Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Juni 2010 - V ZB 42/10
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Das Amtsgericht hat mit Urteil vom 28. Juli 2009 zum Nachteil der Kläger entschieden. Das Urteil ist den Klägern am 31. Juli 2009 zugestellt worden. Mit am 6. August 2009 eingegangenem Schriftsatz haben die Kläger gegen das Urteil des Amtsgerichts Berufung eingelegt.
- 2
- Mit Schriftsatz vom 29. September 2009 haben sie die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 15. Oktober 2009 beantragt. Zur Begründung haben sie ausgeführt, aufgrund der starken Arbeitsbelastung ihres Prozessbevollmächtigten habe eine Besprechung mit diesem nicht stattfinden und die Berufung nicht begründet werden können. Mit Verfügung vom 1. Oktober 2009 hat der Vorsitzende der Kammer des Landgerichts die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist abgelehnt und die Kläger darauf hingewiesen, dass die Verwerfung ihrer Berufung beabsichtigt sei. Hiergegen haben sich die Kläger mit Schriftsatz vom 6. Oktober 2009 gewandt und Ausführungen zur Begründung der Berufung gemacht. Mit Beschluss vom 8. Oktober 2009 hat das Landgericht die Berufung verworfen.
- 3
- Mit am 13. Oktober 2009 eingegangenem Schriftsatz haben die Kläger die Berufung ausführlich begründet und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Mit Beschluss vom 17. Dezember 2009 hat das Landgericht die beantragte Wiedereinsetzung zurückgewiesen. Hiergegen wenden sich die Kläger mit der Rechtsbeschwerde.
II.
- 4
- Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO), zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 2, § 575 ZPO) und begründet. Der angegriffene Beschluss verletzt die Kläger in ihrem durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) verbürgten Recht auf eine faire Verfahrensgestaltung.
- 5
- Das Berufungsgericht hat die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Unrecht verweigert. Die Kläger waren ohne ihr Verschulden gehindert, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten; denn dem Antrag ihres Prozessbevollmächtigten auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist hätte stattgegeben werden müssen.
- 6
- 1. Das Berufungsgericht meint, den Klägern sei die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist vorzuwerfen, weil sie nicht darauf hätten vertrauen dürfen, dass ihrem Fristverlängerungsantrag stattgegeben werde. Sie hätten keine erheblichen Gründe für eine Verlängerung der Frist vorgetragen. Die Sa- che sei einfach gelagert. Der formelhafte, nicht durch Einzelheiten untersetzte Verweis auf die Überlastung ihres Prozessbevollmächtigten reiche nicht aus, einen erheblichen Grund für die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist darzutun, zumal die Kläger schon im erstinstanzlichen Verfahren mehrfach mit ähnlicher oder gleichlautender Begründung Fristverlängerungsanträge gestellt hätten.
- 7
- 2. Das ist mit den Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht und der Bundesgerichtshof an die Begründung eines erstmaligen Antrags auf Fristverlängerung stellen, nicht vereinbar.
- 8
- a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichthofs sind bei einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist keine hohen Anforderungen an die erforderliche Darlegung der erheblichen Gründe für die Notwendigkeit der Fristverlängerung zu stellen. Der Anwalt kann vielmehr grundsätzlich erwarten, dass dem Antrag entsprochen wird, wenn einer der im Gesetz genannten Gründe vorgebracht wird (BGH, Beschl. v. 13. Oktober 1992, VI ZB 25/92, VersR 1993, 771 f.; v. 7. Juni 1999, II ZB 25/98, NJW 1999, 3051 f.; v. 13. Dezember 2005, VI ZB 52/05, VersR 2006, 568; v. 15. August 2007, XII ZB 82/07, NJW-RR 2008, 76 ff.). Auf diese höchstrichterliche Rechtsprechung darf der Anwalt vertrauen; die unteren Instanzen dürfen aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit nicht zum Nachteil der betroffenen Parteien strengere Maßstäbe anlegen (vgl. BVerfG, NJW 1998, 3703 f.; NJW 2001, 812 ff.; NJW 2007, 3342 f.).
- 9
- b) Die Entscheidung des Berufungsgerichts weicht in entscheidungserheblicher Weise von dieser Rechtsprechung ab.
