Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Mai 2017 - V ZR 235/16
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Mai 2017 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland und die Richter Dr. Kazele und Dr. Hamdorf
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Die Klägerin erwarb von der Beklagten ein Hausgrundstück unter Ausschluss der Sachmängelhaftung. Zur Finanzierung des Kaufpreises ließ sie zugunsten ihrer Bank eine Grundschuld auf dem Grundbesitz eintragen. In der Folgezeit erklärte die Klägerin unter Hinweis auf Feuchtigkeitsschäden des Hauses den Rücktritt von dem Vertrag, hilfsweise dessen Anfechtung, und verlangt die Rückabwicklung und Schadensersatz.
- 2
- Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Beklagte zur Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 83.000 € Zug um Zug gegen lastenfreie Rückübertragung des Grundstücks sowie zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 12.123,25 € verurteilt und den Annahmeverzug der Beklagten festgestellt. Dagegen wendet sich die Beklagte mit der Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
- 3
- Nach Ansicht des Berufungsgerichts kann die Klägerin von der Beklagten die Rückzahlung des Kaufpreises gegen lastenfreie Rückübertragung des Grundstücks und Schadensersatz verlangen. Aufgrund der Beweisaufnahme stehe fest, dass die Beklagte die Klägerin über die Feuchtigkeitsmängel des Hauses arglistig getäuscht habe. Die Beklagte befinde sich zudem in Annahmeverzug. Eventuelle Schwierigkeiten der Klägerin, eine Lastenfreiheit des Grundstücks herzustellen, seien lediglich für das Vollstreckungsverfahren von Bedeutung.
III.
- 4
- Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg, soweit sie sich gegen die Feststellung in dem Berufungsurteil wendet, dass sich die Beklagte in Annahmeverzug befindet. Insoweit ist das Berufungsurteil gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Im Übrigen ist die Nichtzulassungsbeschwerde unbegründet.
- 5
- 1. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht unter Verletzung des Verfahrensgrundrechts der Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) zu dem Ergebnis gelangt ist, dass sich die Beklagte in Annahmeverzug befindet. Insoweit handelt es sich um eine unzulässige Überraschungsentscheidung.
- 6
- a) In der mündlichen Verhandlung hat das Berufungsgericht, nachdem die Klägerin erklärt hatte, sie sei finanziell wohl nicht in der Lage, die Immobilie lastenfrei zu stellen, darauf hingewiesen, dass Annahmeverzug gemäß § 294 BGB nur dann anzunehmen sei, wenn der Beklagten die lastenfreie Rückübereignung angeboten worden wäre; das sei aber nicht geschehen. Dieser Hinweis ist angesichts des unmittelbaren Zusammenhangs mit den zuvor erörterten Schwierigkeiten der Klägerin zur Grundschuldablösung dahingehend zu verstehen , dass das Berufungsgericht deswegen die Voraussetzungen des Annahmeverzugs (§§ 293 ff. BGB) als nicht erfüllt ansieht. In dem Berufungsurteil hat das Berufungsgericht unter Abweichung von dem zuvor erteilten Hinweis den Annahmeverzug der Beklagten dagegen bejaht und die Auffassung vertreten, dass ein eventuelles Unvermögen der Klägerin zur lastenfreien Rückgabe des Grundstücks lediglich für das Vollstreckungsverfahren von Relevanz sei. Durch diese Verfahrensweise hat es das Recht der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Erteilt das Gericht einen rechtlichen Hinweis in einer entscheidungserheblichen Frage, so darf es diese Frage im Urteil nicht abweichend von seiner geäußerten Rechtsauffassung entscheiden , ohne die Verfahrensbeteiligten zuvor auf die Änderung der rechtlichen Beurteilung hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben zu haben (BGH, Urteil vom 29. April 2014 - VI ZR 530/12, NJW 2014, 2796 Rn. 5 mwN). Entgegen der Auffassung der Beschwerdeerwiderung gilt dies unabhängig davon, ob der gerichtliche Hinweis nur eine Nebenforderung (vgl. § 139 Abs. 2 ZPO) betrifft oder die Hauptsache. Das Berufungsgericht hätte vor einer Änderung seiner Rechtsauffassung der Beklagten daher die Möglichkeit geben müssen, sich hierzu zu äußern.
- 7
- b) Das angegriffene Urteil beruht auch auf dem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Das Berufungsgericht geht - anders als in dem zuvor erteilten Hinweis - in dem Berufungsurteil rechtsfehlerhaft davon aus, dass Gläubigerverzug entgegen § 297 BGB nicht die Leistungsfähigkeit des Schuldners zur Zeit des Angebots voraussetzt. Es ist nicht auszuschließen, dass es diese fehlerhafte Rechtsauffassung überdacht hätte, wenn die Beklagte Gelegenheit gehabt hätte , hierauf - wie in der Nichtzulassungsbeschwerdebegründung geschehen - hinzuweisen, und dass das Berufungsgericht anschließend der Frage, ob die erforderliche Leistungsfähigkeit der Klägerin vorlag, nachgegangen wäre.
- 8
- 2. Im Übrigen ist die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen, weil Zulassungsgründe nicht vorliegen. Die Rechtssache wirft insoweit keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Eine Entscheidung des Revisionsgerichts ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO) erforderlich. Von einer Begründung hierzu wird nach § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.
Kazele Hamdorf
Vorinstanzen:
LG Saarbrücken, Entscheidung vom 22.12.2014 - 8 O 8/13 -
OLG Saarbrücken, Entscheidung vom 07.09.2016 - 1 U 12/15 -
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(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).
(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn
- 1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder - 2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.
(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.
(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.
(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.
(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.
(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.
(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.
(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.
Die Leistung muss dem Gläubiger so, wie sie zu bewirken ist, tatsächlich angeboten werden.
(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.
(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.
(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.
(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.
(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.
Der Gläubiger kommt nicht in Verzug, wenn der Schuldner zur Zeit des Angebots oder im Falle des § 296 zu der für die Handlung des Gläubigers bestimmten Zeit außerstande ist, die Leistung zu bewirken.