Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Jan. 2017 - VI ZB 31/16
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Januar 2017 durch den Vorsitzenden Richter Galke, den Richter Wellner, die Richterinnen von Pentz und Müller und den Richter Dr. Klein
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Der Kläger verlangt von der Beklagten materiellen und immateriellen Schadensersatz. Er behauptet, infolge einer Fehlkonstruktion der von der Beklagten hergestellten und ihm eingesetzten Hüftgelenkprothese - einer teilzementierten Oberflächenersatzprothese (Typ ASR) - sei es zu einem übermäßi- gen Metallabrieb gekommen, der zu einer Fehlstellung und schließlich zu einer Lockerung der Prothese geführt habe.
- 2
- Das Landgericht hat die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zu der Behauptung des Klägers angeordnet, die streitgegenständliche ASR-Hüftgelenkprothese "sei aufgrund des erhöhten Metallabriebs fehlerhaft , die Lebensdauer einer üblichen Hüftendoprothese läge zwischen 15 und 20 Jahren". Zum Sachverständigen wurde Dr. H. bestimmt.
- 3
- Die Beklagte hat den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und zur Begründung unter anderem ausgeführt, der Sachverständige habe in einem gleichgelagerten anderen gegen die Beklagte geführten Rechtsstreit für den dortigen Kläger ein entgeltliches Privatgutachten über eine Prothese derselben Modellreihe erstellt. Das Gesuch hatte vor dem Landgericht keinen Erfolg. Die dagegen geführte sofortige Beschwerde der Beklagten hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.
II.
- 4
- Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg. Das Ablehnungsgesuch wäre bei der mangels abweichender Feststellungen durch das Beschwerdegericht im Rechtsbeschwerdeverfahren zugunsten der Beklagten zu unterstellenden Gleichheit des in diesem Verfahren zu untersuchenden und des in dem Privatgutachten für einen anderen Patienten untersuchten Produkts begründet.
- 5
- 1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
- 6
- Der Umstand, dass der Sachverständige bereits in einer ähnlichen oder vergleichbaren Sache ein Privatgutachten für einen Dritten erstattet habe, der ebenfalls Ersatzansprüche gegen die Beklagte geltend gemacht habe, rechtfertige bei der hier gegebenen besonderen Sachlage jedenfalls allein nicht die Besorgnis , der Sachverständige stehe dem gerichtlichen Gutachterauftrag nicht mehr neutral gegenüber. Es gebe keine allgemeine Erfahrung, dass ein öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger bei Erstellung eines Privatgutachtens sein Amt mehr oder weniger einseitig ausübe. Auch falle einem Sachverständigen die unvoreingenommene Beurteilung leichter, wenn nicht sein Auftraggeber , sondern eine andere Partei an dem Rechtsstreit beteiligt sei. Vorliegend sei zu berücksichtigen, dass qualifizierte Sachverständige, wenn - wie hier - auf dem betroffenen Sachgebiet nur eine kleine Anzahl zur Verfügung stehe, häufig und fast unausweichlich im Rahmen der erforderlichen gerichtlichen und außergerichtlichen Aufklärung herangezogen würden; zu dieser Lage habe die Beklagte durch die Herstellung und den Rückruf der ASRHüftgelenkprothesen beigetragen. Schließlich werde die Fehlerhaftigkeit eines Medizinprodukts in der Regel dadurch ermittelt, dass dessen Zustand und Beschaffenheit durch verschiedene Messverfahren untersucht und die Messergebnisse mit den entsprechenden Vorgaben abgeglichen würden. Ein besonders ausgeprägter Beurteilungs- und Ermessenspielraum bestehe dabei nicht, so dass die Gefahr geringer sei, dass sich der Sachverständige bei der Erstellung des Privatgutachtens einseitig von den Interessen seines Auftraggebers habe leiten lassen. Auch die übrigen von der Beklagten geltend gemachten Ablehnungsgründe lägen nicht vor.
- 7
- 2. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
- 8
- a) Ein Sachverständiger kann gemäß § 406 Abs. 1 Satz 1 ZPO in Verbindung mit § 42 Abs. 2 ZPO wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Es muss sich dabei um Tatsachen oder Umstände handeln, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (Senatsbeschluss vom 15. März 2005 - VI ZB 74/04, NJW 2005, 1869, 1870 mwN; BGH, Beschlüsse vom 11. Juni 2008 - X ZR 124/06, GRUR-RR 2008, 365 Rn. 2; vom 11. April 2013 - VII ZB 32/12, BauR 2013, 1308 Rn. 10; jeweils mwN).
