Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Aug. 2014 - V ZB 163/12
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Die Beklagte ist Eigentümerin eines in H. (Deutschland) belegenen Grundstücks, das mit einer Grundschuld belastet ist, aus der die Klägerin vollstrecken will. Mit ihrer seit dem 4. Mai 2011 bei dem Landgericht Hamburg rechtshängigen Klage möchte die Klägerin die Verurteilung der Beklagten erreichen , die Zwangsvollstreckung wegen einer Forderung über 155.000 € nebst Zinsen zu dulden.
- 2
- Bereits am 2. Dezember 2010 hatte die Beklagte bei dem Landgericht Mailand (Italien) eine Klage sowohl gegen die Klägerin als auch gegen die in Italien ansässige P. SRL (im Folgenden: SRL) erhoben mit dem Ziel festzustellen , dass die Grundschuld nicht wirksam an die Klägerin abgetreten worden, die zwischen den Parteien geschlossene Sicherungszweckerklärung unwirksam und die Beklagte daher nicht zur Duldung der Zwangsvollstreckung verpflichtet sei. Mit Blick auf die mitverklagte SRL macht sie geltend, sie wolle sich an diesem Unternehmen beteiligen und die Investition mithilfe italienischer Banken finanzieren; die dafür erforderlichen Sicherheiten könne sie nicht aufbringen, wenn die Stellung der Sicherheit zu Gunsten der Klägerin wirksam sei. Mit Urteil vom 8. Mai 2012 verneinte das Landgericht Mailand die Zuständigkeit der italienischen Gerichte. Die gegen die SRL erhobene Klage diene offensichtlich nur dazu, in missbräuchlicher Weise die italienische Gerichtsbarkeit zu beanspruchen. Eine Entscheidung über die gegen das Urteil eingelegte Berufung steht noch aus.
- 3
- In dem vorliegenden Rechtstreit möchte die Beklagte zunächst eine Aussetzung des Verfahrens nach Art. 27 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. EG 2001 Nr. L 12/1; im Folgenden: EuGVVO) wegen anderweitiger Rechtshängigkeit erreichen. Ihr dahingehender Antrag ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt sie den Aussetzungsantrag weiter.
- 4
- Mit Beschluss vom 18. September 2013 (veröffentlicht u.a. in WM 2013, 2160 ff.) hat der Senat dem Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden : Gerichtshof) nach Art. 267 AEUV die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt , ob Art. 27 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. EG 2001 Nr. L 12/1) dahin auszulegen ist, dass das später angerufene Gericht, das nach Art. 22 Nr. 1 EuGVVO ausschließlich zuständig ist, gleichwohl das Verfahren aussetzen muss, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts, zu dessen Gunsten keine ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 22 EuGVVO besteht, abschließend geklärt ist. Nachdem der Gerichtshof diese Frage in einem anderen Verfahren verneint hat (Urteil vom 3. April 2014 - C-438/12 - Weber, veröffentlicht u.a. in NJW 2014, 1871 ff.), hat der Senat sein Vorabentscheidungsersuchen nicht aufrechterhalten.
II.
- 5
- Das Beschwerdegericht verneint die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Rechtsstreits mit der Begründung, der Beklagten gehe es mit der in Italien erhobenen Klage ausschließlich darum, rechtsmissbräuchlich einen Gerichtsstand zu erschleichen, um auf diese Weise die Aussetzung des in Deutschland geführten Rechtsstreits nach Art. 27 Abs. 1 EuGVVO zu erreichen. Vor diesem Hintergrund sei bei wertender Betrachtung davon auszugehen, dass sich der vorliegende Rechtstreit weder auf denselben Anspruch noch auf dieselben Parteien wie das in Italien angestrengte Verfahren beziehe.
III.
- 6
- Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und nach § 575 ZPO auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
- 7
- 1. Mit der gegebenen Begründung kann die Beschwerdeentscheidung allerdings nicht aufrechterhalten werden.
- 8
- a) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts betreffen die vorliegende Klage und das in Italien geführte Verfahren denselben Anspruch i.S.v. Art. 27 Abs. 1 EuGVVO. Der Begriff „desselben Anspruchs“ ist im Rahmen der EuGVVO autonom und weit auszulegen, um einander widersprechende Urteile i.S.v. Art. 34 Nr. 3 EuGVVO zu vermeiden. Maßgeblich ist, ob der Kernpunkt beider Streitigkeiten derselbe ist (vgl. nur EuGH, 144/86 - Gubisch, Slg 1987, 4861 = NJW 1989, 665 Rn. 11, 16, 18 f.; Senat, Beschluss vom 18. September 2013 - V ZB 163/12, WM 2013, 2160 Rn. 7 mwN). So liegt es auch hier. Die Klage in Italien richtet sich unter anderem auf die Feststellung, dass keine Verpflichtung zur Duldung der Zwangsvollstreckung aus der Grundschuld bestehe. Mit der vorliegenden Klage soll eben diese Duldung erreicht werden. Dass es im italienischen Verfahren noch um weitere Feststellungen geht, ist für die Identität des Streitgegenstands unerheblich. Kernpunkt ist jeweils die Frage, ob die Klägerin aus der Grundschuld vorgehen darf; jedenfalls ist der Streitgegenstand des vorliegenden Rechtsstreits vollständig vom italienischen Verfahren abgedeckt. Im Übrigen beschränkt sich der Gegenstand der Klage in Italien nicht auf die Einbeziehung der SRL.
