Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Juli 2013 - VII ZR 192/11
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Die Klägerin verlangt Restwerklohn für die Ausführung von Fliesen- und Estricharbeiten in einem Hallenbad.
- 2
- Das Berufungsgericht hat unter anderem den geltend gemachten Vergütungsanspruch der Klägerin in Höhe von 19.003,41 € für die erneute Aufbringung von Abdichtungen, die sich von dem von einem anderen Unternehmer angebrachten und nach dem Vortrag der Klägerin mangelhaften Putz gelöst hatten, für nicht gerechtfertigt erachtet. Denn nach dem Produktmerkblatt für die Aufbringung der Abdichtung sei der Putz leicht vorzunässen und die Dichtschlämme in der Regel erst nach 28 Tagen aufzubringen. Es könne nicht festgestellt werden, dass die darlegungs- und beweispflichtige Klägerin dies beachtet habe. Soweit sie Entsprechendes im Schriftsatz vom 17. Juni 2011 erstmals behauptet habe, sei dies nach § 296a ZPO verspätet.
- 3
- Die für die Beseitigung von Leckageschäden im Keller verlangte Vergütung könne die Klägerin nur teilweise, nämlich in Höhe von 7.374,29 € verlangen. Vergütungspflichtig seien nur Untersuchungsarbeiten vom 15. Mai 2007 bis zum 31. Mai 2007 mit Ausnahme derjenigen für das Anbringen und für den Rückbau der Epoxidharzschicht.
- 4
- Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
- 5
- Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision hat teilweise Erfolg. Sie führt zu einer teilweisen Aufhebung des angefochtenen Urteils und insoweit zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
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- 1. Das Berufungsurteil beruht auf einer Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör, soweit das Berufungsgericht den Vergütungsanspruch in Höhe von 19.003,41 € für die erneute Aufbringung von Abdichtungen nicht zuerkannt hat. Mit seiner Verfahrensweise hat das Berufungsgericht gegen den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs, Art. 103 Abs. 1 GG, verstoßen.
- 7
- a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss das Gericht - in Erfüllung seiner prozessualen Fürsorgepflicht - gemäß § 139 Abs. 4 ZPO Hinweise auf seiner Ansicht nach entscheidungserhebliche Umstände, die die betroffene Partei erkennbar für unerheblich gehalten hat, grundsätzlich so frühzeitig vor der mündlichen Verhandlung erteilen, dass die Partei die Gelegenheit hat, ihre Prozessführung darauf einzurichten und schon für die anstehende mündliche Verhandlung ihren Vortrag zu ergänzen und die danach erforderlichen Beweise anzutreten. Erteilt es den Hinweis entgegen § 139 Abs. 4 ZPO erst in der mündlichen Verhandlung, muss es der betroffenen Partei genügend Gelegenheit zur Reaktion hierauf geben. Das Berufungsgericht darf das Urteil in dem Termin erlassen, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen wird, wenn die Partei in der mündlichen Verhandlung ohne Weiteres in der Lage ist, umfassend und abschließend Stellung zu nehmen. Ist das nicht der Fall, soll das Berufungsgericht auf Antrag der Partei Schriftsatznachlass gewähren, § 139 Abs. 5 ZPO. Wenn es offensichtlich ist, dass die Partei sich in der münd- lichen Verhandlung nicht abschließend erklären kann, so muss das Berufungsgericht - wenn es nicht in das schriftliche Verfahren übergeht - auch ohne einen Antrag auf Schriftsatznachlass die mündliche Verhandlung vertagen, um Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Erlässt das Berufungsgericht in diesem Fall ein Urteil, ohne die Sache vertagt zu haben, verstößt es gegen den Anspruch der Partei auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG (BGH, Beschluss vom 10. März 2011 - VII ZR 35/08, BauR 2011, 1200 Rn. 11; Beschluss vom 15. Oktober 2009 - VII ZR 2/09, BauR 2010, 246 Rn. 4, jeweils m.w.N.).
