Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Nov. 2016 - V ZB 90/16
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. November 2016 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterinnen Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und Weinland und die Richter Dr. Göbel und Dr. Hamdorf
beschlossen:
Es wird festgestellt, dass die Anordnung der Haft in dem Beschluss des Amtsgerichts Brühl vom 11. Mai 2016 in Verbindung mit dem Beschluss vom 14. Juni 2016 den Betroffenen für den Zeitraum bis zum 22. Juni 2016 in seinen Rechten verletzt hat.
Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde zurückgewiesen.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Landkreis RottalInn auferlegt.
Der Gegenstandswert in allen Instanzen beträgt 5.000 €.
Gründe:
I.
- 1
- Der Betroffene, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste Ende 2014 unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Asylantrag. Eine EURODAC-Recherche ergab, dass er bereits in Italien Asyl beantragt hatte. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte seinen Asylantrag als unzulässig ab und ordnete die „Abschiebung“ nach Italien an. Nachdem die Rücküberstellung gescheitert war, hat das Amtsgericht am 11. Mai 2016 Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum 11. August 2016 angeordnet. Der dagegen gerichteten Beschwerde des Betroffenen hat es insoweit abgeholfen, als es mit Beschluss vom 14. Juni 2016 die Haftdauer bis zum 6. Juli 2016 begrenzt hat. Das Landgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Am 27. Juni 2016 ist der Betroffene nach Italien rücküberstellt worden. Mit der Rechtsbeschwerde beantragt er die Feststellung, durch die angeordnete Haft in seinen Rechten verletzt zu sein.
II.
- 2
- Nach Ansicht des Beschwerdegerichts liegen die formellen und materiellen Voraussetzungen für die Anordnung von Abschiebungshaft vor. Zwar habe die beteiligte Behörde in dem Haftantrag zunächst keine konkreten Ausführungen zur erforderlichen Haftdauer gemacht; sie habe ihre Angaben aber nachträglich ergänzt.
III.
- 3
- Die zulässige Rechtsbeschwerde hat im Wesentlichen Erfolg.
- 4
- a) Der Haftantrag war ursprünglich unzulässig.
- 5
- b) Zutreffend nimmt das Beschwerdegericht an, dass der Mangel des Haftantrags im Beschwerdeverfahren geheilt worden ist. Es verkennt aber, dass der Mangel nur mit Wirkung für die Zukunft behoben werden konnte.
- 6
- aa) Mängel des Haftantrags können mit Wirkung für die Zukunft behoben werden, indem die Behörde von sich aus oder auf richterlichen Hinweis ihre Darlegungen ergänzt und dadurch die Lücken in ihrem Haftantrag schließt oder indem der Haftrichter selbst die Voraussetzungen zur Durchführbarkeit der Aboder Zurückschiebung des Ausländers und zu der dafür erforderlichen Haftdauer in seiner Entscheidung feststellt (§ 26 FamFG, vgl. zum Ganzen Senat, Beschluss vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 21 ff.). Zwingende weitere Voraussetzung für eine rechtmäßige Haftanordnung ist in einem solchen Fall, dass der Betroffene zu den ergänzenden Angaben persönlich angehört wird (Senat, Beschluss vom 15. September 2016 - V ZB 30/16, juris Rn. 9 mwN).
- 7
- bb) Danach ist eine Heilung ab dem 23. Juni 2016 erfolgt.
- 8
- (1) Im Abhilfeverfahren vor dem Amtsgericht, in dem die Haftdauer auf knapp zwei Monate begrenzt wurde, ist der Mangel des Haftantrages nicht geheilt worden. Der allgemeine Hinweis in dem Abhilfebeschluss auf die in Art. 28 Abs. 3 Dublin-III-Verordnung genannten Fristen stellt keine ausreichende Begründung für die Notwendigkeit einer Haftdauer von knapp zwei Monaten dar. Dies gilt umso mehr, als in dem Haftanordnungsbeschluss ausgeführt ist, dass die Abschiebung „umgehend durchgeführt werden“ könne. Im Übrigen hat der Haftrichter den Betroffenen zu den ergänzenden Ausführungen nicht nochmals angehört.
- 9
- (2) Eine Heilung ist jedoch im Beschwerdeverfahren erfolgt. Die beteiligte Behörde hat mit Schreiben vom 23. Juni 2016 mitgeteilt, dass die Abschiebung für den 27. Juni 2016 terminiert sei. Damit hat sie ihre Angaben zu der noch erforderlichen Haftdauer hinreichend ergänzt. Das Beschwerdegericht hat eine Kopie des Schreibens dem Betroffenen ausgehändigt und ihn am 23. Juni 2016 nochmals persönlich angehört. Der Mangel des Haftantrages war ab diesem Zeitpunkt mit Wirkung für die Zukunft geheilt. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist für die Behebung des Begründungsmangels nicht erforderlich, dass die Behörde Ausführungen zur Erforderlichkeit der bereits zurückliegenden Haftdauer macht. Maßgeblich für die Heilung des Mangels des Haftantrages ist allein, ob die ergänzenden Angaben die Erforderlichkeit der noch verbleibenden Haftzeit hinreichend begründen. Die hiervon zu unterscheidende Frage, ob das Verfahren mit der gebotenen Beschleunigung geführt wurde, betrifft nicht die Zulässigkeit des Haftantrages.
- 10
- 3. Unbegründet ist die Rechtsbeschwerde, soweit der Betroffene festgestellt wissen will, dass die Haftanordnung ihn auch ab dem 23. Juni 2016 in seinen Rechten verletzt hat.
- 11
- 4. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Göbel Hamdorf
Vorinstanzen:
AG Brühl, Entscheidung vom 11.05.2016 i.V.m. Entscheidung vom14.06.2016
- 64 XIV(B) 11/16 -
LG Köln, Entscheidung vom 23.06.2016 - 39 T 125/16 -
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Annotations
(1) Die Freiheitsentziehung darf das Gericht nur auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde anordnen.
(2) Der Antrag ist zu begründen. Die Begründung hat folgende Tatsachen zu enthalten:
- 1.
die Identität des Betroffenen, - 2.
den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Betroffenen, - 3.
die Erforderlichkeit der Freiheitsentziehung, - 4.
die erforderliche Dauer der Freiheitsentziehung sowie - 5.
in Verfahren der Abschiebungs-, Zurückschiebungs- und Zurückweisungshaft die Verlassenspflicht des Betroffenen sowie die Voraussetzungen und die Durchführbarkeit der Abschiebung, Zurückschiebung und Zurückweisung.
(3) Tatsachen nach Absatz 2 Satz 2 können bis zum Ende der letzten Tatsacheninstanz ergänzt werden.
Das Gericht hat von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen.
(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.
(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.
(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.
(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.