Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Sept. 2007 - VIII ZB 114/05
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Die Beklagte hat gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 11. Juli 2005 zugestellte Urteil durch einen am 4. August 2005 bei dem Berufungsgericht eingegangen Schriftsatz Berufung eingelegt. Mit Schreiben vom 8. September 2005 hat die Beklagte durch ihren Prozessbevollmächtigten die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat bis zum 9. Oktober 2005 beantragt. Dieser an das Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen gerichtete Schriftsatz ist am 8. September 2005 in den Nachtbriefkasten der "gemeinsamen Eingangsstelle Amtsgericht und Landgericht Bremen" eingeworfen worden. Der Schriftsatz ist sodann (erst) am 13. September 2005 zum Berufungsgericht gelangt.
- 2
- Mit Verfügung vom 13. September 2005 ist die Beklagte auf den bereits am Montag, den 12. September 2005 erfolgten Fristablauf hingewiesen worden.
- 3
- Mit am 26. September 2005 eingegangenem Schriftsatz hat die Beklagte wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zugleich die Berufung begründet.
- 4
- Das Berufungsgericht hat mit Beschluss vom 28. November 2005 den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten. Der Kläger beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
II.
- 5
- Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
- 6
- Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1, § 238 Abs. 2, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und form- und fristgerecht gemäß § 575 ZPO eingelegt und begründet worden. Sie ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO auch zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
- 7
- 1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung nicht auf ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten zurückzuführen, für das die Beklagte gemäß § 85 Abs. 2 ZPO einzustehen hätte.
- 8
- Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der im Ansatz auch das Berufungsgericht folgt, ist einer Partei grundsätzlich Wieder- einsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn eine geschulte und zuverlässige Kanzleiangestellte einen fristwahrenden Schriftsatz versehentlich beim falschen Gericht einwirft (BGH, Beschluss vom 14. Juli 1994 - VII ZB 7/94, NJW 1994, 2958 f.).
- 9
- Soweit das Berufungsgericht jedoch davon ausgeht, den Prozessbevollmächtigten der Beklagten treffe ein Auswahlverschulden hinsichtlich der für den Transport des fristwahrenden Schriftsatzes ausgewählten Mitarbeiterin L. , weil diese keine ausgebildete Rechtsanwalts- und Notargehilfin und erst etwa sechs Wochen im Büro des Prozessbevollmächtigten der Beklagten tätig gewesen sei, übersteigt das die zu stellenden Anforderungen.
- 10
- Sowohl beim Einkuvertieren der ausgehenden Post als auch beim anschließenden Botengang handelt es sich um einfache Tätigkeiten, mit denen ein Rechtsanwalt auch eine Auszubildende (BGH, aaO) oder eine zuverlässige Praktikantin (BGH, Beschluss vom 27. Februar 2002 - I ZB 23/01, NJW-RR 2002, 1070, unter II 2 b) betrauen darf, sofern von der beauftragten Person eine gewissenhafte Ausführung des Auftrags erwartet werden kann (BGH, Beschluss vom 11. Februar 2003 - VI ZB 38/02, NJW-RR 2003, 935, unter II 1).
- 11
- Diese Voraussetzungen treffen auch hier zu. Nach den durch eidesstattliche Versicherung der Mitarbeiterin L. glaubhaft gemachten Darlegungen des Prozessbevollmächtigten der Beklagten hat die 45-jährige Kanzleiangestellte L. die zweijährige höhere Handelsschule besucht und war vor ihrer Tätigkeit in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Beklagten in mehreren Unternehmen kaufmännisch tätig. Zudem war sie von dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten im Rahmen ihrer Aufgabenübertragung darauf hingewiesen worden, dass fristwahrende Schriftsätze für das Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen nur bei diesem einzuwerfen sind.
- 12
- Danach war die Mitarbeiterin L. trotz der erst sechs Wochen währenden Kanzleitätigkeit eine für einfache Tätigkeiten wie Einkuvertieren und Botengänge geeignete Person, bei der sich der Prozessbevollmächtigte der Beklagten darauf verlassen durfte, dass sie den ihr übertragenen Botengang zuverlässig erledigen würde. Damit fehlt es an einem Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten.
- 13
- Schließlich durfte die Beklagte auch darauf vertrauen, dass die erstmalig beantragte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gemäß § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO gewährt werden würde (BGH, Beschluss vom 18. September 2001 - VI ZB 26/01, MDR 2001, 1432, unter II 1; vgl. auch Senatsbeschluss vom 11. September 2007 - VIII ZB 73/05, nicht veröffentlicht).
- 14
- 2. Nach alledem ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Da weitere Feststellungen nicht mehr erforderlich sind, ist der Beklagten die beantrag- te Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gemäß §§ 233, 234 ZPO zu gewähren. Ball Dr. Wolst Hermanns Dr. Koch Dr. Hessel
LG Bremen, Entscheidung vom 06.07.2005 - 11 O 258/04 -
OLG Bremen, Entscheidung vom 28.11.2005 - 2 U 74/05 -
moreResultsText
Annotations
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.
(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.
(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.
(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Rechtsbeschwerdegericht einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss enthalten:
- 1.
die Bezeichnung der Entscheidung, gegen die die Rechtsbeschwerde gerichtet wird und - 2.
die Erklärung, dass gegen diese Entscheidung Rechtsbeschwerde eingelegt werde.
(2) Die Rechtsbeschwerde ist, sofern die Beschwerdeschrift keine Begründung enthält, binnen einer Frist von einem Monat zu begründen. Die Frist beginnt mit der Zustellung der angefochtenen Entscheidung. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend.
(3) Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss enthalten:
- 1.
die Erklärung, inwieweit die Entscheidung des Beschwerdegerichts oder des Berufungsgerichts angefochten und deren Aufhebung beantragt werde (Rechtsbeschwerdeanträge), - 2.
in den Fällen des § 574 Abs. 1 Nr. 1 eine Darlegung zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2, - 3.
die Angabe der Rechtsbeschwerdegründe, und zwar - a)
die bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt; - b)
soweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben.
(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Beschwerde- und die Begründungsschrift anzuwenden. Die Beschwerde- und die Begründungsschrift sind der Gegenpartei zuzustellen.
(5) Die §§ 541 und 570 Abs. 1, 3 gelten entsprechend.
(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.
(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.
(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen.
(2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne Einwilligung kann die Frist um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt.
(3) Die Berufungsbegründung ist, sofern sie nicht bereits in der Berufungsschrift enthalten ist, in einem Schriftsatz bei dem Berufungsgericht einzureichen. Die Berufungsbegründung muss enthalten:
- 1.
die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge); - 2.
die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt; - 3.
die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten; - 4.
die Bezeichnung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der Tatsachen, auf Grund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 zuzulassen sind.
(4) Die Berufungsbegründung soll ferner enthalten:
- 1.
die Angabe des Wertes des nicht in einer bestimmten Geldsumme bestehenden Beschwerdegegenstandes, wenn von ihm die Zulässigkeit der Berufung abhängt; - 2.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.
(5) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden.
War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.
(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.
(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.
(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.