- 9
- Ein Ablehnungsgrund liegt in der Regel vor, wenn der Sachverständige in derselben Sache für eine Prozesspartei oder deren Versicherer bereits ein Privatgutachten erstattet hat (Senatsurteil vom 1. Februar 1972 - VI ZR 134/70, NJW 1972, 1133, 1134; OLG Köln, RuS 2000, 130; MedR 2016, 59; OLG Oldenburg, OLGR 1996, 273; OLG Hamm, VersR 1991, 1428, 1429; VersR 2000, 998; Beschluss vom 26. März 2014 - 32 W 6/14, juris Rn. 8; Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 406 Rn. 24; Katzenmeier in Prütting /Gehrlein, ZPO, 8. Aufl., § 406 Rn. 14; Zimmermann in Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Aufl., § 406 Rn. 5; Berger in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 406 Rn. 11; Greger in Zöller, ZPO, 31. Aufl., § 406 Rn. 8). Hat der Sachverständige für einen nicht unmittelbar oder mittelbar am Rechtsstreit beteiligten Dritten ein entgeltliches Privatgutachten zu einem gleichartigen Sachverhalt erstattet, so wird die Frage einer daraus herleitbaren Besorgnis der Befangenheit unterschiedlich beurteilt. Die wohl überwiegende Meinung bejaht in diesen Fällen - teilweise unter der Voraussetzung, dass die Interessen des Dritten denen der ablehnenden Partei in gleicher Weise wie die der anderen Partei entgegengesetzt sind - einen Ablehnungsgrund (OLG Düsseldorf, BauR 1998, 365; OLG Frankfurt a.M., ZIP 1982, 1489 f.; vgl. auch OLG Frankfurt a.M., BauR 2006, 147, 148; Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 406 Rn. 24; Huber in Musielak/Voit, ZPO, 13. Aufl., § 406 Rn. 7; Berger in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 406 Rn. 16; Greger in Zöller, ZPO, 31. Aufl., § 406 Rn. 8; Scheuch in BeckOK ZPO, Stand 1. September 2016, § 406 Rn. 23.1). Nach anderer Ansicht soll eine solche Fallgestaltung für die Annahme eines Ablehnungsgrundes nicht ausreichen (OLG Köln, MedR 2016, 59 f.; OLG Hamm, VersR 1991, 1428, 1429; vgl. auch OLG Koblenz, MDR 1984, 675 f.).
- 10
- Der Senat schließt sich der erstgenannten Meinung an. Zwar hat ein öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger auch Privatgutachten unparteiisch und nach bestem Wissen und Gewissen zu erstatten. Trotz dieser objektiven Pflichtenlage ist vom Standpunkt des Ablehnenden die Befürchtung, der Gutachter könnte sich jedenfalls in Zweifelsfällen und auf der Grundlage der Angaben seines Auftraggebers für ein diesem günstiges Ergebnis entscheiden, nicht als unvernünftig von der Hand zu weisen. Dass Zweifelsfälle bei der Begutachtung von Medizinprodukten gänzlich ausgeschlossen sind, ist unabhängig von der vom Beschwerdegericht aufgeworfenen Frage, wie ausgeprägt hier die Beurteilungs- und Ermessenspielräume sind, nicht anzunehmen. Vor allem aber steht auch bei vernünftiger Betrachtung aus Sicht des Ablehnenden die Befürchtung im Raum, der Sachverständige werde nicht geneigt sein, bei der gerichtlich angeordneten Begutachtung von seinem früheren Privatgutachten abzuweichen oder sich gar in Widerspruch zu diesem zu setzen. Zwar kann von einem Sachverständigen erwartet werden, dass er bereit ist, seine zuvor gewonnene Überzeugung zu überprüfen und, wenn nötig, zu korrigieren. Aus diesem Grund ist die Ablehnung eines gerichtlich beauftragten Sachverständigen, der in einem anderen Verfahren ebenfalls als Gerichtssachverständiger ein Gutachten erstattet hat, nicht gerechtfertigt (vgl. auch BGH, Beschluss vom 1. Februar 1961 - IV ZB 400/60, MDR 1961, 397; OLG München, VersR 1994, 704; Greger in Zöller, ZPO, 31. Aufl., § 406 Rn. 9; Huber in Musielak/Voit, ZPO, 13. Aufl., § 406 Rn. 11). Anders als im Falle seiner gerichtlichen Beauftragung ist der Sachverständige aber im Falle seiner Beauftragung mit einem Privatgutachten mit einer der an der jeweiligen Streitigkeit beteiligten Personen vertraglich verbunden. Beurteilt er den Sachverhalt, der Gegenstand des Privatgutachtens war, später anders, so setzt er sich möglicherweise dem - gleich ob berechtigten oder unberechtigten - Vorwurf seines Auftraggebers aus, das Privatgutachten nicht ordnungsgemäß erstattet oder sonstige vertragliche Pflichten verletzt zu haben. Diesem Vorwurf seines Auftraggebers kann er sich auch dann ausgesetzt sehen, wenn an der Streitigkeit, in der er später als Gerichtssachverständiger tätig wird, andere Personen beteiligt sind, es aber um einen gleichartigen Sachverhalt und eine gleichartige Fragestellung geht. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Interessen der jeweiligen Parteien in beiden Fällen in gleicher Weise kollidieren. Die Möglichkeit eines Konflikts des Sachverständigen zwischen Rücksichtnahme auf den früheren Auftraggeber und der Pflicht zu einer von der früheren Begutachtung losgelösten, objektiven Gutachtenerstattung im Auftrag des Gerichts ist geeignet, das Vertrauen des Ablehnenden in eine unvoreingenommenen Gutachtenerstattung zu beeinträchtigen.
