Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Aug. 2008 - X ARZ 105/08
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
- 1
- I. Die Antragstellerinnen beabsichtigen die Antragsgegnerinnen, ihre Hausbanken, auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen. Sie tragen zur Begründung ihrer Klageforderung vor:
- 2
- Sie seien Gesellschaften der S. -Gruppe, die sich bis zu ihrem Zusammenbruch im Jahre 2004 mit der Aufzucht und Schlachtung von Enten und dem Vertrieb von Entenprodukten befasst habe. Aufgrund von Verlusten im Jahr 2003 sei ein Liquiditätsengpass entstanden, der Anfang 2004 kurzfristig habe überbrückt werden müssen. Nachdem Gespräche der S. -Gruppe mit den Antragsgegnerinnen wegen einer Erhöhung des Finanzierungsvolumens erfolglos geblieben seien, hätten die Antragsgegnerinnen die laufenden Kredite im März 2004 mit sofortiger Wirkung gekündigt und die S. -Gruppe unter Fristsetzung zur Rückzahlung sämtlicher Verbindlichkeiten aufgefordert. Die Kündigungen seien vertragswidrig. Noch vor Fristablauf hätten die Antragsgeg- nerinnen die Eröffnung der Insolvenzverfahren über die Vermögen der Antragstellerinnen beantragt. Die Insolvenzverwalter hätten die Ansprüche auf Ersatz des Schadens, der durch die unberechtigten Kündigungen der Kredite entstanden sei und noch entstehen werde, zur gerichtlichen Geltendmachung freigegeben.
- 3
- Die Antragsgegnerin zu 1 hat eine Niederlassung in Hannover und ihren allgemeinen Gerichtsstand im Bezirk des Landgerichts Frankfurt am Main; die Antragsgegnerin zu 2 hat ihren allgemeinen Gerichtsstand im Bezirk des Landgerichts Oldenburg. Die Allgemeinen Geschäftbedingungen der Antragsgegnerin zu 1, deren Geltung zwischen ihr und der Antragstellerin zu 1 vereinbart ist, sehen in Nr. 6 Abs. 2 vor, dass die Antragsgegnerin nur an dem für ihre kontoführende Stelle zuständigen Gericht verklagt werden könne. Kontoführende Stelle war bei Abschluss des Kreditvertrages die Niederlassung der Antragsgegnerin in Oldenburg, jetzt ist dies ihre Niederlassung in Hannover. Die Antragsgegnerin zu 2 hat mit den Antragstellerinnen eine Gerichtsstandsklausel vereinbart, wonach sie nur an ihrem allgemeinen Gerichtstand verklagt werden kann.
- 4
- Die Antragstellerinnen haben zunächst beim Oberlandesgericht Celle beantragt, das Landgericht Hannover als zuständiges Gericht zu bestimmen. Mit weiterem Schriftsatz haben sie beantragt, die Sache an das Oberlandesgericht Frankfurt am Main zu verweisen, und angekündigt, dort zu beantragen, das Landgericht Frankfurt als zuständiges Gericht zu bestimmen.
- 5
- Das Oberlandesgericht Celle hat die Sache dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Es hält seine Zuständigkeit für eine Gerichtsstandsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO für gegeben, sieht sich aber an einer entsprechenden Entscheidung durch die Beschlüsse anderer Oberlandesgerichte gehindert.
- 6
- II. Die Vorlage ist gemäß § 36 Abs. 3 ZPO zulässig.
- 7
- Gemäß § 36 Abs. 3 ZPO hat ein Oberlandesgericht, das mit der Zuständigkeitsbestimmung befasst ist, die Sache dem Bundesgerichtshof vorzulegen, wenn es in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs abweichen will. Diese Voraussetzungen liegen vor.
