Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Sept. 2015 - VI ZR 431/14
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Die Klägerin nimmt das beklagte Klinikum wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch.
- 2
- Die am 15. September 1972 geborene Klägerin ließ sich am 25. Mai 2007 im Klinikum der Beklagten die Gallenblase laparoskopisch entfernen. Bei der Operation verwechselte der Operateur den Ductus Cysticus (Gallenblasengang ) versehentlich mit dem Ductus Choledochus (Hauptgallengang). Statt den Ductus Cysticus oberhalb der Vereinigung von Leber- und Gallenblasengang zu durchtrennen, durchtrennte er den Ductus Choledochus unterhalb der Vereinigungsstelle. Nachfolgend durchtrennte er darüber hinaus versehentlich noch den Ductus Hepaticus in Höhe der beiden Lebergänge links und rechts. Diese fehlerhafte Durchtrennung von Strukturen wurde während der Operation trotz Austretens von Gallenflüssigkeit nicht erkannt. Nach erheblichen postoperativen Beschwerden wurde in der Nacht vom 30. auf den 31. Mai 2007 in der Zeit von 23.45 Uhr bis 4.00 Uhr eine notfallmäßige Revisionsoperation per Bauchschnitt erforderlich. In der Folgezeit traten bei der Klägerin mehrfach Stenosen der Anastomosen und Entzündungen der Gallengänge durch aufsteigende Darmflüssigkeit auf. In der Zeit vom 29. Januar bis 12. Februar 2008 und vom 30. Mai bis 5. Juni 2008 befand sich die Klägerin erneut in stationärer Behandlung bei der Beklagten.
- 3
- Mit der Klage hat die Klägerin die Zahlung eines Schmerzensgeldes in einer Größenordnung von 140.000 € sowie Feststellung der Ersatzverpflichtung der Beklagten begehrt. Darüber hinaus hat sie Ersatz der ihr für die Einholung eines Privatgutachtens entstandenen Kosten in Höhe von 1.791 € verlangt. Das Landgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 19. Dezember 2012 verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 45.000 € zu zahlen sowie die entstandenen Kosten für das Privatgutachten in Höhe von 1.791 € zu erstatten. Darüber hinaus hat es festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtlichen materiellen und immateriellen Schaden zu erstatten, der ihr anlässlich ihres stationären Aufenthalts im Mai 2007 durch die Operation vom 25. Mai 2007 entstanden ist, soweit nicht ein Forderungsübergang auf einen Sozialleistungsträger oder sonstige Dritte erfolgt ist. Den weitergehenden Schmerzensgeldantrag hat das Landgericht abgewiesen.
- 4
- In der Zeit vom 6. Februar bis zum 19. Februar 2013 wurden der Klägerin im evangelischen Krankenhaus D. in vier Eingriffen perkutane transhepatische Cholangiodrainagen zur Ableitung der gestauten Gallenflüssigkeit gelegt. Ihr wurde zuletzt erfolgreich eine Yamakawa-Prothese eingesetzt. Diese Prothese wurde im Rahmen eines stationären Aufenthalts vom 12. August bis zum 13. August 2013 im Evangelischen Krankenhaus D. wieder entfernt.
- 5
- Mit Urteil vom 30. September 2014 hat das Oberlandesgericht die auf Zahlung eines höheren Schmerzensgeldes gerichtete Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat es den Feststellungsausspruch auf sämtliche materielle und nicht vorhersehbare künftige immaterielle Schäden beschränkt und den Antrag auf Ersatz der Gutachterkosten abgewiesen. Die weitergehende Berufung der Beklagten hat es zurückgewiesen. Die Revision hat es nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
- 6
- Die Nichtzulassungsbeschwerde hat im Wesentlichen Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur teilweisen Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
- 7
- 1. Die Nichtzulassungsbeschwerde macht zu Recht geltend, dass die Bemessung des Schmerzensgeldes durch das Berufungsgericht auf einer Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG beruht.