- 10
- aa) Zu dem als "erheblich" anzusehenden Verlängerungsgrund der beruflichen Überlastung ist anerkannt, dass eine ins Einzelne gehende Darlegung dieser Überlastungsgründe nicht zu verlangen ist (vgl. BGH, Beschl. v. 11. Juli 1985, III ZB 13/85, VersR 1985, 972; v. 13. Oktober 1992, VI ZB 25/92, VersR 1993, 771 f.; BVerfG, NJW 1998, 3703 f.). Der bloße Hinweis auf eine solche Arbeitsüberlastung reicht zur Feststellung eines erheblichen Grundes aus, ohne dass es einer weiteren Substantiierung bedarf (vgl. BGH, Beschl. v. 13. Oktober 1992, VI ZB 25/92, aaO m.w.N.; ferner BVerfGE 79, 372, 377; BVerfG, NJW 2001, 812, 813; NJW-RR 2002, 1007, 1008; NJW 2007, 3342).
- 11
- bb) Ein Prozessbevollmächtigter darf mit der Bewilligung der beantragten Fristverlängerung auch dann rechnen, wenn die von ihm für notwendig erachtete Rücksprache mit seiner Partei wegen seiner Arbeitsbelastung nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist erfolgen kann. Dass das Berufungsgericht die Sache für rechtlich einfach gelagert und eine Rücksprache des Prozessbevollmächtigten mit seiner Partei daher für nicht notwendig hält, ändert hieran weder etwas, noch führt dies dazu, dass der Fristverlängerungsantrag weiter substantiiert oder glaubhaft gemacht werden müsste (vgl. BGH, Beschl. v. 23. Juni 1994, VII ZB 5/94, NJW 1994, 2957, 2958; v. 19. Januar 2000, XII ZB 22/99, NJW-RR 2000, 799 f.; v. 1. August 2001, VIII ZB 24/01, VersR 2002, 1576, 1577; BVerfG, NJW 1998, 3703 f.)
- 12
- cc) Im Ergebnis ohne Bedeutung ist auch, ob in dem Verfahren schon mehrfach mit gleicher oder ähnlicher Begründung die Verlängerung von Fristen beantragt worden ist. Dies ändert an der Notwendigkeit der neuerlichen Fristverlängerung nichts, sondern ist allenfalls geeignet, die Glaubhaftigkeit des angegebenen Grundes in Frage zu stellen. Hierum geht es vorliegend jedoch nicht. Das Berufungsgericht hat die in dem Antrag der Kläger vom 29. September 2009 als Verlängerungsgrund angegebenen Tatsachen nicht in Zweifel gezogen. Auch der Senat sieht hierzu keinen Anlass.
- 13
- 3. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin durfte mithin auf eine positive Bescheidung seines Fristverlängerungsantrags vertrauen. Die Klägerin hat die Berufungsbegründungsfrist deshalb ohne ein ihr gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten versäumt.
- 14
- Da weitere Feststellungen nicht zu treffen sind und der Wiedereinsetzungsantrag form- und fristgerecht gestellt worden ist, hat der Senat die beantragte Wiedereinsetzung bewilligt. Der die Berufung der Kläger als unzulässig verwerfende Beschluss des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 8. Oktober 2009 ist damit hinfällig (vgl. BGH, 45, 380, 384; 98, 325, 328). Krüger Schmidt-Räntsch Stresemann Roth Czub
AG Wittenberg, Entscheidung vom 28.07.2009 - 8 C 931/06 -
LG Dessau-Roßlau, Entscheidung vom 17.12.2009 - 5 S 132/09 -
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Annotations
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.
(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.
(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.
(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Rechtsbeschwerdegericht einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss enthalten:
- 1.
die Bezeichnung der Entscheidung, gegen die die Rechtsbeschwerde gerichtet wird und - 2.
die Erklärung, dass gegen diese Entscheidung Rechtsbeschwerde eingelegt werde.
(2) Die Rechtsbeschwerde ist, sofern die Beschwerdeschrift keine Begründung enthält, binnen einer Frist von einem Monat zu begründen. Die Frist beginnt mit der Zustellung der angefochtenen Entscheidung. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend.
(3) Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss enthalten:
- 1.
die Erklärung, inwieweit die Entscheidung des Beschwerdegerichts oder des Berufungsgerichts angefochten und deren Aufhebung beantragt werde (Rechtsbeschwerdeanträge), - 2.
in den Fällen des § 574 Abs. 1 Nr. 1 eine Darlegung zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2, - 3.
die Angabe der Rechtsbeschwerdegründe, und zwar - a)
die bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt; - b)
soweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben.
(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Beschwerde- und die Begründungsschrift anzuwenden. Die Beschwerde- und die Begründungsschrift sind der Gegenpartei zuzustellen.
(5) Die §§ 541 und 570 Abs. 1, 3 gelten entsprechend.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.
(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.