- 8
- Das vorlegende Oberlandesgericht vertritt den Standpunkt, es sei als zuerst angerufenes Oberlandesgericht für die Gerichtsstandsbestimmung zuständig , auch wenn keine der Antragsgegnerinnen in seinem Bezirk ihren allgemeinen Gerichtsstand habe. Es sei nicht sachgerecht, wenn ein Oberlandesgericht gemäß § 36 Abs. 2 ZPO ohne Rücksicht darauf, dass in seinem Bezirk keiner der Beklagten einen allgemeinen Gerichtsstand habe, die Klage aber bei einem ihm nachgeordneten Land- oder Amtsgericht bereits erhoben sei, zur Entscheidung über den Antrag zuständig sei, weil das zuerst mit der Sache befasste Gericht zu seinem Bezirk gehöre, dass es dagegen nicht zuständig sein solle, wenn der Antrag bei ihm vor Klageerhebung gestellt werde. Denn dann hinge es von der nicht selten zufälligen Reihenfolge ab, in der ein Antragsteller die Klage einreiche und den Antrag auf Gerichtsstandsbestimmung stelle. Es entspreche am ehesten dem gesetzgeberischen Anliegen, wenn in den Fällen, in denen der Antrag nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO vor Klageerhebung gestellt werde, das Oberlandesgericht zuständig sei, welches durch Antragstellung zuerst mit der Sache befasst sei, ohne dass es darauf ankomme, ob eine Partei einen allgemeinen Gerichtsstand in seinem Bezirk habe.
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- Mit dieser Rechtsauffassung würde das Oberlandesgericht Celle jedenfalls von derjenigen der Oberlandesgerichte Karlsruhe und Hamburg und des Bayerischen Obersten Landesgerichts abweichen, nach der, wenn noch kein Rechtsstreit anhängig ist, das "im Rechtszuge zunächst höhere Gericht" nur eines derjenigen Gerichte sein kann, bei denen die Antragsgegner ihre allgemeinen Gerichtsstände haben (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 11.10.2005, OLGR 2006, 357 f.; OLG Hamburg, Beschl. v. 30.03.2006, OLGR 2006, 567, 568; BayObLG, Beschl. v. 08.09.1998, MDR 1999, 115). Für die Zulässigkeit der Vorlage kommt es nicht darauf an, ob die Divergenz das materielle Recht oder wie hier das Prozessrecht betrifft (Zöller/Vollkommer, ZPO, 26. Aufl., § 36 Rdn. 10).
- 10
- III. Sinn des § 36 ZPO ist es, jedem langwierigen Streit der Gerichte untereinander über die Grenzen ihrer Zuständigkeit ein Ende zu machen und eine Ausweitung solcher Streitigkeiten tunlichst zu vermeiden (Sen.Beschl. v. 19.02.2002 - X ARZ 334/01, NJW 2002, 1425, 1426). Dies gilt erst recht für das Bestimmungsverfahren selbst. Diesem Sinn der Vorschrift entspricht es am ehesten, dass die Gerichtsstandsbestimmung durch das Oberlandesgericht erfolgt, das im Bestimmungsverfahren zuerst befasst worden ist, wenn eine Klage noch nicht erhoben worden ist und es deshalb noch kein mit der Sache befasstes Gericht gibt.
- 11
- Dies gilt auch im Fall des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO. Auch in einem solchen Fall kommt es, wenn ein anderer Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts besteht, nicht darauf an, ob einer der Streitgenossen im Bezirk des angerufenen Oberlandesgerichts seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Der Bundesgerichthof hat Ausnahmen von dem Grundsatz, dass regelmäßig nur der allgemeine Gerichtsstand einer der als Streitgenossen zu verkla- genden Personen als gemeinsamer Gerichtsstand zu bestimmen ist, zugelassen , wenn sachlich vorrangige Gründe dies rechtfertigen (vgl. BGH, Beschl. v. 16.04.1986 - IVb ARZ 4/86, NJW 1986, 3209). So kann das für einen Streitgenossen ausschließlich zuständige Gericht auch dann zu dem für den Rechtsstreit gegen sämtliche Streitgenossen zuständigen Gericht bestimmt werden, wenn dort keiner der Beklagten seinen allgemeinen Gerichtsstand hat (Sen.Beschl. v. 20.5.2008 - X ARZ 98/08, WM 2008, 1425; BGH, Beschl. v. 09.10.1986 - I ARZ 487/86, NJW 1987, 439). Ist im Verhältnis zu einem Streitgenossen ein ausschließlicher Gerichtsstand vereinbart und kann dem anderen Streitgenossen zugemutet werden, sich vor dem im Verhältnis zu einer Partei prorogierten Gericht verklagen zu lassen, kann dieses Gericht entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO als zuständig bestimmt werden, auch wenn in seinem Bezirk keiner der zu verklagenden Streitgenossen seinen allgemeinen Gerichtsstand hat (BGH, Beschl. v. 19.03.1987 - I ARZ 903/86, NJW 1988, 646, 647). Besteht im Fall der parteierweiternden Widerklage bei dem angerufenen Gericht kein Gerichtsstand für den bislang nicht am Verfahren Beteiligten, kann der nicht ausschließliche besondere Gerichtsstand des § 33 ZPO bestimmt werden, auch wenn keiner der widerbeklagten Streitgenossen dort seinen allgemeinen Gerichtsstand hat (Sen.Beschl. v. 24.06.2008 - X ARZ 69/08, zur Veröffentlichung vorgesehen).