- 8
- a) Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 24. März 2015 - VI ZR 179/13, juris Rn. 11; BVerfGE 65, 293, 295 f. mwN; BVerfGE 70, 288, 293; BVerfGE 86, 133, 146, jeweils mwN).
- 9
- b) So verhält es sich im Streitfall. Die Nichtzulassungsbeschwerde beanstandet mit Erfolg, dass das Berufungsgericht bei der Bemessung des Schmerzensgeldes den Vortrag der Klägerin nicht berücksichtigt hat, wonach sie sich nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils fünf weiteren operativen Eingriffen habe unterziehen müssen, die zu erheblichen Beeinträchtigungen geführt hät- ten. Die Klägerin hatte auf S. 29 ff. ihres Schriftsatzes vom 26. März 2013 vorgetragen , dass am 7., 11., 13. und 15. Februar 2013 jeweils unter Vollnarkose perkutane transhepatische Cholangiodrainagen zur Ableitung der gestauten Gallenflüssigkeit vorgenommen worden seien, im Rahmen derer die Leber jeweils links und rechts punktiert und verschiedene Katheter eingebracht worden seien. Die Klägerin habe in der Folgezeit im Rahmen der Drainage zwei "Spülköpfe" in ihrem Brustbereich gehabt, die alle drei Monate unter Vollnarkose hätten gewechselt werden müssen und die sie zweimal pro Woche habe reinigen und spülen müssen. Das Berufungsgericht hat zwar im Rahmen der tatbestandlichen Darstellung auf BU 4 erwähnt, dass der Klägerin im Rahmen eines stationären Aufenthalts vom 6. Februar bis 19. Februar 2013 eine YamakawaProthese eingesetzt worden ist, die nachfolgend bei einem stationären Aufenthalt vom 12. bis 13. August 2013 wieder entfernt wurde. Es hat diesen Umstand und dessen Folgen für die Klägerin bei der Schmerzensgeldbemessung aber ersichtlich nicht erwogen. Denn es hat seiner Schmerzensgeldbemessung "die unter Ziff. 4. im Einzelnen ausgeführten gesundheitlichen Folgen" zugrunde gelegt. Als solche Folgen hat es eine Vielzahl von Beeinträchtigungen - u.a. eine kosmetisch störende, bei Wetterwechseln schmerzende Operationsnarbe und starkes Jucken am Körper - aufgeführt und eine notwendige Revisionsoperation erwähnt. Keine Erwähnung finden hingegen die erst nach Verkündung des landgerichtlichen Urteils jeweils unter Vollnarkose vorgenommenen vier perkutanen transhepatischen Cholongiodrainagen, die nach dem Vortrag der Klägerin zu erheblichen Beeinträchtigungen und zum sechsmonatigen Verbleiben von zwei Drainageanschlussstücken im Brustbereich der Klägerin führten.
- 10
- c) Die Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Sachvortrags der Klägerin ein höheres Schmerzensgeld zugesprochen hätte.
- 11
- 2. Soweit sich die Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Aberkennung der Kosten für das vorprozessual eingeholte Privatgutachten wendet, ist sie dagegen nicht begründet. Sie zeigt nicht auf, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 S. 1 ZPO). Von einer näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 S. 2, 2. Halbs. ZPO insoweit abgesehen.
III.
- 12
- Bei der neuen Verhandlung wird das Berufungsgericht Gelegenheit haben , sich auch mit den weiteren, im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren erhobenen Einwänden der Klägerin gegen die Schmerzensgeldbemessung zu befassen. Galke Stöhr von Pentz Offenloch Roloff
LG Kaiserslautern, Entscheidung vom 19.12.2012 - 4 O 311/11 -
OLG Zweibrücken, Entscheidung vom 30.09.2014 - 5 U 3/13 -
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(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).
(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn
- 1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder - 2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.
(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.
(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.
(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.
(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.
(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.
(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.
(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.