- 8
- b) Danach hätte das Berufungsgericht der Klägerin über die Erörterung in der mündlichen Verhandlung hinaus die Möglichkeit einräumen müssen, nach weiteren Erkundigungen zu der Frage Stellung zu nehmen, ob sie die Vorgaben des Produktmerkblattes beachtet hat.
- 9
- Das Berufungsgericht hat diesen rechtlichen Gesichtspunkt erstmals in der mündlichen Verhandlung angesprochen. Hierauf musste sich die Klägerin nach dem bisherigen Verlauf des Rechtsstreits nicht einstellen; sie musste auf diese Fragestellung nicht ohne Weiteres vorbereitet sein. Zwar hat die Beklagte sich bereits in ihrer Klageerwiderung vom 3. September 2007 auf eine unterbliebene Untersuchung des Untergrundes durch die Klägerin berufen. Dieser allgemeiner gehaltene Vorwurf musste für die Klägerin aber keine Veranlassung bieten, zu der Einhaltung der Vorgaben des Produktmerkblattes, das erstmals der Sachverständige erwähnt hatte, vorzutragen. Den bis dahin konkret erhobenen Vorwurf, es sei eine zusätzliche Grundierung erforderlich gewesen, hat das Berufungsgericht nicht für stichhaltig erachtet.
- 10
- Es war offensichtlich, dass sich die Klägerin in der mündlichen Verhandlung zu dem erteilten Hinweis nicht sofort erklären konnte. Es kann nicht angenommen werden, dass der Geschäftsführer einer GmbH oder ihr Prozessbe- vollmächtigter mehrere Jahre nach den in Rede stehenden Arbeiten zu jedem Aspekt der Durchführung umfangreicher Arbeiten detailliert und der prozessualen Wahrheitspflicht entsprechend aus dem Stand Stellung nehmen können.
- 11
- c) Dieser Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs ist entscheidungserheblich. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht unter Berücksichtigung des Vortrags, wie die Klägerin ihn sodann im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 17. Juni 2011 gehalten hat, zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.
- 12
- 2. Das Berufungsurteil beruht weiter auf einer Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör, soweit das Berufungsgericht die Materialkosten in Höhe von 774,40 € (B. ) und 211,27 € (S. ) gemäß dem Schriftsatz vom 1. April 2010, Seite 12, die die Klägerin im Rahmen ihrer Vergütungsforderung für die Beseitigung von Leckageschäden im Keller geltend gemacht hat, nicht zuerkannt hat.
- 13
- Es ist nicht ersichtlich, dass das Berufungsgericht den Vortrag zu den beiden oben genannten Positionen zur Kenntnis genommen hat. Das Berufungsurteil verhält sich nicht dazu, ob oder warum diese Positionen nach seinen eigenen Prüfungsmaßstäben (Untersuchungsarbeiten vom 15. Mai 2007 bis zum 31. Mai 2007 mit Ausnahme derjenigen, die die Epoxidharzschicht betreffen ) nicht zu vergüten sind. Auch hier ist nicht auszuschließen, dass bei Berücksichtigung dieses Vorbringens das Berufungsgericht zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.
III.
- 14
- Im Übrigen wird von einer Begründung der Entscheidung über die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist (§ 544 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbsatz ZPO).
Vorinstanzen:
LG Aachen, Entscheidung vom 25.05.2010 - 12 O 258/07 -
OLG Köln, Entscheidung vom 03.08.2011 - 11 U 99/10 -
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Annotations
(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).
(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn
- 1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder - 2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.
(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.
(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.
(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.
(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.
(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.
(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.
(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.
Nach Schluss der mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, können Angriffs- und Verteidigungsmittel nicht mehr vorgebracht werden. § 139 Abs. 5, §§ 156, 283 bleiben unberührt.
(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.
(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.
(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.
(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.
(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.