Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Juni 2016 - V ZB 33/16

published on 30/06/2016 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Juni 2016 - V ZB 33/16
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Amtsgericht Rosenheim, 1 XIV 168/15, 03/12/2015
Landgericht Traunstein, 4 T 4442/15, 03/02/2016

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 33/16
vom
30. Juni 2016
in der Rücküberstellungssache
ECLI:DE:BGH:2016:300616BVZB33.16.0

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. Juni 2016 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterinnen Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Brückner, den Richter Dr. Göbel und die Richterin Haberkamp

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Traunstein vom 3. Februar 2016 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Gründe:


I.


1
Der Betroffene, ein somalischer Staatsangehöriger, reiste am 2. Dezember 2015 ohne gültige Ausweispapiere in die Bundesrepublik Deutschland ein. Bei einer polizeilichen Kontrolle wies er sich mit einer auf eine andere Person ausgestellten italienischen Identitätskarte aus. Eine Recherche in dem EURODAC-Register ergab, dass er in Italien einen Asylantrag gestellt hatte.
2
Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht am 3. Dezember 2015 Haft zur Sicherung der Zurückschiebung nach Italien bis zum 14. Januar 2016 angeordnet. Dagegen hat sich der Betroffene mit der Beschwerde gewen- det. In der Beschwerdebegründung vom 21. Dezember 2015 hat er mitgeteilt, dass er seine Frau mit seinen drei Kindern, von denen eines am 18. Dezember 2015 geboren sei, in Norddeutschland ausfindig gemacht habe. Daraufhin ist er am 23. Dezember 2015 aus der Haft entlassen worden. Mit der Rechtsbeschwerde will er die Rechtswidrigkeit der Haft feststellen lassen.

II.


3
Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
4
1. Ihre auf die unterbliebene Unterrichtung der somalischen Botschaft gestützte Verfahrensrüge hat im Ergebnis keinen Erfolg.
5
a) Zutreffend ist allerdings im Ausgangspunkt, dass die somalische Botschaft auf den Wunsch des Betroffenen gemäß Art. 36 Abs. 1 b) WÜK über die Inhaftierung unterrichtet werden musste. Dies ist unterblieben. Das Amtsgericht hat vermerkt, dass es seit dem Jahr 2000 keine somalische Botschaft mehr gebe , was nach den von der Rechtsbeschwerde vorgelegten Unterlagen unzutreffend ist. Zur Rechtswidrigkeit der Haft führt ein Verstoß gegen die in Art. 36 Abs. 1 b) WÜK vorgesehene Unterrichtungspflicht nach der neueren Rechtsprechung des Senats jedoch nur dann, wenn das Verfahren bei pflichtgemäßem Vorgehen zu einem anderen Ergebnis hätten führen können. Das hat der Betroffene darzulegen (Senat, Beschluss vom 22. Oktober 2015 - V ZB 79/15, NVwZ 2016, 711 Rn. 12).
6
b) Die Rechtsbeschwerde stützt sich auf die Überlegung, es sei immerhin möglich gewesen, über die somalische Botschaft den Kontakt zu der Ehefrau herzustellen; dann hätte sich schon früher ergeben, dass die Rücküberstellung der Familie nach Italien nicht mehr ohne weiteres in Betracht komme. Die erforderliche Darlegung, dass bei pflichtgemäßem Verhalten ein anderer Ausgang des Verfahrens zumindest möglich gewesen wäre, lässt sich daraus nicht entnehmen.
7
aa) Sofern der Botschaft nur dieselben Erkenntnisquellen wie Polizei und Gericht zur Verfügung standen, ist auszuschließen, dass infolge ihrer Einschaltung der Aufenthaltsort der Ehefrau früher - also noch während der knapp dreiwöchigen Haft - ermittelt worden wäre. Denn bei der polizeilichen Anhörung nach der Festnahme gab der Betroffene an, seine Ehefrau heiße S. H. , sie sei am 1. März 1980 geboren. Er kenne weder ihren Aufenthaltsort noch eine Telefonnummer. In der Anhörung vor dem Amtsgericht gab er an, seine Frau befinde sich vielleicht in Deutschland. Über Dokumente, die die Identität seiner Frau betreffen, oder eine Heiratsurkunde verfügte der Betroffene nicht. Eine Schwangerschaft der Ehefrau erwähnte er nicht. Die Bundespolizei konnte die Ehefrau anhand der Angaben des Betroffenen nicht ermitteln, und das Amtsgericht wertete diese als Schutzbehauptung. Erst als der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen in der Beschwerdebegründung andere Angaben zu dem Namen undGeburtsdatum der Ehefrau machte (nämlich S. H. A. , geboren 18. August 1980), und eine Adresse in Norddeutschland benannte , konnte ein Kontakt hergestellt werden; dabei wurde erstmals bekannt, dass sie soeben ein Kind geboren hatte. Hierzu hat der Betroffene in der Anhörung vor dem Landgericht erklärt, er habe seine Ehefrau über in Schweden lebende somalische Bekannte ausfindig gemacht.
8
bb) Dass die Botschaft über bessere Erkenntnisquellen als Polizei und Gericht verfügte, legt der Betroffene nicht dar. Insbesondere trägt er nicht vor, dass er der Botschaft weitergehende Informationen hätte zukommen lassen, oder dass die Ehefrau ihrerseits Kontakt zu der Botschaft aufgenommen hatte, dieser also ihr Aufenthaltsort in Deutschland und die familiäre Verbindung mit dem Betroffenen bekannt war.
9
2. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.
Stresemann Schmidt-Räntsch Brückner
Göbel Haberkamp

Vorinstanzen:
AG Rosenheim, Entscheidung vom 03.12.2015 - 1 XIV 168/15 -
LG Traunstein, Entscheidung vom 03.02.2016 - 4 T 4442/15 -
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(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig
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(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig
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published on 22/10/2015 00:00

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS V ZB 79/15 vom 22. Oktober 2015 in der Abschiebungshaftsache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja WÜK Art. 36 Die versäumte oder fehlerhafte Belehrung nach Art. 36 WÜK oder vergleichbaren bilateralen
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(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.

(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.

(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.

(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.