- 11
- Im vorliegenden Fall kann von einem gleichartigen Sachverhalt allerdings nur dann ausgegangen werden, wenn es sich bei der von dem Sachverständigen Dr. H. vormals privat begutachteten und der nunmehr zu begutachtenden ASR-Hüftgelenkprothese um das gleiche Produkt aus derselben Modellreihe handelt und die möglicherweise unterschiedlichen Arten der Befestigung den Fällen im Hinblick auf die Beweisfrage ihre Vergleichbarkeit nicht nehmen. Da die Parteien dies unterschiedlich sehen, wird das Beschwerdegericht hierzu die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben. Sollten diese ergeben, dass es sich um einen gleichartigen Sachverhalt handelt, so würde die damit begründete Besorgnis der Befangenheit nicht dadurch in Frage gestellt, dass nicht viele Sachverständige für das betroffene Sachgebiet zur Verfügung stehen und das Verhalten der Beklagten für den erhöhten Bedarf an Gutachten womöglich mitursächlich war.
- 12
- 3. Die Einwände der Rechtsbeschwerde gegen die Verneinung der übrigen von der Beklagten geltend gemachten Ablehnungsgründe durch das Beschwerdegericht hat der Senat geprüft; Rechtsfehler haben sich insoweit nicht ergeben. Galke Wellner von Pentz Müller Klein
LG Frankenthal, Entscheidung vom 27.03.2015 - 7 O 231/14 -
OLG Zweibrücken, Entscheidung vom 03.06.2016 - 8 W 48/15 -
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Annotations
(1) Ein Sachverständiger kann aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Ein Ablehnungsgrund kann jedoch nicht daraus entnommen werden, dass der Sachverständige als Zeuge vernommen worden ist.
(2) Der Ablehnungsantrag ist bei dem Gericht oder Richter, von dem der Sachverständige ernannt ist, vor seiner Vernehmung zu stellen, spätestens jedoch binnen zwei Wochen nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses über die Ernennung. Zu einem späteren Zeitpunkt ist die Ablehnung nur zulässig, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne sein Verschulden verhindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen. Der Antrag kann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden.
(3) Der Ablehnungsgrund ist glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides statt darf die Partei nicht zugelassen werden.
(4) Die Entscheidung ergeht von dem im zweiten Absatz bezeichneten Gericht oder Richter durch Beschluss.
(5) Gegen den Beschluss, durch den die Ablehnung für begründet erklärt wird, findet kein Rechtsmittel, gegen den Beschluss, durch den sie für unbegründet erklärt wird, findet sofortige Beschwerde statt.
(1) Ein Richter kann sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.
(2) Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.
(3) Das Ablehnungsrecht steht in jedem Fall beiden Parteien zu.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Ein Sachverständiger kann aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Ein Ablehnungsgrund kann jedoch nicht daraus entnommen werden, dass der Sachverständige als Zeuge vernommen worden ist.
(2) Der Ablehnungsantrag ist bei dem Gericht oder Richter, von dem der Sachverständige ernannt ist, vor seiner Vernehmung zu stellen, spätestens jedoch binnen zwei Wochen nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses über die Ernennung. Zu einem späteren Zeitpunkt ist die Ablehnung nur zulässig, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne sein Verschulden verhindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen. Der Antrag kann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden.
(3) Der Ablehnungsgrund ist glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides statt darf die Partei nicht zugelassen werden.
(4) Die Entscheidung ergeht von dem im zweiten Absatz bezeichneten Gericht oder Richter durch Beschluss.
(5) Gegen den Beschluss, durch den die Ablehnung für begründet erklärt wird, findet kein Rechtsmittel, gegen den Beschluss, durch den sie für unbegründet erklärt wird, findet sofortige Beschwerde statt.
(1) Ein Richter kann sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.
(2) Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.
(3) Das Ablehnungsrecht steht in jedem Fall beiden Parteien zu.