- 12
- Dieser auf Gründen der Zweckmäßigkeit und der Prozessökonomie beruhenden Einschränkung des allgemeinen Grundsatzes der §§ 12 f. ZPO, nach der ausnahmsweise auch ein anderes als das für den allgemeinen Gerichtsstand eines der Streitgenossen zuständige Gericht bestimmt werden kann, würde es nicht gerecht, wenn auf der anderen Seite nur dasjenige Oberlandesgericht die Gerichtsstandsbestimmung vornehmen dürfte, in dessen Bezirk sich der allgemeine Gerichtsstand eines der Streitgenossen befindet. Kann aus Gründen der Prozessökonomie auch ein von der Wohnsitzzuständigkeit abwei- chendes Gericht als zuständig bestimmt werden, ist es nicht zu rechtfertigen, dass es für die Zuständigkeit des bestimmenden Oberlandesgerichts nur auf die Gerichte des allgemeinen Gerichtsstandes der Streitgenossen ankommen soll. Dies entspräche auch nicht dem bereits oben dargelegten Sinn der Regelung , eine Ausweitung von Zuständigkeitsstreitigkeiten zu vermeiden und möglichst rasch zu einem Ergebnis zu gelangen.
- 13
- 3. Diesem Sinn der Vorschrift widerspräche es ebenfalls, wenn, wie die Antragstellerinnen dies beantragt haben, die Sache zunächst an das Oberlandesgericht Frankfurt am Main verwiesen würde. Entgegen der Auffassung der Antragstellerinnen unterliegt es nicht uneingeschränkt ihrer Disposition, dem mit der Sache befassten Oberlandesgericht die Zuständigkeit wieder zu entziehen. Insoweit ist im öffentlichen Interesse, nämlich zur Vermeidung der mehrmaligen Befassung von Gerichten mit dem gleichen Rechtsstreit, die Parteidisposition eingeschränkt. Dieser übergeordnete Grundsatz, wie er in § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO niedergelegt ist (vgl. BGHZ 173, 47 Tz. 10; BGH, Beschl. v. 16.01.1962 - III ARZ 123/62, NJW 1963, 585, 586, zur Gerichtsstandsvereinbarung nach Rechtshängigkeit), beansprucht erst recht Geltung im Verfahren nach § 36 ZPO, das gerade dazu bestimmt ist, die alsbaldige Beschäftigung des zuständigen Gerichts mit der Sache selbst zu ermöglichen (vgl. BGHZ 71, 69, 74).
- 14
- IV. Es erscheint dem Senat zweckmäßig, die Zuständigkeit des Landgerichts Oldenburg zu begründen. Die Antragsgegnerin zu 2 hat dort ihren allgemeinen Gerichtsstand. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Antragsgegnerin zu 1 sehen vor, dass die Antragsgegnerin nur an dem für die kontoführende Stelle zuständigen Gericht verklagt werden kann, was bei Abschluss des Kreditvertrags die Niederlassung in Oldenburg war. Unabhängig von der Frage, ob damit das Landgericht Oldenburg wirksam als zuständiges Gericht vereinbart wurde, ist bei ihm jedenfalls ein Anknüpfungspunkt vorhanden. Dies lässt es zweckmäßig erscheinen, dass der Rechtsstreit in Oldenburg geführt wird.
