Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Sept. 2015 - VI ZR 418/14
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Die Klägerin nimmt die Beklagten im Zusammenhang mit einer ChemoTherapie in der Gemeinschaftspraxis der Beklagten zu 1 in Anspruch. Im Rah- men des zweiten Chemo-Therapie-Zyklus am 5. Januar 2010 kam es zu einem sogenannten Paravasat. Es erfolgte bis zum 19. Januar 2010 eine Behandlung mit DMSO-Tropfen, welche die Klägerin zuhause durchführte. Sie stellte sich am 7. Januar, am 12. Januar, am 15. Januar und am 19. Januar bei den Beklagten zur ärztlichen Kontrolle vor. Am 12. Januar 2010 suchte sie auf Veranlassung der Beklagten einen Chirurgen auf, der keinen Handlungsbedarf sah. Am 19. Januar 2010 kam es zu einer handtellergroßen Epitheliolyse im Bereich des Paravasats. Deswegen wurde die DMSO-Behandlung beendet. Danach wurde die Chemo-Therapie am 26. Januar und 16. Februar 2010 fortgesetzt. Im weiteren Verlauf kam es zu einer Nekrose, wegen der die Klägerin zahlreiche Operationen über sich ergehen lassen musste und im Ergebnis beide Brüste entfernt wurden.
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- Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme habe die Klägerin weder den Beweis geführt, dass den Beklagten ein Behandlungsfehler anzulasten sei, noch könne sie sich auf Ansprüche aus einer möglichen Aufklärungspflichtverletzung stützen.
II.
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- Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht, soweit ein Schadensersatzanspruch der Klägerin wegen einer Verletzung der Aufklärungspflicht verneint worden ist.
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- 1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. Insbesondere ist eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gegeben, wenn eine erforderliche Beweiserhebung nicht erfolgt und dies im Prozessrecht keine Stütze findet (vgl. Senat, Beschluss vom 12. Mai 2009 - VI ZR 275/08, VersR 2009, 1137 Rn. 2 mwN).
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- 2. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats darf der Tatrichter Feststellungen darüber, wie sich ein Patient bei ausreichender Aufklärung entschieden hätte, und ob er in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre, grundsätzlich nicht ohne persönliche Anhörung des Patienten treffen; ein Ausnahmefall kann vorliegen, wenn schon die unstreitigen äußeren Umstände eine sichere Beurteilung der hypothetischen Entscheidungssituation erlauben (vgl. Senat, Urteil vom 26. Juni 1990 - VI ZR 289/89 - VersR 1990, 1238, 1240; vom 1. Februar 2005 - VI ZR 174/03, VersR 2005, 694; vom 17. April 2007 - VI ZR 108/06, VersR 2007, 999, 1000; vom 30. September 2014 - VI ZR 443/13, VersR 2015, 196 Rn. 19).
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- Im Streitfall hat die Klägerin erstinstanzlich und mit der Berufung vorgetragen , sie sei über die Risiken der Chemo-Therapie nicht aufgeklärt worden, insbesondere auch über die letztlich ungenügenden personellen und medikamentösen Versorgungsmöglichkeiten der Beklagten im Fall einer Komplikation durch ein Paravasat. Wäre ihr dies alles vor Beginn der Chemo-Therapie erläutert worden, hätte sie eine Fachklinik aufgesucht, den Eingriff also nicht in der Praxis der Beklagten zu 1 vornehmen lassen. Das Landgericht und das Berufungsgericht haben offengelassen, ob die Klägerin im gebotenen Maße über das tatsächlich eingetretene Risiko eines Paravasats aufgeklärt wurde. Sie haben eine Haftung verneint, weil die Klägerin einen Entscheidungskonflikt nicht plausibel dargelegt habe. Eine Anhörung der Klägerin ist weder beim Landgericht noch beim Berufungsgericht erfolgt.
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- Das Vorbringen der Klägerin, sie hätte bei Kenntnis der Gefahren der Chemo-Therapie eine Fachklinik aufgesucht, ist als ausreichender Vortrag für einen Entscheidungskonflikt anzusehen, weil insoweit nur geringe Anforderungen an die Substantiierungspflicht des Patienten zu stellen sind. Insbesondere gilt dies im Hinblick darauf, dass das Präparat Savene nach den Ausführungen des Gerichtssachverständigen wegen der Kosten von ca. 12.000 € in Praxen als Notfallpräparat vermutlich nicht und auch nur in der Zentralapotheke der medizinischen Hochschule H. vorgehalten wird. Im Hinblick auf die möglichen schwerwiegenden Folgen eines Paravasats durfte die Plausibilität eines Entscheidungskonflikts unter diesen Umständen nicht ohne Anhörung der Klägerin verneint werden. Das Vorliegen eines Ausnahmefalls, auf den die Nichtzulassungsbeschwerdeerwiderung für das Absehen von der Anhörung abstellen will, hat das Berufungsgericht nicht angenommen und ist auch nicht gegeben. Es liegt mithin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor.
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- Hinsichtlich einer behaupteten fehlerhaften Behandlung war die Beschwerde zurückzuweisen, weil sie nicht aufzeigt, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Von einer näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbs. ZPO abgesehen. Galke Stöhr Offenloch Oehler Roloff
LG Verden, Entscheidung vom 06.03.2014 - 5 O 158/12 -
OLG Celle, Entscheidung vom 06.10.2014 - 1 U 32/14 -
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(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).
(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn
- 1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder - 2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.
(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.
(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.
(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.
(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.
(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.
(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.
(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.