents stark angenähert. Das (erneute) Aktivieren nach Eintritt des deaktivierten Zustands entspricht einer Meldung mit einem die Adresse enthaltenden Datensatz bei der Datenverarbeitungseinrichtung im Sinne von Merkmal 2 des Streitpatents. Der Unterschied zu K7 besteht insoweit lediglich darin, dass das Streitpatent dieses Aktivieren nicht als erneutes, sondern erstmaliges Melden bei der Datenverarbeitungseinrichtung definiert. Entsprechend bietet es sich für den Fachmann an, das Anlaufen des begrenzten Zeitraums für die Ermittlung des Übereinstimmungssignals entweder mit jeder Meldung des Profils (des Datensatzes) im Server (in der Datenverarbeitungseinrichtung ) auszulösen oder diesen alternativ durch Eingabe am Funktelefon zu aktivieren oder zu deaktivieren (vgl. PGU 14 unten, Übergang 15 oben). Die erste der beiden Alternativen entspricht den Vorgaben des Merkmals 7, so dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der erteilten Fassung für den Fachmann naheliegend war.
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2. Die Verteidigung des Streitpatents in der Fassung der zuletzt noch geltend gemachten Hilfsanträge 3A, 4 und 5 ist unzulässig. Weder hat die Klägerin der Verteidigung des Streitpatents in den geänderten Fassungen zugestimmt, noch können diese als sachdienlich angesehen werden, § 116 Abs. 2 Nr. 1 PatG.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die erstmals in der Berufungsinstanz geltend gemachte Verteidigung eines Patents in geänderter Fassung in der Regel gemäß § 116 Abs. 2 PatG zulässig, wenn der Beklagte mit der Änderung einer von der erstinstanzlichen Beurteilung abweichenden Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs Rechnung trägt und den Gegenstand des Patents auf dasjenige einschränkt, was sich nach Auffassung des Patentgerichts schon aus der erteilten Fassung ergab (BGH, Urteil vom 28. Mai 2013 - X ZR 21/12, GRUR 2013, 912 Rn. 57 - Walzstraße). Gleiches gilt für den Fall, dass das Patentgericht in dem nach § 83 Abs. 1 PatG erteilten Hinweis nur einzelne Angriffsmittel des Klägers aufgreift und der Beklagte daher in der Regel keinen Anlass hat, zusätzlich zu Hilfsanträgen, die dem erteilten Hinweis Rechnung tragen, vorsorglich weitere Hilfsanträge im Hinblick auf Angriffsmittel zu stellen, auf die das Patentgericht in seinem Hinweis nicht eingegangen ist oder die es als nicht aussichtsreich eingeschätzt hat (BGH, Urteil vom 27. Mai 2014 - X ZR 2/13, GRUR 2014, 1026 Rn. 31 - Analog-Digital-Wandler). Demgegenüber hat das Patentgericht im vorliegenden Fall in dem nach § 83 Abs. 1 PatG erteilten Hinweis bereits mitgeteilt, dass nach seiner vorläufigen Auffassung der Gegenstand von Patentanspruch 1 des Streitpatents im Hinblick auf die K7 und das Fachwissen des Fachmanns nicht erfinderisch sein dürfte. Dies hätte der Beklagten in Anbetracht ihrer Prozessförderungspflicht Veranlassung geben müssen, das Streitpatent bereits im Verfahren vor dem auch mit technischen Richtern besetzten Patentgericht hilfsweise mit geänderten Anträgen zu verteidigen (vgl. Meier-Beck, Festschrift Peter Mes, 2009, 273, 281; Benkard/ Hall/Nobbe, PatG, 11. Aufl., 2015, § 116 Rn. 11), zumal nicht auszuschließen ist, dass sich der Rechtsstreit im Hinblick auf einen oder mehrere der hilfsweise verteidigten Fassungen des Streitpatents als nicht entscheidungsreif erweist und die Sache nach § 119 Abs. 3 und 5 PatG zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das Patentgericht zurückverwiesen oder Sachverständigenbeweis vor dem Senat erhoben werden muss.
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3. Der mit den Hilfsanträgen 3A, 4 und 5 hilfsweise verteidigte Gegenstand des Streitpatents unterliegt auch nicht deshalb dem Prüfungsumfang des Berufungsverfahrens nach § 117 PatG, weil darin Patentanspruch 1 jeweils mit den Unteransprüchen 10, 8 und 9 sowie 5 des Streitpatents in der erteilten Fassung kombiniert wird. Es handelt sich insoweit um neue Verteidigungsmittel im Sinne des § 117 PatG in Verbindung mit den entsprechend anzuwendenden Vorschriften der §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 ZPO, deren Nichtgeltendmachung nach dem vom Patentgericht gemäß § 83 Abs. 1 PatG erteilten Hinweis auf einer Nachlässigkeit der Beklagten beruht. Das Patentgericht hat zwar in seinem Urteil ausgeführt, dass ein eigenständiger erfinderischer Gehalt der rückbezogenen Unteransprüche des Streitpatents nicht ersichtlich sei. Damit ist die Frage, ob den Unteransprüchen des Streitpatents eine eigenständige erfinderische Tätigkeit zugrunde liegt, jedoch nicht zu einen zulassungsfreien Gegenstand der Prüfung im Berufungsverfahren gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO geworden.
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Macht der Beklagte in der ersten Instanz keinen eigenständigen erfinderischen Gehalt der auf den Hauptanspruch rückbezogenen Unteransprüche des Streitpatents geltend und erklärt er nach richterlichem Hinweis in der mündlichen Verhandlung vor dem Patentgericht, dass es bei der Verteidigung der erteilten Fassung sein Bewenden haben soll, handelt es sich um ein neues Verteidigungsmittel , wenn der Beklagte in der Berufungsinstanz das Streitpatent erstmals hilfsweise beschränkt durch die Kombination des Hauptanspruchs mit Unteransprüchen des Streitpatents verteidigt und sich zur Begründung auf einen eigenständigen erfinderischen Gehalt der Unteransprüche beruft. Die Beklagten haben sich vor dem Patentgericht auf die Geltendmachung eines erfinderischen Gehalts des Patentanspruchs 1 beschränkt, indem sie einen eigenständigen erfinderischen Gehalt der rückbezogenen Unteransprüche des Streitpatents nicht vorgetragen und auf Nachfrage des Vorsitzenden im Hinblick auf die Ankündigung, eine hilfsweise Verteidigung des Streitpatent durch die Aufnahme von Merkmalen aus den Unteransprüchen zu beabsichtigen, in der mündlichen Verhandlung erklärt haben, dass es bei der Verteidigung der erteilten Fassung sein Bewenden haben solle. Entsprechend war auch der Prüfungsumfang des Patentgerichts auf den insoweit von der Beklagten verteidigten Anspruchssatz beschränkt (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juni 2007 - X ZB 6/05, BGHZ 173, 47, 22 ff. - Informationsübermittlungsverfahren II).
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IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG, § 97 Abs. 1 ZPO.
Gröning Grabinski Hoffmann Schuster Kober-Dehm
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 08.05.2013 - 5 Ni 11/11 (EP) -