Gröning Meier-Beck
Vorinstanz:
OLG Celle, Entscheidung vom 12.03.2008 - 4 AR 1/08 -
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Annotations
(1) Das zuständige Gericht wird durch das im Rechtszug zunächst höhere Gericht bestimmt:
- 1.
wenn das an sich zuständige Gericht in einem einzelnen Fall an der Ausübung des Richteramtes rechtlich oder tatsächlich verhindert ist; - 2.
wenn es mit Rücksicht auf die Grenzen verschiedener Gerichtsbezirke ungewiss ist, welches Gericht für den Rechtsstreit zuständig sei; - 3.
wenn mehrere Personen, die bei verschiedenen Gerichten ihren allgemeinen Gerichtsstand haben, als Streitgenossen im allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden sollen und für den Rechtsstreit ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand nicht begründet ist; - 4.
wenn die Klage in dem dinglichen Gerichtsstand erhoben werden soll und die Sache in den Bezirken verschiedener Gerichte belegen ist; - 5.
wenn in einem Rechtsstreit verschiedene Gerichte sich rechtskräftig für zuständig erklärt haben; - 6.
wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben.
(2) Ist das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der Bundesgerichtshof, so wird das zuständige Gericht durch das Oberlandesgericht bestimmt, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört.
(3) Will das Oberlandesgericht bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs abweichen, so hat es die Sache unter Begründung seiner Rechtsauffassung dem Bundesgerichtshof vorzulegen. In diesem Fall entscheidet der Bundesgerichtshof.
(1) Bei dem Gericht der Klage kann eine Widerklage erhoben werden, wenn der Gegenanspruch mit dem in der Klage geltend gemachten Anspruch oder mit den gegen ihn vorgebrachten Verteidigungsmitteln in Zusammenhang steht.
(2) Dies gilt nicht, wenn für eine Klage wegen des Gegenanspruchs die Vereinbarung der Zuständigkeit des Gerichts nach § 40 Abs. 2 unzulässig ist.
(1) Durch die Erhebung der Klage wird die Rechtshängigkeit der Streitsache begründet.
(2) Die Rechtshängigkeit eines erst im Laufe des Prozesses erhobenen Anspruchs tritt mit dem Zeitpunkt ein, in dem der Anspruch in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht oder ein den Erfordernissen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 entsprechender Schriftsatz zugestellt wird.
(3) Die Rechtshängigkeit hat folgende Wirkungen:
(1) Das zuständige Gericht wird durch das im Rechtszug zunächst höhere Gericht bestimmt:
- 1.
wenn das an sich zuständige Gericht in einem einzelnen Fall an der Ausübung des Richteramtes rechtlich oder tatsächlich verhindert ist; - 2.
wenn es mit Rücksicht auf die Grenzen verschiedener Gerichtsbezirke ungewiss ist, welches Gericht für den Rechtsstreit zuständig sei; - 3.
wenn mehrere Personen, die bei verschiedenen Gerichten ihren allgemeinen Gerichtsstand haben, als Streitgenossen im allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden sollen und für den Rechtsstreit ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand nicht begründet ist; - 4.
wenn die Klage in dem dinglichen Gerichtsstand erhoben werden soll und die Sache in den Bezirken verschiedener Gerichte belegen ist; - 5.
wenn in einem Rechtsstreit verschiedene Gerichte sich rechtskräftig für zuständig erklärt haben; - 6.
wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben.
(2) Ist das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der Bundesgerichtshof, so wird das zuständige Gericht durch das Oberlandesgericht bestimmt, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört.
(3) Will das Oberlandesgericht bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs abweichen, so hat es die Sache unter Begründung seiner Rechtsauffassung dem Bundesgerichtshof vorzulegen. In diesem Fall entscheidet der Bundesgerichtshof.