Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Juni 2007 - V ZB 187/06
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Die Beklagte ist durch ein am 2. Dezember 2005 verkündetes Urteil des Landgerichts zur Zahlung verurteilt worden. Mit einem an das Landgericht gerichteten Schriftsatz vom 24. April 2006 legte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten gegen das noch nicht zugestellte Urteil Berufung ein und beantragte zugleich, ihm das Urteil kurzfristig zu übermitteln. Dies geschah am 2. Mai 2006. Den Schriftsatz vom 24. April 2006 leitete das Landgericht nicht an das Oberlandesgericht weiter.
- 2
- Am letzten Tag der Berufungsbegründungsfrist fragte ein Mitarbeiter des Prozessbevollmächtigten der Beklagten bei dem Oberlandesgericht nach dem dortigen Aktenzeichen und erhielt die Mitteilung, dass eine Berufung in dieser Sache nicht registriert sei. Die Beklagte hat ihre rechtzeitig eingegangene Berufungsbegründung mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die versäumte Berufungsfrist verbunden.
- 3
- Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
II.
- 4
- Das Berufungsgericht meint, die Beklagte könne sich nicht darauf berufen , dass das Landgericht verpflichtet gewesen sei, die Berufungsschrift an das Oberlandesgericht zu senden. Zwar müsse ein zuvor mit dem Verfahren befasstes Gericht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Rechtsmittelschrift an das zuständige Gericht weiterleiten. Hier gelte aber etwas anderes, weil der Schriftsatz vom 24. April 2006 inhaltlich nicht nur für das Oberlandesgericht, sondern auch für das Landgericht bestimmt gewesen sei. Zudem habe der Prozessbevollmächtigte der Beklagten anlässlich der Zustellung des Urteils am 2. Mai 2006 die falsche Adressierung der Berufungsschrift bemerken und die rechtzeitige Berufungseinlegung sicherstellen können. Er habe auch damit rechnen müssen, dass das Landgericht den Schriftsatz vom 24. April 2006 durch die Urteilszustellung als beantwortet ansehen und ihn deshalb nicht an das Oberlandesgericht weiterleiten würde. Der Prozessbevollmächtigte sei deshalb gehalten gewesen, innerhalb der bis zum 2. Juni 2006 laufenden Berufungsfrist bei dem Oberlandesgericht nachzufragen , ob der Schriftsatz dort eingegangen sei. Da er dies unterlassen habe, sei die Berufungsfrist nicht ohne Verschulden der Beklagten versäumt worden.
III.
- 5
- 1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1, § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO) und auch zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts , weil das Berufungsgericht die Anforderung an das, was eine Partei veranlasst haben muss, um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erlangen, überspannt und dadurch den Anspruch der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt hat (vgl. Senat, BGHZ 151, 221, 226).
- 6
- 2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
- 7
- a) Das Berufungsgericht geht zwar zutreffend davon aus, dass die Beklagte die Berufungsfrist (§ 517 ZPO) versäumt hat, weil die Einreichung einer Rechtsmittelschrift bei einem unzuständigen Gericht nicht fristwahrend wirkt und der Schriftsatz vom 24. April 2006 nicht innerhalb eines Monats seit Zustellung des erstinstanzlichen Urteils an das Oberlandesgericht gelangt ist.
- 9
- aa) Nach der auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zurückgehenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf ein Rechtssuchender darauf vertrauen, dass ein mit der Sache bereits befasstes Gericht einen bei ihm eingereichten, aber für das Rechtsmittelgericht bestimmten Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang dorthin weiterleiten wird. Geht der Schriftsatz dabei so zeitig ein, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, darf die Partei auch darauf vertrauen, dass er noch fristgerecht bei dem Rechtsmittelgericht eingeht. Geschieht dies tatsächlich nicht, ist der Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unabhängig davon zu gewähren , auf welchen Gründen die fehlerhafte Einreichung beruht (vgl. BVerfGE 93, 99, 115; BGH, Beschl. v. 1. Dezember 1997, II ZR 85/97, NJW 1998, 908; Beschl. v. 3. September 1998, IX ZB 46/98, VersR 1999, 1170, 1171; Beschl. v. 27. Juli 2000, III ZB 28/00, NJW-RR 2000, 1730, 1731; Beschl. v. 6. Juni 2005, II ZB 9/04, NJW-RR 2005, 1373; Beschl. v. 3. Juli 2006, II ZB 24/05, NJW 2006, 3499). Hiernach durfte die Beklagte darauf vertrauen, dass ihre mehr als fünf Wochen vor Ablauf der Berufungsfrist bei dem Landgericht eingereichte Berufungsschrift an das Oberlandesgericht weitergeleitet werden und dort rechtzeitig eingehen würde.
- 10
- bb) Die von dem Berufungsgericht hervorgehobenen Besonderheiten des Sachverhalts rechtfertigen keine Abweichung von diesem Grundsatz.