- 9
- b) Unzutreffend ist auch die weitere Annahme des Beschwerdegerichts, die beiden Verfahren seien nicht zwischen identischen Parteien anhängig. Die Identität ist unabhängig von der jeweiligen Parteistellung. Zudem ist es unschädlich , wenn in einem Verfahren zusätzlich Dritte beteiligt sind. Das hat lediglich zur Folge, dass sich die Rechtsfolgen des Art. 27 EuGVVO auf diejenigen Parteien beschränken, zwischen denen mehrere Verfahren anhängig sind (vgl. EuGH, C-406/92 - Tatry, Slg 1994, I-5439 = ZIP 1995, 943 Rn. 31, 33; Senat , Beschluss vom 18. September 2013 - V ZB 163/12, aaO, Rn. 9).
- 10
- c) Schließlich verkennt das Beschwerdegericht, dass von einer Aussetzung nach Art. 27 Abs. 1 EuGVVO grundsätzlich nicht unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs abgesehen werden kann (Senat, Beschluss vom 18. September 2013 - V ZB 163/12, aaO, Rn. 11 mwN; vgl. auch EuGH, Urteil vom 3. April 2014 - C-438/12 - Weber, Rn. 59 f.).
- 11
- 2. Der Rechtsbeschwerde bleibt im Ergebnis jedoch deshalb der Erfolg versagt, weil dies dann nicht gilt, wenn das später angerufene Gericht nach Art. 22 Nr. 1 EuGVVO ausschließlich zuständig ist (EuGH, Urteil vom 3. April 2014 - C-438/12 - Weber, Rn. 54 ff.). Dass es sich hier so verhält, hat der Senat bereits in dem Beschluss vom 18. September 2013 im Einzelnen ausgeführt (V ZB 163/12, WM 2013, Rn. 12 ff.). Entgegen der Auffassung der Beklagten unterliegt es keinem vernünftigen Zweifel, dass auch (Sicherungs-) Grundschulden unter Art. 22 Nr. 1 EuGVVO fallen; § 1192 Abs. 1a BGB ändert daran nichts.
IV.
- 12
- Eine Kostenentscheidung scheidet aus. Sie hat zu unterbleiben, wenn die Ausgangsentscheidung - wie hier - keine Kostenentscheidung enthalten darf. Die Kosten des (Rechts-)Beschwerdeverfahren bilden in solchen Fällen einen Teil der Kosten des Rechtsstreits, die unabhängig von dem Ausgang des Beschwerdeverfahrens von der in der Hauptsache unterliegenden Partei nach §§ 91 ff. ZPO zu tragen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2005 - II ZB 30/04, NJW-RR 2006, 1289 Rn. 12 mwN).
Vorinstanzen:
LG Hamburg, Entscheidung vom 20.06.2012 - 321 O 123/11 -
OLG Hamburg, Entscheidung vom 08.08.2012 - 13 W 33/12 -
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Annotations
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Rechtsbeschwerdegericht einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss enthalten:
- 1.
die Bezeichnung der Entscheidung, gegen die die Rechtsbeschwerde gerichtet wird und - 2.
die Erklärung, dass gegen diese Entscheidung Rechtsbeschwerde eingelegt werde.
(2) Die Rechtsbeschwerde ist, sofern die Beschwerdeschrift keine Begründung enthält, binnen einer Frist von einem Monat zu begründen. Die Frist beginnt mit der Zustellung der angefochtenen Entscheidung. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend.
(3) Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss enthalten:
- 1.
die Erklärung, inwieweit die Entscheidung des Beschwerdegerichts oder des Berufungsgerichts angefochten und deren Aufhebung beantragt werde (Rechtsbeschwerdeanträge), - 2.
in den Fällen des § 574 Abs. 1 Nr. 1 eine Darlegung zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2, - 3.
die Angabe der Rechtsbeschwerdegründe, und zwar - a)
die bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt; - b)
soweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben.
(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Beschwerde- und die Begründungsschrift anzuwenden. Die Beschwerde- und die Begründungsschrift sind der Gegenpartei zuzustellen.
(5) Die §§ 541 und 570 Abs. 1, 3 gelten entsprechend.
(1) Auf die Grundschuld finden die Vorschriften über die Hypothek entsprechende Anwendung, soweit sich nicht daraus ein anderes ergibt, dass die Grundschuld nicht eine Forderung voraussetzt.
(1a) Ist die Grundschuld zur Sicherung eines Anspruchs verschafft worden (Sicherungsgrundschuld), können Einreden, die dem Eigentümer auf Grund des Sicherungsvertrags mit dem bisherigen Gläubiger gegen die Grundschuld zustehen oder sich aus dem Sicherungsvertrag ergeben, auch jedem Erwerber der Grundschuld entgegengesetzt werden; § 1157 Satz 2 findet insoweit keine Anwendung. Im Übrigen bleibt § 1157 unberührt.
(2) Für Zinsen der Grundschuld gelten die Vorschriften über die Zinsen einer Hypothekenforderung.