- 11
- (1) Die Verpflichtung des Landgerichts, den Schriftsatz vom 24. April 2006 an das Oberlandesgericht weiterzuleiten, entfiel entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht deshalb, weil dieser neben der Berufungseinlegung auch den - zutreffenderweise - an das Landgericht gerichteten Antrag enthielt, das erstinstanzliche Urteil zu übermitteln. Zwar durfte und musste sich das Landgericht zunächst mit dem in seinen Zuständigkeitsbereich fallenden Antrag befassen. Da dieser in der Sache aber nur eine Erinnerung an die Zustellung des verkündeten Urteils enthielt, also nichts erforderlich machte, was nicht ohnehin von Amts wegen zu geschehen hatte (§ 317 Abs. 1 Satz 1 ZPO), hätte das Landgericht feststellen müssen, dass der Antrag die Weiterleitung des Schriftsatzes an das Oberlandesgericht nicht hinderte. Aus diesem Grund und weil die Einlegung der Berufung - auch der äußeren Gestaltung nach - erkennbar das Hauptanliegen des Schriftsatzes war, musste der Prozessbevollmächtigte der Beklagten auch nicht damit rechnen, dass das Landgericht den Schriftsatz durch die nachfolgende Zustellung des erstinstanzlichen Urteils als beantwortet ansehen würde.
- 12
- Die Weiterleitung an das Oberlandesgericht durfte, anders als das Berufungsgericht meint, nicht deshalb unterbleiben, weil der Schriftsatz, da er inhaltlich auch für das Landgericht bestimmt war, in die Akte des Landgerichts gehörte. Der Schriftsatz hätte seine Eigenschaft als Aktenbestandteil nicht dadurch verloren, dass er an das Oberlandesgericht weitergereicht worden wäre, dieses anschließend die Akten des Landgerichts angefordert und den Schriftsatz dann in diese oder in einen neu anzulegenden Aktenband eingeheftet hätte.
- 13
- (2) Ob der Prozessbevollmächtigte der Beklagten die falsche Adressierung der Berufungsschrift anlässlich der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils erkennen konnte oder tatsächlich erkannt hat, ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts unerheblich. Es trifft nicht zu, dass die Verpflichtung eines Gerichts, eine Rechtsmittelschrift an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten, nur dann zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand führt, wenn die falsche Adressierung bis zum Fristablauf unbemerkt bleibt. Der Rechtssuchende darf darauf vertrauen, dass das mit der Sache befasst gewesene Gericht den bei ihm eingegangenen, aber für das Rechtsmittelgericht bestimmten Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang dorthin weiterleiten wird (BVerfGE 93, 99, 115). Wer darauf vertrauen darf, dass sein Fehler korrigiert wird, darf dies auch und gerade dann tun, wenn er seinen Fehler bemerkt. Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden, dass es, wenn eine fristgerechte Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang erwartet werden konnte, ohne Bedeutung ist, ob die Partei oder ihr Prozessbevollmächtigter die falsche Adressierung der Rechtsmittelschrift noch rechtzeitig bemerkt hat und daher selbst in der Lage war, durch Einreichung einer neuen fehlerfreien Berufungsschrift die Frist auch auf anderem Weg zu wahren (Beschl. v. 1. Dezember 1997, II ZR 85/97, NJW 1998, 908, 909). Krüger Klein Stresemann Czub Roth
LG Chemnitz, Entscheidung vom 02.12.2005 - 5 O 4791/04 -
OLG Dresden, Entscheidung vom 30.10.2006 - 10 U 1270/06 -
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War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.
(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.
(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.
(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Die Berufungsfrist beträgt einen Monat; sie ist eine Notfrist und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.
(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.
(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.
(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.
(1) Die Urteile werden den Parteien, verkündete Versäumnisurteile nur der unterliegenden Partei in Abschrift zugestellt. Eine Zustellung nach § 310 Abs. 3 genügt. Auf übereinstimmenden Antrag der Parteien kann der Vorsitzende die Zustellung verkündeter Urteile bis zum Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung hinausschieben.
(2) Ausfertigungen werden nur auf Antrag und nur in Papierform erteilt. Solange das Urteil nicht verkündet und nicht unterschrieben ist, dürfen von ihm Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften nicht erteilt werden. Die von einer Partei beantragte Ausfertigung eines Urteils erfolgt ohne Tatbestand und Entscheidungsgründe; dies gilt nicht, wenn die Partei eine vollständige Ausfertigung beantragt.
(3) Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften eines als elektronisches Dokument (§ 130b) vorliegenden Urteils können von einem Urteilsausdruck erteilt werden.
(4) Die Ausfertigung und Auszüge der Urteile sind von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu unterschreiben und mit dem Gerichtssiegel zu versehen.
(5) Ist das Urteil nach § 313b Abs. 2 in abgekürzter Form hergestellt, so erfolgt die Ausfertigung in gleicher Weise unter Benutzung einer beglaubigten Abschrift der Klageschrift oder in der Weise, dass das Urteil durch Aufnahme der in § 313 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 bezeichneten Angaben vervollständigt wird. Die Abschrift der Klageschrift kann durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder durch den Rechtsanwalt des Klägers beglaubigt werden.